Die Reform des BAMF – Management im öffentlichen Auftrag

Hans-Herbert Schulz

BAMF, roul

Frank-Jürgen Weise, Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sowie der Bundesagentur für Arbeit, wird sich voraussichtlich bis Ende des Jahres von seinen Ämtern zurückziehen. CP hatte kurz davor noch Gelegenheit, mit ihm über den Status quo, die Anforderungen für die nähere Zukunft, Erfolge und Reformen und die Probleme durch die außergewöhnlichen Belastungen der jüngsten Zeit zu sprechen.

Crisis Prevention: 

Herr Dr. Weise, können Sie uns einen Überblick geben über die Veränderungen und den derzeitigen Status des Amtes, z.B. die Anzahl der Mitarbeiter, der Verstärkungskräfte, Gliederung, Dienststellen, heutige Arbeitsweise und -verfahren? 


Dr. h.c. Weise: 

Im Herbst 2015 befand sich das Bundesamt in einer Art Ausnahmesituation. Die große Zahl derer, die in Deutschland um Schutz suchten, forderte Länder, Kommunen und auch uns. Im BAMF mussten wir die Grundlagen dafür schaffen, dass wir die Vielzahl von neuen Asylverfahren bewältigen können. Gleichzeitig gab es schon einen gewissen Rückstand an anhängigen Verfahren. Arbeitsabläufe, die Art der Steuerung, eine neue Informationstechnologie, die Personalrekrutierung und -qualifizierung: Das alles mussten wir in kurzer Zeit grundsätzlich neu aufstellen. Mit dem Ergebnis bin ich zufrieden: Eine belastbare Struktur, die wirkt – auch dank der guten Unterstützung von Politik und anderen Behörden. 

Gegenwärtig arbeiten im Bundesamt rund 10.000 Menschen und damit fast viermal so viel wie noch vor einem Jahr. Ein Drittel derer kommt aus anderen Behörden, zum Beispiel aus Bundeswehr, Zoll und auch aus der Bundesagentur für Arbeit und ist nur vorübergehend für uns tätig. Ohne diese Unterstützung hätten wir das nicht geschafft.


CP: 

Wie viele Flüchtlinge sind in Ihrer Amtszeit angekommen, registriert und mit einem Status versehen worden? 


W.: 

Knapp 900.000 Asylsuchende kamen im Jahr 2015 nach Deutschland, rund 250.000 sind es bislang in diesem Jahr. All diese Menschen wurden in den letzten Monaten registriert und haben ihren Antrag auf Asyl beim Bundesamt nun gestellt. Wir wissen, wer sich in Deutschland befindet. Dies ist eine gute Datenbasis, die dank unserer behördenübergreifenden Kerndatenbank auch Land und Kommune in ihren Planungen hilft. Ein Großteil der Menschen, die im Herbst 2015 zu uns gekommen sind, haben bereits eine Gewissheit über ihre Bleibeperspektive erhalten und auch die anderen werden ihre Entscheidung zeitnah erhalten. Wer heute kommt, kann im Durchschnitt binnen sechs Wochen mit einer Entscheidung rechnen. 


CP: 

„Zum Jahresende wird das Bundesamt weit mehr als doppelt so viele Entscheidungen getroffen haben wie im Vorjahr“, sagte Bundesminister de Maizière anlässlich einer Pressekonferenz am 12.10.16. Das heißt aber auch, dass es noch immer eine Bugwelle unerledigter Altfälle gibt. Bis wann sind voraussichtlich auch alle „Altlasten“ abgearbeitet? 


W.: 

Zum Jahresende werden wir nahezu 700.000 Entscheidungen getroffen haben, dies sind in der Tat mehr als doppelt so viele wie im letzten Jahr. Und vorausgesetzt, die Zahl neu ankommender Geflüchteter bleibt auf dem gegenwärtigen Niveau, werden wir auch den größten Teil aller jetzt anhängigen Verfahren bis Ende des ersten Quartals 2017 abbauen können. Ob das gelingt, hängt aber auch von Faktoren ab, die nicht in unserer Hand liegen: Hält das EU-Türkei-Abkommen? Wie entwickeln sich die Fluchtrouten, und was geschieht in den zentralen Zugangsländern wie Griechenland oder Italien? 


