Der Territorial Hub: Gemeinsam – Schneller – Besser

Über den Umgang mit neuen Herausforderungen für den Schutz Deutschlands und seiner Partner

Projektgruppe CD&E TerrHub

Bundeswehr/Tom Twardy

Die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, die andauernde pandemische Lage oder die Aufnahme von Evakuierten aus Afghanistan prägten in den letzten Monaten die mediale Berichterstattung. Die letzten Wochen und Monate machen die Parallelität von Krisen- und Katastrophenlagen deutlich. Und viel mehr noch: aus einem Ausnahmezustand wird mehr und mehr das neue „normal“, dem wir uns als Gesellschaft stellen müssen. Gemeinsam ist den genannten Ereignissen, dass die Flecktarn-Uniform der Bundeswehr Seite an Seite mit zivilen Helferinnen und Helfern das Bild vor Ort und in den Medien prägt. Die Bundeswehr unterstützt hier die zivilen Behörden und Einsatzkräfte, wie zum Beispiel Feuerwehr, Polizei oder THW.

Das Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr (KdoTerr­AufgBw) ist hier, im Auftrag des Nationalen Territorialen Befehlshabers, in der Koordination Dreh- und Angelpunkt und hat in der Bewältigung von „ad-hoc-Krisen“ umfangreiche Erfahrungen gesammelt. Es ist erprobt durch Hochwasser, Migrationskrise, Wald- und Moorbrände, Schneechaos und Flugzeugabstürze. Allein während des andauernden Corona-Einsatzes wurde die Bundeswehr über 8.000-mal um Hilfe gebeten und hat diese auch geleistet – teilweise über Monate hinweg. Die in der Amtshilfe eingesetzten Kräfte werden aus der Operationszentrale des KdoTerrAufgBw zentral geführt.

Neben dieser Unterstützung der zivilen Krisenreaktionsorganisationen, wie auch Behörden im Rahmen der Amtshilfe, koordiniert das KdoTerrAufgBw zusätzlich die logistische Begleitung verbündeter oder befreundeter Streitkräfte beim Transit durch Deutschland.

Die Vision ist die Mission

Trotz der erfolgreichen Bewältigung dieser Aufgaben hat eine kritische Evaluation innerhalb des KdoTerrAufgBw auch Verbesserungspotential in der eigenen Führungsfähigkeit aufgezeigt. Dieses Verbesserungspotential wurde insbesondere in den Bereichen des Informationsmanagements, der kollaborativen Zusammenarbeit, der Lageerfassung, -darstellung und -führung sowie einer medienbruchfreien IT-Unterstützung als Digitalisierungs­lösung erkannt. Dies betrifft nicht nur das KdoTerrAufgBw intern, sondern vor allem auch den Informationsaustausch und die digitale Zusammenarbeit mit anderen Organisationen – den zivilen Partnern.

Die Optimierungspotentiale werden derzeit durch ein bundeswehrgemeinsames CD&E-Projekt1 zusammen mit dem Planungsamt der Bundeswehr untersucht. Die Projektorganisation verfolgt das Ziel und die Vision, eine zivil-militärisch vernetzte und digitalisierte Arbeitsumgebung zu schaffen: den Territorial Hub (TerrHub). Dadurch soll die Führungsfähigkeit und die Auftragserfüllung des KdoTerrAufgBw durch gezielte Digitalisierungs­maßnahmen, auch unter Berücksichtigung der Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz, verbessert werden.

Soldaten sind gemeinsam mit Polizistinnen und Polizisten im Hochwassereinsatz...
Soldaten sind gemeinsam mit Polizistinnen und Polizisten im
Hochwassereinsatz in Altenburg im Ahrtal, am 24.07.2021.
Quelle: Bundeswehr/Tom Twardy

Vier Bausteine für eine Plattform als gemeinsame Arbeitsumgebung

Der TerrHub besteht in der Vision aus vier Bausteinen, deren – vor allem technische – Realisierbarkeit in den nächsten Monaten geprüft wird. Diese sollen insbesondere die militärische und die zivile Seite miteinander verbinden, um im Krisen- und Katastrophenfall, auf Basis einer flexiblen und agilen Führung, gemeinsam, schneller und besser Hilfe zu leisten. Diese Bausteine werden als TerrNet, TerrWorkX, TerrC2 und TerrPreSim bezeichnet und setzen sich mosaikartig zur neuen digitalen Arbeitsumgebung des TerrHub zusammen (siehe Abbildung). Der TerrHub bildet somit die zukünftige Plattform für die Zusammenarbeit der militärischen und der zivilen Seite.

