Die Bedrohung durch Terrorismus ist weltweit gestiegen. Deutschland ist davon nicht ausgenommen. In den letzten Jahren gab es auch in Deutschland konkrete Terroranschläge und Anschlagsversuche. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass u.a. das Ziel des Terrorismus der Einsatz von Gewalt gegen Menschen ist mit der Folge von differenten, schwerwiegenden gesundheitlichen Schädigungen. Laut Resolution 1566 des UN-Sicherheitsrates sind „terroristische Handlungen solche, die mit Tötungs- oder schwerer Körperverletzungsabsicht … begangen werden…“.
Unter den Bedingungen eines Terrorangriffes, der nicht unbedingt bei einer Erstalarmierung als solcher erkennbar sein muss, wird der Rettungsdienst unter dem Einsatzstichwort Massenanfall von Verletzten mit einer Vielzahl von Verletzten konfrontiert. Die zunehmende Gefahr von Terroranschlägen erfordert eine Anpassung des Rettungsdienstes und seiner Ausstattung .Vor diesem Hintergrund besteht die Notwendigkeit, dass der Rettungsdienst sich auf die Besonderheiten eines Terrorangriffs im Hinblick auf die medizinischen Schäden und der speziellen Einsatztaktik vorbereitet. Terroranschläge gehören zu den lebensbedrohlichen Einsatzlagen (LeEL), die eine gesonderte und angepasste Versorgungs- und Einsatztaktik erfordern, die sich von den sonstigen Einsatzlagen des Rettungsdienstes unterscheiden. Unter den lebensbedrohlichen Einsatzlagen sind akute Bedrohungssituationen mit einem hohen Gefährdungspotenzial für das Leben von Opfern, Unbeteiligten und Einsatzkräften zu verstehen.
Die Versorgungskonzepte der rettungs- und sanitätsdienstlichen Vorgehensweisen beruhen nicht nur auf den konventionellen Maßnahmen der Erstversorgung, sondern auch auf der Tatsache, dass diese unter sicheren Umgebungsbedingungen durchgeführt werden können. Gerade davon ist aber bei einer terroristischen Einsatzlage nicht auszugehen. Deshalb sind die üblichen Vorgaben und die Durchführung der Versorgung nicht uneingeschränkt auf diese Situation übertragbar.
Versorgungskonzept
Das Besondere bei der Versorgung von Terroropfern im Rettungsdienst ist, dass es zu einer Konkurrenz zwischen der zeitkritischen Versorgung der Opfer und der Sicherheit der Einsatzkräfte kommt. Die hier angesprochenen Maßnahmen stellen jedoch nur einen Teilaspekt der Versorgungsstrategie dar. Die üblichen rettungsdienstlichen Konzepte für einen konventionellen Massenanfall beruhen auf der Patientenversorgung in einem sicheren Umfeld und sind deshalb für LeEL nicht uneingeschränkt zu übertragen. Bei einem Terroranschlag muss deshalb zwischen medizinischen und einsatztaktischen Gesichtspunkten unterschieden werden. Der wesentliche Unterschied zu sonstigen Versorgungsstrategien im Rettungsdienst ist, dass üblicherweise der Patient und seine Schädigung das medizinische Vorgehen bestimmen, während in LeEL das Vorgehen durch die taktische Lage bestimmt wird. Die notfallmedizinischen Maßnahmen folgen den einsatztaktischen Gegebenheiten. Die Einbeziehung der Polizei ist deshalb eine unabdingbare Voraussetzung, deren Aufgabe die Klärung des Geschehens im Hinblick auf die taktische Lage ist und die den Einsatz führt.
Die Versorgung von Terroropfern erfordert ein Umdenken des Vorgehens und des Einsatzes von Materialien, die sich nicht üblicherweise auf einem genormten RTW befinden. Die medizinisch fachlichen Besonderheiten sind gekennzeichnet durch andere Schädigungs-/Verletzungsmechanismen und –muster als im rettungsdienstlichen Alltag. Neben konventionellen Unfallmechanismen spielt hier vor allem der Einsatz von Kriegswaffen (Schusswaffen, Sprengsätze, Bomben) eine wesentliche Rolle. Entsprechend muss mit penetrierenden, blutenden Verletzungen mit nachfolgenden hämorrhagischen Schock und Atemstörungen z.B. durch Pneumothorax gerechnet werden. Die Verletzungsmuster hängen verständlicherweise auch von der Art des Anschlags ab, ob durch Schusswaffen, Sprengstoffe oder Einsatz von Fahrzeugen.
