Einsatzkritische Sprach- und Datendienste (MCX) via 5G
Thomas Conrath
Kommunikationslösungen für den Professionellen Mobilfunk (Professional Mobile Radio, PMR), die sich an den Bedürfnissen der Öffentlichen Sicherheit orientieren, werden seit vielen Jahrzehnten auch von Unternehmen genutzt, um betriebliche Arbeitsabläufe und mobile Teamarbeit effizienter und sicherer zu gestalten. Diese PMR-Lösungen bieten auch branchenspezifische Datenanwendungen. Mobile Kommunikation sichert und optimiert die operative Betriebsfähigkeit – sie nähert sich somit der „geschäftskritischen“ Kommunikation. Sind damit die „geschäftskritische“ und die „einsatzkritische“ Kommunikation das Gleiche oder gib es Unterschiede zu beachten? Der Unterschied zwischen beiden liegt hauptsächlich im Zweck der Verwendung, im Hinblick auf ihre Funktionen sind sie nahezu identisch. Denn Umfang und Leistungsfähigkeit der Dienste sind für den (unternehmerischen) geschäftskritischen und den (behördlichen) einsatzkritischen Verwendungsbereich gleichermaßen essenziell. Darüber hinaus erwarten die Anwendergruppen von den PMR-Systemen absolute Verlässlichkeit, moderne und bediensichere – am besten web-basierte – Verwaltungssoftware, eine gute Integrationsfähigkeit mit Bestandssystemen und das Schritthalten mit den gestiegenen und dynamischen Anforderungen hinsichtlich der IT-Sicherheit.
Die Zukunft einsatzkritischer Dienste: 5G Releases 17 und 18
Die zukünftigen einsatzkritischen Dienste finden sich im 5G-Standard wieder. Das 3rd Generation Partnership Project (3GPP) ist für die Spezifizierung dieses Standards verantwortlich. 3GPP ist kein einzelnes Standardisierungsgremium, sondern eine weltweite Kooperation von Gremien aus verschiedenen Regionen. Das Gremium hat seine Arbeit nicht erst für 5G aufgenommen, sondern bereits LTE, UMTS und GSM spezifiziert. Bislang wurden für 5G die Releases 15 und 16 veröffentlicht. Diese sind insbesondere für Maschinenkommunikation im industriellen Umfeld hochinteressant. Für die einsatzkritischen Dienste – bekannt als Mission-Critical Voice & Data, abgekürzt MCx – sind nun im 5G-Standard die Releases 17 und 18 von großer Bedeutung. In MCx zusammengefasst sind die Sprachdienste des sogenannten Mission-Critical Push-To-Talk (MCPTT). Daneben steht MCDATA als Oberbegriff für Text- und Datennachrichten. Als dritter Teil wird Mission-Critical Video, kurz MCVIDEO, definiert.
MCPTT-Sprachdienste: mehr als 30 verschiedene Funktionen
MCPTT-Sprachdienste bieten Rufarten mit mehr als 30 verschiedenen Funktionen an. Die Relevantesten werden angeführt vom PTT-Gruppenruf – zweifelsfrei der Wichtigste. Er orientiert sich exakt an den Eigenschaften des Gruppenrufs in den etablierten Schmalbandfunk-Systemen. Zur Kategorie der Gruppenrufe gehören auch Gruppen-Notrufe, Prioritäts-Gruppenrufe, Ansage- bzw. Rundrufe (Broadcast Call) sowie die Organisation dynamischer Gruppenzusammenstellungen. Ebenfalls enthalten ist eine Individualruf-Funktion – inklusive Notruf-Prioritäten. Die Hauptmerkmale sind auch hier angelehnt an Schmalband-Funkstandards. Bei den MCPTT-Rufdiensten ist auch die funktionale bzw. objektorientierte Adressierung erwähnenswert. Hierbei kann ein mobiler Nutzer über eine allgemeine funktionale Rufnummer, die seine Funktion oder seine derzeitigen Arbeitsaufgabe repräsentiert, gerufen werden: z.B. eine Flugnummer oder bestimmte beauftragte und bevollmächtigte Positionen im Unternehmen.