Zu Beginn der konzeptionellen Arbeit stand die Erkenntnis, dass für die Zusammenarbeit von militärischen und zivilen Dienststellen und Organisationen ein gemeinsamer Informationsraum mit einem digitalen, medienbruchfreien und automatisierten Informationsaustausch, über Standardschnittstellen über die Domänen ÖFFENTLICH bis GEHEIM/NATO SECRET hinweg, zwingend notwendig ist. Ziel ist daher die Schaffung eines gemeinsamen Informationsraums, in welchem Informationen je nach individueller Berechtigung über die Einstufungsgrade hinweg generiert, verarbeitet, geteilt, diskutiert und gespeichert werden können. Der Informationsraum soll ein wirkungsvolles Informationsmanagement mit der Möglichkeit zur ebenengerechten ­Filterung und einer bedarfsgerechten Darstellung auf der Grundlage einer einheitlichen logischen Datenbasis bieten. Maßnahmen z.B. zur Zugriffskontrolle, eingebettet in ein robustes Rollen- und Nutzerkonzept, und hardwareseitige Gateways sind unabdingbare Voraussetzung für eine gemeinsame zivil-militärische Nutzung des Informationsraumes.

Als Mittel zur Erreichung dieses Ziels wurde das Territorial Net (TerrNet) mit den Schnittstellen Territorial Link (TerrLink) als erster Baustein konzeptioniert.

Das TerrNet ist somit der zentrale digitale Informationsraum, der den bidirektionalen Informationsaustausch aus dem öffentlichen Raum ressort- und organisationsübergreifend, national und multinational, gewährleistet. Er vernetzt die Krisenreaktionsorganisationen (z.B. Polizei, Feuerwehr, THW, aber auch verbündete Streitkräfte) über die Schnittstelle TerrLink miteinander zu einem territorialen Verbindungsnetzwerk. Durch diesen Raum können Lagedaten und Meldungen ausgetauscht und dadurch Kooperationen auch digital ermöglicht werden. Sicherheitsgefälle in Form von eingestuften Daten werden systemintern überwunden und Datenfreigaben auf Basis von Rollen- und Nutzerrechten reguliert. Jeder stellt ein, was er teilen kann und will und jeder entnimmt, was er für seine Entscheidungen und die Vervollständigung des eigenen Lagebilds benötigt. Der Territorial Link (TerrLink) ist dabei die Standardschnittstelle, über welche die Nutzer das TerrNet erreichen und mit diesem eine Arbeitsbeziehung eröffnen können. Somit ermöglicht TerrLink den Zugang für eine Kommunikation im territorialen Verbindungsnetzwerk.

Der zweite Baustein ist das Territorial Work and Exchange System (TerrWorkX), der ein Informationsmanagement sowie die zeit­effiziente Zusammenarbeit ermöglicht und ein Workflowmanagement für die revisionssichere Antrags- und Auftragsbearbeitung bereitstellt. Mittels des TerrNet wird das militärische Meldewesen mit der zivilen Seite verschränkt (zum Beispiel im Falle einer Kooperation bei der Antragstellung auf Amtshilfe).

Leitend hierbei war der Grundsatz, dass Digitalisierungsprozesse und die Nutzung moderner IT die Arbeit effizienter gestalten und Arbeitsabläufe beschleunigen müssen, indem keine sequentielle, sondern eine parallele und optimierte Prozessausführung ermöglicht wird. Komplexe und zeitintensive Arbeitsabläufe, die u.a. auf Microsoft Word, Excel, PDF-Bearbeitung, Ausdrucken und digitaler Archivierung basieren, werden in TerrWorkX perspektivisch zusammengeführt.

Der dritte Baustein, das Territorial Command and Control System (TerrC2), ist das Herzstück für das gemeinsame zivil-militärische Lagebild und soll ein Führen auf allen Führungsebenen auf der Grundlage von leistungsfähigen und robusten IT-Services möglich machen.

