Klimawandel: Führungssysteme in extremen Lagen

Jan Luca Schadt, Francesca Müller, Frank Fiedrich


Zusammenstellung der Fotos von Mick Haupt und Karsten Winegeart (Unsplash) sowie Michal Dziekonski und Hans (PixaBay)

Der Klimawandel stellt die Feuerwehren und den Katastrophenschutz vor neue Herausforderungen. Zunehmende extreme Lagen wie Überschwemmungen, Waldbrände und Stürme in nie dagewesener Häufigkeit und Schwere stellen uns vor neue Herausforderungen. Neben neuen Techniken und Taktiken ist auch ein gut funktionierendes ­Führungssystem von enormer Bedeutung. Dabei ist ein Punkt besonders entscheidend: Das Führungssystem muss in extremen Lagen für freiwillige Kräfte unkompliziert anwendbar sein.

Für das Aufstellen eines gut anwendbaren Führungssystems sollten zunächst die Rollen der Freiwilligen Feuerwehren im Kata­strophenschutz und bei extremen Lagen bekannt sein. Zudem hilft immer der sogenannte Blick über den Tellerrand. Es macht Sinn von den Erfahrungen anderer Organisationen mit unterschiedlichen, wenn auch doch meist ähnlichen Systemen zu lernen. Um das Rad nicht neu erfinden zu müssen, ist als Ergänzung der beiden vorgehenden Punkte immer ein Blick in die eigene Umgebung zu empfehlen. Welche Systeme haben andere Feuerwehren etabliert und bereits erprobt? Welche Probleme sind dabei entstanden und welche Möglichkeiten gibt es? Schluss­endlich mündet dieser Weg vielleicht in einer eigenen Idee, die Teil eines Führungssystems werden kann.

Die Rolle der Freiwilligen Feuerwehren

Die personelle Stärke und die flächendeckende Anordnung machen unter anderem die Freiwilligen Feuerwehren (FF) in Deutschland zu den Hauptagierenden in extremen Lagen. Während die strategische Führung in solchen Fällen zwar dem Kreis oder einer Berufsfeuerwehr zukommen kann, dürfen die Führungsaufgaben der einzelnen FFs jedoch nicht unterschlagen werden. Bei lang­andauernden und großflächigen Einsätzen werden auch FFs in Zugstärke mit Themen wie Personalmanagement, Versorgung, Priorisierung der Einsatzschwerpunkte und Kommunikation – mit anderen Organisationen oder der Bevölkerung – konfrontiert. Um diese Führungsaufgaben bewältigen zu können, wäre ein Stab oder Rumpfstab geeignet. Allerdings ist das auf dieser Ebene in der Regel nicht so einfach abbildbar. Jedoch kann ein Führungssystem, welches auf stabsmäßigem Arbeiten basiert, hier bei der Bewältigung der Aufgaben helfen.

Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk als Vorbild

Wenn wir uns in der Welt der Hilfsorganisationen umschauen, entdecken wir recht schnell, dass es bereits eine Organisation gibt, die sich auf langanhaltende und großflächige Einsätze vorbereitet. Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) ist deutschlandweit organisiert und strukturiert. Einige Aspekte aus der THW-Dienstvorschrift 1-100 können die Feuerwehren für ihre Zwecke direkt übernehmen. Beispielsweise kann zum Erhalt der Einsatzbereitschaft die schematische Darstellung der Einsatzbereitschaft nach THW-DV als Unterstützung dienen. Gleichfalls ergibt eine Betrachtung des Alarmierungssystems zur Alarmierung relevanter Beteiligter (also nicht nur der Feuerwehr) durchaus auf regionaler Ebene Sinn. Hierbei kann ebenfalls die Darstellung nach THW-DV unterstützend wirken.

