Handreichung zur bundeseinheitlichen Sirenenalarmierung über den Digitalfunk BOS
Harald Rickmeyer
Spätestens seit der Flutkatastrophe im Juli 2021 steht die Sirenenalarmierung wieder auf der politischen Tagesordnung. Der Einsatz der Sirene als Warnmittel war in den Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zunehmend in Vergessenheit geraten – fatalerweise, wie wir angesichts der jüngsten Erfahrungen mit schweren Katastrophen- und Schadensereignissen bilanzieren müssen. Vor dem Hintergrund der Expertenprognosen zu den Folgen des Klimawandels ist die Warnung der Bevölkerung mit Sirenen und bundesweiter Sirenenalarmierung aktueller denn je. Gerade nach der Flutkatastrophe 2021 kann man ohne Übertreibung sagen: Es geht hierbei um Leben und Tod. „Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass Sirenen mit ihrem Weckeffekt sicherstellen können, auch die Teile der Bevölkerung zügig und zuverlässig zu warnen, die zum Ereigniszeitpunkt keinen Zugriff auf andere Warnmittel haben“, unterstreicht das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2021 im Bericht zu seiner Neuausrichtung die hohe Bedeutung von Sirenen für den Schutz der Bevölkerung.
Im März 2019 – schon einige Zeit vor der Flutkatastrophe im Sommer 2021 – hat sich der PMeV – Netzwerk sichere Kommunikation dieses Themas angenommen. Damals gründete die Arbeitsgruppe (AG) Operations des PMeV eine Unterarbeitsgruppe (UAG) zum Thema „Sirenenalarmierung“. In der UAG haben sich Vertreter und Experten der Verwaltungen, Bedarfsträger, Leitstellenhersteller, Endgeräteproduzenten und Hersteller von Sirenen und Geräten zur Ansteuerung von Sirenen (Sirenensteuerungen) zusammengefunden, um ein einheitliches Lösungskonzept zur Alarmierung der Sirenen unter Nutzung des Digitalfunknetzes für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (Digitalfunk BOS) in Deutschland, aber auch für zukünftige Kommunikationssysteme der BOS zu erarbeiten.
Lösungskonzept liegt vor
Die Sirenenalarmierung verfügt somit neben den bewährten Richtlinien zur analogen und digitalen Alarmierung nun auch über eine Empfehlung für die Ansteuerung von Sirenen über den Digitalfunk BOS der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS). Die Handreichung ist im Informationsaustausch mit der BDBOS erarbeitet worden. Sie erweitert die bereits existierenden Nutzungskonzepte „Alarmierung“ der BDBOS und einiger Bundesländer im Bereich Fernwirken um den Teil der Sirenenalarmierung. Die von Anwendern, Behörden und Herstellern getragene Lösung ebnet den Weg für eine bundesweit weitgehend einheitliche Umsetzung der Sirenenalarmierung im Digitalfunk BOS. Dieser Beitrag skizziert das Lösungskonzept. Außerdem werden in der Handreichung Sicherheitsaspekte im Rahmen der funktionalen, operativen und materiellen Sicherheit betrachtet.
Beweggründe für die Erarbeitung einer Handreichung
Vor dem Hintergrund der erweiterten Nutzung des BOS-Digitalfunknetzes hatten sich für die Mitstreiter der AG Operations des PMeV mehrere Beweggründe ergeben, die Sirenenalarmierung über den Digitalfunk BOS auf die Agenda zu setzen. Hierzu zählten die geplante Abschaltung von Analogfunknetzen und der Verlust lokaler Auslösemöglichkeiten (z.B. in den feuerwehrtechnischen Zentralen) bei Umrüstung von der analogen auf die digitale Funkalarmierung nach POCSAG-Standard gemäß der Technischen Richtlinie der BOS (TR-BOS Geräte für die digitale Funkalarmierung). So spielten auch die Planungen zur Ablösung oder Erweiterung von analogen Alarmierungsnetzen durch den Digitalfunk BOS seit 2018 eine wichtige Rolle sowie konkrete Projekte in den Jahren 2019 und 2020 in Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Zudem gaben die Bedarfsträger zu verstehen, dass sie eine einheitliche Lösung als hilfreich und notwendig erachten. Die Hersteller wiederum sprachen sich für einheitliche Rahmenbedingungen und Leistungsabgrenzungen aus. Schließlich galt und gilt es, einen Flickenteppich an Lösungen zu vermeiden. Eine einheitliche Lösung würde somit im Interesse aller beteiligten Akteure liegen.