TerrC2 ist ein Führungs- und Informationssystem, das via TerrNet Daten mit externen Systemen von zivilen oder auch multinationalen Akteuren austauschen und lagegerecht darstellen kann. Andere Krisenreaktionsorganisationen, auch jene, die über kein eigenes digitales Lagebild verfügen, können in ihrer Rolle bedarfsweise TerrC2 nutzen. Hierfür werden standardisierte Schnittstellen vorgesehen, über die automatisch Protokolle und Formate – etwa auch Symbole zur Darstellung von Einsatzkräften oder Einheiten – fremder C2-Systeme übersetzt werden. Somit könnten z.B. Daten über gemeinsame Sammelpunkte, oder vor Ort gewonnene Erkenntnisse über die Entwicklung etwa von Waldbränden oder einer Flut, ohne Zeitverzug gegenseitig zur Verfügung gestellt und genutzt werden. Ziel ist ein selektiv anpassbares, bearbeitbares zivil-militärisches Lagebild, das sich aus Anteilen der militärischen Lage in den Dimensionen Cyber- und Informationsraum, Land, Luft, See und Weltraum und bedarfsgerechten Anteilen des nationalen zivilen wie auch des multinationalen zivil-militärischen Lagebilds zusammensetzt.

Der vierte Baustein, das Territorial Prediction and Simulation System (TerrPreSim), hält Vorhersage-, Simulations- und Auswertetools bereit. Die Resultate der Vorhersagemodelle können dann z.B. im TerrC2 angezeigt werden, um die Auswirkungen getroffener Entscheidungen mittels einer Simulation zu überprüfen oder verschiedene Alternativen miteinander zu vergleichen. Zusätzlich können auch Vorhersagen zur Entscheidungsfindung und Einsatzplanung abgerufen werden, beispielsweise die Entwicklung von Pegelständen bei Hochwasserlagen, die Ausbreitung von Waldbränden oder etwa die Ausbreitung von Gefahrstoffen, wie z.B. nach einem Chemieunfall. TerrPreSim soll dabei zukünftig auch die aktuellsten Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz und deterministischer Simulationstechnologie berücksichtigen können. Der Zugang zu TerrPreSim hat das Potential, auch zur Krisenfrüherkennung beizutragen.

Einsatzhelfer koordinieren das weitere Vorgehen während des Dammbaus im Rahmen...
Einsatzhelfer koordinieren das weitere Vorgehen während des Dammbaus
im Rahmen des Hochwassereinsatzes 2021 in Erftstadt, am 22.07.2021.
Quelle: Bundeswehr/Sandra Süßmuth

Effizienz als erstes Gebot

Bei der Realisierung ist für den TerrHub, wo möglich, auf bereits vorhandene oder geplante IT-Services der Bundeswehr zurückzugreifen. Die Integration in das IT-System der Bundeswehr ist für den zukünftigen TerrHub von besonderer Bedeutung, damit ein umfassender situations- und bedarfsangepasster Datenaustausch medienbruchfrei sichergestellt werden kann. Es liegt auf der Hand, dass eine weitere Insellösung verhindert werden muss und der TerrHub in eine Gesamtstrategie zur Führungsfähigkeit der Streitkräfte eingebettet sein sollte. Die materielle Realisierung erfolgt in erster Linie durch den Beschaffungsprozess, der allerdings auf den experimentell und praktisch verifizierten Ergebnissen des CD&E-Projekts aufbauen kann. Möglichst effizient, unter Berücksichtig vorhandener Mittel und Instrumente, innovative Wege zu beschreiten, ist das erklärte Ziel der Projektgruppe für die Umsetzung der Vision.

Die Führungsfähigkeit der Zukunft

Der Territorial Hub ist noch ein Konzept, das jedoch bald schon Realität werden soll. Die ersten Entwicklungsschritte finden bereits jetzt statt. Experimentelle bzw. praktische Überprüfungen des Territorial Hub sind mit dem geplanten Systemdemonstrator innerhalb der kommenden Monate vorgesehen. Ziel ist es, mittelfristig mit dem Territorial Hub allen beteiligten Organisationen – zivil und militärisch, national wie multinational – ein Echtzeit-Instrumentarium für den Informationsaustausch und zur Entscheidungsfindung zu bieten und somit eine deutliche Verbesserung für die Zusammenarbeit zu schaffen. Dadurch sollen dem KdoTerrAufgBw bei den Aufgaben im Systemverbund Heimatschutz, Nationale Territoriale Verteidigung und Host Nation Support die bestmöglichen Mittel und Produkte zur Verfügung gestellt und letztendlich die Führungsfähigkeit des Nationalen Territorialen Befehlshabers, gemäß dem Leitgedanken Gemeinsam – Schneller – Besser, unterstützt werden.


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