Plasma – für viele klingt das wie ein Wort aus einem Science-Fiction-Film. In der Schule haben wir alle die drei verschiedenen Aggregatszustände – fest, flüssig, gasförmig – gelernt, und nun soll es da noch mehr geben? Über den vierten Aggregatszustand ist wenig bekannt, obwohl sehr viel sichtbare Materie aus Plasma besteht – unsere Sonne zum Beispiel. Plasma kann aber auch künstlich erzeugt werden, indem man einem Gas ausreichend Energie zuführt - die sogenannte Ionisationsenergie – so entsteht ein Teilchengemisch aus geladenen Ionen, freien Elektronen, Gasmolekülen sowie angeregten Atomen. Plasma kann elektrisch leiten und ist für verschiedenste Zwecke einsetzbar. In industriellen Prozessen werden Oberflächen damit behandelt, um deren Eigenschaften gezielt zu verändern (Hafteigenschaften, Benetzbarkeit etc.). Ein Gasplasma hat aber noch eine weitere Eigenschaft – es wirkt desinfizierend.
Wie genau aber funktioniert das? Wie kann man die ablaufenden Prozesse aufklären und das System für Anwender einfach und sicher für die Desinfektion nutzbar machen? Diese Fragen werden im Projekt MoPlas2Dekon-PRO untersucht. Das Projekt MoPlas2Dekon-PRO wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Richtlinie „Innovationen im Einsatz – Praxisleuchttürme der zivilen Sicherheit“ gefördert. Koordinator des Verbundprojektes ist die Firma Plasmatreat aus Steinhagen, weitere Partner im Projekt sind neben dem Bayerischen Roten Kreuz das Fraunhofer IVV, die Ruhr Universität Bochum und die Firma Knestel.
Derzeit ist die Standardmethode zur Beseitigung von mikrobiellen Kontaminationen im Rettungsdienst sowie in Kliniken und Pflegeeinrichtungen die Wischdesinfektion. Diese ist allerdings zeitaufwändig und eine Einsatz- oder Pflegekraft muss mit ätzen- den und gesundheitsschädlichen Stoffen hantieren. Dabei gibt es Ecken, die schwer zu erreichen sind und auch die Luft im Raum wird nur unzureichend behandelt. Nun wurde eine Methode entwickelt, mittels eines mobilen Plasmagenerators einen Raum so zu behandeln, dass eine ausreichende Desinfektion nachge- wiesen werden konnte – mit dem Einsatz eines Eimers Wasser und einer Stromversorgung aus der normalen Steckdose.
Rein praktisch läuft das Verfahren so ab, dass man den Raum abdichtet, um das Entweichen von unerwünschten Reaktionsprodukten zu vermeiden. Dann erhöht man die Luftfeuchtigkeit im Raum mit einem handelsüblichen Vernebler. Der Plasmage- nerator ist mit einem Zu- und einem Abluftschlauch versehen, mittels denen die Raumluft durch die Plasmaentladung geleitet und anschließend wieder in den Raum abgegeben wird.
Warum Plasma desinfizierend wirkt und wie man den Prozess optimieren kann, wird an der Ruhr Universität Bochum untersucht: Durch die Ionisierung von Umgebungsluft entstehen verschiedene reaktive Spezies aus Sauerstoff und Stickstoff wie zum Beispiel Stickoxide und Ozon. Zusammen mit dem Vorhandensein von Wasser, das als Aerosol in den Raum eingebracht werden muss, entsteht ein Chemischer Cocktail, welcher keimtötend wirkt. Um die Frage, welche Spezies im Detail auf den Oberflächen die mikrobizide Wirkung erzeugen, zu beantworten, werden an der Ruhr Universität Bochum Messungen der reaktiven Spezies in der plasmabehandelten Luft und Simulationen zu Transportprozessen im Raum kombiniert. Mit dieser Methode kann die Chemie des Prozesses von der Erzeugung der kurzlebigen reaktiven Spezies im Plasma, über die Entstehung langlebiger Spezies im Raum bis hin zum Wirkmechanismus auf der Oberfläche nachvollzogen werden. Ozon kann gesundheitsschädlich sein, die maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK) liegt bei 0,12 mg/ m3. Es ist also sinnvoll, den kompletten Prozess zu überwachen. Hierfür wurden vom Projektpartner Knestel Gassensoren zur Prozesskontrolle entwickelt, die den Einsatzkräften anzeigen, wann ein Raum wieder gefahrlos zu betreten ist. Um nachzuweisen, dass das Verfahren funktioniert, hat das Fraunhofer IVV systematisch verschiedene Einflussfaktoren wie zum Beispiel das Material und die Struktur der kontaminierten Oberflächen, die Homogenität der Behandlung im Raum sowie den Einfluss klimatischer Randbedingungen auf die Inaktivierungseffizienz untersucht.
