Bodycams werden Standard

Einführung körpernah getragener Aufnahmegeräte

Thomas Fürst

Wiki Commons

Innenminister Reul (NRW): „Die Kameras können kritische Situationen im Streifendienst entschärfen. Und das schützt die Polizistinnen und Polizisten direkt vor Übergriffen.“ 1  Die nordrhein-westfälische Polizei führt flächendeckend Bodycams ein. Die Kameras sind Teil einer Modernisierungsoffensive des Innenministeriums. Zu dieser Offensive zählen ebenfalls neue Streifenwagen und Smartphones für die persönliche Ausstattung der Polizistinnen und Polizisten. 

„Neue Technik anzuschaffen, ist viel komplexer als früher. Denn überall spielt mittlerweile IT eine entscheidende Rolle. Es reicht heute nicht mehr, Polizistinnen und Polizisten auf die Straße zu bringen, damit allein ist Innere Sicherheit schon lange nicht mehr zu gewährleisten. Wir wollen eine moderne Polizei, die mit der globalen, digitalen Entwicklung Schritt hält“, so der Minister.

Tatsächlich hat schon der Amtsvorgänger Ralf Jäger (SPD) im April 2017 ein Pilotprojekt gestartet. Der Grund dafür, dass ­„…körpernah getragene Aufnahmegeräte…“ (Bodycams) erprobt werden sollten, war die steigende Zahl von Pöbeleien und Gewalt gegen Beamte in Nordrhein-Westfalen. „Wir wollen herausfinden, ob die Übergriffe auf Beamte durch den Einsatz der Bodycams abnehmen“, sagte Jäger zum Auftakt. 2

In Düsseldorf, Duisburg, Köln, Wuppertal und Siegen-Wittgenstein wurden die Polizeibehörden ab Mai 2017 mit insgesamt 200 hochauflösenden Bodycams ausgestattet. Am Testlauf haben etwa 400 Polizistinnen und Polizisten teilgenommen. Die Gewerkschaft der Polizei begrüßte das Vorhaben.

Der Sachstand in Deutschland im Überblick

Vier Bundesländer setzen Bodycams bereits ein, zum Teil nur in ausgewählten Städten (Hessen, Rheinland-Pfalz, Hamburg, Saarland). Die anderen Bundesländer und die Bundespolizei sind an unterschiedlicher Stelle in einem Umsetzungsprozess politischer Entscheidungen (z.B. Koalitionsverträge) oder schon in Pilot- und Erprobungsphasen. Daher ist die Überschrift des Artikels hinsichtlich einer Standardisierung dieses Einsatzmittels jedenfalls treffend.

Hier eine Bodycam des Herstellers Axon, die in Baden-Württemberg verwendet...
Hier eine Bodycam des Herstellers Axon, die in Baden-Württemberg verwendet wird.
Quelle: Wiki Commons

Nordrhein-Westfalen im Besonderen

Bis Ende 2020 möchte das Land NRW insgesamt etwa 9 000 Bodycams anschaffen, die vorrangig im Streifendienst (und dem erweiterten Wachdienst, z.B. Einsatztrupps oder Kradgruppen) deeskalierend wirken sollen. Die Geräte werden an der Uniform selbst oder an neuen Außentragehüllen (Funktionswesten) befestigt und sollen auf Knopfdruck Einsatzsituationen aufzeichnen.

Die Ermächtigung zum Einsatz der Bodycams findet ihre rechtliche Grundlage in § 15c Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW, Stand vom 31.10.2019, recht.nrw.de).

Die geringste Hürde für eine offene Bild- und Tonaufzeichnung heikler Einsatzsituationen ist eine Erforderlichkeitsprüfung zum Schutz von Polizeibeamtinnen und –beamten oder Dritten gegen eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben. Das ist keine geringe Anforderung. Hier reicht ein polizeiliches Erfahrungswissen im Vorfeld von regelmäßig belasteten Konfliktsituationen nicht aus. Das aktuelle Tatsachengeschehen im Einsatzverlauf ist entscheidend. Eine konkrete Gefahr bedeutet zudem, dass aufgrund der Gesamtumstände in Bezug auf Ort, Zeit, Personen, Verhalten im Einzelfall ein Schadeneintritt wahrscheinlich ist. 3 Hier darf der Polizist, der die Kamera mitführt, über das Einschalten der Aufnahme entscheiden.

In der nächsten Prüfstufe, zum Einsatz der Bodycams in Wohnungen 4, ist mindestens das Vorliegen einer dringenden Gefahr, die zudem auch noch für besonders wichtige Rechtsgüter drohen muss, gefordert. Hier muss nach hinreichender Wahrscheinlichkeit in allernächster Zukunft der Schadenseintritt bevorstehen, also mit besonderer Betonung einer zeitlichen Komponente 5. Außer bei Gefahr im Verzug muss nun sogar der polizeiliche Einsatzleiter über die Aufzeichnung in Wohnungen entscheiden.

