Für Feuerwehrleute gibt es nicht nur akute Gefahren im Einsatz. Auch mittel- und langfristig bringt die Aufgabe Belastungen für die Gesundheit mit sich. Die Risiken lassen sich jedoch reduzieren: durch Schutzausrüstung auf der einen Seite sowie Verhaltensweisen auf der anderen. Hier lesen Sie ein Interview mit Marcus Bätge, Geschäftsführer der FeuerKrebs gUG, Gesellschaft zur Förderung und nachhaltigen Verbesserung der Gesundheits- und Arbeitsbedingungen von Feuerwehrleuten.
Herr Bätge, wann haben Sie zum ersten Mal vom „Feuerkrebs“ gehört und was hat dazu geführt, dass Sie sich dieses Themas angenommen haben?
MARCUS BÄTGE: Bei einer Vorstandssitzung des Berufsverbands Feuerwehr im Mai 2014 berichtete ein Kollege von einem erhöhten Krebsrisiko und dass sich immer mehr internationale Feuerwehren damit befassen. Das hat mich neugierig gemacht. Außerdem hatte mein Vater Schilddrüsenkrebs überlebt. Er hat zwar nichts mit der Feuerwehr zu tun, aber daher wusste ich, wie man sich mit so einer Diagnose fühlt und was sich dadurch schlagartig ändert. Ich bin dann auf Einladung der European Fire Fighters Unions Alliance zum 3. Weltweiten Seminar für berufsbedingte Krebserkrankungen bei Feuerwehrleuten nach Norwegen gefahren.
Welche Botschaft haben Sie von dort mitgenommen?
MB: Hier haben wir Informationen bekommen, die vermuten ließen: Das wird auch in Deutschland ein Thema werden. Denn: Es sind nicht nur Herzkreislauferkrankungen und posttraumatische Belastungsstörungen, die uns im Feuerwehreinsatzdienst treffen können, sondern auch Krebserkrankungen. Aus diesem Treffen in Bergen ist mittlerweile ein riesiges Netzwerk mit Kontakten nach Kanada, Australien und Skandinavien geworden und FeuerKrebs gUG entstanden. Übrigens ist unsere Gesellschaft die einzige dieser Art in Deutschland.
Was genau ist Feuerkrebs?
MB: Anders als noch vor 20 Jahren, als Omas Wohnzimmereinrichtung in Eiche rustikal gebrannt hat, sind es bei den modernen Feuern heute Möbel und Einrichtungsgegenstände, die überwiegend aus Bau- und Kunststoffverbindungen bestehen, die nicht nur ein verändertes Brandverlaufsverhalten besitzen, sondern zusätzlich noch giftiger und krebserregender geworden sind. Dass dadurch um bis zu 30 Prozent erhöhte Krebsrisiko, wird nicht zuletzt von den Medien als Feuerkrebs bezeichnet.
Inwiefern ist das auch als Diagnose anerkannt?
MB: Ein direkter Bezug zur Tätigkeit als Feuerwehrmann oder -frau und somit eine entsprechende Diagnose ist für Betroffene schwer zu beweisen, denn genau wie bei den posttraumatischen Belastungsstörungen ist die Beweisführung, laut Definition für einen Dienstunfall oder das Erwirken eines Anspruchs auf Anerkennung als Berufskrankheit, nahezu unmöglich. Auch weil es bei einem Krebsleiden, vom Ereignis bis zum Auftreten, oftmals mehrere Jahre dauern kann. Der Betroffene muss immer einen kausalen Zusammenhang herstellen. Eine Ausnahme bildet allerdings die Asbestose. Diese kann auch noch 40 Jahre nach dem Arbeiten mit entsprechenden asbest- oder anderen faserförmigen Arbeitsstoffen ausbrechen. Die entsprechende Diagnose bzw. eine direkte konkrete Zuordnung zu speziellen Krebsarten, durch unsere Tätigkeit, gibt es nicht.
Sehen Sie eine Chance, dass sich das ändern wird?
MB: Einen Hoffnungsschimmer gibt es: Bei Haut-, Prostata- und Hodenkrebs oder dem Non-Hodgkin-Lymphom gibt es bereits jetzt den begründeten Verdacht, dass diese durch das Arbeiten mit den so genannten polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) begünstigt werden. Da gibt es einzelne anerkannte Fälle, zum Beispiel bei den Schornsteinfegern.
