09.09.2024 •

Führend im europäischen Katastrophenschutztraining:

Das THW-Ausbildungszentrum Neuhausen

Stefan Richter

THW/Lukas Hannig

Im ehemaligen Jesuiten-Kolleg, online oder an einem dezentralen Schulungsstandort von Valencia bis Bukarest – das THW-Ausbildungszentrum Neuhausen ist bereits seit vielen Jahren ein weltweit anerkanntes Kompetenzzentrum für die Katastrophen- und Zivilschutzausbildung. In über 300 Lehr­gängen werden in Neuhausen jedes Jahr rund 5.000 ehren- und hauptamtliche Katastrophenschutzexpertinnen und -experten des THW auf ihre Einsätze vorbereitet, dazu Vertreter mehrere UN-Organisationen sowie Zivilschutzexperten des europäischen Union Civil Protection Mechanism UCPM.

Wenn über dem Sauhag blaue Hubschrauber kreisen, sind die Jogger und Gassigänger aus Neuhausen längst nicht mehr überrascht: Das urige Waldgebiet unweit des Stuttgarter Flughafens ist mehrmals im Jahr Schauplatz großer Simulationsübungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR oder des World Food ­Programme WFP – im Falle der erwähnten Helikopter etwa für Logistik­trainings zur Versorgung mit Hilfsgütern.

Gastgeber solcher Übungen ist das Technische Hilfswerk THW oder genauer gesagt, das THW-Ausbildungszentrum Neuhausen auf den Fildern. Auf seine ursprüngliche Bestimmung als ­„Studienheim der Jesuiten“ deutet heutzutage nur noch die beeindruckende Sammlung seltener Gehölze in den Gartenanlagen hin. Denn schon seit 1995 wird am Neuhausener Novizenweg 1 unter den Farben des THW studiert und trainiert. Neuhausen ist neben Hoya und Brandenburg eines von drei Ausbildungszentren des THW. Jedes davon ist spezialisiert. Der Lehrbetrieb in Neuhausen wiederum ist in noch einmal drei hochspezialisierten Lehrgruppen organisiert: „Ausland“, „Führung/Leitung“ und „Spezialisten“.

Top-Ausbildung als Motivationsfaktorfür Engagement

"Aus Befragungen unter unseren 88.000 Ehrenamtlichen des THW ­wissen wir, dass eine hochqualitative und zeitgemäße Ausbildung ein wesentlicher Motivationsfaktor für ein ehrenamtliches Engagement von freiwilligen Helferinnen und Helfern ist“, erklärt Jens Olaf Sandmann, der Leiter des THW-Ausbildungszentrums Neuhausen. 

Und diesen Ansprüchen will Sandmann mit seinem etwa 50-köpfigen Team aus erfahrenen Katastrophen- und Zivilschutzexpertinnen und -experten auf jeden Fall gerecht werden. Hochqualitativ bedeutet dabei für ihn: Zu jedem Thema – vom Lehrgang „Einsatzgrundlagen Ausland“ bis zum THW-Baufachberater – auf die deutschland- bzw. europaweit jeweils besten Dozenten und Trainer mit belastbarer Einsatzerfahrung zu setzen. Zeitgemäß bedeutet: Wissen und Know-how über alle technologisch verfügbaren Kanäle – von analogen Rollenspielen über Online-Schulungen bis zu virtuellen Szenarientrainings in 3D – bedarfsgerecht zu vermitteln.

Unter der Regie der Lehrgruppe „Ausland“ werden in Neuhausen THW-Ehrenamtliche aus den 668 Ortsverbänden auf Einsätze im Ausland vorbereitet. Dabei geht es vor allem darum, in von Naturkatastrophen oder humanitären Krisen betroffenen Ländern effizient Soforthilfe leisten zu können – etwa bei der Bergung von Verschütteten und Verletzten, dem Aufbau einer temporären Trinkwasserversorgung oder von Strom- und Telekommunikationsnetzen. Das Interesse an Auslandeinsätzen ist traditionell sehr groß bei THW-Ehrenamtlichen. Am Trainingszentrum Neuhausen lernen diese, Einsatzsituationen unter oft fremden ­klimatischen oder kulturellen Bedingungen zu meistern, im Zusammenspiel mit lokalen Partnern in den betroffenen Ländern, die oft in anderen Strukturen und mit anderen Entscheidungsprozessen arbeiten, als in Deutschland üblich.

