Disaster Dermatology: Eine besondere Rolle der Dermatologie in der Katastrophenmedizin

Aleksandr Sumenko

BW Krankenhaus Hamburg

In der Bundeswehr ist der Begriff der “Einsatzmedizin” in allen Disziplinen besonders jedoch als Einsatzchirurgie/
-­anästhesie seit Längerem geläufig. Diese Begrifflichkeit wird sowohl in bewaffneten Einsätzen als auch bei den humanitären Hilfsmissionen der Bundeswehr benutzt. Der Begriff „Einsatzdermatologie“ wurde bisher nicht verwandt. Im zivilen Bereich wird die Einsatzmedizin mit ihren Inhalten am ehesten der Katastrophenmedizin zugeordnet.

Oberstabsarzt Sumenko (li.) und Oberfeldarzt Dr. Edler (re.) aus dem...
Oberstabsarzt Sumenko (li.) und Oberfeldarzt Dr. Edler (re.) aus dem Bundeswehrkrankenhaus Hamburg beim Vortrag zum Thema Disaster Dermatology in der Ukraine.
Quelle: BW Krankenhaus Hamburg

Der Begriff “Katastrophe” umfasst ein unerwartetes Ereignis, bei dem zahlreiche Menschen getötet oder verletzt werden und die umliegende Infrastruktur meist zerstört wird. Auslöser von Katastrophen sind vielfältig und umfassen Naturkatastrophen (u. a. Erdbeben, Tsunami, Wirbelstürme), man-made disaster wie technische Unfälle (Explosionen, Brände) und bewaffnete Konflikte. Die Anzahl der Katastrophen steigt weltweit, im Jahr 2017 entsprachen dieser Definition insgesamt 301 Ereignisse. Dabei unterscheiden sich die Opferzahlen stark von der Ursache. So werden bei Naturkatastrophen deutlich mehr Betroffene registriert als bei den Ereignissen, die durch menschliche Einwirkung ausgelöst werden. Die größten Opfer haben in den letzten Jahrzehnten der Tsunami im indischen Ozean 2004 und die Erdbeben auf Haiti 2010 und in Nepal im Jahr 2015 gefordert.

Dermatologie im Katastrophenfall

In Szenarien mit Gewalteinwirkung stehen typischerweise zunächst Traumata im Vordergrund, hier sind in der klinischen Versorgung Chirurgen und Vertreter anderer operativer Fachgebiete sowie Anästhesisten primär gefordert. Das in der Notfallmedizin eingesetzte Personal wird daher entsprechend ausgebildet. Neben unfallchirurgischen, respiratorischen und gastrointestinalen Krankheitsbildern spielen jedoch im weiteren Verlauf auch dermatologische Erkrankungen eine wichtige Rolle bei der Patientenversorgung. Hierzu zählen infektiöse Hautausschläge, sexuell übertragbare Krankheiten (sexuell transmitted diseases, STD) oder auch durch Stress induzierte Dermatosen. Gerade bei länger andauernden Katastrophen oder anhaltenden Folgen führt mangelnde Hygiene in der postakuten Phase ebenso zu diesen dermatologischen Krankheitsbilder, wie die Tendenz zur Gering­achtung von Normen und Werten in länger dauernden Kata­strophensituationen zur Häufung sexuell übertragbarer Krankheiten führen kann.

Bis zur 25 % aller ärztlicher Konsultationen in Militäreinsätzen betreffen primär die Dermatologie. Überträgt man diese Einsatzdermatologie im Katastrophenszenario auf den zivilen Bereich, ist sie bei diesen besonderen Schadensereignissen als “Disaster Dermatology” oder auch “Krisen-Dermatologie” zu bezeichnen.

Bild eines „Nässefußes“
Bild eines „Nässefußes“
Quelle: BW Krankenhaus Hamburg

Konferenz zur “Disaster Dermatology” in der Ukraine 2018

Exemplarisch zeigen gerade die Folgen der jüngsten Auseinandersetzungen in der Ost-Ukraine vermehrt die Problematik einer mangelnden dermatologischen Versorgung auf. Im Mai 2018 wurde durch die Ukrainische Akademie für Dermato-Venerologie eine internationale Konferenz zum Thema „Disaster Dermatology“ organisiert und ausgerichtet.

