08.11.2022 •

Containerwände für die Kampfmittelräumung

Interview mit Virtual City Systems GmbH, Geschäftsführer Dr.-Ing. Stefan Trometer

Die Ergebnisse der Simulation werden in verschiedensten Ansichten dargestellt
Virtual City Systems

Eine Software, mit der sich genaue Vorhersagen zur Ausbreitung von Druckwelle und Bombensplittern treffen lassen – mit dieser Innovation bietet das Unternehmen Virtual City Systems Ordnungsämtern und Krisenstäben Planungssicherheit. Dr. Stefan Trometer erklärt, wie die Software dazu beiträgt, dass Evakuierungsradien reduziert oder Krankenhäuser geschützt werden.  

VC Blastprotect eröffnet Krisenstäben neue Möglichkeiten. Was genau macht die Software?

Stefan Trometer: VC Blastprotect simuliert die Ausbreitung der Detonationsdruckwelle und des Splitterflugs von Fliegerbomben aus dem 2. Weltkrieg unter Berücksichtigung der Umgebungsbebauung. Neben einer Anpassung der Bestandsbebauung können wir mit Blastprotect die spezielle Fundsituation modellieren und analysieren, welche Wirkung weitere Schutzmaßnahmen, wie temporäre Containerschutzwände, entfalten können. Individuelle Szenarien sind damit sehr detailgetreu darstellbar. Wir können sogar Typ, Lage und Ausrichtung der Fliegerbombe untersuchen, auswerten und vergleichen. 

Was lässt sich daraus ableiten? 

Stefan Trometer: Die Simulation liefert physikalische Kenngrößen, wie Druckintensität, Splittergröße und -geschwindigkeit für den untersuchten 3D-Raum von mehreren Kilometern Größe. Basierend auf diesen Ergebnissen werden Verletzungs- und Schädigungsfunktionen im Untersuchungsgebiet ausgewertet. Die Bereiche in denen spezifische Verletzungen und Schädigungen zu erwarten sind, werden wiederum im 3D-Stadtmodell visualisiert. Liegen im gefährdeten Bereich spezielle Schutzziele, wie etwa ein Krankenhaus, können wir ganz genau und basierend auf physikalischen Ergebnissen die Betroffenheit dieser Objekte ermitteln. Um auch die Schutzmaßnahmen für solche Objekte, zum Beispiel durch Containerwände, auf ihre Effektivität zu prüfen, bauen wir diese in die Simulationen ein. So ergeben sich ganz konkret zu schützende Bereiche, keine stark vereinfachten Radien mehr. Schon im Voraus lässt sich bestimmen, ob Schutzmaßnahmen nötig sind oder nicht, wo diese die größte Wirkung entfalten und wie sie sich auf den Evakuierungsradius auswirken. 

Welche Vorteile bieten diese Simulationen? 

Stefan Trometer: Erstmals können schnell und zuverlässig Effekte aus der dreidimensionalen Lage der Kampfmittel, der Auffindesituation, der Abschattungen von Gebäuden und der Schutzmaßnahmen detailliert untersucht und berücksichtigt werden. Damit ergeben sich drei entscheidende Vorteile: 

  1. Sicherheit: Die bisherigen Projekte zeigen, dass schon mit geringen zusätzlichen Schutzmaßnahmen deutlich geringere Evakuierungsbereiche erforderlich werden. Für kritische Infrastrukturobjekte wie Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtung wird darüber hinaus erstmals eine fundierte Bewertung möglich, ob Patienten, Bewohner und Personal zwingend verlegt werden müssen.
  2. Gewissheit: Die Kampfmittelräumung und die Entscheidungsträger haben ein Werkzeug für die Unterstützung ihrer Entscheidungen zur Hand. Unsere Technologie belegt die Notwendigkeit von zu ergreifenden Maßnahmen basierend auf allgemein anerkannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten.
  3. Kosten- und Ressourceneffizienz: Durch die genauere Vorhersage lassen sich Einsatzkräfte zielgenauer einsetzen, Schäden können vermieden und bestenfalls sogar Patienten in Kliniken geschont werden, wenn eine Evakuierung sich als nicht zwingend nötig herausstellt. 