CP: 

Diskutiert wird ja zurzeit der Status, den Deutschland den Flüchtlingen gewähren sollte. Wie ist denn das Verhältnis von Flüchtlingen mit vollwertigem Flüchtlingsstatus und zu denen mit subsidiärem Schutz? Wie unterscheiden sich die Integrationsmaßnahmen?


W.: 

In den ersten zehn Monaten des Jahres erhielten rund 318.000 Asylsuchende einen Schutzstatus, rund einem Drittel dieser Menschen wurde der subsidiäre Schutz zuerkannt. Ein Schutzstatus, der zunächst für ein Jahr gilt, der aber auch wie bei jedem anderen Schutzstatus den vollen Zugang zum Integrationskurs oder anderen berufsqualifizierenden Maßnahmen bietet. Gute Möglichkeiten, um die Sprache zu lernen und damit den Grundstock für eine weitere Perspektive zu legen. Der Unterschied zum vollen Flüchtlingsschutz liegt aber in der momentanen Aussetzung des Familiennachzugs. 


CP: 

Furore in der Presse hatten ja auch Meldungen über eingeschleuste Terroristen gemacht. Wie viele Verdachtsfälle gibt es bisher, bei denen die Einreise nach Deutschland aus anderen, möglicherweise die Sicherheit gefährdenden Gründen erfolgt ist? 


W.: 

Unsere Mitarbeiter sind in hohem Maße für sicherheitsrelevante Aspekte sensibilisiert. Sobald sich beispielsweise in der Anhörung ein Hinweis oder Verdacht ergeben, meldet der Entscheider diesen an unser Sicherheitsreferat. Wir setzen hier konsequent auf den ständigen, intensiven Dialog mit den Sicherheitsbehörden und auch auf einen Ausbau der Schnittstellen zu den Sicherheitsbehörden. 


CP: 

Wie ist jetzt der Status des im Februar vorgestellten IT-Systems zur Erfassung der Flüchtlinge und der notwendigen Zusammenarbeit mit den in der Flüchtlingshilfe involvierten Dienststellen und Organisationen? Ist das System interoperabel bzw. „medienbruchfrei“ zur Zusammenarbeit befähigt mit den Systemen der notwendigen Partner auf Seiten der Länder und Kommunen, den Dienststellen und Organisationen der BOS?


W.: 

Besonders die Fortschritte in der Digitalisierung machen uns heute deutlich leistungsfähiger. Wir haben eine hervorragende Informationstechnologie installieren können und die richtigen Mitarbeiter an den entscheidenden Stellen. Unsere IT-Projekte finden weltweite Anerkennung, sind sogar prämiert. Das betrifft zum Beispiel die neu strukturierte Datenübermittlung, bei der wir einen Echtzeit-Abgleich von Personendaten durchführen. Das macht das gesamte Verfahren schneller und sicherer. 

Die Plattform „Asyl online“, die mit dem „Excellence Award“ von Oracle ausgezeichnet wurde, dient zur Registrierung der Geflüchteten und zur Ausstellung von mittlerweile mehr als 170.000 Ankunftsnachweisen. Mit diesen ist eine eindeutige Identifizierung von Asylsuchenden ab dem ersten Kontakt mit staatlichen Stellen möglich. Mehrfachregistrierungen und der Missbrauch beim Bezug von staatlichen Leistungen sind somit ausgeschlossen. Auf unsere Kerndatenbank können Sicherheitsbehörden zugreifen, genau wie beispielsweise die Ausländerbehörden. Zieht ein Geflüchteter heute um, so ist seine neue Adresse – einmal eingetragen – für alle im Flüchtlingsmanagement wichtige Akteure ersichtlich.


CP: 

Das BAMF hat eine viel beachtet App „Ankommen“ entwickelt. Können Sie uns sagen, wie sie angenommen und genutzt wird?


