14.10.2021 •

FEUERWEHR UND DIGITALISIERUNG

VERLÄSSLICHE TECHNIK UND VIRTUAL REALITY

Digitalisierung bei der Feuerwehr hilft vor allem in der Einsatzvorbereitung und der Ausbildung. Die Corona-Pandemie und die Überflutungen der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, dass Katastrophen zunächst mit robuster Technik, Erfahrung und Führungspersönlichkeit begegnet werden muss. Aber auch Drohnen und Roboter leisten mehr und mehr hilfreiche Dienste.

„In Normsituationen kann die IT gut unterstützen“, sagt Dr. Jörg Schmidt von der TH Köln, Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr. „Man kann über eine Steuerwarte Betriebe überwachen und intervenieren, wenn sich der Ist-Zustand verändert. Aber wenn die Feuerwehr gerufen wird, befindet sie sich ja immer in einer Nicht-Normsituation.“

Wenn Wasserfluten die Infrastruktur zerstört haben, es weder Strom noch Zu- und Abwasser gibt, dann müssen zunächst große technische Geräte eingesetzt werden, um Wege zu bahnen, Menschen zu retten und einsatzfähig zu bleiben.

 „Für größere Flüsse gibt es IT-Simulationen für Überschwemmungen. Man kann Höhe, Dauer und Überschwemmungsfläche vorausberechnen“, so Schmidt.

Städte wie Köln sind routiniert, haben entsprechend viel Personal, das bei Großeinsätzen professionell vorgehen kann. Da in Deutschland aber jede Gemeinde selbständig ist, sind auch alle unterschiedlich organisiert. Und die meisten Freiwilligen Feuerwehren haben nicht genügend Manpower und Mittel, um Situationen wie die Überflutungen im Ahrtal direkt effektiv zu begegnen.

Robotik-Leitwagen im Einsatz
Robotik-Leitwagen im Einsatz
Quelle: DRZ e.V.

In der Stabilisierungsphase in den Hybridmodus übergehen

In jüngster Zeit gab es hochdynamische Krisen wie Feuer, Explosion oder Produktaustritt und statische Krisen wie die Corona-Pandemie.

„Auch wenn virtuelle Lagebesprechungen mittlerweile gut funktionieren, so sind in hochdynamischen Situationen Präsenzsitzungen zu favorisieren“, sagt Stephan Hummel, Leitung Brandschutz bei Currenta. „Eine Lagebesprechung per Videoschalte ist schneller einberufen, ja das stimmt. Aber sie ist nicht effektiver und entlastender. Digitale Treffen mindern die Konzentrationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft.“

Currenta managt und betreibt den Chempark mit Standorten in Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen. Er gilt als einer der größten Chemie-Areale in Europa. Bei der Explosion im Leverkusener Entsorgungszentrum Ende Juli dieses Jahres lief der Einsatz der Werksfeuerwehr über drei Wochen.

„Ab dem fünften Tag, also nach der Strukturierungs- und Stabilisierungsphase, sind wir in der Normalisierungsphase in den Hybridmodus übergegangen“, sagt Hummel.

Die Lagebesprechungen wurden als Webkonferenzen abgehalten. Lagekarten, Einsatztagebuch mit Standardagenda und den strategischen Zielen der Einsatzleitung sowie das entsprechenden Maßnahmentracking wurden elektronisch geführt.

Wenn digitalisierte Produkte ausfallen

Es wurden aber auch schon digitale Tools eingeführt, deren Anschaffung zurückgedreht wurde.

„Zum Beispiel die digitale Steuerung der Pumpen in den Löschfahrzeugen. Mit dem Touchscreen kamen die Leute nicht gut zurecht. Nachts um 3 Uhr, wenn man vorher längere Zeit nicht mit dem Fahrzeug unterwegs war, gestaltete sich das eher schwierig. Jetzt haben wir wieder unser altes Bedienfeld mit einem Hebel und ein paar Knöpfen“, sagt Armin Wernick von der Betriebsfeuerwehr der Messe Düsseldorf. Ähnlich war es mit dem Digitalfunk. Er fiel viel zu häufig aus. „Jetzt haben wir wieder analoge Technik angeschafft. Beim Digitalfunk muss die Verbindung zu 100% stehen, sonst funktioniert er nicht. Bei analoger Technik reichen 60%, um kommunizieren zu können.“

Wo Digitalisierung große Vorteile bringt

Große Vorteile bringt die Digitalisierung bei Currenta beispielsweise in den drei vollständig vernetzten Sicherheitszentralen mit übergeordnetem Management in Leverkusen. In der neuen Leitstelle gibt es ein elektronisches Lage-Tool. Zukünftig kann man sich komplett mit dem rückwärtigen Einsatzführungsstab und den Einsatzleitwagen vor Ort vernetzen. Unter anderem können dann die Lagekarten und andere einsatzrelevante Daten auf ein Smartboard an der Außenwand der Fahrzeuge dargestellt werden.

