01.07.2021 •

Neustrukturierung des Frankfurter SEK läuft auf Hochtouren

Expertenstab SEK zieht externe Expertise für Neustrukturierungsprozess hinzu. Chat-Vorwürfe werden individuell bewertet.

Der von Innenminister Peter Beuth beauftragte Expertenstab zur Neustrukturierung des SEK hat weitere Prüfungen abgeschlossen und zieht externe Expertise hinzu. Das berichtete Innenminister Peter Beuth heute im Hessischen Landtag.

Neustrukturierung des Frankfurter SEK läuft auf Hochtouren
Quelle: © HMdIS

„Unser Expertenstab arbeitet auf Hochtouren an der Neustrukturierung des SEK. Die Experten haben sich auch die Räumlichkeiten des SEK Kassel angesehen und dort eine gut in die Polizei integrierte Einheit vorgefunden. Das schien zuletzt in Frankfurt anders gewesen zu sein. Wir brauchen Spezialeinsatzkommandos als Teil der gesamten Polizeiorganisation. Der räumliche Umzug in die Mudra-Kaserne soll den Neuanfang unterstützen“, sagte Innenminister Peter Beuth.

Auch Räume des SEK Kassel durch Expertenstab besichtigt – Prüfung der Frankfurter Räumlichkeiten abgeschlossen

Der Expertenstab, der von Polizeipräsident Stefan Müller geleitet wird, hat auch die Räume des SEK Kassel begutachtet. Als Ergebnis der Begehung wurde festgehalten, dass die Räume insgesamt unauffällig sind. Die Räumlichkeiten, bis auf Waffenkammer und Technik, sind innerhalb der Behörde offen begehbar und durch den gemeinsamen Besprechungsraum, der von der gesamten Behörde genutzt wird, auch räumlich gut in die Behörde integriert.

Experten der Staatsschutzabteilung des HLKA und des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) hatten bereits die Räumlichkeiten des SEK Frankfurt auf Bitten des Expertenstabes begutachtet. Diese Prüfung ergab, dass keine strafbewehrten Darstellungen in den Räumlichkeiten festzustellen sind. Das Landesamt für Verfassungsschutz stellte fest, dass in den Räumlichkeiten kein direkter Bezug zum Rechtsextremismus vorzufinden ist, jedoch ein Symbol wie das Lambda-Symbol vorzufinden war, das auch Rechtsextremisten nutzen. Gleichwohl ließen diese Lambda-Symbole nach Bewertung des LfV Hessen keinen Bezug zur Identitären Bewegung erkennen. Der Expertenstab hatte sich über die Räume irritiert gezeigt und nach Beratung mit dem Zentralen Polizeipsychologischen Dienst für die Neustrukturierung einen vorübergehenden Umzug in die Mudra-Kaserne in Wiesbaden empfohlen. Der Umzug erfolgt bereits in dieser Woche.

Differenzierte Bewertung der Chats – Fehler werden individuell geahndet

Nach derzeitigem Ermittlungsstand und Bewertung des Hessischen Landeskriminalamtes (HLKA) umfassen die Chatgruppen überwiegend straffreie Kommunikation. Dabei umfasste der beitragsstärkste Gruppenchat laut HLKA bis zu 10.000 Beiträge, von denen drei Beiträge als strafrechtlich relevant bewertet wurden; ein anderer Gruppenchat umfasste etwa 9.000 Beiträge, von denen 24 von der Staatsanwaltschaft als potentiell strafbewehrt erachtet wurden. Der Chat mit den geringsten Beiträgen, umfasste rund 130 Beiträge von denen drei als mögliche Straftaten gewertet wurden.

„Aus den fortschreitenden und weiterhin laufenden Ermittlungen hat das Landeskriminalamt den Eindruck gewonnen, dass die Chats nicht vornehmlich radikal geprägt waren. Schuldhaftes Verhalten der einzelnen Chatteilnehmer ist daher jeweils individuell zu bewerten. Das erfolgt sehr gründlich durch die strafrechtlichen, wie auch die disziplinarischen Ermittlungen. Auch jene Beamten, die in den in Rede stehenden Chats waren, für die sich aber keine strafrechtliche oder disziplinarische Vorwurfslage ergibt, werden wir individuell betrachten. Dabei wird auch der Integritätsbeauftragte eingebunden“, so Innenminister Peter Beuth.

