Die Bundeswehr als Baustein der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge

Armin Schaus, Pamela Radau

Führungsakademie der Bundeswehr

Die gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge sowie der diesbezügliche Beitrag der Bundeswehr waren Thema des gleichnamigen Seminars an der Führungsakademie der Bundeswehr, welches zweimal im Jahr stattfindet. Mitte Oktober nahmen an diesem Seminar Vertreter des aktiven Dienstes, Reservisten vornehmlich in Verantwortung in einem der 404 Kreisverbindungskommandos sowie Vertreter aus ­Bundes- und Landesbehörden teil.

Das aktuelle Weißbuch von 2016 gibt der Landes- und Bündnisverteidigung wieder ein neues, dem internationalen Krisenmanagement gleichgestelltes, Gewicht. Der Ansatz zur Begegnung heutiger sicherheitspolitischer Herausforderungen und Bedrohungen ist ein gesamtstaatlicher. Dies spiegelt sich in der neu erarbeiteten Konzeption der Bundeswehr auf militärischer Seite und der Konzeption zivile Verteidigung auf ziviler Seite, als strategische Ableitungen des Weißbuchs wider.

Lagevortrag im Zentralen Katastrophendienststab der Innenbehörde Hamburg.
Lagevortrag im Zentralen Katastrophendienststab der Innenbehörde Hamburg.
Quelle: Führungsakademie der Bundeswehr

Breit angelegtes Programm

Aber wie gestaltet sich diese gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge in der Praxis und welchen Beitrag leistet die Bundeswehr zur innerstaatlichen Sicherheitsarchitektur? In der gesamtstaatlichen Sicherheitsarchitektur wirken eine Vielzahl an Akteuren mit. Dabei bilden Polizei, Bundeswehr, Bevölkerungsschutz, die Selbsthilfe der Bevölkerung sowie der Wirtschaft inklusive der Betreiber von kritischen Infrastrukturen die Säulen. Zusätzlich unterstreicht die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) noch die Bedeutung der Nachrichtendienste. Ein abgestimmtes Risiko- und Krisenmanagement kann nur durch einen Einbezug aller Säulen erfolgen. Die Diversität und Interdependenz wurden im Seminar durch die Bandbreite an Vertretern unterschiedlicher Häuser und das Vortragsprogramm deutlich.

Das Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat (BMI) ist im Zivilschutz auf Bundesebene und auf dem Gebiet der zivilen Verteidigung federführend zuständig. Die Länder führen die Bundesgesetze im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung, beziehungsweise als eigene Aufgaben nach dem Fachressortprinzip aus, sofern der Bund dies nicht mit eigener Verwaltung vorgesehen hat. Die „Konzeption zivile Verteidigung“ (KZV) aus dem Haus des BMI ist die konzeptionelle Basis für die Aufgaben­erfüllung im Bereich der zivilen Verteidigung und zivilen Notfallvorsorge des Bundes. Sie wurde im Seminar durch einen Vertreter des BMI vorgestellt.

Die KZV verfolgt vier wesentliche Ziele:

  • Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen
  • Zivilschutz,
  • Versorgung der Bevölkerung und der Staats- und Regierungsorgane sowie
  • Unterstützung der Streitkräfte bei der Herstellung und Aufrechterhaltung ihrer Verteidigungsfähigkeit und Operationsfreiheit.

Die wesentlichen Rahmenbedingungen der polizeilichen Gefahrenabwehr wurden durch die Bundespolizei dargestellt. Die Herkunft der Bundespolizei unter anderem aus dem Bundesgrenzschutz und die heutige Aufgabenwahrnehmung fanden hierbei besondere Erwähnung. Insbesondere die Zusammenarbeit mit den Polizeien der Länder zeigten die vielen Schnittstellen und verschiedenen gesetzlichen Grundlagen der Polizeien im Zuge des föderalen Systems.

