Resilienz, also die Fähigkeit mit Krisen, Katastrophen und Schädigungen umzugehen und diese zu bewältigen, bedeutet für eine Gesellschaft ein Plus an Sicherheit und Zuversicht. Aktuelle Erkenntnisse und neue Lösungen aus der Forschung können helfen, die Resilienz der Gesellschaft zu stärken. Das Bundesforschungsministerium fördert im Rahmen des seit 2007 laufenden Programms der Bundesregierung „Forschung für die zivile Sicherheit“ interdisziplinäre Forschungsprojekte, in denen Sicherheitskonzepte und -technologien im Dialog zwischen Anwendern, Entwicklern und Wissenschaftlern verschiedenster Fächer vorangebracht werden.
Hilfebedarfe und Hilfsbereitschaft im Katastrophenfall
Die Auswirkungen von Katastrophen sind vielfältig und treffen Menschen meist ganz unterschiedlich. Um passgenaue Maßnahmen im Katastrophenschutz zu entwickeln, ist es wichtig, die Ausgangsbedingungen vor Ort in den Blick zu nehmen. Diese unterscheiden sich nicht nur individuell, sondern auch lokal- und quartiersspezifisch. Das hat die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin in einem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt konkret aufgezeigt und eine nach Stadtteilen aufgeschlüsselte sogenannte Krisenmanagement-Tabelle für Berlin erarbeitet. Um in Zukunft mögliche Problemschwerpunkte identifizieren zu können, wurden dabei Faktoren wie z. B. die Bebauung (Hochhäuser, Mehr- oder Einfamilienhäuser) und die Ressourcenversorgung im Lebensumfeld der Bevölkerung einbezogen.
Zusammen mit der Feuerwehr Berlin und der Charité-Universitätsmedizin Berlin hat die HWR Konzepte für Anlaufstellen für die Bevölkerung in Krisensituationen entwickelt.
Bezogen auf das Szenario eines lang anhaltenden großräumigen Stromausfalls in Berlin wurde dabei unter anderem analysiert, wer in Katastrophensituationen bereit wäre, wem zu helfen, und welche Bevölkerungsgruppen welche Art von Hilfe benötigen würden. Es zeigte sich, dass die Hilfebereitschaft der Bevölkerung grundsätzlich groß ist. Am stärksten ist sie gegenüber den Menschen im direkten sozial-räumlichen Umfeld ausgeprägt. Geholfen wird vor allem Familie und Freunden, Nachbarn und Personen im eigenen Viertel. Birgitta Sticher, Professorin für Psychologie und Führungslehre an der HWR, führt aus: „Fast alle befragten Bürgerinnen und Bürger gaben an, dass sie im Fall von Katastrophen zu Hilfeleistungen bereit sind, wenn die Hilfeleistung die eigene Ressourcenlage nicht verschlechtert.“ Gerade Gruppen mit geringen eigenen Ressourcen sind dabei oft überdurchschnittlich hilfsbereit.
Die Wissenschaftler haben zugleich belegt, dass Menschen, die bereits im Alltag auf Unterstützung angewiesen sind oder über eine schwache soziale Einbindung verfügen, auch im Krisenfall spezielle Hilfe und besondere Aufmerksamkeit benötigen. Dies gilt zum Beispiel für Ältere, Eltern mit Neugeborenen, psychisch oder physisch beeinträchtigen Personen, Touristen und Obdachlose. Spezifische Maßnahmen für diese Zielgruppen können also Evakuierungs- und Einsatzpläne von Feuerwehr, Rettungsdiensten oder Polizei verbessern.
Organisierte Hilfe und Wandel des ehrenamtlichen Engagements
Das ehrenamtliche Engagement in Organisationen des Bevölkerungsschutzes und die spontane Hilfsbereitschaft in Krisensituationen sind ein wichtiger Eckpfeiler der Resilienz einer Gesellschaft. Die Erfahrung solcher Hilfestrukturen und die gelungene Kooperation mit professionellen Helfern tragen entscheidend zu Sicherheit und Zuversicht in schwierigen Lagen bei, und verbessern die Reaktion auf krisenhafte Situationen.
Dabei steht das Ehrenamt durch veränderte Lebensumstände der Bürgerinnen und Bürger, zum Beispiel höhere Mobilität und stärkere berufliche Flexibilisierung, vor strukturellen Herausforderungen. Seine Stärkung und die optimale Einbindung neuer Formen von Engagement (z. B. Spontanhelferinnen und –helfer) in die Strukturen des Katastrophenschutzes ist ebenfalls ein Anliegen aktueller Forschung. Langfristig im Katastrophenschutz Engagierte wünschen sich, wie Befragungen in einem Projekt unter Leitung des Deutschen Roten Kreuzes ergaben, konkrete Verbesserungen für ihr Engagement, wie zum Beispiel eine Anerkennung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit in der Rentenversicherung, bessere berufliche Freistellungsmöglichkeiten sowie eine Anerkennung von ehrenamtlich erworbenen Qualifikationen im Beruf.