Die Stabsstelle Forschung der BRK Landesgeschäftsstelle ist im Projekt als Anwenderpartner dafür zuständig, dass die neue Technologie nicht am Bedarf der Anwender „vorbeientwickelt“ wird. Während der Coronapandemie gab es bereits den ersten Feldeinsatz des damaligen Prototypen aus dem Vorgängerprojekt des Plasmasystems. In der ersten Akutphase im Jahr 2020 wurden Masken, Beatmungsschläuche und weitere Schutzausrüstung knapp, mit denen die Einsatzkräfte sich schützen konnten. Inner- halb einer Woche wurde der Plasmagenerator von der Firma Plasmatreat in einen Kühlschrank eingebaut, der dicht abschloss. In dieser Atmosphäre wurden FFP2 Masken und später auch Beatmungsschläuche wiederaufbereitet. Aufgrund dieser Erfahrung und der ebenfalls sehr guten Ergebnisse aus dem BMBF-Vorgängerprojekt MoPlasDekon, in dem der Innenraum eines Krankentransportwagens desinfiziert wurde, versucht man nun den Prozess auf große Raumvolumina wie Patientenzimmer hoch zu skalieren.
Das Projekt wurde hierzu von Anwenderseite mehrstufig angelegt. Zunächst erfolgte eine sogenannte Planbesprechung. Zusammen mit Experten aus den verschiedenen Bereichen wurden die Anwen- dungsmöglichkeiten, die Erfordernisse und die Anforderungen an ein mobiles Plasmasystem evaluiert. Beteiligt waren sowohl Einsatzkräfte aus dem aktiven CBRN(E)-Dienst der BRK Bereit- schaften als auch Pflegekräfte, Einsatzkräfte aus dem Bevölke- rungsschutz und von der Polizei. Als Ausgangslage wurde ange- nommen, dass nach dem Tod eines Bewohners eines Alten- und Pflegeheims durch das Corona-Virus in dessen Zimmer eine Raumdesinfektion durchgeführt werden muss. Hierzu bittet die Leitung des Alten- und Pflegeheims um Unterstützung mit dem Plasmaverfahren. Aufgrund der Erfahrungen während der Coron- apandemie wurde das Szenario zur Abarbeitung dieses Falles Schritt für Schritt durchgesprochen. Hierbei wurden sowohl die Anforderungen an den Plasmagenerator, an die betreibende Organisation als auch an Einrichtungen, die den Generator zukünf- tig nutzen wollen, formuliert.
Im zweiten Schritt erfolgte ein Anwendertest am Fraunhofer IVV in Freising. Das Fraunhofer Institut verfügt für die Durchführung von Keimträgertests über einen umgebauten Bürocontainer. Dieser kann mit entsprechenden Proben präpariert werden, welche zur Wirksamkeitsprüfung der Plasmadesinfektion dienen. Als Modellorganismen werden neben Virensurrogaten (Bakteriophagen) auch Bakterien (Staphylokokken) sowie hochresistente Endosporen (Bacillus atrophaeus) eingesetzt. Die verwendeten Mikroor- gansimen werden dabei zunächst auf verschiedenen Oberflächen angetrocknet, bevor sie dem Desinfektionsprozess im Container an unterschiedlichen Stellen ausgesetzt werden. Die Wirksamkeit der Plasmabehandlung kann letztlich anhand der Zahl überle- bender Viren, Bakterien oder Sporen festgestellt werden. Im Rahmen der durchgeführten Versuchsreihen konnten im Fall der Virensurrogate Reduktionen um bis zu sechs log-Stufen (99,9999%) erreicht werden. Ein wichtiges Ergebnis aus diesen Versuchen war, dass die Luftfeuchte einen entscheidenden Einfluss auf die Desinfektionsleistung hat. Erst bei relativen Luftfeuchten von 70% können gute Keimreduktion erzielt werden. Im Anwendertest am Fraunhofer IVV wurde zudem die Handhabung des Plasmademonstrators zur Raumdesinfektion durch zwei Einsatzkräfte der BRK-CBRN(E) geprüft. Dabei ging es insbesondere um die Bedienbarkeit des Gerätes für Personen in Schutzanzügen, die es zum ersten Mal sehen und ob die Anleitung passend und ausreichend ist. Diese Versuche wurden von den CBRN(E) Experten der BRK-Bereitschaften mit Gebläseschutzanzügen durchgeführt. Auch dieser Anwendertests verlief vielversprechend und es konnte praxisrelevantes Feedback für die weitere Entwicklung des finalen Demonstrators erhalten werden.
Der finale Test von Anwenderseite erfolgte im Februar 2024 im Alten- und Pflegeheim des BRK in Bad Neustadt/Saale. Die Region Bad Neustadt hatte in der Coronapandemie mehrere schwere Ausbrüche zu bewältigen, so waren alle Einsatzkräfte entsprechend sensibilisiert und mit der Problematik vertraut. Eingesetzte Kräfte waren Einheiten des THW Ortsverband Mellrichstadt, eine Löschgruppe der Freiwilligen Feuerwehr Bad Neustadt sowie eine SEG CBRN(E) der Bereitschaften des Bayerischen Roten Kreuzes. Die Polizei war wiederum beobachtend vor Ort, da diese in der Pandemie fest in die Prozesse der Covidbekämpfung mit eingebunden war. Für den Feldtest wurde zusätzlich ein Rettungswagen zur Absicherung mit vorgehalten. Die Ausgangslage wurde wieder analog der Lage in den vorherigen Übungen angenommen. Das Patientenzimmer wurde an acht verschiedenen Stellen mit künst- lich kontaminierten Keimträgern präpariert, um die Homogenität der Desinfektion an verschiedenen Stellen im Raum nachvollziehen zu können.