Neben eindeutigen Speicherungs- und Löschungsregelungen enthält die Rechtsnorm folgerichtig auch eindeutige Aussagen zum Kernbereichsschutz privater Lebensgestaltung, die sich auf keiner polizeilichen Aufzeichnung finden lassen dürfen.

Der Einsatz der Aufnahmegeräte ist erkennbar zu machen und, außer in unmittelbarer Gefahr (Gefahr im Verzug), den betroffenen Personen mitzuteilen. Das wird im weiteren Verlauf des Artikels noch einmal zur Sprache kommen.

Rollen und Rechte

Die Aufnahmen der Bodycams werden in den Dienststellen auf ortsfeste Rechner übertragen und dabei von den Kameras gelöscht. Die Daten bleiben für vierzehn Tage auf dem Rechner gesichert und können zur Gefahrenabwehr oder zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten genutzt werden.

Minister Reul: „Wenn wir die Polizei in Nordrhein-Westfalen mit Bodycams ausstatten, dann brauchen wir auch moderne Rechner und neue Software, um die Bilder zu verwerten. Das alles muss außerdem den höchsten Sicherheitsstandards des Datenschutzes entsprechen. 6

Jeder in die Tiefen des IT-Grundschutzes und in die Anforderungen des BSI7 Eingeweihte weiß, welche Dimensionen dieser Teil der Einführung von Bodycams in der alltäglichen Wirklichkeit einer Behörde hat.

Ob es tatsächlich verhindert werden kann, dass polizeiliche Einsatzvideos irgendwann in sozialen Netzwerken kursieren, hält der Autor schon durch die Verabschiedung des Informationsfreiheitsgesetzes NRW für unwahrscheinlich. Der richtige Ansatz, „…die Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf das Handeln staatlicher Organe dadurch zu optimieren, dass ihnen eine verbesserte Argumentationsgrundlage an die Hand gegeben wird. Transparenz staatlichen Handelns und das Ziel einer bürgerschaftlichen Gestaltung des Gemeinwesens setzen voraus, dass die zur Verfügung gestellten Informationen möglichst originär, direkt und unverfälscht sind…“ 8, wird einer missbräuchlichen Verbreitung nicht immer im Wege stehen.

Wissenschaftliche Begleitung und Diskurs

Alle großen Projekte sind gut beraten, sich einer fundierten wissen­schaftlichen Begleitung zu versichern. In NRW erfolgte die ­Begleitung durch das Institut für Polizei- und Kriminalwissenschaften (IPK) der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (FHöV NRW) im Auftrag des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD NRW), der verlängerten Werkbank des Innenministeriums.

Das Pilotprojekt endete mit Punktlandung im April dieses Jahres. In seinem, noch nicht in Gänze veröffentlichten, Ergebnis wurde zumindest ein deeskalatives Wirkpotential für Polizeieinsätze bestätigt.

Das Ministerium hat es sich allerdings nicht nehmen lassen, die flächendeckende Einführung der Bodycams anzuschieben, noch während die Pilotphase lief. Zu eindeutig waren schon die erkennbaren Tendenzen aus der wissenschaftlichen Begleitung und die umfangreichen Erkenntnisse aus weltweiten Einsatzerfahrungen und themengleichen Studien.

Trotzdem hört die öffentliche Diskussion über das Für und Wider dieses (in Deutschland) neuen Einsatzmittels noch nicht auf. Die Langzeitfolgen sind sowohl für die Befürworter als auch für die Gegner noch nicht absehbar.

Am 21.02.2017 referierte der Chef der Londoner Polizei, Superintendent Adrian Hutchinson, in Berlin zur Thematik „Body-Worn-­Cameras“. 9 2016 hatte er 22 000 Kameras für seine Bobbies angeschafft.

Die Zahl der Beschwerden gegen Polizisten sei deutlich zurückgegangen. Hutchinson augenzwinkernd: „Viele meiner Beamten sagen mir: Nein, das hat natürlich nichts geändert an der Art, wie ich mit Bürgern umgehe. Aber dann fügen sie hinzu: Es hat etwas geändert an der Art, wie einige meiner Kollegen mit ­Bürgern umgehen.“ Und weiter: „Wenn es stimmt, dass der Kontrolldruck durch Kameras so stark ist, wie Bürgerrechtler immer behaupten…“ (hier zielt Hutchinson auf Kritik an Videoüberwachung im öffentlichen Raum ab) „…dann können sie, die eine bessere Kontrolle der Polizei wünschen, doch gegen diese Body-Worn-­Cameras nichts einzuwenden haben?“

Die Bundespolizei hat in mehreren Feldversuchen Bodycams eingesetzt.
Die Bundespolizei hat in mehreren Feldversuchen Bodycams eingesetzt. Bis 2020 sollen fast alle Dienststellen ausgerüstet werden.
Quelle: Wiki Commons

Einige internationale Erkenntnisse

In Ergänzung zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Begleitung der Pilotphase in NRW durch das IPK soll nicht verschwiegen werden, dass es neben einer tendenziell deeskalierenden Wirkung der Bodycams auch noch andere Ergebnisse gibt.

