Die staatlichen Organe zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und hier insbesondere die Landespolizeien sind ein wichtiger Teilbereich der Daseinsvorsorge. In Teil I des Artikels (CP 4/19, S. 54 ff) wurden grundsätzliche Überlegungen zu Thema und Methodik der vorliegenden Studie referiert. Im II. Teil werden die Ergebnisse der Analyse vorgestellt. Sie geben kleinräumig unterhalb der administrativen Ebene der Gemeinden und flächendeckend einen Hinweis darauf, wo in Deutschland die Erreichbarkeit bereits vergleichsweise problematisch ist und wo Revierschließungen die Situation weiter verschärfen könnten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich in großen Teilen der ländlichen Räume in Rheinland-Pfalz, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Bayerns die Erreichbarkeit durch die Polizei als suboptimal darstellt.
Anfahrtszeiten durch die Polizei ausgehend vom nächsten Polizeirevier
Insgesamt beträgt in Deutschland nach den Ergebnissen der Erreichbarkeitsanalyse die mittlere Anfahrtszeiten (Median) durch die Polizei ausgehend vom nächsten Polizeirevier 8,9 Minuten, wobei es zwischen den Bundesländern (zwischen 3,6 Minuten in Bremen und 12,4 Minuten in Thüringen) und verschiedenen Typen ländlicher Räume z. T. deutliche Unterschiede gibt (vgl. Tabelle 3). Tendenziell sind die mittleren Anfahrtszeiten in den „sehr ländlichen“ Räumen etwas höher als in den „eher ländlichen“. Die geringsten mittleren Anfahrtszeiten finden sich in den „nicht ländlichen“ Räumen.
Die mittleren Anfahrtszeiten pro Bundesland geben einen ersten groben Anhaltspunkt über die Erreichbarkeit durch die Polizei ausgehend vom nächsten Polizeirevier, lassen jedoch keine Rückschlüsse auf intraregionale Erreichbarkeitsunterschiede zu. Damit sind sie nur bedingt aussagekräftig. Ein exakteres Bild liefert daher die Betrachtung der Anfahrtszeiten in der Fläche (Abbildungen 2 und 3), wobei insbesondere die Betrachtung auf Basis des 250 m x 250 m Analyserasters (vgl. Abbildung 4) unterhalb der administrativen Ebene der Gemeinden Einblicke in die kleinräumigen intraregionale Erreichbarkeitsunterschiede ermöglicht.
Die kleinteilige, regionalisierte Betrachtungsweise in der Karte bestätigt das bereits bei der Betrachtung der mittleren Anfahrtszeiten registrierte Muster. Deutlich ist jedoch zu erkennen, dass die Anfahrtszeiten innerhalb der Bundesländer sich regional z. T. deutlich voneinander unterscheiden. Relativ ausgewogene Anfahrtszeiten lassen sich in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, dem Saarland und Teilen Sachsens identifizieren. In allen anderen Bundesländern – allen voran Brandenburg – lassen sich auf Basis des Analysedatensatzes z. T. große regionale Unterschiede in den Anfahrtszeiten erkennen. Regionen mit günstigen Anfahrtszeiten und solche mit eher suboptimalen Anfahrtszeiten liegen dort oft nahe beieinander.
Die dargestellten Anfahrtszeiten allein sagen aber zunächst noch wenig über die Erreichbarkeitssituation aus. Im Gegensatz zum Rettungsdienst, bei dem von der Erreichbarkeit u. a. auch Menschenleben direkt abhängig sein können, lässt sich bei der Erreichbarkeit durch die Polizei durchaus diskutieren, ob in Gebieten, in denen nur sehr wenige Menschen leben, die gleiche Erreichbarkeit gewährleistet werden muss wie in dicht besiedelten Gebieten. Mit dem PKW können in fast allen Bundesländern und Regionstypen mindestens 70 % der Bevölkerung durch die Polizei in längstens 10 Minuten Fahrzeit von einem Polizeirevier erreicht werden. Ausnahmen im Regionstyp „sehr ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage“ sind Rheinland-Pfalz (62 %), Brandenburg (53 %), Thüringen (55 %), im Regionstyp „sehr ländlich/gute sozioökonomische Lage“ Bayern (64 %), im Regionstyp „eher ländlich/gute sozioökonomische Lage“ Thüringen (63 %) sowie im Regionstyp „eher ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage“ Brandenburg (63%) und Thüringen (68 %).
