Die staatlichen Organe zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und hier insbesondere die Landespolizeien sind ein wichtiger Teilbereich der Daseinsvorsorge. Im Rahmen des Diskurses zum demografischen Wandel wird oftmals behauptet, dass in den ländlichen Räumen Deutschlands die flächendeckende, zeitnahe Erreichbarkeit durch die Polizei nicht mehr hinreichend gewährleistet ist. Daten, die diese Annahme stützen oder widerlegen, gibt es jedoch kaum. Um eine Datengrundlage für die Diskussion zur Erreichbarkeit durch die Polizei zu schaffen, wurde die Erreichbarkeit durch die Landespolizeien für Deutschland anhand eines GIS-Erreichbarkeitsmodells analysiert. Die Ergebnisse geben kleinräumig unterhalb der administrativen Ebene der Gemeinden und flächendeckend einen Hinweis darauf, wo in Deutschland die Erreichbarkeit bereits vergleichsweise problematisch ist und wo Revierschließungen die Situation weiter verschärfen könnten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich in großen Teilen der ländlichen Räume in Rheinland-Pfalz, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Bayern die Erreichbarkeit durch die Polizei als suboptimal darstellt.
Die wohnortnahe Erreichbarkeit von Dienstleistungen der (Grund-)Versorgung, wozu auch die staatlichen Organe zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechnet werden können, ist Teil der Daseinsvorsorge. Im Rahmen des in Deutschland geführten Diskurses über den demografischen Wandel und dessen Auswirkungen auf die Daseinsvorsorge, der stark durch das normative politische Ziel der Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Landesteilen beeinflusst ist, das 1965 in §2 des Bundesraumordnungsgesetzes festgelegt wurde, sind belastbare Informationen darüber, wie sich die Erreichbarkeitssituation von Dienstleistungen der (Grund-)Versorgung darstellt und entwickelt, hilfreich.
Dies trifft ebenso für die Kohäsionspolitik der Europaischen Union und hier speziell für die Politik des territorialen Zusammenhalts mit ihrem Ziel, flächendeckend einen adäquaten Zugang zu Daseinsvorsorgeinfrastrukturen zu gewährleisten, zu. Der Grund ist, dass solche Informationen es ermöglichen, z. B. der Politik konkrete Hinweise darauf zu geben, in welchen Regionen und bei welchen Dienstleistungen ggf. Handlungsbedarf besteht oder, in der Retrospektive, die Wirksamkeit politischer Aktivitäten besser zu beurteilen. Bisher existieren allerdings nur wenige empirische Grundlagen, auf deren Basis sich die Situation der Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen der (Grund-)Versorgung kleinräumig – unterhalb der administrativen Ebene der Gemeinden – und flächendeckend für Deutschland abschätzen lässt. Eine aktuelle Datengrundlage zur Erreichbarkeit der Bürger durch die Schutzpolizei der Landespolizeien ließ sich beispielsweise nicht ermitteln.
Die Schutzpolizei der Landespolizeien ist in Deutschland ein wichtiger Grundpfeiler der Inneren Sicherheit. Im föderalen System Deutschlands sind die Länder für die Organisation der Landespolizeien verantwortlich. Daher unterscheiden sich die Landespolizeien in ihrer Organisationsstruktur und Ausbildung. Gemäß Groß (2008: 22ff.) lassen sich in Deutschland bei der Organisation der Landespolizeien zwei Systeme unterscheiden. Beim ersten existiert eine Sonderverwaltung für die Polizei, an deren Spitze i. d. R. ein Landespolizeipräsidium steht, beim zweiten ist die Polizei in die allgemeine innere Verwaltung integriert und untersteht einer eigenen Ministerialabteilung.
Neben diesen Unterschieden in der Gesamtorganisation der Landespolizeien gibt es auch auf Behördenebene zwei Systeme (die sich z. T. auch überlappen): Das Regionalprinzip, mit örtlich zuständigen Untereinheiten und das Funktionalprinzip, das sich bei der Untergliederung an den polizeilichen Fachlichkeiten orientiert. Trotz dieser organisatorischen Unterschiede weisen die Landespolizeien hinsichtlich der Aufgabenerfüllung eine ähnliche Struktur auf. Der Aufbau der Länderpolizeien ist immer gleich und gliedert sich in Schutz-, Kriminal- und Bereitschaftspolizei.
