17.05.2021 •

Migration und Schleusung – zwei Seiten einer Medaille

Wolfgang Würz

PantherMedia / pacawaca92@gmail.com

Erst im Dezember wurde erneut über einen Schleusungsvorfall berichtet. „Drei junge Afghanen sind in einem Lastwagen auf stinkenden Tierhäuten zwei Tage lang von Serbien bis nach Rehau im oberfränkischen Landkreis Hof geschleust worden. Wie die Bundespolizei am Freitag mitteilte, machten die zwischen 17 und 20 Jahre alten Männer durch Klopfen auf sich aufmerksam, als der Lastwagenfahrer bei der dortigen Lederfabrik angekommen war. «Sie befanden sich etwa zwei Tage auf der intensiv riechenden Ladung und waren durchgefroren und hungrig»“. 1 Den weiteren Ermittlungen zufolge wurden sie über den Iran und die Türkei nach Serbien geschleust. 

 «Für die Schleusung wurden Beträge im vierstelligen Bereich bezahlt», berichtete die Polizei. „Die illegal eingereisten Migranten seien in eine Aufnahmeeinrichtung in Bamberg gebracht worden.“

Mit solchen Schlagzeilen bleibt auch in Zeiten von COVID-19 ein Phänomen im weiteren Blickpunkt der Öffentlichkeit, hinter dem viel Leid, viele Gefahren und auch hohe Gewinne stehen: Illegale Migration und Schleusungskriminalität.

Es stellen sich Fragen zur aktuellen Situation: Wie sieht die Migrationslage aus und welche Trends sind zu erwarten? Was steckt eigentlich hinter dem Begriff der Schleusung? Welche Tatbegehungsweisen sind bekannt? Welche Strafe erwartet die Täter? Wie funktioniert die Bekämpfung der Schleusungskriminalität?

Was versteht man unter Schleusungs­kriminalität?

Ganz allgemein versteht man unter Einschleusen das Durchführen einer unerlaubten Einreise einer Person oder einer Personengruppe in einen Staat, in dem diese keinen legalen Aufenthaltsstatus besitzen. Der Schleuser oder die Organisation von Schleusern haben dabei meistens hauptsächlich materielle Interessen, also das sofortige Erlangen finanzieller Erlöse oder eine längerfristige Verschuldung der Opfer.

Rechtlich ist in Deutschland der Tatbestand des Einschleusens in §§ 96 „Einschleusen von Ausländern“ und § 97 „Einschleusen mit Todesfolge; gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen“ des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) unter Strafe gestellt. In Fällen des § 96 AufenthG drohen Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und zehn Jahren, in minder schweren Fällen Geldstrafen. Bei Taten gemäß § 97 AufenthG drohen Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und zehn Jahren, bei minder schweren Fällen mindestens sechs Monate.

Die Täter nutzen beim Einschleusen jedwede Möglichkeit aus, die sich bietet, um einen oder mehrere Menschen zu verstecken und in die Zielregion zu verbringen. Die Art und Weise der Tatbegehung, also der Modus Operandi, ist sehr unterschiedlich und oft außerordentlich phantasiereich, wobei die Täter häufig ohne Rücksicht auf die Gesundheit oder sogar das Leben ihrer Opfer vorgehen, wie das genannte Beispiel zeigt.

So reichen die Arbeitsweisen von sogenannten versteckten Schleusungen, etwa hinter doppelten Wänden oder Böden in Lastkraftwagen und Transportern, über die Unterbringung von Menschen in Containern und Zügen bis zur offenen Schleusung als Passagier in einem Flugzeug. Aber auch das illegale Überqueren von Grünen Grenzen ist eine häufig gewählte Vorgehensweise, um in das angestrebte Aufenthaltsland zu gelangen.

Entsprechend der benutzten Schleusungsmethode sind weitere Rechtsverstöße als Begleiterscheinungen zu berücksichtigen: Die Urkundenkriminalität spielt beispielsweise bei offenen Schleusungen mit dem Flugzeug eine Rolle, da hier ge- und verfälschte sowie überlassene oder erschlichene Pässe bei der Verschleierung der Identitäten benutzt werden. Auch Visaerschleichung rechnet man phänomenologisch zu den offenen Schleusungen.

