Clans: Ergebnisse krimineller Integration?

Wie eine Parallelgesellschaft den deutschen Staat unterwandert

Hülya Duran

Innenministerium NRW/Jochen Tack

Im Mai 2019 hat das Innenministerium NRW erstmals das Lagebild Clankriminalität vorgestellt. Mehr als 14.000 Straftaten sollen in den letzten zwei Jahren von ca. 104 Großfamilien begangen worden sein. Nahezu jedes Portal berichtete daraufhin über die Clankriminalität. Dies war gleichzeitig ein gefundenes Fressen für die Medien und rechtsradikalen Gruppierungen. 

Stigmatisierung, Diskriminierung und Hetze gegen Ausländer und Migranten war vorprogrammiert. Zugleich wurde festgestellt, dass die Clanstrukturen in Deutschland nichts Neues sind, das Ausmaß der Kriminalität durch diese jedoch denen der Mafia gleicht. Denn sie beherrschen Straßenzüge und führen dazu, dass deutsche Stadtteile zu No-Go-Areas erklärt werden. Folglich war die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in manchen deutschen Städten nicht mehr zu gewährleisten. Darauf hat die Politik reagiert: die Landesregierung NRW hat seit Juli 2018 den Kontrolldruck auf bestimmte Clanstrukturen verstärkt (Null-Toleranz-Politik). Der Schwerpunkt der Clankriminalität ist zudem auch im Koalitionsvertrag der Landesregierung NRW 2017–2022 festgeschrieben. Auch neue Konzepte wie „Aktionsplan Clan“, „21 Punkteplan der Bosbach- Kommission“ oder „Siko Ruhr“ (Sicherheitskooperation Ruhr zur Bekämpfung der Clankriminalität) sind Teil der Bekämpfungsstrategie und zeigen zugleich, wie ernst die Lage ist.

Trotz all dieser Maßnahmen muss eingestanden werden, dass es keine leichte Aufgabe ist, Gruppen mit fest verwurzelten Strukturen, die bis hin zur Türkei und dem Libanon reichen, zu bekämpfen. Interessant ist, wie diese Strukturen aufgebaut sind, woher sie ihre Macht haben und wie es gelingen konnte, den deutschen Staat über 30 Jahre zu unterwandern.

Duisburg gilt als eine Clan-Hochburg in NRW.
Duisburg gilt als eine Clan-Hochburg in NRW.
Quelle: Polizei Duisburg

Begriffsbestimmung Clan/Clankriminalität

Definition nach LKA NRW

Eine eindeutige Definition zum Begriff Clankriminalität gibt es nicht, bzw. ist diese Begrifflichkeit auf polizeilicher Ebene nicht legaldefiniert. In diesem Zusammenhang hat das LKA NRW eine an die Definition zur Organisierten Kriminalität (OK) angelehnte Beschreibung des Begriffs Clankriminalität entwickelt:

„Der Begriff Clankriminalität umfasst die vom Gewinn- oder Machtstreben bestimmte Begehung von Straftaten unter Beteiligung Mehrerer, wobei

  • in die Tatbegehung bewusst die gemeinsame familiäre oder ethnische Herkunft als verbindende, die Tatbegehung fördernde oder die Aufklärung der Tat hindernde Komponente einbezogen wird,
  • die Tatbegehung von einer fehlenden Akzeptanz der deutschen Rechts- oder Werteordnung geprägt ist und
  • die Straftaten einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind.“

Der Begriff Clan wird dabei als „Familienstrukturen, deren typischer Handlungsrahmen sich in der offensiven und öffentlichkeitswirksamen Beanspruchung regionaler oder krimineller Aktionsräume dokumentiert“ definiert.

Historische Definition des Begriffes Clan

„Clan“ kommt aus dem Schottisch-Gälischen und bedeutet dort Abkömmling. Historisch gesehen bezieht er sich im arabischen, kurdischen und türkischen Kontext auf Stämme und Ethnien und hat auf allen drei Sprachen dieselbe Bedeutung. Der Stamm/Volksstamm wird im kurdischen als „ešîret, eşir“, im türkischen „aşiret“ und im arabischen als „ašīra“ definiert. Die Rolle der Stämme basiert in muslimischen Gebieten auf einer Jahrtausend alten Tradition und bezog sich einst auf die Oberschicht von Adligen und Militärangehörigen, die sich innerhalb einer Zweiklassengesellschaft von nicht zum Stamm gehörenden Bauern (gûran) und anderen abhängigen Bevölkerungsgruppen abhoben. Bis heute gilt der Stamm in den meisten arabisch und somit muslimisch geprägten Ländern als das wichtigste Glied innerhalb einer Gesellschaft. Hauptmerkmal ist dabei eine nach außen gerichtete symbolische soziale Gruppe, die auf Untergruppen basieren und in einigen Ländern sogar politischen Schutz innehaben kann (z.B. Türkei, Libanon). 