Im europäischen Vergleich liegt Deutschland im Hinblick auf die durchschnittliche Polizeidichte zwischen 1999 und 2001 mit 346 Einwohnern je Polizeibeamte unter dem europäischen Durchschnitt von 297 Einwohnern je Polizeibeamte und nimmt somit Rang 16 von 27 ein. Innerhalb der Bundesländer variiert die Polizeidichte zwischen 1: 162 in Berlin und 1: 456 in Nordrhein-Westfalen. Auffällig ist, dass durch die Übernahme der DDR-Volkspolizisten in die Polizei der neuen Länder, auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung, die ostdeutschen Flächenländer eine höhere Polizeidichte aufweisen als – ausgenommen Bayern – die westdeutschen. Allerdings ist die Polizeidichte wenig aussagekräftig, da sie z. B. nichts darüber aussagt, wie effizient die Polizei arbeitet, wie sich das Verhältnis zwischen tatsächlich in der Verbrechensbekämpfung tätigen und nur in der Verwaltung tätigen Beamten darstellt oder wie die Polizisten innerhalb eines Bundeslandes regional verteilt sind.
In den letzten Jahren ließ sich bei den Landespolizeien ein sukzessiver Stellenabbau – laut Gewerkschaften der Polizei insgesamt 16 000 Stellen – und Rückzug aus der Fläche beobachten, der sich insbesondere auch in den ländlichen Räumen – v. a. im Osten Deutschlands – bemerkbar macht. „Der Rückgang im Osten liegt vor allem daran, dass nach dem Mauerfall die meisten ehemaligen Volkspolizisten in den Landesdienst übernommen wurden, der damit üppiger besetzt war als im Westen. Ausscheidende Beamte wurden daher nicht ersetzt.“ (Wischmeyer, 2016).
Nach einem Bericht von Wischmeyer (2016) im Tagesspiegel vom 25.6.2016 ist der Stellenabbau bei der Polizei jedoch differenziert zu sehen. Wischmeyer (2016) belegt basierend auf Daten des Statistischen Bundesamtes, dass seit 1998 nur etwas weniger als 6 300 Stellen bei Streifenpolizisten wegfielen und mehr als 10 000 Stellen in der reinen Verwaltung.
Wendt (2014: 12) weist jedoch darauf hin, dass im Osten Deutschlands in naher Zukunft mit einem weiteren Stellenabbau bei der Polizei – verbunden mit einem Rückzug aus der Fläche – zu rechnen ist. Laut Solms-Laubach (2014: 95) werden in Ostdeutschland bis 2020 vermutlich 10 000 Stellen wegfallen. Darüber, in welchen Bereichen die Stellen wegfallen werden, trifft Solms-Laubach (2014) allerdings keine Aussagen. Diese hier skizzierten Entwicklungen führen zu der Befürchtung, dass in den ländlichen Räumen Deutschlands die Polizei für die Sicherheit der Bürger nicht mehr in ausreichendem Maße Sorge tragen kann.
Daten, die diese Annahme stützen oder widerlegen, gibt es jedoch kaum. Um eine Datengrundlage für die Diskussion zur Erreichbarkeit durch die Polizei zu schaffen, wird nachfolgend die Erreichbarkeit durch die Schutzpolizei der Landespolizeien (im Folgenden als Polizei bezeichnet) anhand eines GIS-Erreichbarkeitsmodells analysiert. Ziel der Analyse ist, kleinräumig, unterhalb der administrativen Ebene der Gemeinden, und flächendeckend einen Hinweis darauf zu geben, wo in Deutschland die Erreichbarkeit durch die Polizei bereits vergleichsweise problematisch ist und wo zukünftige Revierschließungen die Situation weiter verschärfen könnten.
Methodik – Erreichbarkeitsmodell
Erreichbarkeit lässt sich definieren als Kosten, die entstehen, um Zugang zu bestimmten öffentlichen oder privatwirtschaftlichen Dienstleistungen oder Infrastrukturen zu erhalten. Gemessen werden kann Erreichbarkeit durch Reisezeiten oder Wegestrecken in Verkehrsnetzwerken oder im Raum. Erreichbarkeitsindikatoren lassen Rückschlüsse auf den Nutzen zu, den verfügbare Transportinfrastrukturen für eine Region haben. Sie lassen sich unterteilen in Ausstattungskennziffern, die Querschnittsinformationen über gesamte Regionen liefern (z. B. Länge/Dichte der Autobahnen oder Anzahl der Polizeireviere), und komplexe generische Indikatoren, bei denen die Verbindungsqualität und Zielaktivitäten Berücksichtigung finden (z. B. Reisezeit).