Viele Bürgerinnen und Bürger möchten sich heute aber gar nicht mehr an eine bestimmte Organisation gebunden engagieren, sondern bei Notlagen spontan und flexibel einbringen. Wie Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und solche spontanen Mithelferinnen und -helfer erfolgreich zusammenarbeiten können, haben Wissenschaftler gemeinsam mit Praktikern der Berliner Feuerwehr und des Deutschen Roten Kreuzes in zwei Übungen untersucht.
Sie fanden heraus, dass die Mithelfenden die gestellten Aufgaben zuverlässig ausführten und eine Unterstützung für die Einsatzkräfte darstellten, jedoch Verbesserungsbedarf bei der Kommunikation mit ihnen bestand. Daher erarbeiteten sie praxisorientierte Hinweise zur Kommunikation sowie eine Smartphone-Applikation zur Gewinnung und Alarmierung von Helfern mit verschiedenen Fachkenntnissen.
Krisenkommunikation in der digitalen Welt
Digitale Technik hat die Kommunikation in Krisensituationen stark verändert. Immer mehr Akteure beteiligen sich auf immer mehr Kanälen und in immer kürzeren Abständen an der Berichterstattung über ein Ereignis und an ihrer Kommentierung. Welche Aspekte digitaler Kommunikation die Resilienz im Krisenfall stärken, und welche sie schwächen können, steht deswegen zunehmend im Fokus wissenschaftlichen Interesses. Konkrete Herausforderungen sind z. B. die Auswirkungen von Fake News und sensationsorientierten Darstellungen im Zuge einer Notfallsituation, aber auch der Opferschutz und die Vorbeugung von Panik bei der Berichterstattung über Krisen oder Katastrophen.
Britta Bannenberg, Professorin für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Justus-Liebig-Universität Gießen, betont: „Für Opfer und Betroffene von Amoktaten, oder überhaupt von schweren Gewalttaten und Terrorakten, stellt die Berichterstattung häufig ein Problem dar. Sie werden meistens unsensibel mit aufgeregten Journalisten konfrontiert, die ihre schnelle Story wollen und auch nicht davor zurückschrecken, private Bilder, Informationen und Fotos von trauernden und verzweifelten Menschen abzudrucken.
Der Informationsgehalt bleibt dabei häufig auf der Strecke.“ Aus einem von der Freien Universität Berlin koordinierten Forschungsprojekt ist der Dokumentar- und Schulungsfilm „Media running Amok?“ hervorgegangen, der Hinweise für den korrekten Umgang mit Betroffenen gibt und so Fehlentwicklungen in diesem Bereich vorbeugen kann.
Online-Plattformen wie Facebook und Twitter bieten aber auch positives Potenzial für die Stärkung von Resilienz im Krisenfall. In der Praxis zeigte sich dies zum Beispiel, als nach der Gewalttat eines jungen Mannes in einem Einkaufszentrum in München im Juli 2016 viele Falschmeldungen und Gerüchte über weitere Tatorte die Bevölkerung verunsicherten.
Meldungen der Münchner Polizei in den sozialen Medien konnten zur Klärung und Beruhigung der Situation beitragen. Um die Vorteile der Digitalisierung für den Bevölkerungsschutz genauer zu verstehen und noch effektiver einsetzen zu können, ist die Nutzbarmachung der vielfältigen Chancen und Potenziale der digitalen Transformation ein zentraler Pfeiler im Programm der Bundesregierung „Forschung für die zivile Sicherheit 2018 - 2023“.
Fazit
Resilienz ist eine positive gesellschaftliche Fähigkeit, um Krisen und Katastrophen zu bewältigen. Resilienz erfordert aber auch, und zwar konkret und vor Ort, Einsatzkräfte, Ressourcen, Pläne und Kommunikationsstrukturen. In vielen Projekten der zivilen Sicherheitsforschung werden Lösungen für diese Situationen entwickelt. Allerdings tragen technische Systeme allein nicht automatisch zu mehr Resilienz oder einem effektiveren Krisenmanagement bei. Sie müssen auf die Bedürfnisse der Einsatzkräfte und der Bevölkerung abgestimmt sein. Ergebnisse aus der Sozialpsychologie, der Organisationssoziologie, der Ethik- oder auch der Kommunikationswissenschaft sind daher von zentraler Bedeutung für ein robustes und modernes Krisenmanagement.
Crisis Prevention 1/2019
Unterstützende Stelle des Fachdialogs Sicherheitsforschung
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