Weitere beliebte Varianten sind Scheinehen und Scheinvaterschaften. Hierbei werden Behörden über die Beziehung zweier Personen getäuscht, um einen privilegierten Aufenthaltsstatus für die ausländische Person zu erlangen. So wird die Eheschließung mit einer unautorisiert ausgestellten Heiratsurkunde vorgetäuscht oder die Betroffenen reisen für eine tatsächliche Eheschließung in einen EU-Mitgliedstaat mit einem liberaleren Eherecht. Während bei Scheinvaterschaften formal die Vaterschaft für ein fremdes ungeborenes Kind anerkannt wird.

Wenn Menschen sich zu einer illegalen Migration entschließen, findet der Kontakt zu Schleuserorganisationen immer stärker über soziale Netzwerke statt. Schleusungen werden hierbei über private Accounts, sowie über offene und geschlossene Gruppen in den Netzen angeboten.

Lagebild zeigt die drei Hauptströme der illegalen Migration.
Lagebild zeigt die drei Hauptströme der illegalen Migration.
Quelle: Schleusungskriminalität, Bundeslagebild 2019, Gemeinsames Lagebild des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei, Seite 1

Für die Geschleusten bestehen je nach Art und Weise der Schleusung erhebliche Gefahren für ihre Gesundheit bis hin zu drohenden Lebensgefahren. Denn bei Schleusungen in Waren- oder Kühlcontainern, oder weitgehend luftdichten Verstecken in Transportern, können beispielsweise erhebliche Risiken durch mögliche Kontaminierung mit Gefahrenstoffen bis zum elenden Erstickungstod entstehen. Ermittlungen zeigen auch sehr häufig bei den geschleusten Opfern Symptome von Dehydrierung und Sauerstoffmangel.

Demgegenüber ist bei offenen Schleusungen das Entdeckungsrisiko die größte Gefahr für die Opfer. Damit verbunden sind dann sowohl strafrechtliche Konsequenzen, drohende Rückschiebungen und existenzielle materielle Verluste, da von den Schleuserorganisationen hohe Vorabzahlungen verlangt werden.

Denn die Höhe der Entlohnung für die illegale Schleusungsdienstleistung hängt neben dem grundlegenden wirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage von weiteren Aspekten wie die gewählte Route, die Art der Schleusung und das Entdeckungsrisiko ab. Und hier gilt die Erkenntnis: Je besser die Schleusung ist, desto mehr kostet sie.

Nach Veröffentlichungen des Bundeskriminalamtes (BKA) auf Grundlage einer Studie des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) haben Schleuser weltweit im Jahr 2016 insgesamt einen Gewinn von 5,5 bis 7 Mrd. US-Dollar erlangt. Das entspricht in etwa der Summe, die die Europäische Union im Jahr 2016 (6 Mrd. US-Dollar) für humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt hat.2

Auch wenn diese Angaben anhand bekannter, gesicherter Informationen berechnet wurden, so ist in diesem Deliktsfeld allerdings von einem großen Dunkelfeld und hohen Schwankungsbreiten auszugehen. Aufgrund langjähriger polizeilicher Erfahrungen kann man jedoch mit Sicherheit davon ausgehen, dass es sich bei der illegalen Schleusungskriminalität um ein profitables Geschäftsfeld organisierter Tätergruppen handelt, mit allen hinlänglich bekannten negativen gesellschaftlichen Auswirkungen von Organisierter Kriminalität.

Überblick zur Anzahl der Schleusungsdelikte 2019.
Überblick zur Anzahl der Schleusungsdelikte 2019.
Quelle: Schleusungskriminalität, Bundeslagebild 2019, Gemeinsames Lagebild des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei, Seite 9

Wie ist die aktuelle Lage?

