Das Risiko für einen langandauernden, überregionalen Stromausfall, der nachfolgend zum Ausfall der Versorgung mit Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten führt, steigt derzeit durch die Energiekrise, die vermehrten Extremwetterereignisse und aufgrund einer erhöhten Gefahr für Cyberattacken und Sabotage stark an. Insbesondere Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben sollten sich sowohl institutionell als auch persönlich auf dieses Szenario vorbereiten, denn gerade sie spielen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung eines Blackouts.
Bezeichnend für diese Krisensituation ist, dass alle Einsatzkräfte auch persönlich im familiären Umfeld betroffen sein werden. Mit dem Infrastrukturausfall brechen sowohl Kommunikation als auch Treibstoffversorgung in weiten Teilen zusammen, was den Einsatz und die Koordination von Hilfskräften massiv erschwert. Aufgrund dessen wird Hilfe von außerhalb nicht oder nur spät möglich sein. Ja, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, Gemeinden und Nachbarschaft würden auf sich alleine gestellt sein und werden auch in diesem Rahmen gemeinsam gefordert werden, die Katastrophe zu meistern. Vorgefunden wird dann nur das, was im Vorfeld organisiert, vorbereitet und im besten Fall geübt wurde, wodurch entscheidend zur Entschärfung der Gesamtsituation beigetragen und die staatlichen Hilfeleistungsmaßnahmen unterstützt werden können.
Aber ist ein Blackout nun ein Schicksalsszenario, welches zu einer kompletten eskalierten Lage mit allseits Gewaltausbrüchen, Plünderungen und Panik führen wird, in der sich selbst Einsatzkräfte ab Tag 3 nicht mehr auf die Straße trauen werden und sich nur um das Überleben der Familie sorgen? Ich kann Sie beruhigen: nein das ist es nicht!
Verhalten von Menschen in Katastrophen
Oft höre ich auf Blackout Krisenvorsorge Veranstaltungen auf Kreis- und Gemeindeebene Sätze wie: „Da fangen alle das Plündern an“, „Ich muss doch die Familie dann schützen“ oder „Es wird zu Gewalt Eskalationen kommen“, weshalb ich heute gerne mit diesen gängigen Mythen aufräumen möchte.
Es gibt eine Vielzahl an Studien und Fachliteratur dazu, die eindeutig belegen, dass die meisten Menschen (ca. 75-80%) zu einem sehr hilfsbereiten, ruhigen und rationalen Verhalten selbst in lebensbedrohlichen und Extremsituationen neigen. Antisoziales, dysfunktionales und irrationales Handeln der Bevölkerung in Katastrophensituationen kommen tatsächlich nur in sehr geringen Fällen vor, wohingegen gegenseitige Unterstützung, Selbstorganisation und Selbsthilfe die Regel ist. Allerdings muss man davon ausgehen, je weniger vorgesorgt wurde von Bevölkerung, Staat, Blaulichtorganisationen und Kritischer Infrastruktur und je länger eine Katastrophe andauert, desto mehr wird sich auch die Sicherheitslage zuspitzen.
Spiegelbild der Alltagssituation
Natürlich spielt bei dem Verhalten von Menschen in einer Katastrophe insbesondere die Situation vor einem Ereignis eine wesentliche Rolle. Das bedeutet, in einem Brennpunktviertel in einer Großstadt mit hoher Kriminalität, wird man eher mit Gewalt und Plünderungen rechnen müssen als in einer vorher friedlichen Kommune mit geringer Kriminalität.
Wenn man das vorher weiß, ist es aber auch leichter, vor die Lage zu kommen, vorzusorgen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Ob dies zum Beispiel eine intensivere und angepasste (z.B. auf unterschiedliche Sprachen, Essgewohnheiten,…) Sensibilisierung der Bevölkerung vor Eintritt eines Blackouts mit Aufruf zur Notfallvorsorge sein wird, die Krisenvorsorge in den Verwaltungen und Blaulichtorganisationen oder dann im Eintrittsfall eine verstärkte Präsenz der Polizei, die geordnete Abgabe von Lebensmitteln zur Vermeidung von Plünderungen (im Sinne von „Überlebensinstinkt bei einem Mangel an Lebensmitteln“, denn Plünderungen nur um die Situation auszunutzen, ohne wirkliche Notwendigkeit sind tatsächlich extrem selten) oder eine intensive Information durch kommunale Anlaufstellen wie Leuchttürme oder Notfalltreffpunkte, muss unbedingt vorab in den entsprechenden Behörden und Blaulichtorganisationen überlegt und vorbereitet werden.
