In Besonderen Aufbauorganisationen (BAO) ist gerade das Nicht-Alltägliche Normalzustand. Um in immer neuen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen, unterstützt die IT die Polizeiarbeit. Polizeihauptkommissar Frank Ahnert ist Arbeitsgruppenleiter „Führungs- und Einsatzunterstützende Verfahren“ (FEV) und Projektleiter ELS-BAO (Einsatzleitsystem BAO) bei der Sächsischen Polizei und sorgt mit unterstützenden IT-Systemen dafür, dass die Stäbe „stets vor der Lage sind“. Im Interview erläutert der 43 Jährige, wie IT effektive Polizeiarbeit fördert – und wo ihre Grenzen sind.
Welche Rolle nimmt die IT in besonderen Lagen ein?
Bekanntlich umfasst eine Besondere Aufbauorganisation – BAO – alle Maßnahmen über den täglichen Dienst hinaus – mitsamt eigenen Kräften und einer eigenen Organisationsstruktur. Beispiele für besondere Lagen ist etwa die Sicherung von Fußballspielen oder Demonstrationen. Eine Grundvoraussetzung bei der Bewältigung von BAOs lautet:
Eine BAO kann nur so gut funktionieren wie der Führungsstab. Je besser die Organisation, je besser die Strukturen aufgebaut sind, je klarer die Aufträge für die Einsatzbewältigung rausgegeben werden, umso besser funktioniert der Einsatz. Der IT kommt in der besonderen Lage eine wichtige Rolle zu, denn ohne sie lässt sich die Gesamtlage schlecht darstellen.
Einige Beispiele: Eine Demonstration ist in mehrere Einsatzabschnitte unterteilt. Erfordert die Beurteilung der Situation, den Einsatzgruppen neue Aufgaben zuzuweisen, so bilden insbesondere digitale Karten die Gesamtlage anschaulich ab und sämtliche Umgruppierung werden im Lageführungs- und Stabssystem dokumentiert.
Oder aber eine Standardsituation: Einsatzgruppen müssen abgelöst werden, weil ihre erlaubte Arbeitszeit das erfordert. Die IT lässt visuell gut darstellen, wo ich neue Einsatzkräfte abziehen kann und wo der Nachschub herkommt.
Eine dritte Situation: Muss der Polizeiführer oder der Führungsstab die Lage neu beurteilen – sagen wir, eine Demonstration muss aufgrund eines Verkehrsunfalls umgeleitet werden – dann wird die Streckenplanung sehr zeitnah über das Kriterium „Verkehr“ im System angepasst. In das Kriterium Verkehr fließen alle aktuellen Informationen zur Verkehrslage ein, werden visuell dargestellt und es lassen sich neue Entscheidungen ableiten.
Welche Aufgaben übernimmt im Normalfall die Software, welche der Einsatzleiter?
Wird ein Einsatz angelegt, weil polizeiliche Kräfte zum Einsatz kommen sollen, werden alle einsatzrelevanten Informationen im IT-System erfasst, in Kategorien unterteilt und filterbar dargestellt. Auf dieser Basis wird die Lage permanent überwacht und beurteilt und der Führungsstab gibt technisch-organisatorische und taktische Maßnahmen sowie die großen Leitlinien aus.
Die IT hat drei Funktionen: Die Aufgaben im Führungsstab werden von der IT abgebildet, genau an den zuständigen Kollegen gesteuert und man stellt mit ihr sicher, dass sie in einem vorgeschriebenen Prozess abgearbeitet werden.
Auf dieser Grundlage können wir im Führungsstab die Kollegen draußen mit der besten Informationslage unterstützen, damit sie sozusagen vor der Lage sind. Wichtig ist: Die Entscheidungen trifft die Polizeiführung, die IT unterstützt.
Wie werden Massendaten wie Livebilder, Twitter und Facebook einbezogen?
Wir werten selbstverständlich Soziale Medien aus und beziehen Live-Bilder in die Beurteilung der Lage mit ein. Die Analyse der Massendaten erledigen spezielle Systeme. Die Rückschlüsse aus der Auswertung der Massendaten wird im Einsatzleit- sowie im Lageführung- und Stabssystem dokumentiert und fließt in die Einsatztaktik mit ein.
Wie wichtig ist die IT-Unterstützung für die Sicherheit der Einsatzkräfte?
Auch hier hilft uns die IT. Alles, was wir im System dokumentieren, können wir auch wieder als Dokumente an die Einsatzkräfte ausgeben. Polizeiführung und Einsatzkräfte müssen jederzeit wissen: Wo sind benachbarte Kräfte? Und wie schnell können sie gegebenenfalls unterstützen? Droht Gefahr, werden zügig die richtigen Leute angesprochen. Auch in der Einsatzmittelplanung unterstützt die IT. Wir geben schon im Vorfeld Dokumente an die Einsatzkräfte aus, die Anweisungen enthalten, welche Einsatzmittel mitzuführen sind.
Von der persönlichen Sicherheitsausrüstung, Schildern, Helmen – das alles ist im Vorfeld festgelegt und kann im Einsatz nicht mehr vergessen werden. Auch unsere Kommunikations- und Meldepläne werden über die IT ausgegeben. Sind die Wege bekannt, weiß jeder, wer in welcher Situation über Digitalfunk ansprechbar ist, um Unterstützung anzufordern. Die Kommunikationswege funktionieren so auf festgelegten Wegen einwandfrei.
