Spätestens mit Starlink, dem seit 2020 in Betrieb befindlichen Satellitennetzwerk des US-Unternehmens SpaceX, sind LEO-Konstellationen im Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit angekommen. LEO steht für Low Earth Orbit, worunter typischerweise Umlaufbahnen von ca. 200-1000 km Höhe zu verstehen sind. Die Kommunikation mit LEO-Satelliten hat ggn. den „klassischen“ geosynchronen Satelliten (Entfernung > 36.000 km) den Vorteil wesentlich geringerer Latenzzeiten sowie besserer Pegelverhältnisse (Link-Budget). Allerdings wird eine Vielzahl von LEO-Satelliten benötigt, um Flächendeckung bei der Funk-Ausleuchtung zu erreichen.
Im November letzten Jahres hat die EU ein Programm zum Betrieb einer eigenen LEO-Satellitenkonstellation angekündigt. Unter dem Akronym IRIS2, welches für “Infrastruktur für Resilienz, Interkonnektivität und Sicherheit durch Satelliten” steht, sollen dazu eine beträchtliche Anzahl von LEO-Satelliten, gelauncht werden. Aus dem EU-Haushalt werden dafür 2.4 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt, um IRIS2 bis 2027 einsatzbereit zu machen. Mit IRIS2 wird ein Kommunikationsnetz aufgespannt, das in erster Linie den EU-Regierungen und Sicherheitsbehörden eine hochverfügbare, verschlüsselte und globale Breitbandkommunikation liefert. Das Netz ist als Multi-Orbit System angedacht, soll also durch Satelliten in höheren Orbits, wie z.B. MEO-Satelliten (Medium Earth Orbit, bis zu 12.000 km Höhe) ergänzt werden. Es ist vorgesehen, dass die Satelliten sich untereinander mit Laser-Links vernetzen (Inter-Satellite-Links).
IRIS2 wird eine Vielzahl von neuen Technologien nutzen. An dieser Stelle sollen die beiden wichtigsten kurz vorgestellt werden:
NTN – Non Terrestrial Networks
Unter dem Begriff NTN – Non Terrestrial Network versteht man Netzwerke, die als Ergänzung zu terrestrischen Mobilfunknetzwerken fliegende Mobilfunk-Basisstationen oder Relaisknoten verwenden. Bei IRIS2 sollen dafür LEO-Satelliten genutzt werden. Die dazu notwendigen Erweiterungen des Mobilfunkstandards sind unter dem Kürzel 5G/NTN zusammengefasst und Teil der für Ende 2023 geplanten Release 18 des 3GPP-Standards. Durch die kurzen Signallaufzeiten und die hohe Kapazität der erdnahen LEO-Satelliten kann IRIS2 bandbreitenhungrige Dienste anbieten. Dies ermöglicht schnelle Netzwerkzugänge zu Behördennetzen sowie Videoübertragung in quasi Echtzeit.
Satellitenterminals mit Phased-Array Antennen und elektronischer Strahlsteuerung
Um die oben beschriebenen Breitbanddienste von IRIS2 mobil in Fahrzeugen während der Bewegung nutzen zu können, sind spezielle Terminals notwendig. Diese Fähigkeit wird durch den Begriff „COTM Communication-on-the-Move“ beschrieben. Die aus stationären Anwendungen bekannten schüsselförmigen Antennen kommen wegen ihrer Größe und Bauform für den mobilen Einsatz nicht in Frage, dort bieten sich Flat-Panel Antennen auf Basis von Phased-Array-Technologie an. Diese basieren auf einer elektronisch steuerbaren Antennenmatrix mit einer großen Anzahl von z.B. Patch-Antennen.
Durch die zeitlich versetzte Ansteuerung der Antennen lässt sich der Funkstrahl (Sende- und Empfangsrichtung) elektronisch in Echtzeit in Richtung der jeweiligen Position des Satelliten nachführen („Beam Steering“). Mit dieser komplexen Technologie kann eine unterbrechungsfreie Konnektivität ins Internet oder z.B. mit dedizierten Behördennetzen gewährleistet werden. Flat-Panel-Terminals sind flach und lassen sich in Dächer von landbasierten Fahrzeugen, Schiffen und auch Flugzeugen integrieren. Derzeit sind am Markt noch nicht viele Terminals dieser Art verfügbar und wenn, sind diese entweder nur mit einer bestimmten Satellitenkonstellation kompatibel oder teuer und energiehungrig. Allerdings schreitet in diesem derzeit entstehenden Markt die technologische Entwicklung rasch voran und durch neu auf den Markt kommende Halbleiter-Chips werden kompatible Terminals voraussichtlich schon in der Testphase von IRIS2 zur Verfügung stehen. In Deutschland entwickelt bereits mindestens ein Unternehmen IRIS2-kompatible Flat-Panel-Terminals für COTM-Anwendung. Diese sollen bis ca. Mitte 2025 auf den Markt kommen, Datenraten bis 500 Mb/s unterstützen sowie kompakt und energieeffizient und für die BOS erschwinglich sein.
Nutzen für die Sicherheitsbehörden
IRIS2 wird eine Vielzahl staatlicher Anwendungen unterstützen, vor allem in den Bereichen Überwachung (z. B. Grenzüberwachung), Krisenmanagement (z. B. humanitäre Hilfe) sowie in der Anbindung und Schutz wichtiger Infrastrukturen (z. B. sichere Kommunikation für EU-Botschaften). Der Betrieb im Bereich der öffentlichen Sicherheit wird merklich verbessert, denn IRIS2 wird eine robuste und zuverlässige Kommunikation bieten, die für die Behörden der öffentlichen Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist. Dies ermöglicht die Einsatzkoordination in Echtzeit, eine schnelle Reaktion und einen nahtlosen Informationsaustausch, selbst in schwierigen Umgebungen oder bei überlasteter terrestrischer Infrastruktur sowie in unterversorgten Gebieten. Naturkatastrophen oder vom Menschen verursachte Ereignisse können terrestrische Netzwerke gefährden. IRIS2 wird diese Lücke schließen, indem sie wichtige Konnektivität für Katastrophenschutzteams bereitstellt, die Koordination von Rettungsmaßnahmen unterstützt und zum schnellen Wiederaufbau der betroffenen Regionen beitragen wird.
Wann kommt der Wirkbetrieb?
Die Erfahrungen mit der Einführung des europäischen Satellitennavigationssystem Galileo sind vielen noch schmerzhaft in Erinnerung und nicht wenige erwarten ein „Déjà-vu“. Jedoch ist die weltpolitische Lage diesmal gänzlich anders und der Handlungsdruck um ein Vielfaches höher. Ein Beginn des Betriebes in 2027 ist nicht unrealistisch, allerdings wird der komplette Aufbau des Systems sicherlich einige Jahre in Anspruch nehmen.
Crisis Prevention 3/2023