Die zweite Version der TeleSAN-Weste, Vorder- und Rückseite
Die zweite Version der TeleSAN-Weste, Vorder- und Rückseite
Quelle: Uniklinik RWTH Aachen

Kreislauffähige Sicherheitsschuhe für eine nachhaltigere Zukunft

Moritz Lennartz, Hannah Dammers, Leonie Beek

Aktuell wird ein Großteil aller Sicherheitsschuhe direktangesohlt, d. h. das Schuhoberteil aus Textil oder Leder, der sogenannte Schaft, wird mit der durchtrittsicheren Sohle und der Zehenschutzkappe unlöslich miteinander verbunden. Dadurch ist eine Zerlegung des Sicherheitsschuhs in die Einzelteile Textil, Leder und Sicherheitskomponenten bestehend aus Zehenschutzkappe und Sohle unmöglich. Folglich wird der gesamte Schuh am Ende des Produktlebenszyklus zu Sondermüll und jegliches Recycling wird ausgeschlossen. Aus diesem Grund werden in dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Forschungsprojekt „LaufSohLe“ Sicherheitsschuhe entwickelt, bei denen die durchtrittsichere Sohle und Zehenschutzkappe für eine Kreislauffähigkeit entnommen werden können. 

Sicherheitsschuhe sind ein essentieller Bestandteil der persönlichen Schutzausrüstung. Aus diesem Grund werden in der europäischen Union jedes Jahr mehrere Millionen Paar Sicherheitsschuhe hergestellt. Davon allein entfällt ein Großteil der hergestellten Schuhe auf den deutschen Markt. Aufgrund eines unlösbaren Verbunds der Schuh-Einzelteile, entsteht durch die hohe Anzahl produzierter Sicherheitsschuhe jedes Jahr ein nicht recyclebarer Sondermüll von mehreren tausend Tonnen. Neben diesen ökologischen Herausforderungen bestehen weitere Schwierigkeiten durch die zurzeit eingesetzten Materialien: bisher werden die Schutzkomponenten der Schuhe, bestehend aus einer Zehenschutzkappe und einer durchtrittsicheren Sohle, größtenteils aus Stahl oder glasfaserverstärkten Kunststoffen gefertigt. Bei der Verwendung von Stahl wird der Komfort der Schuhe bedingt durch ein hohes Gewicht stark eingeschränkt. Zudem entwickelt sich bei Arbeiten in kalten Umgebungen eine Kältebrücke zum Fuß hin. Um die Sicherheit bei der Verwendung glasfaserverstärkter Kunststoffe (GFK) zu gewährleisten, ist eine hohe Materialdicke in der Kappe notwendig. Dadurch wird die Designfreiheit verringert. Zusätzlich zu der eingeschränkten Designfreiheit wird bei der Verwendung textiler durchtrittssicherer Sohlen häufig kritisiert, dass diese keinen Schutz gegen das Durchdringen spitzer Gegenstände verhindern können.  

Derzeit existieren keine Ansätze für die Entwicklung und den Einsatz von nachhaltigen, kreislauffähigen durchtrittsicheren Sohlen oder Zehenschutzkappen, die gleichzeitig einen hohen Tragekomfort und eine hohe Designfreiheit aufweisen. Aus diesem Grund wird vom Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen und den beiden Firmen AIRCONCEPT GmbH, Zülpich und  Scherfdesign Concept & Development GmbH & Co. KG, Köln erstmalig ein Schuhkonzept entwickelt, welches eine Kreislauffähigkeit durch die Trennbarkeit der Einzelkomponenten des Schuhs ermöglicht.

