Strategie fördern und ausbauen – Akteure im ­vernetzten Ansatz in Deutschland

Gemeinsames Forum 2018 Clausewitz-Gesellschaft e. V. und ­Freundeskreis der BAKS e. V. – Rhein-Main-Runde

Hans-Herbert Schulz

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Sicherheit im 21. Jahrhundert kann nur im Verbund aller sicherheitspolitischen Akteure und Instrumente gewährleistet werden.“Mit diesem Zitat aus dem Weißbuch 2016 der Bundesregierung hatten die Clausewitz-Gesellschaft (CG) und der Freundeskreis der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) zu dem gemeinsamen Forum 2018 nach Wiesbaden eingeladen.

Strategiefähigkeit in der Sicherheitspolitik erfordert in Zeiten komplexer Herausforderungen, in denen innere und äußere Sicherheit nicht mehr trennscharf voneinander abzugrenzen sind, umfassende, vernetzte Ansätze. Das unterstrich der Vorsitzende des Freundeskreises der BAKS, Brigadegeneral a. D. Armin Staigis in seiner Begrüßung und Einleitung im Vortragssaal des Bundes­kriminalamtes (BKA) in Wiesbaden. Vor über einhundert Teilnehmern stellte Staigis fest, dass es mit Blick auf die Bedrohungen und Risiken unserer Zeit, in der Sicherheitsvorsorge und Gefahrenabwehr keine singulären Lösungen mehr mit nur einem Akteur geben könne.

Vor allem die Risiken und Gefährdungen, die von dem alle Lebensbereiche durchdringenden Cyber- und Informationsraum, dem international agierenden Terrorismus und der global vernetzten Organisierten Kriminalität ausgehen, verlangen ein ressortübergreifendes gemeinsames Verständnis von Strategien, Strukturen und Verfahren als wesentliche Voraussetzung für die wirksame Kooperation aller Beteiligten.

Der Vizepräsident des BKA, Michael Kretschmer, ging in seinen einleitenden Worten auf die aktuellen Herausforderungen der inneren Sicherheit ein. Er erwähnte rapide wachsende Gefährderzahlen und dementsprechend auch ansteigende Ermittlungsverfahren.

Dabei unterstrich er die bereits von Staigis aufge­zeigten „Megatrends“ und wies darauf hin, dass bei aller Digitalisierung der analoge Handlungsbedarf nicht zu vernachlässigen sei.

Außerdem richtete er den Fokus auf die notwen­digen Funktionsmechanismen zur Bekämpfung moderner Kriminalität. Neben dem seiner Auffassung nach zwingend erforderlichen und bereits eingeleiteten Aufwuchs beim Personal und bei der Infrastruktur erwähnte er vor allem auch die Weiterentwicklung ressortüberreifender Strategien und dementsprechender gemeinsamer Standards auf der Basis angemessener Lastenteilung im föderalen System. Breiten Raum nahm in seinen Ausführungen ebenfalls der Aufbau und Betrieb zeitgemäßer Informationsarchitekturen ein. Abschließend erwähnte er Clausewitz‘ Feststellung „Strategie ist Ökonomie der Kräfte“ und ergänzte dies mit Hinweisen zur notwendigen nationalen Vernetzung sowie zur unverzichtbaren europäischen Zusammenarbeit. 

Panel 1

Der erste Veranstaltungsteil (Panel 1) wurde dann von Vertretern des BKA bestritten. Nach Vorträgen zur „Bekämpfung von Cybercrime“ und zum Themenkomplex „Terrorismus und Internet“ wurde eine Gesprächsrunde vom Präsidenten der CG e. V., Generalleutnant a. D. Kurt Herrmann moderiert. Dabei zeigte sich u. a., dass gerade in der operativen Domäne Cyber- und Informationsraum gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge das Gebot der Stunde ist.

Die Risiken und Gefährdungen durch „Cybercrime“ können alle Lebensbereiche und jedes Individuum, ohne erkennbare Vorwarnung, sehr unmittelbar und massiv treffen.

Kombinierte Cyber- und Informations-Operationen können zudem große Bevölkerungsgruppen in kürzester Zeit gezielt mit Manipulation, Propaganda oder Desinformation beeinflussen. Wie aus konkreten Beispielen der jüngsten Zeit erkennbar geworden ist, lassen sich mit solchen Operationen letztlich innen- und sicherheitspolitisch relevante Wirkungen erzielen. Demzufolge wurde die Notwendigkeit enger Kooperation zwischen allen zuständigen Sicherheitskräften nachdrücklich unterstrichen. 

Der Vertreter des BKA nannte Schätzungen zu Schäden durch Cybercrime, die mit Milliardenbeträgen ganz erheblich die in der Polizeistatistik erfassten Daten übersteigen. Im Rahmen einer zusammenfassenden Lagedarstellung des breiten Spektrums krimineller wirtschaftlich relevanter Cyberaktivitäten („Crime as a Service“) wurden u. a. die Bedeutung des „Darknet“, die Verhinderung der Nutzung von Dienstleistungen im Internet („Denial of Service“), digitale Erpressung (durch „Ransomware“), Cyber Spionage, Datendiebstahl und Cyberangriffe über vernetzte Maschinen und Geräte (Internet of Things, IoT) angesprochen. Hierbei wurde ebenfalls auf die enge Verbindung von Cybercrime-­Bekämpfung und Terrorismus-Abwehr hingewiesen. Terroristen wollen Unsicherheit und Schrecken verbreiten, um ihre politisch, religiös oder ideologisch bestimmten Ziele zu erreichen.