Die Migration hat sich in den letzten zehn Jahren weltweit mehr als verdoppelt. Derzeit sind geschätzt 71 Millionen Menschen von Flucht und Vertreibung betroffenen. Nach Veröffentlichungen von UNHCR3 fliehen im Durchschnitt jeden Tag 37.000 Menschen aufgrund von Konflikten und Verfolgung. Etwa 80 Prozent der flüchtenden Menschen leben in den Nachbarstaaten ihrer Heimatländer, womit der Ansteckungsgefahr für weitere Konflikträume Tür und Tor geöffnet ist.4

Im Bundeslagebild „Schleusungskriminalität“, dem gemeinsamen Lagebild des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei, werden drei Hauptströme der illegalen Migration aufgezeigt: die Westmediterrane, die Zentralmediterrane und die Ostmediterrane Route, die am häufigsten genutzte Route nach Europa.

Für 2019 wurden insgesamt 141.846 unerlaubte Übertritte über die EU- bzw. Schengen-Außengrenzen festgestellt, im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 4,9 Prozent und der niedrigste Wert der vergangenen sechs Jahre. Dabei zeigte sich ein deutlicher Rückgang der illegalen Migration über die West- und Zentralmediterrane Route bei ansteigendem Aufkommen auf der Ostmediterranen Route.5Dem entsprechend rückläufig zeigte sich 2019 die Entwicklung der Fallzahlen im Phänomenbereich Schleusungskriminalität.

2020 hat die Covid-19-Pandemie die Migration und die Mobilität der Menschen weltweit und auch im europäischen Raum erheblich beeinträchtigt. Internationale, grenzüberschreitende und landesinterne Bewegungen wurden erheblich eingeschränkt, um die Ausbreitung und die Auswirkungen der Pandemie zu minimieren. Mitte Juni 2020 waren 6 Prozent der Flughäfen, 25 Prozent der Grenzübergänge an Landesgrenzen und 9 Prozent der Grenzübergänge an der „blauen Grenze“ (Meer, Fluss oder See) für die Einreise in den und die Ausreise aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) geschlossen.6

So sank im April 2020 die Zahl der entdeckten irregulären Grenzübergänge auf den wichtigsten Migrationsrouten Europas gegenüber dem Vormonat um 85 Prozent auf rund 900. Das ist die niedrigste Zahl seit Beginn der Erfassung von Grenzdaten durch Frontex im Jahr 2009. Dieses Rekordtief ist hauptsächlich auf die restriktiven Maßnahmen zurückzuführen, die sowohl von den EU-Mitgliedstaaten als auch von Transit- und Abwanderungsländern durchgeführt wurden.

Unabhängig von den derzeit aufgrund der dargestellten Rahmenbedingungen rückläufigen Zahlen im Bereich der illegalen Migration und der Schleusungskriminalität kann in den letzten Jahren beobachtet werden, dass Migration in Bezug auf die Herkunft der Migrantinnen und Migranten deutlich vielfältiger geworden ist und dass sowohl weltweit als auch in Europa der Großteil der Migration intrakontinentaler Natur ist.

Bekämpfung der Schleusungskriminalität

„Die irreguläre Migration ist eine der wesentlichen globalen Herausforderungen. Vor dem Hintergrund sich verknappender Ressourcen sind Migrationspolitik und -steuerung von herausragender Bedeutung.“ Entsprechend der strategischen Lagebeurteilung der irregulären Migration seitens des Bundesinnenministeriums (BMI) sind erhebliche Anstrengungen auf nationaler und internationaler Ebene seitens der Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung der Schleusungskriminalität erkennbar.

Grundlage aller Maßnahmen ist eine enge Zusammenarbeit zwischen der Bundespolizei, den Polizeien der Länder und der Bundeszollverwaltung in den Grenzgebieten in unterschiedlichen Formen, z. B. durch gemeinsame Fahndungsgruppen und gemeinsame Zentren der Polizei- und Zollzusammenarbeit, sowie effektive Ermittlungen und Analyse der Lage durch Bundespolizei, Bundeskriminalamt sowie die zuständigen Behörden auf Landesebene.