Zunächst musste das Patientenzimmer abgedichtet werden. Hierzu wurden alle Lüftungszugänge mit Folie abgeklebt und in den Türrahmen wurde ebenfalls eine gasdichte Folie mit zwei Ein- lässen für Schläuche und einem Durchgangsschlitz eingeklebt. Dann wurde mittels eines Verneblers der Raum für 20 Minuten mit Wasser befeuchtet. Der Plasmagenerator verblieb außerhalb des Raumes, zusätzlich wurde noch die Sensortechnik an das Gerät mit angeschlossen. Im finalen Plasmagenerator soll die Sensorik integriert werden. Die Feuerwehr stellte zusätzlich Ozon- warner zur Verfügung, die in verschiedenen Abständen im Wür- felprinzip um das Zimmer angebracht waren, um maximale Sicherheit für die Beteiligten zu gewährleisten. Im Rahmen der Übung wurde der Plasmagenerator vom THW angeliefert und von der SEG CBRN(E) in Betrieb genommen. Ein Trupp der Feu- erwehr stellte ausgerüstet mit schwerem Atemschutz den Brand- schutz und den Rettungstrupp. Der Desinfektionsprozess lief für 60 Minuten und anschließend wurde Bewohnerflügel und das Zimmer mit einem elektrischen Lüfter der Feuerwehr kurz durchgeblasen, um alle restlichen Reaktionsprodukte zu entfernen.
Manche Erkenntnisse aus den Anwenderübungen mögen auf den ersten Blick trivial erscheinen, können aber für den Erfolg einer Methode entscheidend sein. Ein Beispiel hierfür ist, dass der „Not-Aus“ Knopf am Gerät bisher zum Drehen ausgelegt war – mit einem Chemikalienschutzanzug mit entsprechenden Hand schuhen ist ein Drehen aber schwer möglich. Ein Wunsch war also, diesen Knopf als Druckknopf zu installieren. Des Weiteren wurde eine Farbcodierung der Anschlüsse und Schläuche nahegelegt, um die Bedienbarkeit einfacher zu gestalten. Auch wurde angeregt, die Schläuche mit Schnellkupplungen zu versehen. Die Auswertung der eingebrachten Proben ergab, dass bei einer Wirkzeit von 60 Minuten (ohne Verwirbelung der Luft) eine Reduktion der anfänglichen mikrobiellen Belastung um bis zu 8,6 log erreicht wurde. Die Stelle mit der höchsten Wirksamkeit war die Oberseite des Tisches im Raum, fast genauso gut war die Desinfektion in der separaten Nasszelle. Es gab Abweichungen nach oben und unten und dafür könnte eine ungleichmäßige Verteilung der Luftfeuchte im Raum ursächlich sein . Die Stelle mit der schlechtesten Keimreduktion (50%) lag direkt an der Heizung , die Luftfeuchte war entsprechend gering. Es ist zu erwarten, dass auch an dieser Stelle die Reduktion gesteigert werden kann, wenn man die Raumluft mittels eines Ventilators umwälzt und die Einwirkzeit der Plasmaatmosphäre um 30 oder 60 Minuten erhöht.
Weitere Schritte im Projekt werden nun sein, eine Version des Plasmagenerators in ein S3-Labor zu verbringen, um dort die Wirksamkeit gegen das SARS-Coronavirus nachzuweisen. Auch soll der Gassensor in der Plasmaanlage integriert und anschlie- ßend Wirksamkeitstests am Fraunhofer IVV fortgesetzt werden. Darüber hinaus sind am IVV weitere Materialprüfungen vorge- sehen. An der Ruhr-Universität wird vor allem die Auswirkung der Luftbefeuchtung untersucht und die Vorteile der neuesten Generation von Plasma-Quellen analysiert. Wenn die begleitenden Forschungen abgeschlossen sind, sollte die Wirksamkeit bewiesen, die für den Prozess bedeutenden reaktiven Plasma- Spezies identifiziert und mögliche Auswirkungen auf verschiedene Werkstoffe bekannt sein. Durch den engen Austausch und die Zusammenarbeit von Anwendung und Forschung sind benutzerakzeptierte Ergebnisse zu erwarten, die in Zukunft zum Wohl von Bevölkerung und Einsatzkräften eingesetzt werden können.
Crisis Prevention 3/2024
Literatur beim Verfasser
Michaela Selzer,
Stabsstelle Forschung,
BRK Landesgeschäftsstelle Bayerisches Rotes Kreuz
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