Die Bundesrepublik Deutschland betreibt für Polizeien, Feuerwehren, Rettungsdienste und weitere Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben das der-zeit größte TETRA-Digitalfunknetz der Welt. Das Netz bietet gleich mehrere Vorteile für den Einsatz, darunter den Grup- penruf, also eine Punkt-zu-Mehrpunkt-Kommunikation, mit der eine Gruppe von Kräften mit einem Funkspruch gleichzeitig erreicht werden kann. Gute Sprachqualität, mehrfach verschlüs- selt und hochverfügbar: Über eine Million Einsatzkräfte ver- lassen sich auf das BOS-Digitalfunknetz, 24 Stunden täglich, 365 Tage im Jahr. Mit seiner resilienten Grundstruktur erreicht dieses Netz eine zeitliche Verfügbarkeit von derzeit 99,97% und eine Verfügbarkeit in der Fläche von 99,2%. Über 5.000 Basisstationen verrichten mehrfach redundant angebunden und gegen Stromausfälle abgesichert zuverlässig ihren Dienst.
Dieses hochverfügbare und hochsichere TETRA-Netz hat immense Vorteile. Aber: Die Technologie gelangt an das Ende ihrer Entwicklung und ihre Zukunft ab 2030 ist noch nicht gesichert. Viel wichtiger noch ist aber die Frage: Kann es die aktuelle und zukünftige Einsatzwirklichkeit in der polizeilichen und nicht- polizeilichen Gefahrenabwehr abbilden? Die Antwort ist leider: Nein. Um zu dieser klaren Antwort zu gelangen, genügt der Einblick in ein typisches Einsatzszenario unserer Polizeien, die Begleitung einer Großdemonstration unter Heranziehung von Kräften aus anderen Bundesländern bzw. der Bundespolizei. Gegenwärtig ist die Lagebeschreibung nur über die Sprachkommunikation möglich. Zusätzlich wird das Geschehen mit Videoaufzeichnungen dokumentiert. Ist das befriedigend im digitalen Zeitalter, in einer Ära von hochentwickelten, smarten Endgeräten, Streaming und Datenübertragung mit Gigabit-Geschwindigkeiten? Sollten Einsatzleitung und Einsatzkräften nicht Live-Lagebilder per Stream, z. B. durch Drohnen und Bodycams aus verschiede- nen Perspektiven zur Verfügung stehen?
Auch in der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr gibt es unzählige Szenarien, die mittlerweile eine Breitbanddatenübertragung benötigen. Großschadenslagen wie Hochwasser oder Waldbrände müssen mit einem bestmöglich gehärteten Kommunikationsnetz bewältigt werden können und auch den Austausch von Daten in jedem Fall ermöglichen. Vom Krisenstab bis zur letzten Hilfs- kraft müssen alle Informationen bestmöglich in Echtzeit verteilt werden. Aber auch Alltagseinsätze erfordern mittlerweile ein hochsicheres, hochverfügbares Breitbandnetz bspw. für teleme- dizinische Datenübertragung aus dem Rettungshubschrauber in die Notaufnahme oder den Datenabgleich bei Verkehrskontrollen. Wie verläuft die datengestützte Kommunikation heute? Sie findet auf kommerziellen Mobilfunknetzen statt. Zum Teil mit privaten Endgeräten und Verträgen. Die fehlende bundeseinheitliche Anbindung fördert eine länderindividuelle Entwicklung und schafft eine inhomogene Breitbandlandschaft. Diese gefährdet die ein- heitliche organisationsübergreifende BOS-Kommunikation und wird später mühsam und kostenintensiv konsolidiert werden müssen.
Ein kommerzielles Mobilfunknetz ist nicht resilient. Es ist nicht hochsicher, nicht hochverfügbar, nicht krisenfest. Im Falle einer Cyberattacke, eines großflächigen Stromausfalles, einer größeren Naturkatastrophe wird dieses kommerzielle Mobilfunknetz versagen. Es werden in dieser Situation schlicht keine Live-Lagebilder, kein übergreifender Datenaustausch, keine kollaborativen Einsatzanwendungen, keine Einsatzführungssoftware geben.
Das BOS-Digitalfunknetz wird im Zuge einer großen Netzmodernisierung aktuell IP-fähig gemacht – auch zu dem Zweck, breit- bandig Daten transportieren zu können. Zudem hat die BDBOS gemeinsam mit Bund und Ländern bereits seit geraumer Zeit die Planung eines eigenbeherrschten BOS-Breitbandnetzes vorange- trieben, um den Digitalfunk der Zukunft zu gestalten. Sie hat außerdem Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft im Zuge unseres Innovationsprogrammes KoPa_45 aktiviert, um Anwendungen und Dienste für die zukünftige einsatzkritische Datenkommunikation zu skizzieren und mit einem wissenschaftlich-praktischen Unterbau für die spätere Realisierung zu versehen.
Dennoch fahren wir bei all diesen Entwicklungen nach wie vor mit angezogener Handbremse. Denn die haushälterischen Herausforderungen, denen sich unser Land gegenübersieht, machen auch vor der BDBOS nicht Halt. Eine moderne und zukunftsfähige Infrastruktur für den Digitalfunk der Zukunft erfordert ausreichende Finanzmittel. Gerade im digitalen Infrastruktursektor ist Investition – und zwar im Sinne permanenter Weiterentwicklung – unabdingbar.
Um die Relevanz des derzeitigen und zukünftigen Digitalfunks ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rufen und auch im politischen Berlin auf Sichthöhe zu heben, hat die BDBOS deshalb eine „Awareness“-Kampagne mit Plakaten und digitalen Werbetafeln gestartet. Einsatzkritische Kommunikation bestimmt oft über Leben und Tod. Daher läuft die Kampagne unter dem Titel: „Digitalfunk rettet Leben“.
Deutschland droht mit der Stagnation seiner infrastrukturellen Entwicklung in Sachen Breitband BOS gegenüber dem europäi- schen Umfeld zurückzufallen. Einige Länder haben bereits Breitbandanwendungen, die sie über kommerzielle Netze anbinden lassen. Im außereuropäischen Ausland, etwa in Asien, sind einige Industrieländer bereits mit mehrfach ausgeprägten Breitband- netzen für die Exekutivbehörden ausgestattet.
Die Bundesrepublik ist gut beraten, wenn jetzt – auch in schwie- rigen Zeiten – die Infrastrukturweichen gestellt werden für die kommenden Dekaden. Die BDBOS steht hierfür uneingeschränkt bereit, denn: Kommunikation der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ist einsatzkritisch und sie muss zukunftssicher sein.
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in der Ausgabe 6/2024 der „Deutsche Polizei“.
Crisis Prevention 3/2024
Frank Buddrus
Vizepräsident der Bundesanstalt
für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen
mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS)
Postanschrift: 11014 Berlin