Die heute kostengünstig verfügbaren digitalen Mittel- und Möglichkeiten bieten Terroristen geradezu leistungssteigernde oder katalytische Fähigkeiten für ihre schändlichen Vorhaben. 

Bei der Darstellung von Cyber-spezifischen Schutz- und Abwehrmaßnahmen gegen Terrorismus ging der Vertreter des BKA u. a. auf das Gemeinsame Internetzentrum der Sicherheitsdienste und der Generalbundesanwaltschaft ein und erwähnte die Arbeitsgruppen für OSINT (Open Source Intelligence), ONI (Offene Nutzung Internet) sowie Technik. Außerdem wies er auf die nationale IRU (Internet Referral Unit) zur Veranlassung der systematischen Löschung islamistischer/jihadistischer Internetpropaganda hin. 

In der lebhaft geführten Diskussion kamen vor allem Kernpunkte künftiger Sicherheitsstrategien, die Gewinnung und Qualifizierung von Personal, konkrete Ansätze der Vernetzung, die Sicherung kritischer Infrastrukturen, Möglichkeiten und Grenzen forensischer Analysen sowie der Attribution von Cyberangriffen, Anpassung oder Ergänzung des rechtlichen Rahmens für Bekämpfung von Cybercrime und konkrete Ansätze zur Kooperation – sowohl im nationalen als auch im internationalen Umfeld – zur Sprache. 

Panel 2

Im zweiten Abschnitt (Panel 2), der vom Leiter der neu eingerichteten Rhein-Main-Runde des Freundeskreises der BAKS, Herrn Michael Müller, moderiert wurde, stellten Joachim von Bonin, Programmleiter bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), und Oberstarzt Dr. Roman Wölfel, Leiter Task Force Medizinischer ABC-Schutz an der Sanitätsakademie der Bundeswehr, das gemeinsame Projekt „Bio-Sicherheit“ von Bundeswehr und GIZ gegen biologische Bedrohung in MALI als ein konkretes Beispiel für den vernetzten Ansatz in der Praxis vor. Das dabei gezeigte Video verdeutlichte eindrucksvoll den realisierten ganzheitlichen Ansatz von „Gesundheit – Sicherheit – Entwicklung“

An der anschließenden Diskussionsrunde nahm zusätzlich Michael Summerer, Key Account Manager der GIZ für das Auswärtige Amt und Bundesministerium der Verteidigung, teil. Es zeigte sich, dass in der praktischen Zusammenarbeit zwischen den Organisationen vor Ort erkennbare Fortschritte erzielt werden können, wenn:

  • es ein klar definiertes gemeinsames Interesse gibt
  • wenn die Ressorts an einem Strang ziehen
  • wenn sich fähigkeits- und/oder leistungsverstärkende Synergien erschließen lassen
  • wenn vernetzt geplant wird und
  • wenn die Zusammenarbeit auf Augenhöhe stattfindet.
  • Die vorgestellten Ergebnisse wurden von etlichen Diskussionsteilnehmern als hoffungsvolle Signale für die angestrebte stärker vernetzte Sicherheitsvorsorge bewertet. 

Panel 3

Das dritte Panel war dann den Themen „Radikalisierung und politischer Extremismus, Terrorismus“ sowie „Cyberkriminalität und Cybersicherheit“ gewidmet. Vertreter des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport, des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV Hessen) und der regionalen Beratungsstelle des „Violence Prevention Networks“ (VPN) erörterten die gestellten Themen unter der Leitung von Brigadegeneral a. D. Staigis. Die Diskussion konzentrierte sich sehr stark auf die vielfältigen Aspekte von Gewalt-Prävention, auf die Betrachtung von effizienten Organisationsstrukturen angesichts der alle Bereiche durchdringenden Digitalisierung und auf Personalgewinnung sowie Ausbildung. 

Seitens des LfV Hessen wurden insbesondere die Prävention als gesetzliche Aufgabe herausgestellt und Formen der Zusammenarbeit mit der Polizei – unter Beachtung des Trennungsgebots – sowie mit der Justiz, zivil-gesellschaftlichen Akteuren und den Medien der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit erläutert.

Der Vertreter des Innenministeriums ging vor allem auf das Kompetenzzentrum gegen Extremismus ein und stellte diverse Vernetzungen mit Institutionen/Organisationen zur Stärkung der inneren Sicherheit vor. Mit großem Interesse verfolgte das Auditorium die lebhaften und spannenden Schilderungen des VPN-Vertreters zu Rahmenbedingungen, Grundlagen, und Erkenntnissen seiner Tätigkeit, die sich schwerpunktmäßig auf die „Deradikalisierung“ konzentriert. 

In seinen abschließenden Bemerkungen drückte Präsident ­Herrmann die Hoffnung aus, dass insbesondere die vorgestellten konkreten Beispiele zumindest in Ansätzen deutlich gezeigt haben, welche Potentiale in der umfassenden Vernetzung von Sicherheitsstrukturen existieren und welche Synergien genutzt werden könnten. Dies unterstrich er zugleich mit einem Hinweis auf nach wie vor gültige Erkenntnisse von Clausewitz zur Notwendigkeit guter Beziehungen zwischen der obersten zivilen oder politischen Instanz und den Exekutivorganen, die mit dem zivilen oder militärischen Gewaltmonopol ausgestattet sind. Außerdem wies er auf die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Bevölkerung, Politik und Sicherheitsorganen, zivil und militärisch, hin. Diese seien in Zeiten allgegenwärtiger digitaler Informationssysteme und durchdringender Forderungen nach umfassender Transparenz von herausragender Bedeutung. 

Das Gemeinsame Forum wurde mit Dank an alle Akteure und die zahlreich erschienenen, diskussionsfreudigen Teilnehmer beendet.  

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