Leitstellen im Wandel der Zeit

Achim Hackstein

Achim Hackstein

In den vergangen zehn Jahren haben die Leitstellen der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (nachfolgend: Leitstellen) einen steten Wandel von der Telefonzentrale zu Einrichtungen durchlaufen, die bei einem hohen potentiellen Risiko für Menschen und Sachwerte besonders zuverlässig und achtsam handeln müssen. Damit ist der Sprung zu den Hochsicherheits-Organisationen, die oft auch als „High Reliability Organisations (HRO)“ bezeichnet werden, geschafft. Aber die Entwicklung geht unaufhaltsam weiter, auch vor den BOS-Leitstellen macht die Digitalisierung nicht halt.

Leiststellenarbeit ist anstrengende Bildschirmarbeit.
Leiststellenarbeit ist anstrengende Bildschirmarbeit.
Quelle: Wiki Commons

Was diese Entwicklung tatsächlich schwierig macht, ist die in nahezu jeder Leitstellen-Organisationsform anzutreffende Heterogenität der Leitstellen im deutschsprachigen Raum. Beginnend bei den Grundsätzen der Personalbemessung, über die Qualifikation und Vergütung des Personals, die technischen Redundanzen bis hin zu Fragen der Wirtschaftlichkeit finden wir kommunal- und bundesland- oder trägerspezifische Ausrichtungen und Lösungsansätze. In den meisten Fällen werden diese hocheffizient und ökonomisch vernünftig sein, in anderen Leitstellenbereichen hingegen könnte sich Optimierungsbedarf ergeben. Die gesetzlichen Grundlagen gehorchen oftmals ausschließlich wirtschaftlichen Betrachtungen, einsatztaktische und qualitative Gesichtspunkte werden nicht in Gänze berücksichtigt oder fallen dem Rotstift zum Opfer. 

Der Einfluss der Leitstelle als frühes und eigenständiges Glied in der Rettungskette auf einsatztaktische Prozesse der Feuerwehren und therapeutische Prozesse der Notfallrettung wird zunehmend deutlich. Daraus ergeben sich neue Ansprüche und Anforderungen an die Aufgaben und die Qualifikation des eingesetzten Personals. Die sichere und frühe Identifizierung von Schlaganfallpatienten und die Anleitung zu Reani­mationsmaßnahmen bei einem plötzlichen Herztod sind Beispiele aus der Notfallmedizin. Der Umgang mit den Gefahrenpotenzialen neuer Technologien, wie z. B. Fotovoltaik- oder Biogasanlagen, verdeutlichen die Relevanz zielgerichteter Warnhinweise für den Anrufer und die qualitativ hochwertige einsatztaktische Begleitung von Feuerwehr und Rettungsdienst.

Leitstellenformen

Vielerorts wurden in den vergangenen Jahren neue ‚Integrierte Regionalleitstellen‘ geschaffen, die die bisherigen getrennten Strukturen mit häufig eigenständig nebeneinander vorgehaltenen Feuerwehr- bzw. Rettungsleitstellen weitestgehend abgelöst haben. Auch die vielfach kleinteiligen Leitstellenstrukturen werden nach und nach zu größeren Gebilden zusammengeführt werden. Die Integrierte Regionalleitstelle‘ (IRLS) ist die in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile am häufigsten realisierte Leitstellenform für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr. Ganz wesentlich bei dem Modell der ‚Integrierten Leitstelle‘ ist die Tatsache, dass jeder Leitstellenmitarbeiter alle anfallenden Aufgaben unter Nutzung der gleichen Technik und unter Beachtung gleicher Organisationsregeln bearbeitet. Dies ist insbesondere bei der Qualifikation des Personals von grundlegender Bedeutung.

Die ‚Kooperative Regionalleitstelle‘ (KRLS) bildet eine Struktur ab, in der Leitstellen der polizeilichen und nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr im selben Gebäude unter Nutzung identischer Technik zusammengefasst werden. Die Kooperation bezieht sich also auf Immobilie, Technik, Logistik und die taktische Zusammenarbeit, wobei die konkrete Einsatzbearbeitung unter Beachtung strikter Aufgabentrennung erfolgt. Die KRLS stellt die konsequente Weiterentwicklung der Betriebsform „Integrierte Leitstelle“ dar. 