Etablierte Systeme, Möglichkeiten
und Probleme

Im Zuge einer Bachelorthesis (Schadt, 2023) wurden verschiedene Fachkräfte aus unterschiedlichen Regionen mithilfe von leitfadengestützten Interviews befragt. Die Interviews sollten drei wesentliche Fragestellungen beantworten:

1. Welche Führungssysteme für extreme Lagen befinden sich bereits in Anwendung?

2. Welche Schwierigkeiten können dabei auftreten?

3. Welche Aspekte können bei der Gestaltung eines solchen ­Führungssystems berücksichtigt werden?

Ein bereits etabliertes System ist der Meldekopf oder auch Unwetter­meldekopf in Teilen Nordrhein-Westfalens. Hierbei richten alle betroffenen Feuerwehren, die einer Leitstelle unterstehen, einen sogenannten Meldekopf ein. Dieser Meldekopf ist nicht als reine Kommunikationszentrale zu verstehen. Dem Meldekopf werden von der Leitstelle Unwettereinsätze übertragen. Daran anschließend ist dieser für die Abarbeitung der Unwettereinsätze zuständig. Einsätze werden priorisiert und Kräfte werden selbstständig eingeteilt. Dabei entsteht in manchen Feuerwehren bereits eine verkleinerte Form eines Stabes. Im Prinzip handelt es sich beim Meldekopfsystem um eigenständig arbeitende Einsatzabschnitte. Einsätze, welche den Grundschutz betreffen, also beispielsweise mit Menschenleben in direkter Gefahr, werden von der Leitstelle direkt mit einer standardmäßigen Alarmierung bearbeitet.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgen die Abschnittsführungsstellen (AFüSt) des Kreises Lindau am Bodensee. Hierbei handelt es sich um regional verteilte kleinere Einsatzzentralen, welche im Bedarfsfall von freiwilligen Kräften besetzt werden. Jede AFüSt hat ca. zehn Feuerwehren unter sich gestellt. Hierbei handelt es sich meist um Feuerwehren mit maximal einer Zugstärke. Die AFüSt können je nach Bedarf parallel oder auch einzeln arbeiten. Auch hier werden Einsätze von der Leitstelle zugeteilt. Anschließend müssen diese innerhalb der AFüSt priorisiert und sinnvoll an die Feuerwehren verteilt werden.

Trotz der regionalen Unabhängigkeit finden sich in beiden Systemen folgende Ähnlichkeiten: Es handelt sich um eine besondere Aufbauorganisation (BAO), welche parallel zur allgemeinen Aufbauorganisation existiert. Diese BAO beschäftigt sich nur mit den Einsätzen der besonderen Lage, während die allgemeine Aufbauorganisation den Grundschutz ähnlich wie im Normalbetrieb sicherstellt. Eine weitere Ähnlichkeit ist das Führen von möglichst kleinen Einheiten, wobei Aufträge von höherer Stelle zugeführt werden.

Führt man diese Idee weiter, so kann man in jedem Feuerwehrgerätehaus einen eigenen Einsatzabschnitt bilden. Zeitunkritische Einsätze werden an diese Einsatzabschnitte zur Bearbeitung und eigenständigen Abarbeitung weitergeleitet. Zeitkritische Einsätze und Einsätze mit weiträumigem Organisationsaufwand wiederum werden von höherer Stelle bearbeitet. Auch dieses System befindet sich bereits vereinzelt in praktischer Anwendung. Bei dieser Art Führungsorganisation gilt es jedoch zu beachten, dass jedes Gerätehaus mit entsprechend ausgebildetem Personal und den nötigen Führungsmitteln ausgestattet sein muss. Andererseits ergibt sich ein enormer Vorteil: Diese Führungsorganisation ­korreliert nahezu perfekt mit dem Leuchtturmprinzip. Beim Leuchtturmprinzip wird jedes Gerätehaus mit einer gesicherten Kommunikationsverbindung zur Leitstelle und ggf. auch Vorräten und Notfall-Verbrauchsgütern ausgestattet. Im Falle eines Blackouts dienen die Gerätehäuser als Anlaufstelle für die Bevölkerung. Einsätze können aufgenommen und entweder eigenständig bearbeitet oder weitergeleitet werden. Zudem können erste Versorgungsmaßnahmen (Trinken, Nahrung, Hygiene, Notfallmedizin, ...) über das Gerätehaus abgewickelt werden. Voraussetzung dafür ist ein im Bedarfsfall allzeit besetztes und entsprechend ausgestattetes Gerätehaus.