„Cooling down potentially volatile police-public interactions“ gelingt in den meisten Fällen, in denen die Aufzeichnung der Situation dauerhaft (ständig laufende Aufzeichnung) geschieht und durch den Officer sofort mitgeteilt wird. In Fällen, in denen die Kamera erst an einer bestimmten Stelle der eskalativen Situation eingeschaltet wird, ist eine Steigerung von Übergriffen zu beobachten. „This can be taken as an escalation of the situation by both officer and suspect.” 10

Wenn die Polizei die Kamera an- und ausschalten konnte, nahmen Situationen mit Gewaltanwendung um 73% zu. Wenn die Kamera während der gesamten Schicht lief, nahm die Notwendigkeit der Anwendung von Gewalt um 36% ab.

Der Einsatz von Bodycams bei Personen, die stark unter dem Enfluss berauschender Mittel stehen oder sich in einem Zustand außerhalb der freien Willensbestimmung oder in hilfloser Lage befinden, hat kaum erkennbare Auswirkungen auf einen Einsatzverlauf. In größeren, urbanen Polizeibezirken mit hoher Kriminalitätsbelastung sind die deeskalierenden Wirkungen der Bodycams geringer als in ländlicher Umgebung mit geringer Belastung. „Wearing body cameras increases assaults against officers and does not reduce police use of force.” 11

Die Frage der Vergleichbarkeit

Einige der internationalen Untersuchungen über die Wirkung von Bodycams gehen tatsächlich von anderen Ausgangssituationen und gesellschaftlichen Bewertungen aus und sind somit tatsächlich nur bedingt mit Deutschland zu vergleichen.

Beispielhaft soll hier der größte perspektivische Unterschied zur Einführung dieses Einsatzmittels genannt werden.

Im amerikanischen Raum wurden Bodycams hauptsächlich zur Überwachung der Polizei hinsichtlich ungerechtfertigter Gewalt­anwendung und Machtmissbrauch eingeführt. Die Bodycams sollen die Polizeibeamten kontrollieren und zu rechtskonformen Maßnahmen anhalten. Beschwerdeaufkommen soll zugunsten einer Bürgerpolizei verringert werden. Hier liegt eine eindeutige Misstrauenskultur gegenüber Angehörigen der Polizei zugrunde.

Nach dem Standard Eurobarometer der Europäischen Kommission haben aber 83% der Deutschen auf Befragung, Vertrauen in die Polizei (!). Das ist trotz eines leichten Rückgangs zum Herbst 2018 immer noch ein sehr hoher Wert. 12

Daher rührt die primäre Zielrichtung in Deutschland, Gewalt und Übergriffe auf Polizeibeamte zu reduzieren. Das Einsatzmittel wird in eine Vertrauenskultur implementiert. Die Bodycam soll möglichst das bestehende Vertrauen der Bevölkerung in ihre Polizei nicht belasten. Das spricht eindeutig mehr für die bislang erkannten deeskalativen Tendenzen.



Quellen

1. Pressemitteilung IM NRW, 25.09.2019

2. Wie die Polizei mit Bodycams Gewalt verhindern will, SZ.de, 14.04.2017

3.  Tegtmeyer/Vahle, 11. überarbeitete Auflage 2014, § 8 Rdn. 8

4. Wohnungsbegriff analog zu § 41 (1) Satz 2 PolG NRW (und dazu auch Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, Auflage 2016, Artikel 13 GG, Rdn. 4,5)

5.  Gornig in: Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, 6. Auflage, Artikel 13 Absatz 7, Rdn. 159

6. s. o. zu 1 a.a.O.

7. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik

8. https://www.im.nrw/themen/buergerbeteiligung-wahlen/informations-freiheit 

9. 20. Europäischer Polizeikongress, 21.- 22.02.2017, bcc Berlin Congress Center

10.  University of Cambridge, Research, cam.ac.uk, September 2016

11. European Journal of Criminology, Results from a global multi-site experiment, Barak Ariel, Alex Sutherland, et al., May 2016

12.  Statista Research Department, 19.08.2019 



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