Über die Vorteile der ‚Integrierten Leitstelle‘ hinaus hat der Bürger hier noch den Nutzen, direkt einen polizeilichen Ansprechpartner zu finden. Der Grundgedanke einer kooperativen Nutzung technisch-logistischer Synergien bei getrennter Aufgabenwahrnehmung wurde bei allen bisher umgesetzten Projekten beibehalten. Die Kooperation in den bereits existierenden Kooperativen Leitstellen ist hervorragend und hat sich bereits häufig bewährt. Insbesondere bei gemeinsamen Einsätzen wie Verkehrsunfällen, Terror- oder Amoklagen, schwierigen Wetterlagen, ist die direkte, taktische Zusammenarbeit maßgeblich am Einsatzerfolg beteiligt. Es ist davon auszugehen, dass die ‚Kooperative Regionalleitstelle‘ in Deutschland das Leitstellenmodell der Zukunft werden wird.

Arbeitsplatz Leitstelle

Angesichts der Komplexität des Gesamtgefüges rettungsdienstlicher, feuerwehrtechnischer oder sonstiger Gefahrensituationen und der zur Verfügung stehenden Mittel der Gefahrenabwehr wird schnell deutlich, dass die Leitstelle eine Schlüsselposition im Rahmen der Gefahrenabwehr einnimmt. Der Erfolg der von hier disponierten und koordinierten Einsätze ist aber immer ein Verdienst zahlreicher Leistungserbringer. Ist das Gesamtsystem komplex, ist zwangsläufig auch der Arbeitsplatz in der Leitstelle komplex. Grundsätzlich werden folgende Aufgaben bewältigt:

  • Notrufannahme und Hilfehinweise
  • Alarmierung der Einsatzmittel
  • Einsatzbegleitung

Einsatznachbearbeitung

Die Annahme und Bearbeitung eines Notrufs ist der Kernprozess der Leitstelle. Hier wird die Weiche für die weitere Einsatzbearbeitung gestellt, sowohl für Rettungsdiensteinsätze als auch Feuerwehreinsätze. Zunehmend finden Softwaretools zur Standardisierung oder Strukturierung der Notrufabfrage ihren Weg an den Arbeitsplatz Leitstelle. Hierüber kann dann eine einheitliche Abfrage- und Entscheidungsqualität definiert und vor allem auch überprüft werden. 

Auch vor den Leitstellen macht die Digitalisierung nicht halt – mit allen...
Auch vor den Leitstellen macht die Digitalisierung nicht halt – mit allen Vor- und Nachteilen.
Quelle: Achim Hackstein

Nachweislich kann beispielsweise durch die sofortige, standardisierte, telefonische Anweisung zu Reanimationsmaßnahmen die Überlebenswahrscheinlichkeit nach Herz-Kreislauf-Stillstand verdoppelt bis verdreifacht werden (ERC-Leitlinien 2005)! Die Beratung von Anrufern bei medizinischen Notfällen, insbesondere T-CPR, kann aktuell als „State-of-the-Art“ bezeichnet werden. Neben den medizinischen Hilfe­ersuchen, die die Vielzahl der Notrufe und Einsätze ausmacht, sind auch Feuerwehreinsätze abzufragen, zu disponieren und zu begleiten. Diese anspruchsvolle Tätigkeit darf nicht außeracht gelassen werden, auch wenn die Feuerwehreinsätze nur einen geringen Anteil an der Tätigkeit in einer Leitstelle haben.

Leitstellen der Zukunft

Leitstellen befinden sich in einem kontinuierlichen Prozess der Transformation zu einem Dienstleister für die operative Gefahrenabwehr. Neben dem steigenden Anspruch aller Akteure nach vernetzten Informationen sind politische Tendenzen erkennbar, die das gesamte Gesundheitswesen auf den Prüfstand stellen. Gesundheitsminister Spahn hat 2018 eine Grundgesetzänderung zur Optimierung der Notfallversorgung angekündigt:

Zur Verbesserung der Patientensteuerung werden gemeinsame Notfallleitstellen gebildet, die über die Rufnummern 112 und 116 117 erreichbar sind. […] Damit der Bund die erforderlichen Regelungen zur Organisation der Rettungsleitstellen treffen kann, erfolgt eine Grundgesetzänderung, mit der dem Bund die entsprechende Gesetzgebungskompetenz eingeräumt wird. (www.bundesgesundheitsministerium.de/notfallversorgung.html )