Jens Olaf Sandmann hält diese weltweit einmalige DNA des THW als Ehrenamtsorganisation auch für einen wesentlichen Erfolgsfaktor für das Ausbildungszentrum Neuhausen: 

„Unsere jahrzehntelange Einsatzerfahrung in verschiedenen Teilen der Welt ist ein Alleinstellungsmerkmal und wird von unseren internationalen Partnern bei verschiedenen UN-Organisationen sehr geschätzt. Viele von ihnen trainieren seit vielen Jahren bei uns, weil wir schnell und unkompliziert agieren und dazu auch mit zahlenmäßig großem Engagement.“

In der Tat sieht man bei den international angelegten UN-Simulationsübungen im Sauhag auch viele ehrenamtliche THW-­Helferinnen und Helfer unter den oft bis zu 200 Statisten der über die Jahre immer ausgefeilteren Rollenspiele, sei es ein Erdbebeneinsatz, ein von zwei verfeindeten Bevölkerungsgruppen beanspruchtes Flüchtlings-Camp oder ein Verhandlungstraining um die Einfuhr von Hilfsgütern mit Zollbehörden und lokalen Milizen eines von einem tropischen Taifun verwüsteten Landes.

EU-Katastrophenschutztrainingsunter Projektleitung des THW

Ein Team am THW-Ausbildungszentrum Neuhausen war und ist darüber hinaus federführend bei Neukonzeption, Koordination und Umsetzung eines europaweit angelegten Trainingsprogramms für Einsatzkräfte im Rahmen des europäischen Katastrophenschutzschirms Union Civil Protection Mechanism UCPM.

„Naturkatastrophen machen nicht an Landesgrenzen halt und deshalb gibt es bereits seit 2001 den europäischen Schutzschirm, der eine reibungslose grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Einsatzfall gewährleisten soll“, erklärt Achim Octavian Popa, der THW-Projektleiter für den gerade laufenden 19. ­Trainingszyklus für UCPM-Einsatzkräfte und ergänzt: „Das setzt natürlich voraus, dass vor Ort eingesetzte Zivil- und Kata­s­trophen­schutz­expertinnen und -experten nach einheitlich hohen Qualitäts­standards ausgebildet sind und operieren.“

Um genau das sicherzustellen, hat die EU-Kommission ein internationales Konsortium mit der Planung und Durchführung eines dezentral organisierten Trainingsprogramms für Einsatzkräfte beauftragt – unter Federführung des Teams von Achim Popa am THW-Ausbildungszentrum Neuhausen. 27 Länder der EU und zehn weitere Teilnehmerstaaten arbeiten unter UCPM zusammen – zuallererst in Europa, aber auch andernorts, wo Hilfe gebraucht wird. Das gemeinsame Trainingsprogramm soll helfen, „nationale“ Herausforderungen von Schutzschirmeinsätzen kennen- und verstehen zu lernen – zum Beispiel unterschiedliche Strukturen von Einsatzorganisationen, andersartige Entscheidungsprozesse, abweichende rechtliche Rahmenbedingungen oder auch die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Technik oder Logistik­lösungen.

Der aktuell laufende 19. Ausbildungszyklus ist dabei der bisher umfangreichste mit 29 Online- und Präsenzkursen an 16 Ausbildungsstandorten von Wicklow (Irland) und Valencia im Westen bis Athen und Bukarest im Osten. Die Ausbildungsinhalte der acht Trainingsmodule waren im Vorfeld komplett überarbeitet worden. Ultimatives Ziel dieses pan-europäischen Projekts ist der Aufbau und die Vernetzung eines europaweiten Pools von Zivil- und Katastrophenschutzexpertinnen und -experten, die nach einheitlichen und zwar sehr hohen Qualitätsmaßstäben zertifiziert sind und im Einsatzfall reibungslos zusammenarbeiten.