Die häufigsten Ursachen für vermeidbare Todesfälle sind Verbluten aus Extremitätenverletzungen, der Spannungspneumothorax und Atemwegsverlegungen. Hieraus leitet sich das Versorgungskonzept nach dem Grundsatz „Treat first what kills first“. Aufgrund dieser zu erwartenden Verletzungsmuster ist die Bevorratung von Material zur Versorgung in ausreichender Anzahl und schneller Verfügbarkeit notwendig.
Um den Rettungsdienst auf die Besonderheiten der Versorgung von Terroropfern vorzubereiten, wurden seitens des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) gesonderte Fortbildungskonzepte initiiert, die sich an das Rettungspersonal und an die Notärzte wandten. Das Konzept basiert auf den Erfahrungen der Geschehnisse der Vergangenheit und des Sanitätsdienstes der Bundeswehr aus den Einsätzen im Ausland. Angeboten wurden zwei Konzepte, die sich einmal an Rettungspersonal und zum anderen an Notärzte richtete.
Ziel der Fortbildung ist: einen Überblick über die besondere taktische und medizinische Vorgehensweise bei Anschlagsszenarien zu bekommen vor dem Hintergrund eines Paradigmenwechsels in der Versorgung der Betroffenen. Dazu ist es erforderlich, dass die Einsatzkräfte die Bilder der Einsätze vorher kennen. Dies beinhaltet auch eine neue Form der medizinischen Versorgung, abweichend von der gängigen Vorgehensweise. Die Teilnehmer bekommen die Lerninhalte aus medizinischer, taktischer und psychologischer Sicht vermittelt.
Die Fortbildung umfasst 8 Unterrichtseinheiten (UE) und umfasst eine Mischung aus Theorie und Praxis mit folgenden Themen:
1. Erkennen eines Terroranschlages - Darstellung der Anschlagsszenarien der Vergangenheit; Indikatoren, die an der Einsatzstelle sowie im Meldebild auf eine Terrorlage hinweisen können; Sonderlagen – Doppelanschlag und Dirty Bomb.
2. Pathophysiologie, physikalische Grundlagen– Klassifikation der Explosionsverletzungen (Primär, Sekundär, Tertiär, Quartär)
3. Verletzungsmuster– Vorstellung der besonderen Verletzungsmuster, welche insbesondere bei Terrorlagen durch Explosionen und vermehrten Schusswaffengebrauch an der Einsatzstelle versorgt werden müssen.
4. Taktik - Taktisches Vorgehen, Umgang mit der besonderen Situation, Überlastung der Helfer.
5. (Vor-)Sichtung – Durchführung der (nicht-)ärztlichen Vorsichtung und Training an Fallbeispielen sowie deren Dokumentation.
6. Versorgung – Vermittlung der Versorgungsstrategie C-ABCD und des MARCH-Algorithmus.
7. Umgang mit spezifischen Ausrüstungsgegenständen – praktische Handhabung und richtiger Umgang mit der spezifischen Ausstattung (Tourniquet, Beckenschlinge, SAMsplint, Hämostyptika, EZ-IO).
Zeit | Inhalt | Methode | Medien |
1UE | Erkennen eines Terroranschlags | Vortrag | PowerPoint |
1UE | Pathophysiologie und physikalische Grundlagen | Vortrag | PowerPoint |
1UE | Verletzungsmuster | Bilder | PowerPoint |
1UE | Taktik | Moderatorentechnik | Metaplantabellen,Modera-tionskarten |
1UE | (Vor-)Sichtung | Praktisches Training | Vorsichtungssets |
1UE | Versorgung | Vortrag | Kurzfilm, PowerPoint |
2UE | Umgang mit spezifischen Ausrüstungsgegen-ständen | Praktische Ausbildung, Stationsarbeit | Demonstration, Übungen |
Tab. 1 Lehrskizze „Terror“ für Einsatzkräfte des Bayerischen Roten Kreuzes
Die Übungen erfolgen in Stationsarbeit, die in 30 Minuten durchlaufen werden, bilden damit den praktischen Teil der Fortbildung.
Die einzelnen Stationen und Maßnahmen haben folgende Ziele:
1. Blutstillung mit Tourniquet. Hierbei wird nicht nur die Indikation bei lebensbedrohlichen Blutungen zugrunde gelegt und die fachgerechte Anlage, sondern auch auf mögliche Komplikationen eingegangen. Die Übungen erfolgen sowohl an Mimen wie auch wegen der damit verbundenen Schmerzen im Selbstversuch.