Im Polizeipräsidium Hamburg.
Im Polizeipräsidium Hamburg.
Quelle: Führungsakademie der Bundeswehr

Hilfsorganisationen und Ehrenamt

Als integraler Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur haben die Hilfsorganisationen für die Umsetzung der KZV eine wesentliche Bedeutung. Es ist vor allem das Ehrenamt, das den Bevölkerungsschutz in Deutschland trägt. Rund 1,8 Millionen Mitglieder aus Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Deutschen Rotem Kreuz (DRK), Arbeiter-Samariter-Bund, Deutscher Lebensrettungsgesellschaft, Johanniter Unfall Hilfe und Malteser Hilfsdienst sind in den öffentlich-rechtlichen Einrichtungen ehrenamtlich organisiert. Dabei ist mit mehr als 400.000 Mitgliedern das DRK die größte Organisation. Stellvertretend für den Bereich Hilfsorganisationen referierte im Seminar ein Vertreter des DRK und betrachtete die Zusammenarbeit mit der militärischen Seite. Gegründet, um verwundete Soldaten aus dem Feld zu holen und zu versorgen und als Hilfsgesellschaft den Streitkräften angeschlossen, steht das DRK der Bundeswehr nicht ablehnend gegenüber. Jedoch sucht das DRK im Auslandseinsatz die eindeutige Trennung des Bundeswehreinsatzes zur eigenen Arbeit als freiwillige Hilfsgesellschaft, um dem völkerrechtlichen Mandat und der Pflicht zur Neutralität gerecht zu werden. Die Handlungsmöglichkeiten in diesem Spannungsfeld der Nähe und Distanz stellte der Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes eindrucksvoll dar. Er unterlegte seine Ausführungen mit den rechtlichen Grundlagen, des DRK als freiwillige Hilfsgesellschaft zum Sanitätsdienst der Bundeswehr, sowie als Nationale Gesellschaft der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung.

Mit Blick auf den Beitrag der Bundeswehr in der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge wurde die zivil-militärische Zusammenarbeit aus militärischer Perspektive beleuchtet. Das Kommando für territoriale Aufgaben der Bundeswehr (KdoTerrAufgBw) ist der militärische Partner in der zivil-militärischen Zusammenarbeit im Inland. Auf Anfrage koordiniert es Hilfe und Unterstützung, wo immer sie gefordert ist. Der Stabschef des Kommandos für territoriale Aufgaben der Bundeswehr berichtete aus erster Hand von den bisherigen Erfahrungen und Amtshilfeeinsätzen. Bei Lagen mit katastrophischem Ausmaß kann die Bundeswehr hoheitliche Aufgaben im Innern abseits der technisch-logistischen Amtshilfe wahrnehmen – beispielsweise beim Objektschutz. Dabei begibt sie sich immer unter die Weisung und das Rechtsregime des Antragstellers, welches zum Beispiel das jeweilige Landespolizeirecht sein könnte. Diese Art der Unterstützung nach Artikel 35 Absatz 2 des Grundgesetzes wird erst seit der gemeinsamen Terrorismusabwehrübung (GETEX) im März 2017 im Rahmen von Abstimmungen zwischen Polizeien und Bundeswehr sowie vereinzelten gemeinsamen Übungen erprobt. Die Unterstützung ist rechtlich deutlich von der technisch-logistischen Amtshilfe nach Artikel 35 Absatz 1 des Grundgesetzes abgegrenzt. Denn deren Ursprung ist im Wesentlichen in der Unterstützungsleistung durch die Bundeswehr während der Sturmflut 1962 in Hamburg unter Anforderung des damaligen Hamburger Polizeisenators Helmut Schmidt zu finden.

Amtshilfe als Bestandteil der Sicherheitsvorsorge

Die Amtshilfe hat zentralen Anteil an der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge. Alle Beteiligten müssen die Möglichkeiten und die damit verbundenen hohen rechtlichen Auflagen kennen und ihre diesbezügliche Handlungssicherheit weiter ausbauen. Die Standortältesten der Bundeswehr-Liegenschaften zeigen sich dabei als erster Ansprechpartner der lokalen Behörden. Außerdem dienen sie als kurzfristig verfügbarer Kräftesteller in zentraler Funktion in diesem Bereich. Abgerundet wurde die militärische Sichtweise durch die Vorstellung der Arbeitsweise der Landeskommandos, exemplarisch vertreten durch das Landeskommando Mecklenburg-Vorpommern (LKdo MV). Das Landeskommando Mecklenburg-Vorpommern war im Jahr 2019 verantwortlich für die Bearbeitung der Lage der abgestürzten Eurofighter bei Nossentin und dem sich direkt anschließenden schweren Waldbrand bei Lübtheen. Zivil-militärische Lagen werden im LKdo MV turnusmäßig durch die Katastrophenschutzübung „Arche“ beübt. Die hohe Bedeutung der Reservistinnen und Reservisten im Rahmen dieser Übungsreihe und im Hinblick auf die realen Einsätze wurde dabei besonders hervorgehoben.

