Herkulesaufgabe für die Länder

Konzeption Zivile Verteidigung

Dr. Herbert Trimbach, Dennis Berg

MIK/Dennis Berg

Die Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) wurde am 24. August 2016 durch die Bundesregierung veröffentlicht. Die KZV bezieht sich als konzeptionelles Basisdokument auf Aufgabenbereiche, die im Rahmen der grundgesetzlichen Zuständigkeit durch den Bund erfüllt werden. Da die Länder in Bundesauftragsverwaltung tätig werden, sind sie zur Einhaltung des engen Zeitplans des Bundes gefordert, ihre personellen und organisatorischen Strukturen auf die Erfüllung dieser Aufgabe auszurichten.

Durch das Auseinanderbrechen des Ostblocks kam es im Herbst 1989 zu einer politischen Wende in Europa, deren Auswirkungen in den beiden deutschen Staaten besonders spürbar waren. Bis 1989 waren die Zivilschutz Strukturen in Ost und West auf Bedrohungslagen ausgerichtet, die mit dem Kalten Krieg einhergingen. Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wurde die politische Landschaft in Deutschland durch eine sicherheitspolitische Entspannung geprägt. 

Die Bundesrepublik Deutschland sah sich von „Freunden umzingelt“, und diesem von Versöhnung geprägten Gesamtklima wurden auch die Strukturen der Zivilen Verteidigung in Deutschland angepasst. Die Bundesstrukturen und Einrichtungen der Zivilen Verteidigung wurden sowohl in den Alten als auch in den Neuen Bundesländern sukzessive zurückgebaut. Ab 2007 wurden bundeseigene Schutzräume und Bunker geschlossen. Zuletzt trat der Bund im Mai 2014 an die Länder heran, um die verbliebenen 146 Bunker aus der Zivilschutzbindung zu entlassen. 

Das flächendeckend vorhandene Sirenennetz, das zum Zwecke der Warnung der Bevölkerung etabliert war, wurde ersatzlos abgebaut. Mit den Terroranschlägen, die beginnend im Jahr 2001 New York, und ab 2004 auch europäische Metropolen wie ­Madrid oder London trafen, entstand eine neue Bedrohungs­lage die inzwischen auch Deutschland erreicht hat – der internationale Terrorismus.

Der Bund und die Länder hatten zügig auf diese veränderte Bedrohungslage reagiert und mit der „Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung“ eine bessere Unterstützung der Länder durch den Bund beschlossen. Ein Schritt in die richtige Richtung und ein Konzept, das es galt mit Leben zu erfüllen. Seit 9/11 hat sich die geopolitische Lage weiter verändert. Neue politische Allianzen wurden geschlossen, alte Krisenherde wie der Nahostkonflikt sind unverändert vorhanden, neue Krisenregionen wie beispielsweise seit Februar 2014 die Ukraine oder die „failed ­states“ in Nordafrika sind dazugekommen. 

Auch die Bedrohungslagen selbst haben sich verändert. Noch in den 80’er Jahren waren lineare Bedrohungen real existierende Wirklichkeit, heute wird von asymmetrischen oder von hybriden Bedrohungsszenarien gesprochen. 

Diese veränderte geopolitische Situation wurde in Europa und in Deutschland spürbar, als im Jahr 2015 Millionen von Asylsuchenden und Flüchtlingen einreisten und die vorhandenen Strukturen des Zivil- und auch des Katastrophenschutzes vor eine Bewährungsprobe stellten.

AB für Behandlungsplatz 25
Abrollcontainer für einen Behandlungsplatz 25.
Quelle: MIK/Dennis Berg

Die Sicherheitspolitik in der Bundesrepublik Deutschland musste sich zwingend auf die veränderten Bedrohungsszenarien einstellen, um den Ansprüchen, die aktuell aber vor allem auch zukünftig an eine gesamtgesellschaftliche Sicherheitsvorsorge gestellt werden, gerecht zu werden. Als Basisdokument der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 13. Juli 2016 zunächst das „Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ veröffentlicht. Die „Konzeption Zivile Verteidigung“ (KZV) folgte am 24. August 2016.

Unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung sorgte die KZV nicht nur für eine umfassende mediale Unruhe, auch im politischen Raum wurde das Grundsatzpapier kontrovers diskutiert. 

Die Bewertung der Sicherheitslage sowie der Aufruf zur Vorsorge hatte in Teilen der Bevölkerung Angst erzeugt. „Hamsterkäufe“ und ein stark gestiegenes Bedrohungsempfinden bei den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik waren die Folge. Dabei ist der Kerngedanke der KZV richtig. Er wurde in der Bevölkerung nur nicht in der Form interpretiert, die der Bund beabsichtigt hatte: 

Der Grundgedanke der KZV ist eine Wiederbelebung des staatlichen Auftrages, die Zivile Verteidigung zu organisieren. 

Die Zivile Verteidigung, basierend auf der KZV, ist dabei eng mit der militärischen Verteidigung verknüpft. Die vier Aufgabenbereiche der Zivilen Verteidigung sind unverändert geblieben:

  • Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen
  • Zivilschutz
  • Versorgung der Bevölkerung
  • Unterstützung der Streitkräfte.
In Potsdam bei der Feuerwehr befindliches Katastrophenschutzlager.
Katastrophenschutzlager bei der Feuerwehr in Potsdam.
Quelle: MIK/Dennis Berg

Die Länder im Schulterschluss

Der Bund hat sich mit der KZV die Aufgabe gesetzt, gemeinsam mit den Ländern insgesamt 21 Rahmen- und Fachkonzepte zu entwerfen oder zu aktualisieren sowie 13 Referenzszenarien für mögliche Bedrohungslagen im Zivilschutz zu bearbeiten. Der ursprüngliche Zeitplan des Bundes sah dabei vor, den Gesamtkomplex Zivilschutz bis zum Jahr 2019 abschließend bearbeitet und in den Ländern umgesetzt zu haben. Ein Ziel, das schon für den Bund anspruchsvoll schien–für die Länder war dieser Anspruch nicht zu erfüllen.

Mehr als eine Dekade liegt zwischen der aktuell vorliegenden KZV und den letzten Grundsatzpapieren im Zivilschutz, die der Bund den Ländern im Januar 2006 zur Verfügung gestellt hatte[1]. Zehn Jahre sind seitdem vergangen, in denen die Länder den Bereich des Zivilschutzes nicht mit oberster Priorität bearbeitet haben. Mit der Wiederbelebung des Zivilschutzes durch den Bund sind die Länder nun vor die Herkulesaufgabe gestellt, zeitkritisch die Vorgaben des Bundes zu erfüllen um die staatliche Vorsorgepolitik für den Schutz der Bevölkerung neu auszurichten. An diese Planungen müssen die organisatorischen und personellen Strukturen der Länder zunächst angepasst werden. 

Organisatorisch ist für die Länder festzustellen, dass koordinierende Aufgaben im Zivilschutz durch die Innenressorts wahrgenommen werden müssen. Die Umsetzung weiterer Aufgaben, die in Bundesauftragsverwaltung in den Ländern erfüllt werden, unterliegt dem Ressortprinzip. Dies gilt im besonderen Maße für die Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze. 

Personell sind die Länder derzeit auf die rasche Umsetzung der Bundesvorgaben nicht vorbereitet. Eine aktuelle Umfrage aus dem Februar 2017 ergab, dass in keinem Landesinnenressort die Aufgabe der Umsetzung der KZV personell fest zugeordnet werden konnte. In den meisten Fällen sind ein bis zwei Sachbearbeiter mit einer Teilmenge von 10 - 20% ihrer Gesamtarbeitsleistung mit den Aufgaben des Zivilschutzes befasst. In wenigen Bundesländern werden Aufgaben des Zivilschutzes mit 5% der Arbeitsleistung durch einen Referenten wahrgenommen.

Alle Länder haben erkannt, dass die bevorstehenden Aufgaben mit dem vorhandenen Personal nicht zu bewältigen sind.