W.: 

Seit ihrem Start im Januar 2016 wurde die App bereits rund 200.000 Mal heruntergeladen. Sie ist eine Erfolgsgeschichte. Während der ersten Wochen hilft sie mit allerlei Informationen, auch zum Asylverfahren, bei der schnellen Orientierung. Das Goethe-Institut hat einen kostenlosen Basis-Sprachkurs für die ersten Schritte auf Deutsch integriert. Neuerdings ist sie durch eine mobile Website und zusätzliche Nachrichten-Inhalte der ARD erweitert. Man kann dort etwa die „100-Sekunden-Tagesschau“ in Englisch und Arabisch ansehen. Eine gelungene Kooperation von BAMF, Bundesagentur für Arbeit, Bayerischem Rundfunk und dem Goethe-Institut – mittlerweile übrigens mit mehreren Medienpreisen ausgezeichnet.


CP: 

Wie erfolgreich sind bisher die Rückführungen, also z.B. die freiwillige Rückkehr mit dem Förderprogramm REAG/GARP?


W.: 

In den ersten neun Monaten des Jahres sind bereits so viele Menschen freiwillig in ihr Herkunftsland zurückgekehrt wie im gesamten letzten Jahr. Das vom Bund geförderte Rückkehrförderprogramm REAG/GARP ist zentral und wird immer wichtiger. Es ist das Rückgrat unser Maßnahmen zur Rückkehrförderung. Konkret gab es bis September ca. 45.000 Bewilligungen. Das sind fast doppelt so viele wie im Vorjahr. 

Auffällig ist, dass es nicht nur die Menschen aus den Westbalkan-Staaten sind, die diese Möglichkeit nutzen. Es sind zunehmend auch Rückkehrer nach Afghanistan, Irak, Iran und Pakistan. Gemeinsam mit Vertretern von Bund, Ländern und einer Beratungsfirma analysieren wir aktuell den gesamten Rückkehrprozess. Wir testen eine Rückkehrberatungshotline und eine Rückkehrberatung in unseren Ankunftszentren. Transparenz in das Asylverfahren zu bringen bedeutet auch, Personen mit geringer Bleibeperspektive frühzeitig über bestehende Fördermöglichkeiten im Bereich der freiwilligen Rückkehr zu informieren. 


CP: Rechnen Sie mit einer „Normalisierung“ in nächster Zeit, d.h. wann kann das BAMF voraussichtlich auf Verstärkungskräfte verzichten? 


W.: 

Das Jahr 2015 wird eine Ausnahmesituation bleiben. Mittlerweile kommen weniger Schutzsuchende zu uns. Ich gehe davon aus, dass es unter 300 000 Menschen bleiben werden. Was das Maß ist, an welchem sich auch die Personalisierung des BAMF orientiert, das muss die Politik nun für das Jahr 2017 und 2018 sagen. 


CP: 

Wie sieht für Sie das BAMF in der nächsten und mittelfristigen Zukunft aus, angesichts schlecht planbarer Herausforderungen?


W.: 

Wir arbeiten nun daran sicherzustellen, dass das Bundesamt auch bei steigenden Zahlen kurzfristig und flexibel reagieren kann. Die Strukturen dafür sind geschaffen. Eine zentrale Rolle spielen dabei unsere 25 Ankunftszentren, von denen es mittlerweile mindestens eines in jedem Bundesland gibt. In diesen arbeitet das Bundesamt eng verzahnt mit Land und BA zusammen. Aktuell wollen wir die anhängigen Verfahren abbauen, um damit allen Menschen eine Gewissheit über ihre Zukunft geben zu können. Da unterstützen Dienststellen, die bereits ohne Rückstand sind, nun diese, die noch viele Fälle haben. 

Diese Strukturen gilt es zu trainieren und auszubauen. Auch die Qualifizierung des Personals werden wir in weiteren Modulen fortführen. Das, was das Bundesamt seit einem Jahr geschafft hat, ist außergewöhnlich. Nun geht es darum, diese besondere Kraftanstrengung, die wir seit dem letzten Jahr erbringen, in flexible Strukturen zu überführen und die gemeinsam entwickelte Leistungskultur zu institutionalisieren. Dann sind wir für die Zukunft bestens gerüstet. 


CP: 

Herr Dr. Weise, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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