2. Blutstillung mit Hämostyptica. Der Einsatz der neuartig stark resorbierenden Verbandstoffe (z.B. Kerlix ®) wird sowohl am Phantom wie auch an einem Tierteilstück (mit künstlicher Blutung) geübt. Hierbei steht das sogenannte Packing im Vordergrund, wobei die Wunde mit dem Verbandmaterial austamponiert wird.
3. Blutstillung mit Beckenschlinge. Da bei einem Beckentrauma mit hohen Blutverlusten zu rechnen ist und inzwischen spezielle Sets zur Versorgung mit derartigen Devices vorhanden sind, werden diese jeweils im Selbstversuch mit Kollegen geübt. Besonderer Wert wird dabei auf die richtige Positionierung über den Trochantern gelegt.
4. Atmungssicherung. Obwohl die endotracheale Intubation zur Atemwegssicherung den Golden Standard darstellt, ist in der besonderen Lage der lebensbedrohlichen Einsatzlage dies nicht immer durchführbar. Es muss deshalb als Alternative auf weniger aufwendige und invasive Maßnahmen zurückgegriffen werden, wozu sich der Wendl-Tubus eignet, der auch am Phantom beübt wird.
Eine Sonderform der Atmungssicherung stellt die Entlastung eines Pneumothorax, mit dem bei der besonderen Schädigungslage häufiger als im Rettungsdienst zu rechnen ist. Hierzu wird im Rettungsdienst wie auch in den Terrorsets eine Pneupunktionsnadel vorgehalten, deren Anwendung sowohl an gesonderten Phantomen wie auch an Tierteilstücken geübt werden kann.
Anzahl | Ausrüstungsgegenstand |
4 | North American Rescue® CAT, orange |
2 | Celox Z-Fold Gauze, 5 ft., 7,6 cm x 1,52 m |
2 | Angiocath 14 G, 2,1 x 83 mm, Spezialkanüle bei Spannungspneumothorax |
1 | Beckenschlinge SAM Pelvic Sling II, 81 x 127 cm |
3 | Universalschiene SAM® SPLINT, gerollt, 11 x 91 cm |
2 | SAM Chest Seal mit Ventil |
| Verpackung: in einer Gleitverschlusstasche mit Zipper |
Tab. 2 REBEL-Set für den Rettungsdienst Bayern
Eine weitere Besonderheit einer Schädigung speziell bei Explosionsverletzungen aber auch bei Stichverletzungen ist die penetrierende Thoraxverletzung. Zur Versorgung wird hierzu ein Pflasterspezialverband genutzt, der direkt auf die Wunde aufgeklebt wird und über ein Ein-Weg-Ventil das Entweichen von Luft und Flüssigkeit erlaubt.
5. Kreislaufsicherung. Bei der Intensität der Verletzungen und dem damit verbundenen Blutverlust kann das Anlegen einer intravenösen Infusion zeitaufwändig und technisch schwierig sein, weshalb als Alternative der intraossäre Zugang in Frage kommt. Aus diesem Grund wird dessen Technik und praktische Anwendung am Knochenpräparat geübt.
Neben der besonderen Lage bei einem Terroranschlag ist nicht nur eine Anpassung der Einsatztaktik, sondern auch eine Anpassung und Erweiterung der medizinischen Ausstattung erforderlich. Dafür ist die verbindliche Ausstattung der Rettungsmittel mit den speziellen Hilfsmitteln eine Voraussetzung. Ein Beispiel hierfür sind die vom aufsichtsführenden Gremium dem Bayerischen Staatsministerium des Inneren in der „Handlungskonzeption für Rettungsdiensteinsätze bei besonderen Einsatzlagen/Terrorlagen (REBEL) Nr. 5“ vorgegebenen landesweiten speziellen Medikamente bzw. spezielle medizintechnische Ausrüstung in Form der REBEL-Sets.
Diese Zusatzausstattung wird entweder in die Standard-Notfallausrüstung des RTW integriert oder in einem gesonderten Set oder Rucksack mitgeführt.
Die Ausrüstung mit geeignetem Material zur Versorgung von lebensbedrohlichen Schädigungen ist neben einer gesonderten Schulung im Umgang damit und der Einschätzung der taktischen Lage die Voraussetzung zur Rettung einer möglichst großen Zahl von Verletzten unter der besonderen Lage eines Terroranschlags.
Literatur bei Verfasser.
Crisis Prevention 4/2023
Prof. Dr. med. Peter Sefrin
ehem. Bundesarzt des DRK
Sandweg 10, 97078 Würzburg
E-Mail: sefrin.peter@outlook.de