In einigen Bundesländern wird daher aktuell geprüft, ob zusätzliches Personal für Aufgaben des Zivilschutzes bereitgestellt wird.[2]

Vor diesem Hintergrund war es für die Länder wichtig, den Bund davon zu überzeugen, dass dessen Zeitplanung nicht umsetzbar ist. Bereits anlässlich der 205. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und –senatoren der Länder im November 2016 war beschlossen worden, ein Bund-Länder Steuerungsgremium zur Umsetzung der KZV einzusetzen. In dem Gremium, das unter Leitung des Bundes und unter Co-Vorsitz von Nordrhein-Westfalen tagt, sollen verschiedene Punkte behandelt werden:

  • Sicherstellung einer für die Länder leistbaren Arbeitsplanung zur Umsetzung der KZV
  • Bewertung und Priorisierung der Referenzszenarien des Bundes und der zu erarbeitenden Teil- und Rahmenkonzepte
  • eine Fähigkeitsabfrage bei den Ländern und
  • eine rechtzeitige Kostenfolgeabschätzung und –prüfung durch den Bund

Bereits anlässlich der ersten Sitzung des Bund-Länder Steuerungsgremiums am 12. Januar 2017 im BMI war die Länderfamilie geschlossen und mit einer Stimme agierend aufgetreten und konnte den Bund so überzeugen, die ursprüngliche Zeitplanung zu überarbeiten und entsprechend der in den Ländern vorhandenen personellen Kapazitäten anzupassen. 

Gemeinsam wurde beschlossen, pro Jahr zwei der durch den Bund erarbeiteten Referenzszenarien unter Zivilschutzaspekten zu bearbeiten. Nur die Rahmen- und Fachkonzepte, die in unmittelbarem Kontext zu dem Referenzszenario stehen, werden im Zuge der Bearbeitung mit betrachtet. Im Jahr 2017 wird zunächst das Referenzszenario „Massenanfall von Verletzten“ (MANV) und die dabei tangierten Rahmenkonzepte Betreuung, MANV sowie das Handbuch zur Krankenhaus­alarm- und Krankenhauseinsatzplanung bearbeitet. 

Darüber hinaus soll im Jahr 2017 das Referenzszenario „Auswirkungen eines Cyberangriffs auf die Kritischen Infrastrukturen“ strukturell aufgearbeitet werden. Weitere Szenarien, wie die Unter­suchung der notwendigen Schritte im Falle des Eintretens eines NATO-Bündnisfalles, werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.

Der Bund ist aufgefordert, den Zivilschutzüberhang für jedes Rahmen- und Fachkonzept zu definieren und mit einer entsprechenden Kostenfolgeabschätzung sowie -prüfung zu versehen. 

Eine genaue Bestimmung des Zivilschutzüberhangs, der den Ländern als Ergänzung der vorhandenen Katastrophenschutzpotentiale zur Verfügung gestellt wird, kann aber nur erfolgen, wenn zuvor die in den Ländern bereits vorhandenen Gefahrenabwehrpotentiale erhoben wurden. Diese Erhebung muss durch die Länder gewährleistet werden.

AB Fahrzeug für einen Behandlungsplatz 25
Fahrzeug des Abrollbehälters für einen Behandlungsplatz 25.
Quelle: MIK/Dennis Berg

Die Umsetzung der KZV ist eine der aktuellen Aufgaben, die nur durch ein konzen­triertes Zusammenwirken des Bundes und der Länder realisiert werden kann. Der Zeitplan wurde in der Überzeugung angepasst, dass ein überstürztes Agieren bei der Erarbeitung von Konzepten oder der Bearbeitung von Szenarien für Bedrohungslagen im Zivilschutz allen mit der Umsetzung der KZV befassten Ebenen eher schadet als hilft.

Künftige Aufgaben und gesamtstaatliche Herausforderungen

Die Notwendigkeit, bestehende Strukturen im Zivil- und auch im Katastrophenschutz ständig zu überprüfen, Rahmen- und Fachkonzepte zu überarbeiten oder neu zu fassen sowie Szenarien, die einen Zivilschutzfall begründen könnten, darzustellen, ist unumstritten. In der Folge der Neukonzeption sind die Gefahrenabwehrpotentiale auf der Ebene des Bundes und der Länder anzupassen. 



Im Hinblick auf die tatsächliche Umsetzung der KZV ist zusätzlich ein entscheidender Faktor mit zu betrachten – der Mensch.