Sirenenalarmierung über den Digitalfunk BOS: Lösungskonzept
Das Lösungskonzept beschreibt die Schnittstellen sowie Abläufe der Sirenensteuerung im Alarmierungsprozess als Teil der Anwendung „Fernwirken“ und grenzt diese von anderen Anwendungen in diesem Umfeld ab. Es stellt die vorhandenen Adressierungsarten im Digitalfunk BOS, die Alarmierung, die Rückmeldungen sowie die Überwachung der Sirenen dar. Außerdem werden die Funktionsabläufe im Alarmierungsprozess beschrieben und eine einheitliche Lösung empfohlen. Das Lösungskonzept ist weitestgehend netzunabhängig ausgelegt. Dazu wird in der Handreichung die Anwendung „Sirenenalarmierung“ von den spezifischen Definitionen des TETRA-Standards auf der Übertragungstrecke getrennt.
Zunächst wurde eine einheitliche Auslöseprüfung für die Sirenensteuerung vorgeschlagen, die im BDBOS-Nutzungskonzept „Alarmierung“ für gruppenadressierte Alarmierungen schon definiert war. Das Lösungskonzept der Handreichung empfiehlt einen einheitlichen Ablauf der Auslöseprüfung, unabhängig von der Adressierung und Übertragung der Alarmierung im Digitalfunk BOS als einzeln adressierter oder als gruppenadressierter Teilnehmer. Die im Callout-Nutzerdatenteil nachgelagerte Subadressierung soll dabei immer verwendet und ausgewertet werden. Dabei können Subadressen allein oder als Kombination von Subadresse und TETRA-Rufgruppe (Group Short Subscriber Identity GSSI) gültig sein. Der zweite Fall erlaubt die Mehrfachverwendung von Subadressen in unterschiedlichen TETRA-Rufgruppen.
Zuweisung des Sirenenprogramms über Subadressen
In den bisherigen Definitionen existierte nur das Kriterium „Alarmempfänger löst aus“, aber noch keine Methode der Zuweisung des Sirenenprogramms. Unter einem Sirenenprogramm werden Sirenensignale (Heultöne) und Sprachtexte verstanden. In der Handreichung wird zunächst die Zuweisung des Sirenenprogramms über Subadressen mittels Präfixe (vergleichbar mit den POCSAG Funktionsbits der Technischen Richtlinie BOS für Geräte zur digitalen Funkalarmierung) beschrieben. Die Länge des Präfixes legt die maximal mögliche Anzahl von Sirenenprogrammen fest. Diese Variante wird bereits in einigen Bundesländern in unterschiedlichen Ausprägungen genutzt. Eine grundlegende Eigenschaft dieser Variante besteht darin, dass die Sirenensteuerung empfangsseitig nur prüft, ob in ihrer Liste der Zuordnungen „Subadresse – Sirenenprogramm“ die empfangene Subadresse hinterlegt ist. Nur dann wird das hinterlegte Sirenenprogramm ausgeführt. In der Sirenensteuerung erfolgt keine Auskodierung der Präfixe in den Subadressen.
Die Handreichung stellt ein einheitliches Verfahren für die Zuweisung (Kodierung) von bis zu 15 Sirenenprogrammen in den Subadressen vor. Dazu werden die höchstwertigen 4 Bit der Subadresse als Präfix für das Sirenenprogramm verwendet. Damit werden sendeseitig die 65.534 je TETRA-Rufgruppe (GSSI) verfügbaren Subadressen in 15 Sirenenprogramme und 4.094 Subadressen aufgeteilt. Da empfangsseitig keine Auskodierung durch die Sirenensteuerung erfolgt, sind die Anwender in der Wahl der Präfixe und Subadressen weiterhin völlig frei.
Das Präfix-Verfahren grenzt den nutzbaren Bereich der Subadressen und Sirenenprogramme etwas ein. Deshalb wurde auf Anregung der BDBOS ein zusätzliches Informationselement (User Application Specific Information Element – UAS-IE) beschrieben. Damit steht eine alternative Methode der Zuweisung des Sirenenprogramms zur Verfügung. Dieses Informationselement „UAS-IE Sirenenprogramm“ legt fest, welches Sirenenprogramm die über die Subadressen adressierten Sirenen auslösen soll. Mit dieser zweiten Variante ist es möglich, die Subadressierung wieder von der Zuweisung des Sirenenprogramms über Präfixe zu trennen und die Beschränkung der Anzahl der Subadressen aufzuheben. Beide Varianten können über die in der Handreichung dargestellten Vorschläge problemlos im BOS-Digitalfunknetz koexistieren.