Operative Schwerpunkte sind naturgemäß Grenzkontrollen an den deutschen Schengenaußengrenzen, sowie die Fahndung an den Binnengrenzen und in Zügen sowie auf dem Gebiet der Bahnanlagen. Operative Maßnahmen und Einsätze werden unterstützt und grundiert durch ganzheitliche, ressort- und behördenübergreifende Analyse der irregulären Migration, Schleusungskriminalität und damit im Zusammenhang stehender Kriminalitätsphänomene im Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum Illegale Migration (GASIM) unter Beteiligung der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, des Bundesnachrichtendienstes, der Bundeszollverwaltung (Finanzkontrolle Schwarzarbeit), des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Auswärtigen Amtes.

Im internationalen Kontext ist der Einsatz von Beamten der Bundespolizei in den wesentlichen Herkunfts- und Transitstaaten der irregulären Migration, z. B. als Unterstützungsbeamte im Ausland im Auftrag der Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX, bi- und multilaterale Zusammenarbeit insbesondere mit den EU-Mitgliedstaaten sowie den Herkunfts- und Transitstaaten, eine wichtige Säule bei der Bekämpfung der Schleusungskriminalität.

Insbesondere im Rahmen der Bekämpfung der Schleusungskriminalität ist die Bundespolizei zu einem entscheidenden Akteur im internationalen Zusammenspiel der europäischen und globalen Sicherheitsagenturen geworden. Entscheidend dabei sind vorrangig die operativen Anstrengungen, wie die Zusammenarbeit der Bundespolizei mit ihren Sicherheitspartnern in den Anrainerstaaten, u. a. durch gemeinsame Streifen und die Entsendung von grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten der Bundespolizei in ausgewählte Staaten.

Darüber hinaus hat die deutsche Zusammenarbeit in der europäischen und weltweiten Sicherheitsarchitektur Vorbildcharakter. Dies belegen die Kooperationen mit EUROPOL bei der polizeilichen Unterstützung zur gezielten Analyse und Auswertung in ausgewählten Ermittlungsverfahren, bei der justizielle Unterstützung in ausgewählten Ermittlungsverfahren für EUROJUST, sowie die enge Zusammenarbeit mit FRONTEX, z. B. im Rahmen der strategischen Auswertung und Analyse und nicht zuletzt die Unterstützung von Einsätzen und Analysen von Interpol.7

Ausblick

Aktuell haben sich die Beweggründe und Notlagen in den Herkunftsländern von migrationsbereiten Menschen dramatisch verschärft, wie ein Blick zurück zum Ende 2018 zeigt, als in den 27 Mitgliedstaaten der EU 2,4 Millionen Geflüchtete und Menschen in flüchtlingsähnlichen Situationen sowie 860.000 Asylsuchende (anhängige Verfahren) aufgenommen wurden.8 Daher können die repressiven Maßnahmen zur Bekämpfung von illegaler Migration und Schleusungskriminalität nur ein Mosaikstein zur Bewältigung der kommenden Herausforderungen sein.

Die derzeit durch die Covid-19-Pandemie überlagerte Migrationslage sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Herausforderung weiterhin mit Macht vor der Tür steht: Wanderungsbewegungen sind eine anthropologische Konstante seit sich der moderne Mensch vor Urzeiten von Afrika aus auf den Weg machte, die fast menschenleere Erde zu erobern. Doch heute ist die Erde bereits mit 7,77 Milliarden Menschen in komplexen sozialen und mit höchst unterschiedlichen kulturellen Gemeinschaften und auf allen Kontinenten dicht besiedelt.

Entscheidend ist daher die innovative Entwicklung von zukunftsfähigen, lebensförderlichen Umständen in den Herkunftsländern selbst: „Wir beobachten eine veränderte Realität. Vertreibung betrifft aktuell nicht nur viel mehr Menschen, sondern sie ist auch kein kurzfristiges und vorübergehendes Phänomen mehr. Wir brauchen eine grundlegend neue und positivere Haltung gegenüber allen, die flüchten, gepaart mit einem viel entschlosseneren Bestreben, Konflikte zu lösen, die jahrelang andauern und die Ursache dieses immensen Leidens sind.“9


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