Der Mensch ist eines der Schutzobjekte im Hauptfokus des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes (ZSKG). Aufgabe des Zivilschutzes ist es nach § 1 Absatz 1 Satz 1 ZSKG, „durch nichtmilitärische Maßnahmen die Bevölkerung, … vor Kriegseinwirkungen zu schützen und deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern.“ Zur Erfüllung dieses staatlichen Auftrages ist der Mensch auf allen Ebenen des Handelns gefordert. 

Rahmen- und Fachkonzepte müssen in den Behördenstrukturen bearbeitet werden, Technik und Einsatzmaterial, das der Bund den Ländern zur Verfügung stellt, muss bedient und zur Anwendung gebracht werden. Problematisch hierbei ist, dass die personelle Entwicklung nicht nur in den staatlichen Behörden stagniert, auch die Helferzahlen sind rückläufig.

Dieses Problem trifft den Bund ebenso wie die Länder. Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) stellt ein Instrument dar, das im Zivilschutzfall unbedingt dafür geeignet ist, den Zivilschutzüberhang des Bundes darzustellen und Fehlbestände auszugleichen. Aber auch beim THW ist seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 die Anzahl der Aktiven rückläufig. Bis dahin waren etwa ein Drittel der 42 000 aktiven Helfer Wehrersatzdienstleistende. Etwa 70 Prozent der Helfer verblieben nach dem Ende ihres vierjährigen Ersatzdienstes beim THW und bildeten eine wichtige Nachwuchsquelle für das THW[3].

Einen Ausgleich hierfür könnte die Bundeswehr leisten. Die Bundeswehr verfügt über das Personal und die Technik, mit denen die Länder bei der Bewältigung von Katastrophen und Großschadenslagen unterstützt werden können. Dies könnte auch für den Zivilschutzfall gelten. Aber kann die Bundeswehr den Anforderungen der Länder nach Artikel 35 Absatz 1 des Grundgesetzes auch zukünftig in der notwendigen planbaren Größenordnung verlässlich nachkommen? 

Das „Weißbuch 2016“ führt hierzu aus, dass „die Stärkung von Zusammenhalt und Handlungsfähigkeit in Nordatlantischer Allianz (NATO) und Europäischer Union (EU)“ eine der Hauptprioritäten der deutschen Sicherheitspolitik darstellt[4]. Der Anspruch, diese Prioritäten zu erfüllen, soll unter anderem durch eine „moderne, nachhaltige und demographiefeste Personalpolitik“[5] erreicht werden. Eine Rücknahme der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht ist nicht in Sicht. Die personelle Aufstockung der Bundeswehr als Berufsarmee wird Jahre des Umbaus bedeuten. 

Deutschland wird aber zukünftig auch in der NATO stärker gefordert und mit den vorhandenen personellen und technischen Ressourcen eingebunden werden. Vor diesem Hintergrund besteht keine Sicherheit, dass die Bundeswehr Anforderungen des Zivilschutzes in Deutschland erfüllen kann.

Die Stärkung der Selbsthilfefähigkeit bringt daher den Vorteil der Entlastung im Einsatzfall mit sich. Für die kommenden Jahre müssen der Bund und die Länder gemeinsam daran arbeiten, die Widerstandsfähigkeit jedes einzelnen Bürgers, als Baustein zur Stärkung der Resilienz des gesamten Landes, zu erhöhen.


[1] Das BMI hatte den Ländern im Januar 2006 die „Richtlinie für die Zivile Alarmplanung (Teil A und B)“ übermittelt.

[2] In dem für Zivilschutz zuständigen Referat des Ministeriums des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg war am 25. Januar 2017 eine Länderumfrage zur Organisation des Zivilschutzes auf der Ebene der Innenressorts durchgeführt worden. Am 21. Februar 2017 lagen aus allen Ländern (Ausnahme: NI, TH) diesbezügliche Auskünfte vor.

[3] Interview mit dem THW-Sprecher Nicolas Hefner, DER SPIEGEL, Ausgabe 48/2010

[4] WEISSBUCH 2016 – Wege zum Weißbuch, S. 7

[5] WEISSBUCH 2016 – Wege zum Weißbuch, S. 12


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