Mittlerweile verfügt Currenta über einem digitalen Zwilling der drei ChemPark-Standorte. Das ist die virtuelle 3D-Abbildung der Betriebe und des Geländes.

„So kann man im Ereignisfall einen umfassenden Überblick über das betroffene Projekt erhalten“, sagt Hummel.

Der digitale Zwilling wird kontinuierlich weiterentwickelt. Je mehr einsatzrelevante Informationen in diesem System verfügbar sind, die im Notfall direkt zur Verfügung stehen, desto besser kann man planen und im Ernstfall reagieren. Über den digitalen Zwilling lassen sich außerdem Prozesse und Veränderungen auf dem Areal analysieren und Entwicklungen besser prognostizieren.

Unverzichtbar: VR-Trainings in der Ausbildung

In der Feuerwehr-Ausbildung ist die Digitalisierung schon weiter vorangeschritten. Und das hält nicht nur Schmidt auch für dringend nötig.

„Es fehlen anspruchsvolle Einsätze, zum Beispiel Großfeuer gibt es kaum noch.“ Trainieren können die Feuerwehranwärter über Simulation, im Prinzip wie es Flugzeugpiloten machen. Das fängt an mit dem Blaulichtfahrtentraining. „Schließlich kann man nicht einfach so mit Blaulicht durch die Gegend fahren. Auch Fahrten über Flughafengelände lassen sich simulieren, so kann man zeitunabhängig Erfahrung sammeln und Wege kennenlernen. Da muss man gar nicht mehr aufs Betriebsgelände“, sagt Wernick.

Nicht nur die Handhabung der Pumpe im Fahrzeug kann virtuell geübt werden. Die Pumpe kann so auch eingesehen, in alle Einzelteile zerlegt und anschließend wieder vollständig zusammengesetzt werden. Das Erlernen des Umgangs mit Feuerlöschern findet ebenfalls per VR-Technik statt. Das ist auch unter Umweltgesichtspunkten sinnvoll, weil nicht mehr bei jeder Übung Löschschaum in die Umgebung geblasen wird. Und wie im Rettungsdienst kann man auch über Standardanweisungen und -programme Abläufe erlernen.

Transfer von der Forschung in die Praxis unterstützen

Trotz der Bemühungen, die digitale Transformation auch im Feuerwehrsektor voranzutreiben, besteht noch viel Entwicklungspotenzial. Drohnen für Erkundungen und Messungen haben mittlerweile ihren festen Platz im Feuerwehralltag. So haben zum Beispiel Projektpartner des Deutschen Rettungsrobotik Zentrums e.V. (DRZ) in Dortmund, das sich zur Aufgabe gemacht hat, den Transfer von Forschungsprojekten und neuen Technologien in die Praxis zu bahnen, im nordrhein-westfälischen Hochwassergebiet Aufklärungsflüge mit Drohnen entlang von Abbruchkanten unternommen, Überblickskarten angefertigt, Häuser, Keller, Autos und andere Objekte inspiziert. Anhand der Drohnenbilder wurden im Robotik-Leitwagen 3D-Modelle und Reliefkarten des zerstörten Gebietes erstellt, um eventuelle Veränderungen zu entdecken. Zunehmend werden auch Roboter genutzt. Currenta setzt einen ferngesteuerten Manipulator-Roboter zur Erkundung ein, wenn es für Menschen zu gefährlich ist.

Die Feuerwehr muss aber unter den widrigsten Bedingungen einsatzfähig bleiben. Nur mit robuster, ausfallsicherer Technik kann auch in Zukunft ein Ausfall von IT-Systemen kompensiert werden. Dies ist aber nicht mit einer Digitalisierungsskepsis zu verwechseln, denn

 „Nach der Feuerwehr kommt nichts mehr“, fasst Hummel zusammen. „Deswegen brauchen wir ein robustes Standbein in der Gegenwart und ein Spielbein, um die Vorteile der Digitalisierung auch für die Feuerwehr weiterzuentwickeln, um Einsätze in Zukunft noch effizienter und effektiver beherrschen zu können.“

Ein Schritt in diese Richtung ist der oben bereits erwähnte neue Robotik-Leitwagen, den Wissenschaftler des DRZ und Experten der Feuerwehr Dortmund entwickelt haben. Er soll künftig sowohl zu Forschungszwecken und Übungen für die Erprobung von Robotern und Drohnen als auch bei besonderen Einsätzen zur Verfügung stehen. Dirk Aschenbrenner, Direktor der Dortmunder Feuerwehr und Vorstandsvorsitzender des gemeinnützigen Vereins DRZ:

 „Es wird bei bestimmten Szenarien eine gemischte Besatzung aus dem Projekt DRZ und Feuerwehr geben. Außerdem können wir das Forschungsfahrzeug bei ‚echten‘ Einsätzen nutzen. Auf diese Weise sammeln wir wertvolle Erfahrungen als Anwender, die wir an die Forscher und Entwickler weitergeben. Genau das ist eines der wichtigsten Ziele des DRZ: Fachwissen und Anwendererfahrung zusammenzuführen.“

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