Der verheerende Brand im Hochhaus Grenfell Tower im Juni des Jahres hat auch in Deutschland für Diskussionen gesorgt. Zahlreiche hohe Wohngebäude wurden von den zuständigen Behörden auf ähnliche Anfälligkeit hin untersucht, Experten meldeten sich überall zu Wort, Sicherheitsmängel wurden festgestellt, in einzelnen Fällen mussten Anwohner sogar kurzzeitig ihre Wohnungen verlassen, weil Brandschutz nachzubessern war.
Wir sprachen mit einem ausgewiesenen Fachmann über das Thema: Frank Hachemer, der Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, beantwortete für CP die naheliegendsten Fragen zu Hochhausbränden.
Ist ein solcher Brand wie in London auch in Deutschland denkbar?
Immer wieder hört man in der Folge des verheerenden Hochhausbrandes in London in Medienbeiträgen Aussagen auch von namhaften Brandschützern, die – wohl in der Absicht, jetzt keine Panik auslösen zu wollen – aussagen: So etwas kann bei uns nicht passieren. Dabei wäre es sicher wie so oft eher zielführend, eine differenziertere Betrachtungsweise zu wählen. Denn die gestellte Frage „Kann so etwas bei uns auch passieren?“ müsste ja zunächst präzisiert werden dahingehend, was denn mit der Bezeichnung „so etwas“ genau gemeint ist.
Formal ist es richtig, dass in Deutschland der Einbau von brennbaren Dämmstoffen nicht zulässig ist bei Gebäuden, die baurechtlich als Hochhäuser einzustufen sind. Die Erfahrung im baulichen Brandschutz zeigt aber leider, dass in vielen Fällen aus den unterschiedlichsten Gründen brandschutzrechtliche Vorgaben nicht eingehalten werden. Wer möchte also garantieren, dass „so etwas“ bei uns nicht passieren kann? Fassadenbrände beziehungsweise die Ausbreitung von Bränden über eine brennbare Fassadendämmung sind in Deutschland bei Wohngebäuden bereits vorgefallen. Ein Brand in der Londoner Dimension zum Glück noch nicht.
Wer aber könnte ernsthaft und seriös sagen, dass alle Hochhäuser in Deutschland sicher sind?
Was ist bei uns anders als in England?
Es findet ja seit einiger Zeit eine europäische Harmonisierung auch im baulichen Brandschutz statt. Welche Auswirkungen der Brexit auf den britischen Brandschutz haben wird, wird sich zeigen müssen. In England ist vieles gut, Panikschlösser in Rettungswegen zum Beispiel waren dort schon weiter und früher verbreitet als bei uns. In der Entrauchung gerade großer Gebäude ist England seit dem zweiten Weltkrieg weltweit Vorreiter. Die Feuerwehr Londons gilt als eine der weltweit besten überhaupt. So gesehen sind also weder wir noch England „Brandschutz-Entwicklungsländer“.
Wie versucht man, schon bei den Bauvorschriften Vorsorge zu treffen?
Es gibt zahlreiche gute und wirkungsvolle Vorgaben, die das Entstehen eines Brandes und die Ausbreitung von Feuer und Rauch bei einem Brand verhindern sollen. Mitunter gibt es Forderungen auch aus der Politik, diese Vorgaben seien zu teuer und überzogen. Die Feuerwehren wissen durch ihre alltäglichen Erfahrungen, dass das nicht zutrifft. Oftmals rühren schlechte Erfahrungen von Bauherren daher, dass sie schlecht beraten werden. Auch wird oft übersehen, dass die erzeugte Sicherheit nicht in Heller und Pfennig berechnet werden kann – aber Brandschäden dann durchaus.
Auch stellt sich ja die ethische Frage, was ein Menschenleben wert ist. Bei dem Problem, das die besondere Dimension des Brandes in London wohl ausmacht, nämlich bei Gebäudedämmungen, sollen so genannte „Brandriegel“ ein Übergreifen von Feuer auf andere Etagen unterbinden. Das ist eher skeptisch zu betrachten.
Bei einem Brand von Fassadendämmungen entstehen mitunter meterhohe Flammen, die solche Riegel überspringen können. Sicherheit gibt es nicht, so lange eine Fassadendämmung brennbar ist!
Sind Feuerwehren bei uns trotz besserem Brandschutz auf so etwas vorbereitet?
Die Feuerwehren verfolgen die Diskussion gerade über das Thema „Fassadendämmungen“ schon seit vielen Jahren – dazu gibt es bereits viele deutliche Äußerungen. Die Feuerwehren bekämpfen Fassadenbrände mit den ihnen gegebenen Mitteln. Wer die Einsatzzeiten und -möglichkeiten der Feuerwehren in Deutschland kennt, weiß, dass sie weltweit an oberer Stelle stehen. Er weiß aber auch, dass sich Fassadenbrände mit brennbaren Dämmstoffen deutlich schneller ausbreiten, als eine Feuerwehr am Brandort tätig werden kann. Wenn also eine Feuerwehr am Brandort eintrifft, ist schon viel passiert.
Das bedeutet, dass diese Problem eindeutig baulich angegangen werden muss.
Gibt es Spezialisten dafür und wenn, wo in Deutschland?
Die Branddirektion in Frankfurt am Main ist hier sicherlich ein probater Ansprechpartner, der mir spontan einfällt.
Welche Gefahrenpunkte begünstigen, dass sich ein solcher Brand trotz aller Vorsorge ausbreiten könnte?
Alle baulichen Schwachpunkte eines Gebäudes, fehlende Trennungen, brennbare Baustoffe – aber der größte Schwachpunkt ist leider der Mensch: Rettungswege werden außer Funktion gesetzt durch Unwissen oder Nachlässigkeit, Brandschutzeinrichtungen nicht ernst genommen. Betreiber vernachlässigen leider allzu oft ihre Pflichten im organisatorischen Brandschutz, sodass Wartungen, Instandsetzungen und Reparaturen unterbleiben. Damit fallen Rettungswege aus, sind Brandschutzeinrichtungen unbenutzbar. Es ist in meinen Augen ein Wunder, dass nicht noch viel mehr schlimme Unfälle geschehen.
Was hat man aus Hochhausbränden in der Vergangenheit gelernt?
Aus Hochhausbränden der Vergangenheit hat sich gezeigt, wie existenziell wichtig funktionierende Rettungswege sind. Ihre Ausgestaltung entscheidet darüber, ob und wie viele Menschen bei einem solchen Brand zu Schaden kommen und ob eine möglichst schnelle Brandbekämpfung ermöglicht ist oder nicht.
Crisis Prevention 3/2017
Frank Hachemer
Vizepräsident
Deutscher Feuerwehrverband e. V.
Reinhardtstraße 25
10117 Berlin
www.feuerwehrverband.de