MCDATA-Short Data Services: Alarmierungs- und Benachrichtigungssysteme
MCDATA stellt u. a. einen Textnachrichten-Dienst (Short Data Service, SDS) bereit. Ähnlich wie bei den Kurzdaten-Funktionen im etablierten Schmalband-Funk ist der Anwendungsfall mit individuell bzw. manuell verfassten Textnachrichten im PMR-Umfeld eher untypisch. Die erwartete Nutzung der SDS-Funktion liegt vielmehr bei IT-bezogenen Anwendungen und Quellen: Alarmierungs- und Benachrichtigungssysteme ähnlich Paging, IT-gestützte individuelle Aufgabensteuerung oder Warnungen an das Personal – automatisiert aus der Gebäudeleittechnik, aus Brandmelde- oder Störmelde-Anlagen. MCDATA-Dienste können die Betriebssicherheit sowie die Anlagen- und Personensicherheit erhöhen. Passend zu diesen Anwendungen ist es möglich, Kurznachrichten auch mit Notruf- bzw. Notfall-Priorität zu übertragen. Die weiteren Leistungsmerkmale von MCDATA umfassen Status-Übertragungen und Geo-Lokalisierung. Das ist nahezu deckungsgleich mit den Fähigkeiten marktüblicher PMR-Schmalband-Funksysteme. Darüber hinaus bietet MCDATA Dateiübertragungen, die zwar auch mithilfe von Schmalband-Technologien prinzipiell verfügbar sind, dort aber bei großen Datenmengen und hohem Bandbreiten-Bedarf an ihre physikalischen Grenzen stoßen.
MCVIDEO: Gruppenrufe und Individualrufe per Video
MCVIDEO beinhaltet Video-Gruppenruf via PTT. Ähnlich wie beim Sprachruf wird eine statische oder dynamische Zusammenstellung von Gruppenmitgliedern adressiert. Analog zum Sprachruf ermöglicht MCVIDEO Video-Gruppen-Notrufe, Prioritäts-Video-Gruppenrufe sowie Video-Rundrufe. Auch Video-Individualrufe – mit Notruf-Prioritäten – sind möglich. Als Anwendungsfall für den Video-Individualruf ist zum Beispiel die videounterstützte Wartung an Maschinen oder Anlagen denkbar. Sind aber Video-Gruppenrufe im PMR-Umfeld überhaupt nützlich? Diese Frage kann an dieser Stelle eine fiktive Betrachtung beantworten: In einer Notlage oder Gefahrensituation beschreibt ein mobiler Nutzer in einem Gruppenruf mit KollegInnen eine Not- oder Gefahrenlage. Mit einem PTT-Videogruppenruf kann er sie beobachten und übertragen, anstatt seine Blicke auf das Display zu richten. Die Kamera überträgt die Lage an die Gruppe in Echtzeit mit höchster Übertragungspriorität. In dieser Situation ermöglicht der Einsatz der Kamera der Gruppe einen authentischen visuellen Einblick in die Lage vor Ort in Echtzeit und somit eine präzisere Bewertung der Lage. Die Videoübertragung vermittelt so – über die Sprachkommunikation hinaus – wertvolle Einschätzungen und Informationen.
Für alle Leistungsmerkmale aus den Bereichen MCPTT, MCDATA und MCVIDEO kann die hohe Datensicherheit des 5G-Standards genutzt werden – auch mit Verschlüsselungsoption. Die 3GPP-Standardisierung von 5G hat alle wesentlichen Leistungsmerkmale des traditionellen Betriebs- und Behördenfunks berücksichtigt. Sie ermöglicht also mehr als „nur“ PTT-Gruppenrufe. Es stellt sich nun die Frage: Ab wann sind MCPTT, MCDATA und MCVIDEO in 5G verfügbar?
Wann sind Dienste in 5G verfügbar?
Der Zeitpunkt, ab dem MCPTT, MCDATA und MCVIDEO verfügbar sind, hängt u.a. von den Standardisierungsprozessen der 3GPP ab. Zunächst werden die einsatzkritischen Dienste – also MCx-Dienste – durch 3GPP-Arbeitsgruppen für 5G spezifiziert. Das beinhaltet die Spezifizierungen von Funktionalität, Protokoll, Schnittstellen und auch von Testkriterien. Die MCx-Leistungsmerkmale, die bereits ab Release 13 für 4G definiert worden sind, werden in den Releases 17 und 18 für 5G angepasst. Das Standardisierungsverfahren der Release 17 ist im Juni 2022 abgeschlossen worden. Die Standardisierung der Release 18 ist zum Jahreswechsel 2021/2022 gestartet und soll nach Planung der 3GPP im ersten Quartal 2024 abgeschlossen sein. Release 18 wird hinsichtlich des MCx-Funktionsumfangs nochmals erweitert.