Diese lassen sich untergliedern in Aktivitätsbasierte Indikatoren (z. B. durchschnittliche Reisezeiten) und Gravitations- bzw. Potenzialindikatoren, welche zusätzlich die Ziele aufgrund ihrer Attraktivität gewichten und jedes Ziel mit einer Raumwiderstandsgröße diskontieren, aufgrund ihres synthetischen Charakters aber oft schwierig zu interpretieren sind. Ausstattungskennziffern vernachlässigen den Netzcharakter von Verkehrsinfrastrukturen, die Verknüpfung zwischen Regionen und die Tatsache, dass nicht Verkehrsbauten das Ziel sind, sondern über diese erreichbare Einrichtungen. Daher sind sie für die Analyse der Erreichbarkeit durch die Polizei weniger geeignet. Aus diesem Grund wurde entschieden, für die Modellierung der Erreichbarkeit durch die Polizei aus der Gruppe der aktivitätsbasierten Indikatoren die Wegezeit zum jeweils dem Wohnort nächstgelegenen Polizeirevier als Erreichbarkeitsindikator zu verwenden.
Um herauszufinden, wie sich in Deutschland die Erreichbarkeit durch die Polizei darstellt, wurde über eine Netzwerkanalyse die Erreichbarkeit durch die Polizei mit dem PKW flächendeckend modelliert. 1 Dazu wurde über Deutschland ein Vektorraster (Grid) mit einer Kantenlänge von 250 m x 250 m gelegt und dann für jeden Mittelpunkt (Zentroid) der „Grid-Zellen“ über das Verkehrswegenetz die kürzeste Fahrzeit zum jeweils nächsten Standort eines Polizeireviers ermittelt. Der resultierende Entfernungswert wurde dann der „Grid-Zelle“ zugeordnet.
Als Referenz-Grid wurde das sogenannte EWZ250 (Stand 2011) des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBSR) verwendet. Dieses beinhaltet für jede „Grid-Zelle“ einen über Verfahren der Datendisaggregation berechneten Bevölkerungswert. Damit ermöglicht das EWZ250 den Anteil der Bevölkerung abzuschätzen 2 , der von bestimmten Erreichbarkeiten betroffen ist.
Die Standorte der Polizeireviere entstammen der Datensammlung „Points of Interest Bund“ des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG), die nach Aussage des BKG alle Dienststellen der Landepolizeien umfasst und den Stand 12/2014 abbildet (vgl. Tabelle 1).
Für die im Datensatz enthaltenen Adressen der Dienststellen waren keine Angaben zum Dienststellentyp hinterlegt. Um daher Polizeireviere der Schutzpolizei von z. B. denjenigen der Autobahn- oder Wasserschutzpolizei etc. abzugrenzen, wurden auf Basis des Dienststellennamens Informationen zum Dienststellentyp vor der Erreichbarkeitsanalyse ergänzt. Dies wurde durch die föderale Organisation der Landespolizeien und den daraus resultierenden uneinheitlichen Dienststellenbezeichnungen in den 16 Bundesländern erschwert.
Nach Recherche wurde für die Erreichbarkeitsanalyse folgender Zuordnungsschlüssel definiert, um Polizeireviere zu selektieren: Abschnitt, Abteilung, Außenstelle, Bezirksdienst, Citywache, Direktion, Inspektionsdienst, Ortspolizei, Polizeianlaufstelle, Polizeidienststelle, Polizeidirektion, Polizeiinspektion, Polizeikommissariat, Polizeiposten, Polizeirevier, Polizeistandort, Polizeistation, Polizeiwache, Polizei-Zentralstation, Schutzpolizei, Wachdienst, Wasserschutz-Polizeirevier.
Nicht berücksichtigt wurden Dienststellen der Autobahnpolizei, der Verkehrspolizei, der Wasserschutzpolizei, der Bereitschaftspolizei, der Landeskriminalämter, der Landespolizeiämter, der Landespolizeidirektionen, der Landespolizeipräsidien, der Polizeipräsidien, der Kreispolizeibehörden, der Polizeiberatung, der Polizeibüros der Ausbildungsstätten der Polizei, der Hafensicherheitsdienste, der Hubschrauber- und Diensthundestaffeln, der Bereitschaftspolizei sowie der Dienststellen des Objektschutzes.