Diese Gruppen praktizieren dabei eine Tradition, die Jahrtausende alt ist und auf gemeinsamen Vorfahren, Sprache, Kultur und Ideologie beruht. Die Untergruppe dieser Stämme wird als Clan bezeichnet. Der Clan ist dabei eine Verwandtschaftsgruppe, die sich auf gemeinsame Ahnen/Sippen bezieht. Eingeschlossen in diesen Clan werden nur Angehörige der Familie bzw. die Verwandtschaft sowie die angeheirateten Ehepartner, ausgeschlossen die Wegheiratenden. Die Zugehörigkeit wird durch die Patrilinearität bestimmt. Der Clan stellt folglich eine Solidargemeinschaft mit eigenen Werten und Normen dar. Damit einhergehend wird jede andere Rechtsordnung, welche sich außerhalb dieses Clans bewegt, strikt abgelehnt. Schon im osmanischen Reich führte die Schwäche des Staates zur Stärkung von Stammes- und religiösen Führern. Dies zeigt, dass bereits zur Dynastie der Osmanen von ca. 1299 bis 1922 der Stamm und folglich auch der Clan eine hohe Position hatte. Bis heute gelten viele Stämme in muslimischen Ländern als postulierte Ordnungsstruktur des Staates und genießen hohe Autorität.

104 kriminelle Clans gibt es laut Innenministerium in NRW.
104 kriminelle Clans gibt es laut Innenministerium in NRW.
Quelle: LKA NRW

Clanstrukturen in Deutschland

Die vielfach getätigte Aussage, dass die Clanstrukturen in Deutschland neu wären oder durch die Flüchtlingskrise 2014/2015 entstanden sei, ist als zweifelhaft anzusehen. Das Problem mit den Clans existiert seit den 80/90er Jahren, als hunderttausende Flüchtlinge vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland flohen. Die damalige Ohnmacht des Staates mit zu vielen Flüchtlingen und die unklärbare Zugehörigkeit dieser, stellten die Ordnungsmächte vor ein Dilemma. Statt diese Menschen zu integrieren, schickte man sie in die kriminellsten Ballungsgebiete deutscher Städte. Die Folge war, dass sie die untereinander fest verankerten Werte und Normen ihres Herkunftslandes weiter ausleben konnten. Parallelstrukturen, die bereits existierten, haben sich so verfestigt und etabliert. Also ist die Problematik um die Clans keine Neuheit.

Der Türkisch-Arabische (Mhallamiye) Clan

Die Mhallamiye stammen aus dem Südosten der Türkei (Mardin, Provinz Rashdiye), lebten jedoch zuvor schon Jahrzehnte im Libanon. Die Libanesen betrachten die Mhallamiye als Kurden, sie selbst lehnen diese Zuschreibung zum Teil ab und bezeichnen sich als Araber. Bei den Mhallamiye handelt es sich um Clans, die überwiegend aus 40-50 Dörfern der Südosttürkei stammen. Dabei sprechen sie nicht den dort üblichen kurdischen Dialekt „Kurmanci“ oder „Zazaki“ sondern den arabischen Mhallami-Dialekt. Viele dieser Familien wanderten aufgrund von wirtschaftlichen Gründen und religiöser und kultureller Unterdrückung in der Türkei zurück in den Libanon ein und arbeiteten dort als Tagelöhner. In die libanesische Gesellschaft wurden sie nie integriert und lebten oftmals in den Slums des Landes und somit in isolierten Strukturen. Heute zählt die Gruppierung der Mhallamiye ca. 7.000 Mitglieder europaweit. In Deutschland wird ihre Zahl auf ca. 5.000 Angehörige geschätzt. Die Kriminalität und die Clanstrukturen der Mhallamiye sind in der deutschen Kriminalgeschichte bekannt.

Der Palästinenser-Clan

Eine weitere Gruppierung der Clans stellen die Palästinenser. Die meisten Palästinenser flohen in Folge der Staatsgründung Israels 1948 in den Libanon. Weitere palästinensische Flüchtlinge kamen zudem 1956 im Zuge der Suezkrise nach Libanon sowie 1967 als Ergebnis des Sechstagekriegs und 1970/1971, nachdem sie aus Jordanien ausgewiesen worden waren. Im Libanon besaßen sie als Staatenlose meist keine staatsbürgerlichen Rechte und wurden als Minderheit systematisch diskriminiert.

Der Schiitisch-Arabische Clan

Neben den Mhallamiye und den Palästinensern gibt es eine dritte Entität der Clans in Deutschland. Es handelt sich hierbei um die schiitische Gruppe der Libanesen (Araber), die überwiegend in den Armutsgebieten Libanons untergebracht waren wie Teilen Beiruts, Baalbek und dem Südlibanon. Neben den Schiiten gibt es auch die sunnitischen Familien, die überwiegend in Beirut und Tripoli lebten. Diese beiden Gruppierungen, die dem Islam angehören, wanderten nach dem Mauerfall 1989 als libanesische Flüchtlinge über Ostberlin in Deutschland ein.