Der Zeitpunkt eines abgeschlossenen Standardisierungsverfahrens sagt jedoch noch nichts darüber aus, wann entsprechende Produkte auch tatsächlich den Anwendern zur Verfügung stehen. Produktentwicklung, Tests für Kompatibilität und Interoperabilität, die Verfügbarkeit von Chipsätzen bleiben nach Abschluss der Standardisierung abzuwarten.
Einsatzkritische Dienste kompatibel mit 5G-Kernnetz
Inwiefern sind MCx-Dienste in den 5G-Netzen enthalten und welche Elemente werden benötigt, um sie nutzen zu können? Zur Aufschlüsselung dieser Fragestellung bedarf es eines Blicks auf die Architektur von 5G-Netzen: Die einsatzkritischen Sprach- und Datendienste werden nur von wenigen modulare Komponenten bestimmt. Allen voran ist der „MCx-Server“ – auch als „MCS“ bezeichnet – zu nennen, der eine zentrale Rolle spielt. Der MCx-Server stellt die einsatzkritischen Sprach- und Datendienste auf Anwendungsebene bereit, kontrolliert also die Logik und damit die Abläufe dieser Funktionen. Aus Sicht des 5G-Kernnetzes ist der MCx-Server lediglich eine Anwendungssoftware, die aber spezifizierte und interoperable Schnittstellen benutzt. Das schafft Vertrauen der Marktteilnehmer in die Kompatibilität. Die Komponenten sind modular. Und das bietet etliche Vorteile: Wahlfreiheit der Anwender in Bezug auf Hersteller, eine besondere Auswahl für bestimmte Industrie-Marktsegmente, einen frei wählbaren Investitions- und Installationszeitpunkt sowie einfache Upgrades. Die Bereitstellung der einsatzkritischen Dienste (MCx) über den MCx-Server (Anwendungsschicht) ist kompatibel mit dem 5G-Kernnetz („Core“). Diese Dienste können auch in Verbindung mit Bestandssystemen genutzt werden.
Kopplung über Interworking Function
Dabei wird die „Interworking Function“ (IWF) zur Anbindung an Kommunikations-Bestandssysteme definiert und erfüllt als standardisierte und damit interoperable Brückentechnologie eine Anforderung, die für die Mehrzahl der PMR-Anwender essenziell ist: die schrittweise Migration von PMR-Bestandssystemen in ein 5G-Netz mit MCx-Diensten. Der Leistungsumfang dieser Interkonnektivität über IWF entspricht in etwa dem der MCx-Dienste-Definition. Der Netzübergang verfügt auf Basis von Standard-TCP/IP über eine hohe Skalierbarkeit und bei Bedarf auch über eine hohe Verfügbarkeit. Die IWF ist unmittelbar mit dem MCx-Server verbunden. Zu erwarten und auch wirtschaftlich sinnvoll ist eine langfristige Koexistenz von 5G und den PMR-Bestandssystemen weit über das Jahr 2030 hinaus. Aus diesem Grunde hat sich die 3GPP auch entschieden, diese Schnittstelle zu standardisieren. Einsatzkritische Dienste – insbesondere Sprachdienste – sind seit Jahrzehnten in Behörden und Unternehmen fest verankert. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Nutzung von Schmalband-Funksystemen dort bis auf Weiteres Bestand haben wird.
Insbesondere wenn einsatzkritische Sprachdienste und MCx-Komponenten zunächst nicht im Fokus von 5G-Investitionen stehen, werden 5G-Systeme und Schmalband-Funksysteme auf längere Sicht koexistieren. Diese sind aber zur Steigerung von Effizienz und Sicherheit miteinander verbunden. Tragen diese Eigenschaften zu einem Investitionsschutz bei?