Sie haben Kontakt zu Angehörigen der Feuerwehr, die von "Feuerkrebs" betroffen sind. Lässt sich rückverfolgen, wo die Betroffenen starken Risikofaktoren ausgesetzt waren?
MB: Das ist richtig. Einige kennen wir mittlerweile auch persönlich. Sie berichten dann von besonderen Einsatzlagen, bei denen sie sich richtig schmutzig gemacht haben und im Nachhinein nicht mehr ausschließen können, dass sie dort auch einiges aufgenommen haben. Vom allgemeinen Tagesgeschäft, mit brennenden Mülleimern, angebranntem Essen im Topf oder dem klassischem Wohnungsbrand ganz zu schweigen – da hat man früher schon mal einiges „weggeatmet“. Wir sind ausgerückt, haben den Einsatz abgearbeitet, und zurück an der Wache haben wir den inneren Dienstbetrieb wieder aufgenommen, ohne uns besondere Gedanken um eine Einsatzhygiene zu machen, eine Kontaminationsverschleppung zu vermeiden oder uns zu duschen. Es wurden zwar Brandberichte gefertigt, jedoch wurde keine namentliche Dokumentation und Auflistung der eingesetzten Kräfte vorgenommen, wie sie schon seit ein paar Jahren nach der Gefahrstoffverordnung gesetzlich bindend ist.
Was sind die wesentlichen Maßnahmen, um die Gefahr von Feuerkrebs zu reduzieren?
MB: In meiner Ausbildung habe ich gelernt, dass man eine Kontamination vermeiden und eine Inkorporation ausschließen soll. Konsequente Einsatzhygiene und Vermeidung von Kontaminationsverschleppung nach dem Einsatz sind da die Stichworte. Frühzeitiges Ablegen oder Wechseln der verschmutzen und noch lange ausdünstenden PSA, Reinigen der Arme, Hände und des Gesichtes bevor ich etwas esse, am besten Duschen oder sogar die Benutzung einer Sauna. Das Referat 10 der vfdb hat dazu ein umfassendes Merkblatt herausgebracht. Durch die Beachtung und Umsetzung der dort empfohlenen Maßnahmen ist bereits viel gewonnen, und es kostet noch nicht einmal viel Geld. Ein weiterer Aspekt ist die Verbesserung unserer Schutz-Ausrüstung durch die Hersteller. Da ist noch Luft nach oben! Und schließlich ist eine mögliche Maßnahme zur Reduzierung die Vorsorgeuntersuchung, also den Krebs früh zu erkennen, bevor er Beschwerden macht.
Wie schwierig ist es, ein Bewusstsein für bessere Einsatzhygiene zu schaffen?
MB: Ein neues Bewusstsein zu wecken und eine Bereitschaft zur Abkehr von alten Gewohnheiten, Traditionen und Verhaltensweisen hinzubekommen, halte ich für die größte Herausforderung. Bis Sprüche wie "Das haben wir schon immer so gemacht!" der Vergangenheit angehören und die nach Brandrauch stinkende Einsatzkleidung und der schmutzige Feuerwehrhelm als Trophäe und Beweis für besonders heldhaften Einsatz aus den Feuerwehrhäusern verbannt werden, haben wir noch viel Arbeit vor uns. Es muss deshalb ein besonderer Fokus auf die Ausbildung unseres Nachwuchses und die Aufklärung und Sensibilisierung älterer Kameradinnen und Kameraden gelegt werden.
Welche Gefahrenquelle ist am wenigsten bekannt?
MB: Wir schützen uns an der Einsatzstelle durch unsere persönliche Schutzausrüstung und umluftunabhängigen Atemschutz. Besonnenes einsatztaktisches Vorgehen reduziert in der Regel das Risiko vor den allgemeinen Gefahren an der Einsatzstelle. Was allerdings die wenigsten wissen ist: Ein Großteil der Stoffe und Partikel ist hautresorptiv, können also über die Poren der Haut in den Körper gelangen.
Wie funktioniert das genau?