Aufbau eines klassischen Sicherheitsschuhs
Aufbau eines klassischen Sicherheitsschuhs
Quelle: Scherfdesign Concept & Development

Designkonzept

Das Design des neuartigen Schuhkonzepts wird durch Scherfdesign auf der Basis biologischer Vorbilder entwickelt. Innovationen, die durch die Bionik entstehen, zeichnen sich durch eine hohe Material- und Ressourceneffizienz aus, sodass durch den gewählten Entwicklungsansatz ein weiterer Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeit geleistet werden kann. Die Formsprache des Schuhkonzepts setzt auf die Reduzierung des Materialmix und den konzeptionellen Ansatz der Trennung, bzw. Entnahmemöglichkeit der Sicherheitskomponenten am Ende des Produktlebenszyklus. 

Gestalterisch orientiert sich der neuartige Sicherheitsschuh an einer innovativen sportlichen Linienführung, um die Akzeptanz der Träger zu erhöhen und die Sicherheitskomponenten so in den Schuh einzubinden, sodass diese nicht im Vordergrund stehen. Alternative Verschlussmöglichkeiten wie elastische Obermaterialien und Mono Material Chassis aus PU-TPU sehen dienen zur Abrundung der Nachhaltigkeit für dieses neue Schuhkonzept. 

Materialentwicklung

Zur Verbesserung des Tragekomforts, der Designfreiheit und der Schutzwirkung gegen das Eindringen spitzer Gegenstände werden von AIRCONCEPT innovative Produktkonzepte entwickelt, in denen die GFK- oder Stahl-Schutzkomponenten durch Leichtbaumaterialien, wie zum Beispiel Carbon in Kombination mit Bioharzen ersetzt werden.  Dieses neuartige Produktkonzept verspricht eine Verbesserung der Gesundheit der Trägerinnen und Träger von Sicherheitsschuhen, da durch den Einsatz der Carbon-Komponenten die Dämpfungseigenschaften und damit der Tragekomfort deutlich erhöht werden können. In Laufschuhen wird dieses Prinzip derzeit schon erfolgreich eingesetzt. Beispielsweise hat die Entwicklung von carbonfaserverstärkten Sohlen in Marathonschuhen von der Firma Nike maßgeblich dazu beigetragen die Energieersparnis beim Laufen von Langstrecken deutlich zu erhöhen und hat dadurch zu einer Vielzahl an Weltrekorden bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokyo geführt. Auf diese Weise soll schmerzenden Füßen oder Beschwerden im unteren Rücken aufgrund eines zu hohen Gewichts und fehlender Dämpfung von Sicherheitsschuhen entgegengewirkt werden.  

Neben der Verbesserung des Tragekomforts führt eine Änderung in den Materialkombinationen ebenfalls zu einer erhöhten Designfreiheit. Da Carbon bei den äußeren Belastungen, die auf den Sicherheitsschuh einwirken, bessere mechanische Eigenschaften aufweist als zum Beispiel glasfaserverstärkte Materialien, kann die Wandstärke der Zehenschutzkappe reduziert werden. Die Reduzierung der Wandstärke erfolgt durch eine simulationsbasierte Topologieoptimeriung, welche eine belastungsgerechte Formoptimierung der Zehenschutzkappe ermöglicht. Aufgrund dieser reduzierten Wandstärke kann der vordere Bereich des Schuhs variabler und ansprechender designt werden.  

Insbesondere die Schutzwirkung der durchtrittssicheren Sohle ist von den verwendeten Materialien stark abhängig. Bei der Nutzung von Stahl ist die Durchtrittssicherheit auch bei spitzen Gegenständen gegeben. Jedoch ist die Verwendung dieses Materials aufgrund der bereits angesprochenen Defizite nicht wünschenswert. Wenn ein textiles Material für die Sohle verwendet wird, ist die Durchtrittssicherheit bei spitzen Gegenständen, wie zum Beispiel Nägeln nicht mehr gegeben, da sich diese in dem Gewebe verhaken und anschließend durchdrücken. Aus diesen Gründen muss für die Sicherheit der Trägerinnen und Träger ein neues Materialkonzept entwickelt werden, welches sowohl eine hohe Flexibilität mit entsprechenden Dämpfungseigenschaften als auch eine hohe Durchtrittssicherheit gewährleistet.  