Um den heutigen Bedrohungen zu begegnen, müssen die zu Beginn erwähnten Säulen der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge abgestimmt und einander ergänzend agieren. Sie müssen ihre Vorsorgeplanung im gegenseitigen Austausch vorantreiben. Dies ist zusätzlich herausfordernd durch die föderale Struktur der Bundesrepublik sowie den zahlreichen Privatisierungen der letzten Jahre und der Bedeutung der Wirtschaft im Bereich der kritischen Infrastrukturen. Die AKNZ bietet hierbei ein Forum für den Wissensaustausch zwischen den strategischen Ebenen dieser Architektur, sowie eine Aus- und Weiterbildungsplattform im Bereich der Sicherheitsvorsorge. Durch die Erstellung verschiedener Bedrohungsszenarien und der Durchführung Länder- und Ressortübergreifender Krisenmanagementübungen (LÜKEX) gibt die AKNZ den beteiligten Akteuren die Gelegenheit der praktischen Erprobung entwickelter Konzepte. Die gemeinsame Blickrichtung aller Beteiligten wurde durch die abschließende Vorstellung der Arbeit des AKNZ und der Inhalte der LÜKEX-Übungsreihe verdeutlicht.

Blick in die Hamburger Behörden

Praktische Informationen erhielten die Teilnehmer bei Besuchen ausgewählter Landesbehörden, der polizeilichen und nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr, der Freien und Hansestadt Hamburg. Die Hamburger Polizei stellte ihre Aufgaben, Organisation und aktuellen konzeptionellen Überlegungen vor. Dabei wurde immer wieder auch der Bezug zur Bundeswehr im Rahmen von Unterstützungsleistungen durch Amtshilfe hergestellt. Im Führungsraum der Polizei konnten sich die Seminarteilnehmer einen Eindruck über die Arbeit eines polizeilichen Krisenstabes machen, der mit weitreichenden technischen Mitteln ausgestattet, ein Gefühl für die Führung von Polizeieinsätzen bei Großschadenslagen vermittelt.

Die Behörde für Inneres und Sport stellte ihr Krisenmanagement vor. Im Raum des Krisenstabes wurde die Arbeitsweise und die interministerielle Zusammenarbeit erläutert. Besonders die Ausführungen zum Hochwasserschutz und das Krisenmanagement bei Sturmfluten wurden breit diskutiert, da hier immer wieder Parallelen zu anderen Unterstützungsleistungen der Bundeswehr bei Hochwassern der vergangenen Jahre gezogen werden konnten.

Durch das gesamte Seminar zog sich die Erkenntnis, dass der Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, für die an der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsoge Beteiligten immer weiter in den Vordergrund rückt. Die Information der Bevölkerung, der Schutz vor „Fake News“ durch Dritte und die Nutzung von sozialen Medien sind neben der eigentlichen Krisenbewältigung wesentlicher Bestandteil des Krisenmanagements. Sowohl bei Einsätzen als auch bei Übungen ist daher geschultes Personal für diesen Aufgabenbereich vorzusehen.

Erfahrungsaustausch und Netzwerkbildung

Die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen und Bedrohungen erfordern eine enge Zusammenarbeit aller Akteure der deutschen Sicherheitsvorsorge. Es gilt, den aktuellen Weg vom Nebeneinander zum Miteinander weiter zu beschreiten, um ein effektives und effizientes Krisenmanagement für die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten. Aus diesem Grund spielt neben den Vorträgen und den Behördenbesuchen auch der Erfahrungsaustausch unter den Teilnehmern eine wesentliche Rolle. Daher sind zur Teilnahme am Modul nicht nur militärische, sondern alle Akteure der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge herzlich eingeladen. Denn nur wer in der Krise alle Handlungsoptionen und die rechtlichen Rahmenbedingungen kennt, kann im Krisenfall die richtigen Entscheidungen treffen. Außerdem folgt der Ansatz dem Motto „In der Krise Köpfe kennen“.

Das Seminar findet zweimal pro Jahr statt. Weitere Informationen sind auf der Internetseite der Führungsakademie der Bundeswehr zu finden.

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