Damit rückt die Einbindung der Kassenärztlichen Zentra­len in die Leitstellen in greifbare Nähe. Dies soll dazu führen, in Verbindung mit anderen Maßnahmen im Gesundheitswesen, dass der Patient deutlich schneller in einen für seine Erkrankung bestmöglich geeigneten Strang der Gesundheitsversorgung überwiesen kann als bisher. Aber die Leitstellen müssen sich nicht nur organisatorischen Herausforderungen stellen. Auch vor ihnen macht die Digitalisierung nicht halt, mit allen ihren Vor- und Nachteilen. Der Deutsche Städtetag hat dies in wenigen klaren Worten in seinem Diskussionspapier vom 20. Februar 2019 sehr gut auf den Punkt gebracht:

[…] Sensoren und Aktoren, mobile Netze, Robotik und künstliche Intelligenz werden in vielen Aufgabenfeldern der Städte immer häufiger eingesetzt werden. Dazu gehören auch der Brand- und Katastrophenschutz und das Rettungswesen. Diese Bereiche werden sich bei einer alternden Bevölkerung, wachsenden Belastungen durch den Klimawandel, einem zunehmenden Personalmangel und begrenzten öffentlichen und privaten Haushaltsmitteln neuen Herausforderungen stellen müssen. […](http://www.staedtetag.de/publikationen/materialien/088493/index.html )

Die Leitstelle der Zukunft wird für alle Bereiche der Gefahrenabwehr Informationen sammeln, Informationen sortieren, Informationen auswerten und diese dann in konzentrierter Form den Organisationen und Einrichtungen zur Verfügung stellen. Die Aufgaben der heutigen Leitstellen muss durch eine Überarbeitung der einzelnen Prozessschritte Meldungseingang, Disposition, Alarmierung und Einsatzbegleitung an die zukünftigen Strukturen sowie die erweiterten Möglichkeiten und neue Bedarfe angepasst werden. Noch dynamischer als in der Organisation der Leitstelle finden Veränderungen im technischen Bereich statt. Neue Notrufwege, wie z. B. der automatisierte KFZ-Notruf „eCall“ oder die Entwicklung einer deutschlandweiten NotrufApp., lassen das Gespräch mit dem Notrufteilnehmer oftmals überflüssig werden, Informationen zum Geschehen stehen unter Umständen nur noch digital zur Verfügung. Ein völlig neuer Meldeweg, der sehr deutlich zeigt, dass insbesondere die Qualifikation der Leitstellenmitarbeiter zeitnah der Entwicklung angepasst werden muss, was auch der Deutsche Städtetag erkannt hat und in seinem Diskussionspapier sehr deutlich formuliert:

[…] Einer größeren Aufgabenvielfalt sollte auch das Fähigkeitsspektrum der Mitarbeiter der Leitstelle angepasst werden. […]

Entscheidend für den Erfolg der Leitstellen 2020+ wird auch sein, nicht kleinkarierte Eigeninteressen über eine bundeseinheitliche, auf alle Aufgaben in der Leitstelle gleichermaßen vorbereitende Ausbildung, zu setzen. Der Wandel in der Aufgabenstellung der Leitstellen – und dieser Wandel betrifft das Segment „Feuerwehreinsatz“ nur geringfügig – macht es unumgänglich, die Handlungsfähigkeit von Disponenten, Schichtleitern, Lagedienstführern und nicht zuletzt auch der Leitstellenleitung, durch eine qualifizierte Ausbildung sicher zu stellen. Die Arbeit in der Leitstelle ist vielschichtig und verantwortungsvoll. Ohne unsere Partner in den Feuerwehren, den Rettungsdiensten, den Kliniken und den Verwaltungen würden wir keine Feuer löschen, keine Personen aus Fahrzeugen retten, keine Notfallpatienten professionell versorgen. Das alles gelingt nur im konstruktiven Zusammenspiel aller an der Gefahrenabwehr beteiligter Organisationen und Einrichtungen.

Alle Bilder soweit nicht anders bezeichnet: Auto
Quellen beim Autor


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