MB: Wenn die Körperkerntemperatur aufgrund der Tätigkeiten an der Einsatzstelle steigt, erhöht sich die Schweißproduktion und die Poren weiten sich. Das Schwitzen ist gut, denn somit verhindert diese natürliche Barriere, der Gegendruck des Schweißes, dass die auf der Hautoberfläche befindlichen Stoffe in sie eindringen können. Sinkt die Körpertemperatur nach dem Einsatz, stellt sich auch das Schwitzen ein oder wird verringert. Zu diesem Zeitpunkt sind die Poren nach wie vor geöffnet und die Stoffe gelangen ungehindert, um das bis zu 400-fache, in den Körper und in die Zellen. Je mehr Einsätze, desto höher die Belastungen in den Zellen.
Und da hilft duschen?
MB: Haben Sie schon einmal nach einem Lagerfeuer an Ihren Haaren oder der Kleidung gerochen? Der Geruch von Feuer und Rauch sowie die Partikel auf der Haut sind so penetrant und hartnäckig, dass es oftmals nicht langt, sich nur einmal die Haare oder den Körper zu waschen. Auch bei einer späteren Reinigung fällt auf, dass sich das abfließende Duschwasser dunkel färbt. Die Empfehlung auch hier: Frühzeitiges Duschen nach dem Einsatz, mit kaltem (3 bis 5 Minuten) und anschließend warmen Wasser und Seife (ebenfalls 3 bis 5 Minuten).
Wie weit sind Berufs- und Freiwillige Feuerwehren im Bereich der Prävention von Feuerkrebs heute?
MB: Unabhängig von Berufs- oder Freiwilligen Feuerwehren ist es vielerorts noch nicht angekommen, dass es bei uns ein Problem mit der Einsatzhygiene gibt. Ein Bewusstsein für dieses Thema ist häufig nicht vorhanden, weil die Gefahr eher abstrakt ist und nicht im Zusammenhang zu unserer Tätigkeit gesehen wird. Ein auf der Seite liegender Tankwagen, mit auslaufenden Flüssigkeiten wird vom Gefährdungspotenzial anders wahrgenommen als der Feuerschein eines brennenden Gebäudes. Die Reaktionen der verantwortlichen Personen, die sich damit auseinandersetzen oder Gelder für Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zur Verfügung stellen müssen, sind daher ganz unterschiedlich.
Wir werden noch einige Jahre brauchen, bis es normal wird, "sauber zu arbeiten" und eine nachhaltige Einsatzhygiene umzusetzen.
Wie schätzen Sie die Zahlen von "Feuerkrebs" in Deutschland ein?
MB: Das ist schwer zu sagen. Noch immer ist Krebs bei uns, laut statistischem Bundesamt, nach den Herz-Kreislauferkrankungen Todesursache Nummer zwei. Im Zentrum für Krebsregisterdaten des Robert-Koch-Instituts werden Informationen zu Krebsart, Häufigkeit, Therapieansätzen und den Verläufen gesammelt, analysiert und alle fünf Jahre veröffentlicht. Leider können darüber keine direkten Rückschlüsse auf eine Tätigkeit bei der Feuerwehr gezogen werden. Das bräuchten wir aber dringend, um einen direkten Zusammenhang zum erhöhten Krebsrisiko unserer Einsatzkräfte bestätigt zu bekommen. Auch wenn Betroffene mit ihrer Diagnose Krebs nicht hausieren gehen oder uns die Türen einrennen, wissen wir von rund 250 Fällen.
Das sind alles Fälle, die sich bei Ihnen melden?
MB: Ja, wir sind da noch auf freiwillige Meldungen angewiesen, um das Problem aufzuzeigen. Bei den gut 1,2 Millionen ehrenamtlichen Kräften und einer Gruppe von etwa 55.000 Berufsfeuerwehr-, Werk- und übrigen Feuerwehrleuten erscheint diese Zahl eher klein. Jedoch liegt eine offizielle Zahl mit Sicherheit darüber. Deshalb: Wir brauchen ein Krebsregister für Feuerwehreinsatzkräfte!
Welche Aufgaben haben Sie sich mit der FeuerKrebs gUG gesetzt, und wie finanzieren Sie Ihre Arbeit?