Gegen 25 Polizisten, die Teilnehmer der in Rede stehenden sieben Gruppenchats waren, in denen strafrechtlich relevante Inhalte festgestellt wurden, wird derzeit weder nach dem Strafrecht noch nach dem Disziplinarrecht vorgegangen, weil die rechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Sie werden von den hessischen Strafverfolgungsbehörden als Zeugen geführt. Einige von ihnen haben sich in den Chats erkennbar von diskriminierenden Inhalten distanziert und sind zum Teil aus den Chatgruppen ausgetreten, andere sind in den Chats verblieben, ohne sich aktiv einzubringen. Der Integritätsbeauftragte der hessischen Polizei Harald Schneider wird mit den Polizeibeschäftigten, die in den Chats verblieben waren, in Verbindung treten, sobald es das strafprozessuale Verfahren zulässt.

Expertenstab wird durch externe Expertise ergänzt

Polizeipräsident Stefan Müller hat seinen Expertenstab auch um externe Expertise erweitert:  So werden künftig auch Dr. Reiner Becker vom Demokratiezentrum der Universität Marburg und der Inspekteur der Polizei Rheinland-Pfalz, Jürgen Schmitt den Expertenstab ergänzen. Neben Stefan Müller gehören unter anderem der Zentrale Polizeipsychologische Dienst, der Inspekteur der hessischen Polizei Hans Knapp, der Integritätsbeauftragte der hessischen Polizei Harald Schneider, der LKA-Präsident (kom.) Andreas Röhrig sowie die Polizeipräsidenten Gerhard Bereswill und Konrad Stelzenbach dem Expertenstab an. Insgesamt zählt der Stab nun 14 Mitglieder.

Hintergrund: Strafrechtliche und disziplinarische Ermittlungen und weitere Teilnehmer

Der Inspekteur der hessischen Polizei, Hans Knapp, gab im Innenausschuss des hessischen Landtags einen Überblick über die straf- und disziplinarrechtlichen Verfahren. Demnach habe sich aus einem Verfahren der Staatsanwaltschaft Mainz gegen einen 38-jährigen Polizisten des SEK Frankfurt der Verdacht des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ergeben. Im Rahmen der Ermittlungen wurden umfangreiche Daten sichergestellt. Insgesamt rund 240.000 Nachrichten innerhalb von fast 1.800 Gruppen- oder Einzelchats (= zwei Personen), fast 150.000 Bild- sowie nahezu 9.000 Videodateien und mehr als 2.000 Audiodateien befanden sich auf den Mobilfunkgeräten des Beschuldigten.

Die darauffolgenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt und des Hessischen Landeskriminalamts ergaben, dass der Beschuldigte 38-Jährige Mitglied in sieben Chatgruppen war, in denen – überwiegend im Zeitraum von 2016 und 2017 sowie bis Anfang 2019 – Inhalte geteilt wurden, die teilweise auch strafrechtlich und ggfls. darüber hinaus auch disziplinarrechtlich relevant sein könnten. Die Teilnehmerzahl der insgesamt sieben Gruppenchats liegt insgesamt bei 56 Personen, einschließlich des als erstes beschuldigten 38-jährigen SEK-Beamten. Nach derzeitigem Ermittlungsstand sind sechs dieser 56 Personen keine aktiven hessischen Polizeibeschäftigten. Zwei von diesen sechs sind ehemalige hessische Polizisten, ein weiterer Polizist verstarb 2019.

Durch die Ermittlungen konnten zunächst 49 – im Zuge der weiteren Ermittlungen zwischenzeitlich – 50 Personen innerhalb der sieben Gruppenchats als aktive hessische Polizeibeschäftigte identifiziert werden, davon 36 als Polizeibeamte des SEK Frankfurt.