Und wie erwähnt spielt auch der Zeitfaktor eine Rolle: je länger eine Katastrophe andauert, desto eher können sich z.B. kleine Gruppen bilden, die die Situation ausnutzen, sich inadäquat verhalten und die innere Sicherheit beeinträchtigen können. Aber auch hier sollte im Vorfeld eruiert werden, wie damit umgegangen werden soll und entsprechende Notfallpläne erstellt, um dann im Fall der Fälle frühzeitig und rasch zu reagieren und diese Gruppen rechtzeitig abzufangen.
Krisenvorsorge durch Bevölkerung und Schlüsselpersonal
Selbstverständlich werden Menschen, die selbst mit einem 14-tägigen Vorrat an Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten vorgesorgt haben, auch leichter ihre Mitmenschen in Schadenslagen und Katastrophen unterstützen können. Und gerade die Frauen und Männer, welche in Blaulichtorganisationen, Kreis- und Gemeindeverwaltungen und in der Kritischen Infrastruktur arbeiten, werden freieren Kopfes ihre Arbeit und ihren Dienst leisten können, in einer sehr herausfordernden Situation, wenn sie und ihre Familien persönlich und auch organisatorisch entsprechend vorgesorgt haben.
Deshalb ist die persönliche Krisenvorsorge ein wichtiger Punkt bei der Resilienz unserer Gesellschaft, insbesondere mit Hinblick auf das Szenario eines Blackouts, wenn es zu einem Versorgungsausfall kommen wird. Nur wenige Menschen glauben, dass Ihnen irgendwann eine Katastrophe passieren kann und wir haben in Deutschland auch innerhalb der letzten Jahrzehnte keine überregionalen Katastrophen mehr erlebt. Hier muss unbedingt das Risikobewusstsein geweckt werden und wir sehen, dass dies im Zuge des letzten halben Jahres immer mehr geschieht, durch Sensibilisierung der Bevölkerung von Kreisen und Gemeinden, Informationskampagnen, aber auch durch ein verstärktes Interesse am Thema und Präsenz in den Medien.
Leider haben die meisten Menschen und auch viele Organisationen eine „Vollkasko-Mentalität“ und verlassen sich auf entsprechende Hilfe von außen. Bei einer regionalen Lage ist dies auch durchaus möglich. Nur sobald es zu überregionalen Szenarien wie einem Blackout kommt, kann nicht damit gerechnet werden, dass zum Beispiel der Katastrophenschutz des Kreises allen Pflegeheimen oder Gemeinden Notstromaggregate zur Verfügung stellen kann oder Rettungsdienste die Bevölkerung mit Lebensmitteln für 1-2 Wochen versorgen. Und dies ist ein Punkt, an dem noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss, in den Dialog gegangen und sich zusammen gesetzt werden sollte, um gegenseitige Erwartungen und deren Grenzen zu klären sowie die nötige Krisenvorsorge auf allen Ebenen zu treffen.
Fazit:
Der langandauernde, überregionale Stromausfall ist eines der aktuellsten und weitreichendsten Risiken der heutigen Zeit. Die gängigen Mythen, dass es zum Beispiel zu einer Vielzahl an Plünderungen, Gewalt, Panik und Eskalationen kommen würde, sind dagegen nicht haltbar, wie in zahlreichen länderübergreifenden Studien und Literatur bewiesen wird. Im Gegenteil, wir können davon ausgehen, dass sich der Großteil der Bevölkerung adäquat verhalten wird. Allerdings ist in meinen Augen eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass eine ausreichende Sensibilisierung und Anregung zur Krisenvorsorge vorab und stetige Information durch die Behörden während des Szenarios stattfinden wird. Nur gemeinsam kann solch eine Lage bewältigt werden und gemeinsam sollten wir auf allen Ebenen vorsorgen.
Crisis Prevention 4/22
Dr. Sandra Kreitner
Notfall- und Krisenmanagerin (IHK und BdSI)>
Botschafterin für Bayern der Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV)“
www.schritt-fuer-schritt-krisenfit.de
E-Mail: Sandra.Kreitner@gfkv.eu