Die Erreichbarkeit (Fahrzeit) für den Verkehrsträger PKW wurde im Verkehrswegenetz der OpenStreetMap 3 mit Hilfe der Open Source Routing Machine (OSRM) 4 für jede „Grid-Zelle“ des EWZ250 berechnet. Die Ermittlung der Fahrzeiten mit dem PKW basiert auf folgenden Geschwindigkeitsprofile der OSRM:
- Autobahn 90 km/h, Autobahnzubringer 45 km/h;
- Autobahnähnliche Straße 85 km/h, Zubringer zu einer autobahnähnlichen Straße 40 km/h;
- Bundesstraßen 65 km/h, Zubringer zu Bundesstraßen 30 km/h;
- Landes-, Staats- oder gut ausgebaute Kreisstraßen 55 km/h, Zubringer zu Landes-, Staats- oder gut ausgebaute Kreisstraßen 25 km/h;
- Kreisstraße, sehr gut ausgebaute Gemeindeverbindungsstraßen, Innerstädtische Vorfahrtstraßen mit Durchfahrtscharakter 40 km/h, Zubringer zu Kreisstraße, sehr gut ausgebaute Gemeindeverbindungsstraßen, Innerstädtische Vorfahrtstraßen mit Durchfahrtscharakter 20 km/h;
- befahrbare Nebenstraßen mit einfachstem Ausbauzustand 25 km/h;
- Straße an und in Wohngebieten 25 km/h;
- Erschließungsstraßen 15 km/h;
- Spielstraße 10 km/h.
Die Berechnung der „fahrzeit-kürzesten“ Wegestrecke innerhalb der OSRM erfolgte über einen sogenannten Contraction-Hierarchies-Algorithmus.
Die Abgrenzung ländlicher Räume des Thünen-Instituts wurde als Referenz herangezogen, um bei der Interpretation der Ergebnisse zwischen verschiedenen Typen ländlicher Räume differenzieren zu können.
Dieser Abgrenzung liegt ein Verständnis ländlicher Räume als Regionen mit einer geringen Siedlungsdichte und Einwohnerzahl im Umfeld der Region, einer lockeren Wohnbebauung und einem relativ hohen Anteil land- und forstwirtschaftlicher Fläche sowie einer Randlage zu großen Zentren zugrunde. Konkret nimmt die Thünen-Typologie die Abgrenzung auf der Ebene der Kreisregionen anhand folgender Indikatoren vor, die mittels des statistischen Verfahrens der Faktoranalyse zu einem Index verknüpft werden: Siedlungsdichte 2013, Anteil der land- und forstwirtschaftlichen Fläche an der Gesamtfläche 2013, Anteil der Ein- und Zweifamilienhäuser an allen Wohngebäuden 2013, regionales Bevölkerungspotenzial 2011/2016, Erreichbarkeit großer Zentren 2014/2015/2016. Die Typologie führt zu der in Abbildung 1 dargestellten Raumabgrenzung.
Bei der Auswertung der Ergebnisse der Erreichbarkeitsanalysen stellt sich die Frage, ab wann eine Erreichbarkeit gut oder schlecht ist. Diese lässt sich nur schwer pauschal beantworten. Der Grund dafür ist, dass Erreichbarkeiten individuell verschieden bewertet werden. Ausschlaggebend für diese individuellen Bewertungen sind sozioökonomische Gegebenheiten des eigenen Aktions- und Erfahrungsraums sowie unterschiedliches Denken über gesellschaftliche Verantwortung.
Für den Rettungsdienst (Rettungssanitäter, Notarzt, Feuerwehr) gibt es bundeslandspezifische Vorgaben für die sogenannte Hilfsfrist (z. T. auch Reaktionszeit, Eintreffzeit, Interventionszeit) (vgl. Tabelle 2) – die Zeit vom Eingang eines Notrufes bis zum Eintreffen am Einsatzort –, die sich aus Meldefrist, Gesprächs- und Dispositionszeit, Ausrückzeit und Anfahrtszeit zusammensetzt.