MB: Als Gesellschaft zur Förderung und nachhaltigen Verbesserung der Gesundheits- und Arbeitsbedingungen von Feuerwehrleuten haben wir uns dazu drei Schwerpunkte gesetzt.
- Wir möchten Feuerwehrleute über das Thema aufklären, sensibilisieren und Tipps und Hinweise geben, wie man durch Verhaltens- und Gewohnheitsänderungen ein verbessertes Arbeitsumfeld schafft. Gemeinsam mit Herstellern von Schutzkleidung und Einsatzequipment arbeiten wir daran, dass ihre Produkte einen noch besseren Schutz vor den Gefahren im Einsatz bieten.
- Durch den Aufbau eines Netzwerkes sind wir mittlerweile in der Lage, die neuesten Erkenntnisse und Studien mit unseren Kontakten auf der ganzen Welt zu teilen. Solch ein Netzwerk ist oft auch die einzige Möglichkeit für an Krebs erkrankte, sich untereinander auszutauschen.
- Letztendlich unterstützen wir unsere betroffenen Kolleginnen und Kollegen/Kameradinnen und Kameraden finanziell, psychologisch und juristisch bei der Durchsetzung von Versorgungsansprüchen.
Für alle diese Unternehmungen und Tätigkeiten sind wir auf finanzielle Unterstützung, in Form von Spenden, angewiesen. Offizielle Fördergelder gibt es für unsere Arbeit leider nicht.
Welche Erfahrungen machen Sie mit dem Thema? Wo begegnet man Ihnen offen? Wo eher zurückhaltend?
MB: Unterschiedlich. In der Regel werden wir ja eingeladen, um für eine Wehr auf einem Führungskräfteseminar oder einem Ausschuss zur Planung eines neuen Gerätehauses zu referieren. Das bedeutet, es gibt vor Ort immer jemanden, der sich bereits etwas mit dem Thema auseinandergesetzt hat und mit uns in Kontakt getreten ist, um mit unserer Unterstützung die Kameraden von einem Umdenken zu überzeugen. Skeptiker gibt es immer. Fast überall aber treten wir offene Türen ein, und es gibt häufig Diskussionen über eine Umsetzung von möglichen Konzepten. Manchmal bekommen wir sogar noch Wochen später positive Rückmeldungen zu Veränderungen.
Von welchen Ländern können wir in Sachen Feuerkrebs lernen?
MB: Kanada hat als erstes Land ein Gesetz zur Entschädigung verabschiedet. Hier werden seit 2003 siebzehn Krebsarten als berufsbedingt anerkannt. Je nach Zugehörigkeit zum Einsatzdienst.
Wie werden Sie das Thema auf der INTERSCHUTZ 2020 präsentieren? Mit welchem Ziel kommen Sie nach Hannover?
MB: Ich möchte da gar nicht zu viel verraten. Wir wollen sensibilisieren, ein Bewusstsein für eine nachhaltige Einsatzhygiene schaffen, damit sich Gewohnheiten und Verhaltensweisen ändern. Gleichzeitig wollen wir Verbündete suchen, die uns dabei unterstützen. Außerdem wollen wir das Thema weiter voranbringen. Wir möchten auf die zusätzlichen Gefahren hinweisen, Tipps zur Prävention geben, Gespräche mit Feuerwehrleuten aus sämtlichen Ebenen führen. Gemeinsam mit Herstellern von feuerwehrtechnischem Gerät und Equipment werden wir Lösungen zur Reduzierung einer Kontaminationsverschleppung suchen und vorstellen.
Zum Schluss: Beeinflusst Ihr Befassen mit dem Thema Feuerkrebs die Leidenschaft für Ihren Beruf?
MB: Ich bin seit 40 Jahren eng mit der Feuerwehr verbunden und habe dieses Hobby zu meinem Beruf gemacht. Im Rahmen unserer Aufklärungsvorträge möchten wir ein Bewusstsein wecken und nicht schwarzmalen. Trotz dieser Erkenntnisse liebe ich meinen Beruf und würde mich immer wieder dafür entscheiden.
Crisis Prevention 1/2020
Interview: Katja Wohlers
Das Interview erschien zuerst in "Stories of Interschutz". Wir bedanken uns für die freundliche Abdruckgenehmigung bei der Deutsche Messe in Hannover.