13:15 Uhr – Gefahrstoffaustritt in der Chemiefabrik, Großalarm bei der Feuerwehr – Einsatzabschnitte bilden, Checklisten bereitstellen, Recherche in der Gefahrstoffdatenbank, Aufbereiten einer Lagekarte, Stab alarmieren … 14:00 Uhr – die angemeldete Großdemonstration der Umweltaktivisten gegen die geplante Erweiterung der Chemiefabrik startet, die Polizei hat eine Zeitlage mit sechs Hundertschaften und Sondereinsatzmitteln vorbereitet, die Planungsunterlagen müssen auf Papier an alle Verantwortlichen verteilt werden … zwei Beispiele für die unerlässliche Planung von Einsätzen, seien es nun Sofortlagen oder geplante Ereignisse. Wie kann die notwendige Vorbereitung effektiv unterstützt und die Nutzung der erstellten Einsatzplanung im Einsatzfall optimiert werden? Digital?
Das Thema Digitalisierung beschäftigt die Behörden – auch wenn Ereignisse wie der Totalausfall von Telefon und Internet bei der Flutkatastrophe im Ahrtal bei manchen Bedenkenträgern eher die Rückkehr zu analoger Technik und Planungsunterlagen in Papierform nahelegen.
Befürchtungen zur Ausfallsicherheit der „digitalen Welt“ sind durchaus gerechtfertigt – aber Digitalisierung und „online“ sind nicht dasselbe, auch wenn heutzutage Digitalisierung sehr oft mit dem allzeit verfügbaren Internet, Cloud-Lösungen und Breitbandnetzen gleichgesetzt wird. IT-Umgebungen – und vor allem Software für das Krisenmanagement – können und müssen so ausgelegt werden, dass mindestens die essenziellen Informationen zu Ereignissen und Objekten sowie wichtige Datengrundlagen (z.B. Basiskarten / Geodaten) auch bei einem Netzausfall zur Verfügung stehen und so ein Weiterarbeiten auch im Offline-Betrieb ermöglicht wird.
Viele Behörden, Organisationen und auch Unternehmen scheinen der Meinung zu sein, man sei „digital“, wenn statt einer Dokumentenmappe nun PDF-Dateien vorgehalten und mitgeführt werden. PDF ist aber nicht die „ultramoderne, digitale Lösung“ – das Format wurde nämlich bereits 1992 – also vor 30 Jahren – von Adobe entwickelt und veröffentlicht. Also schon sehr lange vor der sogenannten „Digitalen Revolution“ mit Smart Devices, Breitbandnetzen und dem „Internet of Things“.
Digitale Einsatzplanung kann sich also heute nicht darauf beschränken, ein Notebook oder Tablet mit Plänen, Vorschriften und Hinweisen als PDF-Dokumente zu füllen. Sie ist aber auch nicht zu verwechseln mit der bereits existenten Bereitstellung von Einsatz- und Objektinformationen auf Basis von Alarmdisplays oder Tablets.
Was also ist dann „Digitale Einsatzplanung“?
Im Rahmen des Projektes mit der Polizei Hessen hat sich das in Stabsführung, Einsatzunterstützung und Krisenmanagement erfahrene Team der GEOBYTE Software Gedanken gemacht, was Digitale Einsatzplanung im 21. Jahrhundert tatsächlich bedeutet –Grundlage waren die konkreten Anforderungen der Polizei und die langjährige Erfahrung im Umfeld der Feuerwehren und des Katastrophenschutzes.
Digitale Einsatzplanung kann – mit Blick auf die Ereignisse der letzten Monate – nicht heißen, dass „nur“ planbare Ereignisse – also Zeitlagen wie z.B. Großveranstaltungen – so detailliert und granular wie möglich vorbereitet werden. Im Gegenteil: Gerade in der Chaosphase von ungeplanten Einsätzen / Ereignissen (Sofortlagen) gilt es, optimale Unterstützung zu bieten.
Letztlich heißt dies, dass die in den Einsatzleitsystemen übliche Alarm- und Ausrücke-Ordnung der Feuerwehr, die Standard-Einsatzregeln der BOS und objekt- oder ortsbezogene Einsatztaktiken konsequent weitergeführt und digital unmittelbar zur Verfügung gestellt werden, wenn ein entsprechendes Ereignis eintritt. Teilweise findet sich dies in modernen Einsatzleitsystemen schon wieder, deckt aber nicht alle Anforderungen ab – umfangreiche Einsatzplanungen werden nämlich nicht für Standardeinsätze durchgeführt, sondern für Sonderobjekte und Einsatzarten, die hohes Gefahrenpotential insbesondere für kritische Infrastrukturen oder Leib und Leben haben.
Das heißt, hier geht es oft um Lagen, die potenziell stabsmäßig oder mindestens mit einer Führungsgruppe geführt werden – also müssen Einsatzabschnitte samt Unterabschnitten gebildet, Maßnahmenkataloge / Checklisten zusammengestellt und gegebenenfalls auch raumbezogene Informationen und Taktiken definiert werden können. Zur Digitalen Einsatzplanung gehört auch, Informationen samt Prioritäten, Dokumente, Links und Aufgaben an einer Stelle übersichtlich zur Verfügung zu stellen und die gerichtsfest protokollierte Abarbeitung der Aufgaben / Aufträge und die Dokumentation der weiteren Entscheidungen zu ermöglichen. In Summe geht dies über den Aufgabenbereich der Leitstelle und des ELS deutlich hinaus, auch wenn sich Teile davon für das „Tagesgeschäft“ adaptieren lassen.