Einsatzkräfte aus ganz unterschiedlichen Zivilschutzorganisa­tionen – von Feuerwehren über Rettungsdienste bis zu Hilfs­organisationen – können sich um Plätze in den Kursen bewerben. Verantwortlich für die Prüfung der fachlichen Voraussetzungen und die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist in jedem UCPM-Mitgliedsland ein National Training Coordinator. In Deutschland ist das Susanne Wacht vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). national-training-coordinator@bbk.bund.de 

Spagate bei „Führung/Leitung“

Die Hauptaufgabe des THW ist natürlich der Katastrophen- und Zivilschutz in Deutschland und auf diese Aufgabe ist die ­Lehrgruppe „Führung/Leitung“ des THW-Ausbildungszentrums Neuhausen ausgerichtet. Unter Leitung von Stephan Knobloch, THW-Urgestein seit 38 Jahren, wenn man sein Engagement in der THW-Jugend ab 1986 mitzählt, praktiziert diese Lehrgruppe täglich den Spagat zwischen den beiden Welten des THW, die untrennbar zusammengehören und im Einsatz auch unzertrennlich funktionieren müssen:

 „Wir bieten Lehrgänge an, um die über 2.200 hauptamtlichen THW-Mitarbeiter auf Leitungs- und Koordinationsfunktionen in Einsätzen vorzubereiten und wir vermitteln unseren Ehrenamtlichen taktisch-operative Führungskompetenz ab Gruppenführerebene. Hinzu kommen Kurse für THW-Fachberater, also Verbindungspersonen, die im Einsatzfall unsere Schnittstelle zu Partnerorganisationen wie Polizei, ­Feuerwehren oder dem Havariekommando der Küstenländer sind.“

Gerade die THW-Fachberater müssen in ihren Rollen gute Netzwerker sein und auch sensibel gegenüber verschiedenen Interessengruppen wie der Bevölkerung oder Lokalpolitikern agieren. In den Kursen der Lehrgruppe „Führung/Leitung“ liegt der Fokus deshalb nicht nur auf der Vermittlung operativen Know-hows, sondern auch von soft skills, wie etwa Rechtsgrundlagen oder psychologische Aspekte von Krisensituationen. Eine Spezialisierung der THW-Fachberater sind die technischen Fachberater, die beispielsweise zu den technischen Anforderungen organisationsübergreifender Einsätze beraten oder wissen, wann eine THW-Hochleistungspumpe vielleicht überdimensioniert für das Leerpumpen eines Kellers wäre.

Der Fokus der Lehrgruppe „Führung/Leitung“ auf operativ-­taktisches Know-how führt aber noch zu einem zweiten Spagat für die Lehrkräfte: dem zwischen der analogen und der digitalen Welt. Knobloch erklärt:

 „In Einsätzen nutzt das THW-Digitalfunk, Drohnenaufklärung oder auch das Monitoring von Social Media-­Kanälen. Andererseits wird in unseren Führungsstellen auch viel mit Stift und Papier gearbeitet und zwar aus dem ganz praktischen Grund, auch bei Ausfällen der Stromversorgung handlungsfähig zu sein. Analoge und digitale Tools müssen deshalb reibungslos verzahnt werden in der Einsatzpraxis und das trainieren wir hier in Neuhausen.“

Auch in der Lehrtätigkeit selbst kommt deshalb eine breite Palette von analogen und digitalen Methoden der Wissensvermittlung zum Einsatz, vom Rollenspiel über die eigens entwickelte THW-Brettspielsammlung bis hin zum virtuellen Klassenzimmer XVR, in dem Katastrophenschutzeinsätze in 3D an großen Monitoren trainiert werden können.

Analoge Gamification in der Katastrophenschutzausbildung
Analoge Gamification in der Katastrophenschutzausbildung
Quelle: THW/Philip Timmermann

Achtung, Lebensgefahr!

Für die rund 600 jährlichen Absolventen eines der Kurse der Lehrgruppe „Spezialisten“ geht es oft um alles: Hier werden etwa die Sprengberechtigten der landesweit 46 THW-Sprenggruppen ausgebildet, auch die Motorsägen-, CBRN- und Atemschutzausbilder, die die in Neuhausen erworbenen Fähigkeiten dann ihrerseits in die Fläche tragen. In keiner anderen Lehrgruppe kann die einhundertprozentige Erfüllung einer Einsatzaufgabe so entscheidend für Leben und Gesundheit sein, wie bei den Spezialisten.