Darüber hinaus wurden im Zuge der Ermittlungen drei Einzelchats festgestellt, in denen neben dem ursprünglich Beschuldigten jeweils ein hessischer Polizeibeschäftigter identifiziert werden konnte. Diese Inhalte wurden nicht als strafrechtlich relevant eingestuft. Aufgrund des diskriminierenden Charakters wurden jedoch Disziplinarverfahren gegen zwei Polizeibeamte (einmal Polizeipräsidium Frankfurt und einmal HLKA) und ein arbeitsrechtliches Verfahren gegen einen Polizeibeschäftigten (HLKA) eingeleitet.

Überblick laufende Strafverfahren

Gegen 19 Polizisten (davon 18 Angehörige des SEK Frankfurt und ein ehemaliger SEK-Beamter, der aktuell bei der Hessischen Polizeiakademie beschäftigt ist) sowie einen ehemaligen SEK-Beamten, der nicht mehr bei der hessischen Polizei beschäftigt ist, laufen strafrechtliche Ermittlungen.
Alle beschuldigten Polizisten sind bereits am Mittwoch, 9. Juni 2021, mit dem Verbot des Führens der Dienstgeschäfte belegt worden, darüber hinaus wird der 38-jährige SEK-Beamte (s. oben) suspendiert (Vgl. dazu auch die entsprechenden Pressemitteilungen des Innenministeriums vom 10.06. sowie 11.06.).
Aktuell laufen in diesem Zusammenhang gegen 19 Polizisten Strafverfahren.

Überblick laufende Disziplinarverfahren:

Bei allen 19 strafrechtlich beschuldigten Polizisten wurde sorgfältig untersucht, ob ein Disziplinarverfahren einzuleiten ist. Diese Prüfungen ergaben, dass bei sieben der 19 Personen keine Disziplinarverfahren eingeleitet werden können, da das mögliche Fehlverhalten so weit in der Vergangenheit liegt, dass eine disziplinarische Verfolgung rechtlich nicht zulässig ist. Bei den übrigen Beschuldigten wurden Disziplinarverfahren eingeleitet, die bis zum Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens – wie üblich – zunächst ausgesetzt sind.
Darüber hinaus wurden weitere Verdachtsfälle von Fehlverhalten ermittelt, die seitens der zuständigen Staatsanwaltschaft Frankfurt aber nicht als strafrechtlich relevant bewertet wurden. Auch hier erfolgten Disziplinarermittlungen.

Hiervon wurde gegen einen Polizeibeamten des Polizeipräsidiums Frankfurt als Teilnehmer eines Gruppenchats ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Gegen zwei Polizeivollzugsbeamte wurden Disziplinarverfahren und gegen einen Polizeibeschäftigten ein arbeitsrechtliches Verfahren wegen des Verdachts zumindest diskriminierender Äußerungen oder Verhaltens innerhalb von Einzelchats (s. oben) eingeleitet.

Außerdem wurden als Ausfluss der Handyauswertung des 38-jährigen Beschuldigten Disziplinarverfahren gegen fünf Polizeibeamte eingeleitet, weil sie sich in privaten Chats z.B. über die Einteilung von Dienstplänen ausgetauscht hatten, was gegen geltende interne Regularien verstößt. An diesen privaten Chats waren ausschließlich Beamte des SEK Frankfurt beteiligt. Weitere Disziplinarverfahren gegen hessische Polizeibeamte haben sich nach derzeitigem Stand nicht ergeben (Vgl. dazu auch die entsprechende Pressemitteilung des Innenministeriums vom 11.06.).

Die hessischen Ermittler haben darüber hinaus in vier Fällen Behörden außerhalb Hessens über möglicherweise disziplinarwürdige Sachverhalte informiert, die sich aus der Auswertung der Chats des ursprünglich beschuldigten 38-Jährigen mit vier Behördenbedienstete außerhalb Hessens ergeben könnten.

Insgesamt laufen in Hessen in diesem Zusammenhang aktuell 20 Disziplinarverfahren und ein arbeitsrechtliches Verfahren. Eine der Personen, gegen die ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, wird vom Dienst suspendiert.


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