Auffällig sind die vergleichsweise hohen Bevölkerungsanteile in Brandenburg und Thüringen, bei denen es laut Erreichbarkeitsmodell zwischen 15 und 20 Minuten Fahrzeit benötigt bis die Polizei vor Ort sein kann. Obwohl es in den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen in den ländlichen Regionen gemäß dem Erreichbarkeitsmodell Gebiete gibt, in denen die Fahrzeiten mehr als 20 Minuten betragen, um sie von dem nächsten Polizeirevier aus zu erreichen, zeigt die Modellrechnung auch, dass diese Gebiete überwiegend nur relativ dünn besiedelt sind (Bevölkerungsanteil zwischen 1 % und 7 % der in den jeweiligen Gebietstypen lebenden Menschen).
Eine Zusammenschau der Wegezeiten mit der von bestimmten Wegezeiten betroffenen Bevölkerung ist in den Karten in Abbildung 5 und 6 dargestellt. In den Abbildungen sind dabei für jedes Regionsaggregat sowohl der Typ der Thünen-Typologie ländlicher Räume sowie innerhalb der einzelnen Typen die einwohnergewichteten Wegezeiten vom nächsten Polizeirevier wiedergegeben. Die Abbildungen heben auf kleinräumiger Ebene und flächendeckend – ohne sich dabei auf administrative Verwaltungseinheiten zu beziehen – diejenigen Regionen hervor, in denen gemäß des oben diskutierten Schwellenwertes sich die Anfahrtszeiten durch die Polizei, ausgehend vom nächsten Polizeirevier, im Erreichbarkeitsmodell als suboptimal darstellen (Anfahrtszeit größer 10 Minuten). Dabei gilt: Je dunkler die Farbe innerhalb eines Thünen-Typs ländlicher Räume, desto länger sind die Anfahrtszeiten der Polizei, ausgehend vom nächsten Polizeirevier, mit denen ein Großteil der in diesen Gebieten lebenden Bevölkerung rechnen muss.
Auffällig sind im Hinblick auf die Erreichbarkeit durch die Polizei (einwohnergewichtete Anfahrtszeit größer 10 Minuten) Gebiete in den Regionstypen „sehr ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage“ in Rheinland-Pfalz, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt; in den Regionstypen „eher ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage“ in Brandenburg sowie in weiten Teilen der ländlichen Räume in Bayern. Sollte in diesen Regionen mit bereits heute ungünstigen Erreichbarkeiten in Zukunft Polizeireviere geschlossen werden, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich dort die Erreichbarkeit durch die Polizei verschlechtert.
Synthese – Beurteilung der Erreichbarkeit durch die Polizei
Die Betrachtung der Erreichbarkeit durch die Polizei ausgehend vom nächsten Polizeirevier kann – wie jede Modellierung – nur ein vereinfachtes Abbild der Realität liefern. Die vorgestellte Betrachtung kann die Anfahrt von Polizisten vom gerade aktuellen Standort im Streifendienst – wodurch die Wegelänge kürzer oder aber auch länger sein kann als vom Polizeirevier – ebensowenig berücksichtigen, wie die an einem Polizeirevier vorhandenen Personalkapazitäten (theoretisch geringe Wegezeiten bringen z. B. wenig, wenn das Revier unterbesetzt ist, so dass bei einem Notruf dort keine Beamten zur Verfügung stehen). Des Weiteren beeinflussen fehlerhafte oder fehlende Standortdaten die kleinräumige Analyse (v. a. auf Ebene der Gemeinden oder darunter) direkt.
Daher ist zu empfehlen, bei Handlungs- bzw. Interventionsabsichten basierend auf der vorgestellten Analyse die Ergebnisse im konkreten Einzelfall zu überprüfen. Auf der anderen Seite ermöglicht aber eine Modellierung wie die vorgestellte, sich einen deutschlandweiten Eindruck über regionale Unterschiede in der Versorgung im direkten Vergleich zu verschaffen und Regionen zu identifizieren, in denen sich die Versorgung aktuell vergleichsweise suboptimal präsentiert. Das sind auch die Regionen, in denen es sehr wahrscheinlich ist, dass (weitere) Standortschließungen die Versorgungssituation, wie sie sich für die Bürger präsentiert, verschlechtern werden. Im Hinblick auf die Erreichbarkeit durch die Landespolizeien deuten die Ergebnisse der Analyse darauf hin, dass besonders in großen Teilen der ländlichen Räume in Rheinland-Pfalz, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und weiten Teilen Bayerns die Erreichbarkeit durch die Polizei suboptimal ist.
Crisis Prevention 1/2020
Dr. Stefan Neumeier
Sozialgeograph, wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Thünen-Institut für Ländliche Räume
Bundesallee 64
38116 Braunschweig
E-Mail: stefan.neumeier@thuenen.de