Zwei Sanitätsoffiziere der Klinik für Dermatologie des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg hatten hierbei die Gelegenheit über ihre Erfahrungen als Militärdermatologen in den Einsätzen und Hilfsmissionen der Bundeswehr zu berichten. Durch die ukrainischen Kollegen wurden die verschiedenen Problempunkte angesprochen und diskutiert, gerade auch unter dem Eindruck der leidvollen Erinnerungen, die bis heute aus der Tschernobyl-Katastrophe 1986 nachwirken. Als besonderes Problem wurde hier der Umgang mit Antibiotika und überhaupt der weltweit nicht einheitlich kontrollierte Zugang zu Antibiotika kritisch diskutiert. Helfer treffen regelmäßig auf neue Resistenzentwicklungen, gerade bei der Behandlung von STDs. Die ukrainischen Kollegen berichteten, dass aufgrund des unkontrollierten Zugangs zu Antibiotika und der damit möglichen nicht-ärztlichen Selbstbehandlung in dieser Form anbehandelte sexuell übertragbare Krankheiten eine besondere diagnostische Herausforderung darstellten. Speziell sei gerade eine Syphilis oft klinisch nicht mehr erkennbar, während die üblicherweise in der Ukraine durchgeführte „Wassermann-Reaktion“ als Antikörper-Nachweisreaktion „positiv“ ausfalle und dann bei fehlender Klinik häufig als „falsch-positiv“ gewertet werde.

Auch Schnellteste für Lues, HIV etc. seien in der Ukraine nicht immer verfügbar.

Im Gegensatz hierzu findet man Berichte der US Navy über eine antibiotika-naive Flora in Belize, wo letztlich Penicillin zur effektiven Behandlung der Staph. aureus Infektionen ohne jegliche Einschränkungen noch eingesetzt werden konnte. Dem entgegen stehen wiederum die Erfahrungen der deutschen Hilfskräfte aus dem Einsatz Banda Aceh, bei dem multiresistente Keime eine therapeutische Herausforderung bei der Behandlung der bakteriellen Dermatosen darstellten.

Dermatologisches Spektrum in Katastrophen­szenarien

Das Spektrum möglicher dermatologischer Erkrankungen bei Katastrophenereignissen ist breit und nimmt bei lang­andauerndem Fortbestehen der problematischen äußeren Bedingungen stetig zu. Wie bereits erwähnt sind die häufigsten Ursachen die schwierige hygienische Situation und möglicherweise abnehmende soziale Ordnung.

  • Während in den ersten Stunden/Tagen Verbrennungswunden oder auch, bei einem Unfall mit vermehrter Freisetzung von Radioaktivität, eine akute Strahlenerkrankung mit Erythemen therapeutisch absolut im Vordergrund der Aufmerksamkeit stehen, nehmen im Verlauf erregerbedingte Infektionen, wie Pyodermien, Mykosen und Parasitosen einschließlich der sexuell übertragbaren Erkrankungen stetig zu.
  • Bei einem Unglück mit längerem Wasserkontakt entstehen zu Beginn häufig Infektionen, die durch gram-negative Bakterien hervorgerufen werden, im späteren Verlauf können sich auch hier zunehmend Mycobakteriosen entwickeln. Auch das im Meereswasser vorkommende gram-negative Bakterium Vibrio vulnificus führt zur nekrotisierenden Wunden an der Haut.
  • Abhängig von den klimatischen Gegebenheiten bei Katastrophen können sowohl Erfrierungen als auch Photodermatosen beobachtet werden.
  • Auch die Ursache der jeweiligen Katastrophe scheint ebenfalls Krankheitsbilder zu beeinflussen. Während sich nach dem Erdbeben in Nepal 2015 die meisten Patienten mit ekzematösen Erkrankungen vorstellten, überwogen nach der Flutkata­stro­phe in Thailand 2006 bakterielle und mykotische Infektionen. In bewaffneten Konflikten sind bekanntermaßen die Füße der Soldaten in ihren Kampfstiefeln besonders gefährdet. Tinea pedis einhergehend mit Hyperhidrosis führt zu Mazeration und zusammen mit einem gram-negativen Bakterienspektrum oftmals zum so genannten „Nässefuß“, der die Einsatzfähigkeit der erkrankten Soldaten über Wochen einschränkt. Dieser Verlauf ist selbstverständlich auch bei zivilen Katastrophen sowohl bei primär betroffenen Opfern, allerdings ebenso bei Helfern ­
     möglich.
  • Die nach Flutkatastrophen oft entstehenden Schmutz- und Brackwasseransammlungen bieten ein optimales Habitat für Insekten aller Art, was die Ausbreitung von vektorübertragbaren Erkrankungen wie z. B. von Dengue-Fieber begünstigt. Das Verhindern von Epidemien nach einer Katastrophe stellt hier eine der schwierigsten und vorrangigsten Aufgaben dar.
  • Gerade dem dermatologischen Fachgebiet kommt im interdisziplinären Zusammenspiel bei der Bewältigung unterschiedlichster Katastrophenfolgen weltweit eine besondere Bedeutung zu. Die Versorgungssituation wird einerseits durch die klimatischen Bedingungen vor Ort, anderseits auch von den verfügbaren Ressourcen und der vormals bestehenden Infrastruktur geprägt. Sie ist weiterhin von der dermatologischen Ausbildung der einheimischen medizinischen Kräfte und der eingesetzten multinationalen Hilfskräfte abhängig.