(Vgl. Tabelle 2: Hilfsfristen im Rettungsdienst nach Bundesländern)
Im Gegensatz zum Rettungsdienst existieren für die Polizei keine definierten Hilfsfristen. Dieses Fehlen von Hilfsfristen für die Polizei analog zu Hilfsfristen im Rettungsdienst wird u. a. dadurch begründet, dass Streifenwagen der Polizei im Einsatz, im Gegensatz zum Rettungsdienst, nicht notwendiger Weise von einem festen Stützpunkt ausrücken. Es sind daher für die Polizei im Einsatz unterschiedliche Fallkonstellationen zu berücksichtigen, die sich in verschiedenen Reaktionszeiten niederschlagen. Einen Hinweis auf die durchschnittliche Zeitdauer bis zum Erreichen des Einsatzortes durch die Polizei können die durchschnittlichen Reaktionszeiten in den einzelnen Bundesländern geben. Diese sind jedoch nur schwer zu recherchieren. Beispielsweise beträgt die durchschnittliche Reaktionszeit in Mecklenburg-Vorpommern 21,44 Minuten, in Schleswig-Holstein 12,2 Minuten, in Nordrhein-Westfalen 14 Minuten, in Berlin 8,1 Minuten und in Sachsen-Anhalt 24,43 Minuten. Diese Beispiele zeigen, dass die durchschnittlichen Reaktionszeiten der Polizei sich von Bundesland zu Bundesland z. T. erheblich unterscheiden.
Im Hinblick auf die Reaktionszeiten ist außerdem zu bedenken, dass einerseits die Reaktionszeiten der Polizei auch innerhalb eines Bundeslandes regional sehr unterschiedlich sind 5 , sodass z. B. Landesdurchschnitte wenig aussagekräftig sind und andererseits durchschnittliche Reaktionszeiten sich nicht unbedingt mit den gesellschaftlichen Erwartungen an eine adäquate Hilfsfrist decken müssen. In Diskussionen über Hilfsfristen für die Polizei wird als angemessene Reaktionszeit oftmals eine Orientierung an den Hilfsfristen des Rettungsdienstes bzw. eine Zeitspanne von 8 bis 10, vereinzelt 15 Minuten gefordert. Daraus lässt sich schließen, dass Reaktionszeiten der Polizei größer 15 Minuten eher als suboptimal gewertet werden können.
Im Erreichbarkeitsmodell berücksichtigt sind ausschließlich die reinen Fahrzeiten (Anfahrtszeit). Nicht berücksichtigt sind die nicht zeitlich planbare Meldefrist, die Gesprächs- und Dispositionszeit, die im Rettungsdienst i. d. R. zwischen 1 Minute und 1,5 Minuten beträgt, sowie die Ausrückzeit, die im Rettungsdienst i. d. R. zwischen 1 Minute und 4 Minuten beträgt. Zusammen mit den Betrachtungen zu Reaktionszeiten bei der Polizei bedeutet das, dass im Erreichbarkeitsmodell ermittelte Anfahrtszeiten größer ca. 10 Minuten auf eine eher suboptimale Erreichbarkeit durch die Polizei hinweisen.
Der 2. Teil der Analyse erscheint in CP 1/20.
1 Die Analyse erfolgte im Rahmen des Projektes „Monitoring ländlicher Räume“ / „Landatlas“ mit dem das Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft das Thünen Institut für Ländliche Räume beauftragt hat.
2 Bei der Datendisaggregation von Bevölkerungsdaten der amtlichen Statistik auf die Ebene eines Grids wird methodeninhärent die Bevölkerung in dicht besiedelten Gebieten zu einem gewissen Grad unter- und in dünn besiedelten Gebieten überschätzt (vgl. Burgdorf, 2010, 477 ff). Auf Grund des Schätzfehlers bei der Datendisaggregation des EWZ250 (näheres hierzu siehe Burgdorf, 2010) lässt sich daher die von bestimmten Erreichbarkeiten betroffene Bevölkerung nur näherungsweise ermitteln.
3 https://www.openstreetmap.org
5 Vgl. z. B. https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/panorama/minutensache-so-schnell-ist-die-polizei-in-sh-id8691421.html (12.09.2017)
Crisis Prevention 4/2019
Dr. Stefan Neumeier
Sozialgeograph, wissenschaftlicher Mitarbeiter
im Thünen-Institut für Ländliche Räume
Bundesallee 64
38116 Braunschweig
E-Mail: stefan.neumeier@thuenen.de