Verhalten bei Nach- und Mehrfachalarmierungen
In Funknetzen werden Alarmierungen oftmals zur Erhöhung der Übertragungssicherheit mehrfach ausgesendet. Dies ist bereits aus der analogen und digitalen Alarmierung bekannt. Die Handreichung empfiehlt für diesen Fall ein vergleichbares Vorgehen bei Nach- und Mehrfachalarmierungen und entsprechende Sperrzeiten in der Sirenensteuerung. Die Übertragung der Alarmierung über „Simple Callout“ nach TETRA Standard kennt aktuell nur Rückmeldungen für Einsatzkräfte wie „komme“ oder „komme nicht“. Für die Anforderungen der Sirenensteuerung ist das nicht ausreichend, denn die Sirenensteuerung benötigt andere und eine größere Anzahl von Statuskodes. Die Handreichung schlägt daher einen Block von einheitlichen Kodes aus dem Block „Alarmierung“ des BDBOS-Nutzungskonzeptes „Kurzdatendienst“ vor und empfiehlt die jeweilige Bedeutung der einzelnen Kodes.
Rückmeldungen und technischen Statusmeldungen
Bei der Sirenensteuerung gibt es neben den Rückmeldungen zu einer Alarmierung auch technische Statusmeldungen zur operativen Überwachung, z.B. Meldung bei Sabotage. Die Handreichung sieht vor, die Rückmeldungen zu Alarmierungen von den technischen Statusmeldungen zu trennen. Dabei sollen die Rückmeldungen zu Alarmierungen als Callout Pre-Coded Status und die technischen Statusmeldungen als Standard SDS-Status versendet werden.
Diese Trennung ist notwendig, da bei technischen Statusmeldungen eine Callout Number Referenz wie bei einer Alarmierung nicht vorliegen kann. Die Verwendung des SDS-Status erlaubt außerdem eine Anzeige der technischen Statusmeldungen auf jedem beliebigen vorhandenen TETRA-Statustableau – und dies unabhängig von den Rückmeldungen der Alarmierungen an die auslösende Stelle.
Zusätzlich wird eine Erweiterung der Callout Funktion „Availability Request“ zur gezielten Abfrage der operativen und technischen Verfügbarkeit der Sirenen vorgeschlagen.
Zur Vermeidung von Überlasten in der Aufwärtstrecke, dem so genannten „Acknowledge Storm“, ist ein per Zufallsgenerator verteiltes Melden in einem parametrierbaren Zeitfenster vorgesehen.
Sirenensteuerung benötigt nur minimale Funktionen der TETRA-Funkgeräte
Die Sirenensteuerung als reine SDS Anwendung am Funkgerät über die so genannte PEI (Peripheral Equipment Interface) Schnittstelle nutzt nur wenige Funktionen der TETRA-Funkgeräte. Die Handreichung benennt hierzu die Anforderungen an diese Schnittstelle und an die Programmierung der Funkgeräte. Das sichert die Interoperabilität zwischen den Sirenensteuerungen verschiedener Hersteller. Die Verwendung nahezu einheitlicher Parametersätze ist somit ebenfalls möglich.
Fazit
Eine bundeseinheitliche Lösung ist im Rahmen der bestehenden Regularien und Nutzungskonzepte nicht nur möglich, sondern erscheint auch dringend notwendig. Die Handlungsempfehlung beschreibt daher ein weitgehend einheitliches Konzept, das es umzusetzen gilt, um zu einem weitestgehend einheitlichen Vorgehen bei den Alarmierungsszenarien zu kommen. Dies wird nur gelingen, wenn die Behörden, Bedarfsträger und die Industrie abgestimmt vorgehen.
Dabei erscheint es notwendig, dieses Lösungskonzept der AG Operations des PMeV und die Arbeiten der verschiedenen zuständigen Organisationen, die in einigen Bundesländern wegen des dringenden Handlungsbedarfs bereits bestehen, bei Bedarf zu harmonisieren. Eine von Anwendern, Behörden und Herstellern getragene Lösung kann den Weg für eine bundesweit weitgehend einheitliche Umsetzung der Sirenensteuerung im BOS-Digitalfunknetz ebnen.
Bund unterstützt mit bis zu 88 Millionen EURO
Der Bund unterstützt inzwischen die Länder bei der Ertüchtigung und dem Wiederaufbau von Sirenen, die an das BOS-Digitalfunknetz angebunden werden können, mit bis zu 88 Millionen EURO. Das BBK arbeitet bereits gemeinsam mit der Autorisierten Stelle des Bundes und der BDBOS an einer Konzeptionierung zur Ansteuerung von Sirenen aus dem Modularen Warnsystem (MoWaS) heraus. Dabei setzt das BBK auf die erfolgreiche Arbeit und Expertise der unter dem Dach des PMeV engagierten Spezialisten zur Implementierung und vereinheitlichten Nutzung der Sirenensteuerung in Deutschland.
Die aktuelle Version der Handreichung finden Sie auf der PMeV-Website:
https://www.pmev.de/downloads/standardisierung-im-leitstellenbereich
Crisis Prevention 1/2022
Diplom-Ingenieur Harald Rickmeyer
Mitglied der Arbeitsgruppe Operations
und der Unterarbeitsgruppe (UAG)
Sirenenalarmierung des PMe
E-Mai: h.rickmeyer@hoermann-ws.de