 Wie entsteht ein durch Ihre Daten abgesicherter Einsatzplan? 

Einzuhaltende Prozesse innerhalb des Apollo Blastsimulators
Einzuhaltende Prozesse innerhalb des Apollo Blastsimulators
Quelle: Virtual City Systems

Stefan Trometer: Unsere Software ist eine Webanwendung, die der Nutzer über gängige Endgeräte vom Desktoprechner bis zum Tablet nutzen kann. Eingebettet in eine 3D-Karte wird die Fachanwendung gestartet. Der Nutzer loggt sich ein und legt ein Projekt an. Darin kann er alle relevanten Angaben zum Fund und für das Szenario definieren. Im Hintergrund wird automatisch die Simulation gestartet, je nach Detaillierung des Modells kann dies wenige Minuten bis einige Stunden dauern. In der Zwischenzeit können vorberechnete, aber vereinfachte Sofort-Lösungen visualisiert werden. Liegen die detaillierten Ergebnisse der Simulationen vor, werden diese für den Anwender aufbereitet und in der Kartenanwendung visualisiert. 

Wo wurde die Software bereits eingesetzt und mit welchem Ergebnis? 

Stefan Trometer: Die Software wurde bislang erfolgreich in Dortmund und Münster eingesetzt. In beiden Fällen war es möglich, unter anderem intensivmedizinisch betreute Patienten und Frühchen in den betroffenen Krankenhäusern zu belassen und sie vor den hohen Risiken einer Verlegung zu bewahren. 

Was war die bislang komplexeste Aufgabenstellung für VCS? 

Stefan Trometer: Mit mehreren Verdachtspunkten, Kampfmitteltypen und betroffenen Krankenhausstandorten war Dortmund das bislang komplexeste Projekt. Zudem wurden temporäre Schutzmaßnahmen in Form von Containerwänden integriert. Das Projekt wurde in enger Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen vor Ort, dem Ingenieurbüro Döring als Fachberater und der Firma Bloedorn Container umgesetzt. 

Wie kam es zur Entwicklung der Software?  

Stefan Trometer: VC Blastprotect ging aus dem Forschungsprojekt SIRIUS hervor, welches der Kampfmittelräumdienst NRW, das Fraunhofer Ernst-Mach-Institut und Virtual City Systems zusammen umgesetzt haben. Es entstand aus der Motivation heraus, die zahlreichen Blindgänger und deren Folgen für die zivile Bevölkerung im Falle einer Detonation genauer einschätzen zu können und die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Beeinflussung der Druckwelle und des Splitterfluges vorherzusagen.

Im 3D-Stadtmodell werden Objekte nach Wunsch ein- oder ausgeblendet
Im 3D-Stadtmodell werden Objekte nach Wunsch ein- oder ausgeblendet
Quelle: Virtual City Systems

3-D Stadtmodell als Grundlage für urbane Simulationen

Die Lösung von Virtual City Systems im Bereich Urbane Simulation koppelt 3D-Stadtmodelle mit numerischen Simulationen und Analysen. Dadurch lassen sich sowohl flächendeckend als auch objektspezifisch Simulationsergebnisse erstellen und bewerten.

Im 3D-Stadtmodell können beliebige Untersuchungsgebiete ausgewählt und Stadtobjekte eingefügt oder ausgeblendet werden. So können verschiedenste Szenarien abgebildet und miteinander verglichen werden.

3D-Stadtmodelle stellen somit die Grundlage für jede Simulation dar, die durch den 3D-Kontext einen Mehrwert erfährt.

Ein weiteres Interview zu diesem Thema lesen Sie hier.


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