Wie sollte man sich auf solche Schaden­ereignisse aus dermatologischer Sicht vorbereiten?

Eine vorausschauende Planung muss mehrere Faktoren berücksichtigen. Dies betrifft mindestens die Art des Schadensereignis und die Region, in der es stattfinden könnte. Ähnlich wie in den Grundzügen der Akut- und Notfallmedizin sollte in Katastrophenregionen tätiges medizinisches Personal auch in die Beherrschung dermatologischer Krankheitsbilder in der Post-Akut-Phase einer Katastrophe eingewiesen werden. Qualifiziertes dermatologisches Personal sollte möglichst in dieser Post-Akut-Phase ebenfalls eingeplant werden. 

  • In den ersten Wochen stehen erfahrungsgemäß infektiöse Dermatosen und superinfizierte Ekzemleiden im Vordergrund, in den Tropen und Subtropen muss zusätzlich auch mit der Ausbreitung von verktorgebunden tropischen Dermatosen wie. z. B. der Leishmaniasis gerechnet werden, wie es die stark erhöhten Fallzahlen zuletzt im Syrien-Konflikt aufzeigten.
  • Weiterhin sind nach Sachadensereignis und Region in Abhängigkeit der erwarteten Indikationen Medikamentenlisten zu erstellen und entsprechend Medikamentenvorräte transportfähig anzulegen. Diese sollte sich auf essentielle dermatologische Basisausstattung topischer und systemischer Präparate beschränken und diese dafür in ausreichender Menge bevorraten.
  • Ebenfalls hat sich die Ausstattung und der Einsatz von einfachen diagnostischen Hilfsmitteln bewährt wie z. B. einer Wood-Licht Lampe zur Diagnostik des Erythrasma oder einer Tinea. Auch der Gebrauch von Farbstoffen wie Gentianaviolett (Pyoktanin) oder Eosin stellt unter den besonderen Bedingungen eine wirksame, wenn auch heute in Deutschland nicht mehr als zeitgerecht angesehene therapeutische Alternative zur Behandlung eines gram-negativen Fußinfekts bzw. superinfizierten Wunden dar.
  • Wenn auch in Deutschland eher nur noch selten eingesetzt, eignet sich Doxycyclin in den Tropen bei Hilfskontingenten, auch bei Berücksichtigung einer möglichen Phototoxizität, umfassend zur Malariaprophylaxe. Zusätzlich erweist es sich als protektiv gegenüber Superinfektionen und verhindert möglicherweise auch im Nebeneffekt im Einsatz Infektionen mit Chlamydien oder Rickettsien. Als Systemtherapeutikum beeinflusst es auch positiv eine ggf. vorbestehende Akne.
  • Häufig mangelt es aber auch an dermatologisch geschultem Fachpersonal, oder der Einsatz von qualifiziertem Personal kann aus Sicherheitsgründen (chemische, radioaktive Unfälle oder terroristische Angriffe) nicht stattfinden. In diesen Lagen bietet die Telemedizin eine geeignete Option für eine erste dermatologische Konsultation. Auch dieser Punkt wurde von den ukrainischen Kollegen diskutiert und als hilfreich bewertet.

Resümee

Die Dermatologie hat eindeutig einen besonderen Stellenwert als „Disaster Dermatology“ auch in Katastrophensituationen, besonders wenn die ungünstigen Umstände längere Zeit andauern. Bisher ist dieser Umstand allerdings noch nicht ausreichend adressiert worden. Bei den konzeptionellen Überlegungen im dermatologischen Ressourcenmanagement sollte man u. a. über einen an das Schadensereignis angepassten Einsatz von Mitteln unter besonderer Berücksichtigung von klimatischen Bedingungen berücksichtigen. 

Dabei darf nicht außer Acht gelassen ­werden, dass das zu erwartende dermatologische Krankheitsspektrum nach einer Katastrophe einer äußerst dynamischen Entwicklung unterliegt. Hierbei könnten sich vergleichbar dem Wissenstransfer aus der chirurgischen Einsatzmedizin in die zivile Unfallchirurgie die Erfahrungen der Fachärzte für Dermatologie und Venerologie aus den zahlreichen Einsätzen der Bundeswehr sehr positiv auf die zivil-militärische Zusammenarbeit und den Katastrophenschutz im nationalen wie internationalen Rahmen auswirken. Es gilt nun, sich gemeinsam mit dem Thema der “Disaster Dermatology” näher auseinander zu setzen.

Dieser Artikel ist bereits in der Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2019 erschienen.


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