Diese Informationen innerhalb eines – an das jeweilige ELS angebundenen – Stabsführungssystems so bereitzustellen, dass sie als Einsatzmuster / Szenarien im Einsatzfall direkt angewendet und genutzt werden können – das ist effektive, Digitale Einsatzplanung. Und für die Verantwortlichen in Einsatz- / Abschnittsleitung und Stäben / Führungsgruppen eine große Arbeitserleichterung und Zeitersparnis. In Verbindung der Schnittstelle zum ELS, über die Einsatzinformationen zyklisch übernommen werden können, werden so Planung und Realität in einem System übersichtlich zusammengeführt.
Besonderes Augenmerk wurde dabei auch auf die Definition des Kräftebedarfs gelegt – das gilt für den Einsatz von Einheiten und Einsatzmitteln im nichtpolizeilichen Umfeld ebenso wie für die Planungen mit mehreren Hundertschaften – auch unter Einbeziehung von Fremdkräften – in Polizeilagen. Bei Zeitlagen wird so auch direkt aus der Einsatzplanung heraus die Kräfteplanung unterstützt.
Ziel der Entwicklung im Projekt Polizei Hessen war auch, Einsatzmuster aus bestehenden, historischen Einsätzen ableiten zu können, wiederkehrende Ereignisse zu unterstützen und die Nutzbarkeit auch für Übungen und Simulationen zu ermöglichen. Über in das System integrierte Funktionalitäten für die Freigabe, Aktivierung und den Passwortschutz kann sichergestellt werden, dass der Zugriff auf die Digitale Einsatzplanung rechtegestützt erfolgt.
Die Ergebnisse in der Praxis bestätigen, dass das entwickelte Konzept sowohl im polizeilichen wie auch im nichtpolizeilichen Umfeld funktioniert und eine granulare, Digitale Einsatzplanung absolut sinnvoll und möglich ist. Bei Demonstrationen ebenso wie bei wiederkehrenden Sportveranstaltungen jeder Dimension oder eben auch bei unplanbaren Ereignissen an besonderen Objekten, vom Krankenhaus über das Schulgebäude bis hin zu Störfallbetrieben, Banken oder sonstigen öffentlichen Einrichtungen.
Komplexe Organigramme / Einsatzstrukturen, vorbereitete Lagekarten und Maßnahmenkataloge, die dann sogar direkt als Aufgaben an die zuständigen Sachgebiete eines Stabs verteilt werden, lassen sich beliebig kombinieren. Auch eine Nutzung für Lagen ohne konkreten Ortsbezug – also als Standard-Einsatzmuster z. B. für bestimmte Einsatzarten – kann mit dem System umgesetzt werden.
Auch mehrstufige, aufeinander aufbauende Planungen können mit der Software realisiert werden, z.B. um für verschiedene denkbare Entwicklungen einer Lage abgestimmte, unterschiedliche Szenarien vorzubereiten und entsprechend zu nutzen. So lassen sich auch hochdynamische Übungen gestalten, deren Ablauf nicht einem statischen Drehbuch folgen muss, sondern „Weichen“ für unterschiedliche Abläufe bietet.
Bleibt das eingangs erwähnte Thema des Netzausfalls. Was nutzt die beste Digitale Einsatzplanung, wenn sie im Katastrophenfall nicht verfügbar ist? Natürlich können aus den erstellten Planungen auch Dokumente erzeugt werden, die abgelegt und im Notfall auf Papier oder auch transportablen Medien verteilt werden können.
Innerhalb des vernetzten Krisenmanagementsystems metropolyBOS mit seinen offline-fähigen abgesetzten Servern und mobilen Systemen kann aber auch ohne diesen „Umweg“ sichergestellt werden, dass die Planungsdaten bei Netzausfall zur Verfügung stehen – wie andere Lageinformationen können sie ebenfalls synchronisiert und offline zur Verfügung gestellt werden. Einzig Links zu externen Informationsquellen, die den Online-Zugriff auf aktuelle Informationen aus einem Szenario heraus ermöglichen, funktionieren bei Netzausfall nicht mehr. Das kann aber in der konkreten Planung für Einsätze und Lagen berücksichtigt werden und so der Offline-Zugriff auf alle essenziellen Informationen sichergestellt werden.
Digitale Einsatzplanung ist also nicht nur möglich, sondern bereits praktisch umsetzbar – perspektivisch bis hin zu einer (Teil-)Automatisierung, die wie eine Alarm- und Ausrückordnung für Einsatzarten oder spezielle Objekte vom System ohne Eingriff des Benutzers vorgeschlagen oder sogar aktiviert wird.
Crisis Prevention 1/2022
Roland Lutz
E-Mail: info@geobyte.de