In allen Clan-Familien erfolgt zudem meist eine intra-ethnische Eheschließung, was dazu führt, dass die Familien national und international miteinander vernetzt und somit in einem noch größeren Ausmaß verflochten sind. Dies stellt die Basis für kriminelle Aktivitäten da.

Selbstjustiz innerhalb der Clans

Neben den kriminellen Machenschaften herrscht auch eine Selbstjustiz innerhalb dieser Strukturen. So werden Straftaten zu internen Problemen erklärt, die innerhalb der Familien von sog. Friedensrichtern geregelt werden. Diese Schlichtungsgespräche finden meist in Regionen statt, in denen ein großer Anteil muslimischer Bevölkerung lebt. Die Schlichtung ist in muslimischen Kulturkreisen eine jahrtausendalte Tradition und hat kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung. Diese Schlichtung kommt auch in Deutschland vor und zwar in der gesamten Breite der Kriminalität wie Betrug, häuslicher Gewalt oder bei Ehrverletzungen. Es ist das sog. Talionsrecht, auf das sich die muslimischen Täter stützen. Talio kommt aus dem lateinischen und bedeutet Vergeltung (z. B. zur Wahrung der Ehre und des Gesichtes). Somit ist die Wiedervergeltung nach dem Islam erlaubt und steht in vielen arabischen Ländern bis heute nicht unter Strafe.

Die Örtlichkeiten, in denen diese sog. Schlichtungsgespräche stattfinden, sind meist Moscheen, andere kulturelle Einrichtungen (Kültür Dernegi) oder die Hinterräume von Shisha-Bars. Die Friedensrichter, die diese Gespräche führen, sind Imame, die sich als Vertreter des Korans darstellen. Die Imame genießen aufgrund ihres Erfolges, der Macht ihrer Familie oder Sippe oder ihres Wohlstands besonderes Ansehen in ihrer Gemeinschaft. Bei Streitigkeiten zwischen zwei rivalisierenden Parteien bringt der Imam die zerstrittenen Gruppierungen an einen Tisch. Es erfolgt ein Vertrag zwischen Täter- und Opferfamilie. Dieser Vertrag beinhaltet das sog. Blutgeld. Dieses Blutgeld stellt eine Art der Wiedergutmachung dar in Form finanzieller Mittel. Durch die Anwälte der jeweiligen Parteien sollen dann in der Regel die bei der Polizei gemachten Anzeigen zurückgenommen werden. Meist mit der Begründung, „man habe sich geeinigt, oder die Sache wurde beendet“. Im deutschen Strafrecht kann eine Anzeige jedoch nicht so ohne Weiteres zurückgenommen werden. Kommt es dann doch zu einer Hauptverhandlung, werden die Aussagen der Parteien oftmals relativiert, oder der Friedensrichter wird als Zeuge hinzugezogen. Viele machen auch von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht oder Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. So wird versucht, die Fälle zu bagatellisieren bis hin zu einer völlig unkooperativen Haltung. Diese Art und Weise der Selbstjustiz ist ein typisches Zeichen einer Clanstruktur.

Fazit

Der deutsche Staat hat die Gefahr, die unserem Rechtsstatt durch Clans droht, bisher nicht oder nur ungenügend bekämpft. Dass sich die Clanstrukturen und folglich die Selbstjustiz so ausweiten konnte, liegt zweifelsohne auch an der gescheiterten Ausländerpolitik Deutschlands. Diese hat nicht bedacht, dass eine dauerhafte Duldung (bis zur zweiten und dritten Generation) ohne eine Arbeitserlaubnis, der Einschränkung sozialer Rechte wie Arbeitsverbote oder die Zuweisung in Gebiete mit mehrheitlich ausländischer Bevölkerung, zwangsläufig zu einer Subkultur mit eigenen Werten- und Normen führen würde. Durch diese fehlenden Perspektiven entstand das Gefühl der Ausgrenzung und Diskriminierung. Man fühlte sich vom Staat allein gelassen. Was blieb, war die Familie.

Bei der Bekämpfung der Clankriminalität darf der präventive Aspekt nicht außer Acht gelassen werden. Denn nur durch die harte Hand des Staates kann dieses Gebilde nicht bekämpft werden. Bekämpfungsstrategien, seien sie repressiv oder präventiv, sollten auch darauf abzielen, dass sie diejenigen schützen, die aus diesem Milieu aussteigen wollen. Dies betrifft vor allem die Frauen und Kinder. Um nicht weitere Clanstrukturen entstehen zu lassen, ist auch die Integration der Flüchtlinge von hoher Notwendigkeit. Hier müssen mehr Alternativen (Sport, Gesellschaft, Arbeit, Schule) geboten werden. Der Staat sollte aus den Erfahrungen mit der libanesischen Zuwanderung seit den 70er Jahren seine Lehre gezogen haben. Eine Einbindung der Flüchtlinge in unser System und die Erlaubnis zu arbeiten/studieren, sollte unbedingt gegeben sein. Eine erfolgreiche Integration kann nur stattfinden, wenn der Staat ernsthaftes Interesse zeigt und diese Menschen in unser System einbindet

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