Noch ein letztes Beispiel zum Thema Sicherheit: Die Dokumentation beschleunigt die Auftragsbearbeitung. Ist ein Sanitäter gefragt, legt der zuständige Kollege im Führungsstab den Fall an, dokumentiert und organisiert schnellstmöglich Hilfe.
Was sind derzeitige Trends in der IT-Unterstützung?
Bei uns ganz oben steht das Thema mobile Polizeiarbeit. Hier laufen die Entwicklungen Richtung Cloud-Lösungen. Immer mehr Kommunikation wird über Messenger-Dienste abgewickelt. Dabei steht die Kommunikation unter den Einsatzkräften oder auch die der Einsatzkräfte in die Einsatzzentrale im Fokus.
Bei den Messenger-Diensten geht es vor allem um die Übertragung von Bildern und Videos vom Einsatzort. Ganz klar: Das Einsatzfahrzeug wird zum Büro der Zukunft.
Ziel dieser Entwicklung ist es, dass wir möglichst oft draußen sind und für die Bürger noch präsenter werden. Die nötige IT-Infrastruktur im Fahrzeug ist die Grundvoraussetzung für diese Maßgabe.
Als Beispiel möchte ich eine kleine BAO nennen. Bei der Suche nach einer vermissten Person können Einsatzkräfte vor Ort Fotos oder Videos in die Führungs- und Einsatzzentrale geben und die Kollegen im Stab werden damit sofort ins Bild gesetzt und aussagekräftig.
Derzeit haben wir eine Anzahl interaktiver Funkstreifenwagen im Einsatz, die mit dem Einsatzleitsystem kommunizieren können. Unsere Fahrzeuge sind über den Digitalfunk verortet. Ein weiterer Trend ist: Auch die Einsatzleitsysteme gehen in Richtung webbasierte Systeme.
Wo sind die Grenzen der IT-Unterstützung?
Die Grenzen liegen da, wo polizeiliches Denken und Strategie gefordert wird. Es wird nie so weit kommen, dass man sich uneingeschränkt auf eine Software verlässt. Nicht umsonst sind gerade Führungsstäbe von BAO mit erfahrenen Kollegen besetzt. Entscheidungen werden aufgrund ihres Erfahrungswissens getroffen – die IT unterstützt, nimmt Entscheidungen aber niemals ab. Denn Software agiert in Algorithmen. Bei der Polizeiarbeit sind aber Entscheidungen, die heute getroffen werden, im nächsten Fall morgen nicht unbedingt wieder die richtigen, weil sie sich in einem Detail unterscheiden.
Eine weitere Grenze ist die Kommunikation in Statusmeldungen. Statusmeldungen wie „Bin am Einsatzort angekommen“ oder „Ich möchte eine Sprechkommunikation aufbauen“ sind in der BAO nicht erwünscht, weil in der besonderen Lage offen kommuniziert werden muss. Alle müssen jederzeit über alle entscheidenden Fakten informiert sein.
Auch Textübertragungen durch Maschinen im Funk sind möglich, aber nicht gewollt. Denn in der verbalen Funkkommunikation werden Emotionen übertragen und gerade derer dürfen wir uns nicht berauben. Zukünftig wird man sicher auch über Videokommunikation nachdenken.
Wo stehen wir in fünf Jahren?
Wir werden stärker über visuelle Kanäle kommunizieren. Ob dann Bilder und Videos über den Digitalfunk ausgetauscht werden oder über Messenger-Dienste, steht noch nicht fest. Tablets und Smartphones werden aber ganz gewiss eine größere Rolle übernehmen. Aber auch eine interaktive Ausrüstung in Brillen oder Helmen wird geprüft.
Wie wird bei Ihnen IT eingeführt?
Wir haben eine eigenständige Verfahrensbetreuung, die sich um die Weiterentwicklung von IT-Systemen und Partner-IT kümmert. Die Anforderungen aus den Einsatzkräften kommen bei uns in dieser Abteilung an und wir arbeiten mit den Entwicklern daran, die Wünsche abzuarbeiten. In der Entwicklung sind Vertreter aller Dienststellen der sächsischen Polizei eingebunden – alles Leute aus der Praxis – sie geben Infos und beschreiben die Funktionen, die die Kollegen benötigen und reichen die Funktionen, die wir erstellt haben, zurück an die Praktiker im Einsatz. Ein breiter Kreis von Kollegen ist auf diese Weise früh in Entwicklungsschritte einbezogen und kann Rückkopplungen geben. Auf diese Weise sichern wir eine breite Akzeptanz für die neuen Funktionen und Produkte.
Zusätzlich stehen wir in ständigem Austausch mit den Entwicklungsabteilungen der Hersteller – das geht bis zu mehrfach täglichen Telefonaten, bis jede Funktion genau so steht, wie wir wollen. Der enge Austausch gewährleistet effiziente Entwicklungsprozesse und wir vermeiden Fehlentwicklungen.
Die Hitliste an gewünschten Neuerungen durch die IT Hitliste wird klar angeführt durch die Übertragung von Daten und Bildern, Messenger-Diensten und der Weiterentwicklung des Polizeifahrzeugs zum mobilen Büro.
Herr Ahnert, wir bedanken uns für das Gespräch.
Frank Ahnert ist Arbeitsgruppenleiter „Führungs- und Einsatzunterstützende Verfahren“ (FEV) und Projektleiter ELS-BAO bei der Sächsischen Polizei und zuständig für Beschaffung und Weiterentwicklung von IT in BAO.
Crisis Prevention 3/2017
Das Interview führte Monika Rech-Heider.