Hierbei stellt sich die Frage, welches System nun am besten ist und welches am ehesten Anwendung finden sollte. Diese Frage kann leider nicht pauschal beantwortet werden. Das System sollte immer auf die jeweilige Feuerwehr zugeschnitten sein. So gesehen sollte jede Wehr ihr eigenes System entwickeln, so dass diese selbst am besten damit arbeiten kann. Das darf auch nicht als einmaliger Aufwand verstanden werden, sondern als stetiger Prozess. Es handelt sich auch hierbei um einen immer wiederkehrenden Kreislauf, welcher regelmäßige Analysen, Verbesserungen und Änderungen benötigt. Der Zuschnitt des Systems auf die Wehr bedingt eine problemarme Nutzung aber auch eine gewisse Individualität. Bei der Gestaltung eines solchen Systems ist nicht außer Acht zu lassen, dass immer eine Kompatibilität mit den übergeordneten, ggf. den untergeordneten und natürlich den benachbarten Stellen gewährleistet sein muss. Die Vereinbarung dieser Notwendigkeit der Individualität mit der ständigen Forderung der Vereinheitlichung der Feuerwehren ist schwierig. Die Individualität ist vor allem in den unteren Führungsebenen von Bedeutung. Hier unterscheiden sich personelle Stärken und verfügbare Mittel so stark unter den einzelnen Feuerwehren, dass kein einheitliches System etabliert werden kann. Vereinheitlichung hingegen ist vor allem in den höheren Führungsebenen von Bedeutung. Hier müssen verschiedene Regionen und Behörden zusammenarbeiten. Abbildung 1 verdeutlicht dieses Prinzip. Mit Höhe der Führungsebene nimmt die Individualität ab und es steigt die Vereinheitlichung.

Abb. 1: Darstellung des Zusammenhangs zwischen Höhe der Führungs­ebene und...
Abb. 1: Darstellung des Zusammenhangs zwischen Höhe der Führungs­ebene und Individualität sowie Vereinheitlichung des Führungssystems
Quelle: eigene Darstellung

Eine erweiterte Führungssystemarchitektur als Ergänzung der FwDV 1oo

Verschiedene Fachkräfte haben im Rahmen der durchgeführten Interviews darauf hingewiesen, dass das Führungssystem ergänzt werden sollte. Das aktuelle Führungssystem nach FwDV 100 besteht aus den Bereichen (1) Führungsorganisation, (2) dem Führungsvorgang und (3) den Führungsmitteln. Eine Ergänzung dieses klassischen dreiteiligen Aufbaus durch die Bereiche „Personal“ und „Schnittstellen“ verdeutlicht die Wichtigkeit dieser in einem Führungssystem. Wie in Abbildung 2 dargestellt, besteht das ergänzte Führungssystem aus dem zentral gelegenen Teil, welcher den klassischen Punkten nach FwDV 100 entspricht. Mit der Führungsorganisation, dem Führungsvorgang und den Führungsmitteln ist dieser zentrale Teil nicht wegzudenken. Zudem lässt die FwDV 100 in dieser Hinsicht keinen Spielraum. Der zentrale Teil ist ein Pflichtteil für jedes Führungssystem.

Das Personal ist ein essenzieller Bestandteil eines jeden Führungssystems. Es muss nicht nur betrachtet werden, wer führt, auch die Führungsausbildung und das Üben des Personals ist wichtig. Hierbei ist man nicht alleinig auf große Stabsrahmenübungen angewiesen. Auch kleine Übungen, Anwendungsübungen oder das alleinige probeweise Herstellen der Führungsfähigkeit können zu großem Erfolg führen. Zusätzlich sollten auch große Übungen regelmäßig stattfinden. Im Zuge des Bereichs „Personal“ sollten auch Punkte wie das Alarmierungssystem und die Einsatzbereitschaft betrachtet werden. Hierzu wird auf die DV 100 des THWs verwiesen.