Erste Prototypen der durchtrittssicheren Sohle, die aus einem Carbon-Polycarbonat Materialmix bestehen, zeigen sowohl bei einer Durchtrittsprüfung als auch bei einer Biegeprüfung nach der Norm DIN EN ISO 22568-4 vielversprechende Ergebnisse, indem die Mindestanforderungen der Norm vollständig erfüllt werden konnten. Im weiteren Verlauf des Projektes werden nun Optimierungen an den Prototypen durchgeführt, um die Sicherheit und den Tragekomfort weiter zu erhöhen. Des weiteren erfolgt zurzeit eine subjektive Bewertung des Tragekomforts, indem die Prototypen der durchtrittssicheren Sohle in Sicherheitsschuhe integriert und anschließend über einen längeren Zeitraum getragen werden.  

Angestrebtes Schuhkonzept
Angestrebtes Schuhkonzept
Quelle: Scherfdesign Concept & Development

Zulassungstest

Die Zulassung der Sicherheitsschuhe erfolgt derzeit durch genormte Zulassungstests, die in den Normen DIN EN ISO 20344, DIN EN ISO 20345 und DIN EN ISO 22568 festgelegt sind.  Unter anderem schreiben diese Normen zerstörende Prüfungen für die Zehenschutzkappe und die durchtrittsichere Sohle vor, sodass eine Kreislaufführung dieser Komponenten unmöglich ist. Daher wird am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen ein neuartiges Prüfverfahren entwickelt, welches eine Bewertung der bereits genutzten Schutzkomponenten ermöglicht. Es wird angestrebt, niederschwellige, kostengünstige und zerstörungsfreie Prüfungen zu entwickeln. Für die zerstörungsfreien Prüfungen stehen eine Vielzahl verschiedener Verfahren zur Verfügung, die entweder der statischen oder der dynamischen Klasse zugeordnet werden können. Typische Prüfverfahren, die zur Bewertung der Schutzkomponenten eingesetzt werden können, sind zum Beispiel eine chemische Dichtheitsprüfung, eine elektromagnetische Durchstrahlungsprüfung oder eine optische Inspektion zur Identifikation von Defekten.  

Ziel ist es, die Schutzkomponenten im Anschluss an eine erfolgreiche Prüfung erneut in einen Sicherheitsschuh einzusetzen, sodass die gewünschte Kreislauffähigkeit ermöglicht wird. Die Einführung der Kreislauffähigkeit beginnt mit der Zertifizierung des neuartigen Prüfverfahrens durch eine unabhängige Prüfstelle. Im Anschluss wird in Kooperation mit der Uvex Arbeitsschutz GmbH, Fürth ein Testlauf zur Kreislauffähigkeit anhand von Sicherheitsschuhen durchgeführt, um das entwickelte Design, die Materialkombination und das Prüfverfahren testen zu können. Vor der finalen Markteinführung erfolgt zum Abschluss des Projekts eine Akzeptanzanalyse der neuartigen Sicherheitskomponenten. Im Fokus steht dabei die Untersuchung von möglichen Sicherheitsbedenken.  

Zusammenfassung und Fazit

Dieses Projekt zeigt, wie eine nachhaltigere Zukunft im Bereich der persönlichen Schutzausrüstung durch eine innovative Neukonzeptionierung von Sicherheitsschuhen erreicht werden kann. Dadurch kann nicht nur ein wertvoller Beitrag zur Erreichung der Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele geleistet, sondern auch das Verletzungsrisiko verringert und der Komfort der Sicherheitsschuhe wesentlich erhöht werden.  

Danksagung

Das Forschungsvorhaben wird im Rahmen des Programms zur Förderung von Forschungs- und Entwicklungs-Projekten (FuE-Projekte) Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.  



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