Investitionsschutz für Betreiber von PMR-Bestandssystemen
Setzt der Anwender bereits PMR-Bestandssysteme ein, so können 5G-Produkte und -Lösungen einsatzkritische Sprach- und Datendienste über den MCx-Server bereitstellen. Schon allein die Nutzung von MCx-Datendiensten macht für viele Anwendungsfälle Sinn und steigert die Effizienz. Die Investition in MCx-Dienste muss nicht mit anderen 5G-Investitionen zeitlich synchron erfolgen. Dies gilt zumindest solange, wie vorhandene Schmalband-Funksysteme weiter genutzt werden können. Für den Fall aber, dass Schmalband-Funksysteme nicht oder nicht mehr vorhanden sind, können MCx-Dienste deren Leistungsmerkmale bereitstellen. Aufgrund der Nutzung der IWF und Brückentechnologien ist die Investition in einsatzkritische Sprach- und Datenkommunikation zeitlich und kostenseitig entkoppelt. Darüber hinaus existieren bereits seit etlichen Jahren sogenannte Push-To-Talk-over-Cellular-Lösungen (PoC). Hierbei orientieren sich die Funktionen an PMR-Standards und übertragen die Daten typischerweise über LTE des öffentlichen Mobilfunks und zusätzlich WLAN.
Zum marktüblichen Funktionsumfang gehören PTT-Gruppenrufe und Individualrufe, Prioritäts- und Notrufe, Text- und Datennachrichten und in der Regel auch Positionsdaten-Übertragung. Als weitere mögliche Brückentechnologie kommen Hybrid-Endgeräte in Betracht. Ein offensichtlicher Vorteil des Einsatzes von Hybrid-Endgeräten ist die nahtlose Kommunikation über mehrere Funkmedien hinweg – mit nur einem Device – von Schmalband-Technologien wie TETRA oder DMR bis zu LTE/4G und WLAN. Diese Funkgeräte bieten also einen homogenen Funktionsumfang an PMR-Diensten einem ebenso homogenen PMR-Nutzerkreis und die Möglichkeit für branchenspezifische Apps.
Das Leistungsspektrum der Dienstleistungen
Planung und Realisierung von Migrationsszenarien können also einen wesentlichen Anteil an 5G- und MCx-Lösungen haben. Fundierte Kenntnisse der schon zuvor verwendeten Schmalband-Technologien und das Wissen um die Anforderungsprofile von PMR-Kommunikation sind bei der Migration ausgesprochen hilfreich. Aus Sicht des Anbieters geht es nicht nur darum, den PMR-Anwendergruppen schlüsselfertige Lösungen für kritische Kommunikation mit MCx in 5G zu übergeben. Es geht vielmehr auch darum, den Anwendern über die komplette Lebensdauer dieser Investition mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Erst Planung, Beratung und Unterstützung bei der Implementierung und in der Betriebsphase sowie die begleitende Optimierung über die gesamte Lebensdauer machen eine MCx- oder 5G-Lösung zu einer optimalen Investition für die Anwenderorganisation.
Brücke von Schmalband zu Breitband auch in der einsatzkritischen Kommunikation
Der 5G-Standard ermöglicht nicht nur populäre Anwendungen wie Internet-of-Things (IoT), drahtlose Prozesskommunikation bzw. Maschinenkommunikation. Er adressiert gleichfalls die einsatzkritische Kommunikation. Die künftigen Versionen des 5G-Standards beinhalten alle wesentlichen Leistungsmerkmale des traditionellen Betriebs- und Behördenfunks. Diese Dienste werden durch modulare Komponenten bereitgestellt. Sie nutzen dabei definierte und interoperable Schnittstellen zum 5G-Netz. Die 3GPP-Roadmap zeigt: Die Umsetzung dieser Dienste und der Interoperabilität in 5G schreitet voran. Der Einsatz der IWF und verschiedener Brückentechnologien können einen wesentlichen Beitrag leisten, bestehende Investitionen in TETRA oder DMR maximal auszuschöpfen. Die im Rahmen der LTE/4G/5G-Standardisierung entwickelten MCx Sprach- und Datendienste erschließen zahlreiche neue Möglichkeiten inklusive einer Brücke von Schmalband zu Breitband.
Crisis Prevention 3/2022
Thomas Conrath
Mitglied des PMeV