Ziel bei der Planung des Personals sollte immer eine „verwendungsnahe Verwendung“ sein. Damit ist gemeint, dass Personen so im Führungssystem eingeplant werden sollen, dass die Verwendung im Einsatzfall möglichst nah an der alltäglichen Verwendung ist. So sollte beispielsweise der Funk-Beauftragte bei entsprechender Ausbildung die Funktion des S6 übernehmen.

Abb. 2: Darstellung einer erweiterten Führungssystemarchitektur unter...
Abb. 2: Darstellung einer erweiterten Führungssystemarchitektur unter Einbeziehung von Führungsorganisation, Führungsvorgang und Führungsmitteln gemäß FwDV 100
Quelle: eigene Darstellung

Schnittstellen sind vielseitiger Natur. Da ein Führungssystem mit der Außenwelt interagieren soll, sind Schnittstellen grundsätzlich unvermeidbar. In extremen Lagen nimmt die Wichtigkeit dieser zu. Die Schnittstellen als eigenen Bereich eines Führungssystems zu betrachten, führt zu einer Verdeutlichung der Wichtigkeit. Zudem sind eigene Schnittstellen-Organisationen, ggf. eigene Schnittstellen-Abläufe und eigene Mittel zum Schnittstellenmanagement nötig, was eine Einordnung in das klassische dreiteilige System erschwert.

Abbildung 3 versucht die Vielseitigkeit der Schnittstellen einzufangen. Werden Führungssysteme, und somit auch die Schnittstellen, auf verschiedenen Ebenen betrachtet, fällt eine gewisse Komplexität auf. Während die Schnittstelle „Bevölkerung“ auf einer hohen Ebene beispielsweise eine Warnung, eine Pressemitteilung oder die Annahme von Notrufen bedeutet, muss sich auf Gerätehaus-Ebene dieser Abschnitt beispielsweise mit der Aufnahme von Einsätzen oder der Betreuung der Bevölkerung beschäftigen. Im Rahmen des Führungssystems geht es neben der direkten Anwendung aber auch um die Vorbereitung. So wie eine Führungsorganisation, ein Führungsvorgang und ­Führungsmittel vorbereitet, geübt und ausgebildet sein sollten, sollten auch Schnittstellen vorbereitet, geübt und ausgebildet sein.

Abb. 3: Darstellung potenzieller Schnittstellen der erweiterten...
Abb. 3: Darstellung potenzieller Schnittstellen der erweiterten Führungssystemarchitektur
Quelle: eigene Darstellung

Zusammenfassender Abschluss

Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen: Wo die Feuerwehren noch in Entwicklungs- oder Probephasen für gewisse Systeme stecken, haben andere Organisationen schon reichlich Erfahrung sammeln können. Ein Blick über den Tellerrand bezüglich der Führungssysteme kann nur Vorteile bringen. Der ­Flickenteppich der Führungssysteme in der Feuerwehr bietet neben den bekannten Problemen der Uneinheitlichkeit auch viele Möglichkeiten. Unterschiedliche Herangehensweisen führen doch meist zum selben Ergebnis. Wo eine Vereinheitlichung auf höheren Ebenen im Sinne der Zusammenarbeit immer wichtiger wird, ist die Diversifikation auf den unteren Ebenen das Ergebnis vieler ­Systeme, welche auf die jeweiligen Stärken und Möglichkeiten einzelner Wehren zugeschnitten sind. Zur Vor­bereitung auf extreme Lagen muss auf allen Ebenen ein stabiles Führungssystem ­etabliert werden. Um dies zu bewerkstelligen, kann, basierend auf den durchgeführten Interviews, auch über eine Ergänzung des klassischen dreiteiligen Führungssystems mit den Punkten „Personal“ und „Schnittstellen“ nachgedacht werden. 



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