Hagen Vollrath leitet die Lehrgruppe „Spezialisten“ seit sechs Jahren. Nein, er lebt sie, denn bei einigen Kursen ist er auch der leitende Dozent. Vollrath ist sich bewusst: 

„Die Anforderungen an unsere Lehrgangsteilnehmer sind hoch, nicht nur körperlich, sondern auch, was das hohe Niveau unserer Ausbildung oder die dynamische Entwicklung der Technik angeht. Beides wird oft unterschätzt, aber wenn wir uns dann im Gespräch die potenziellen Gefahren für die Einsatzkräfte, wie auch die Bevölkerung bewusst machen, wandelt sich der Respekt vor der Aufgabe oft in eine sehr hohe Motivation, die Ausbildung auch erfolgreich zu schaffen. Das sind für mich dann die Momente, wo ich sage: Der hohe Aufwand hat sich gelohnt!“

Die Trainings der Lehrgruppe „Spezialisten“ finden, der Natur der Themen geschuldet, nur zu einem Teil am Neuhausener Novizenweg statt: Die Sprengkurs-Teilnehmer absolvieren ihre Theorie-Einheiten, etwa zur Berechnung der nötigen Sprengstoffmengen, natürlich in einem der sieben Lehrsäle des THW-Ausbildungszentrums. Die CBRN-Ausbilder nutzen auch die auf dem Gelände befindliche Trümmerstrecke für ihre Trainings. Eine Atemschutzstrecke in den Räumen des Trainingszentrums ermöglicht wiederum Übungen zur Personenrettung unter Vollschutz und bei – dank ­Dunkelheit und Nebelmaschinen – eingeschränkten Sichtverhältnissen.

Gesprengt und gesägt hingegen wird bei den „Spezialisten“ immer irgendwo draußen, worüber die für die Gegend zuständigen Forstämter meist hocherfreut sind. Hagen Vollrath erklärt: „Für die Ausbildung suchen wir kontinuierlich nach geeigneten Sprengobjekten. Eine unserer Kompetenzen ist beispielsweise das Sprengen von abgestorbenen Baumkronen, die aus Sicherheitsgründen nicht zu fällen sind, etwa an Steilhängen oder zur Absicherung von Wanderwegen.“ Um das sogenannte ­Bauwerkssprengen zu trainieren, braucht das Team auf der Suche nach geeigneten Abrissobjekten hingegen einen engen Draht zu den Hochbauämtern und Abbruch­firmen. Für alle Ausbildungsthemen der „Spezialisten“ gilt natürlich: Eine sichere Trainingsumgebung hat oberste Priorität. Wer gelernt hat, unnötige Risiken zu vermeiden, kann dieses Wissen auch im Einsatz „blind“ anwenden.

Zivilschutz und Klimawandel erfordern neue Szenarien

Jens Olaf Sandmann, der Leiter des THW-Ausbildungszentrums Neuhausen ist sich sicher, dass seine Einrichtung gut auf die aktuellen Anforderungen des THW und diverser Partnerorganisationen eingestellt ist. Aber was ist mit den Anforderungen von morgen?

 „Ich denke, die Katastrophenschutzausbildung in Europa und besonders die seit dem Krieg in der Ukraine zu überdenkende Zivilschutzausbildung in Deutschland steht vor großen Herausforderungen“, meint Sandmann. „Wir wissen zum Beispiel aus den Erfahrungen im Ahrtal, dass das THW prinzipiell richtig aufgestellt ist und auch alle Kompetenzen der Organisation benötigt werden. Allerdings werden wir als THW künftig auch dazu beitragen müssen, die Resilienz der Bevölkerung zu erhöhen. Der Klimawandel könnte dazu führen, dass Einsätze tendenziell länger andauern, was mit einer größeren Belastung vor allem für unsere Ehrenamtlichen einhergeht. Für uns als THW-Ausbildungszentrum sehe ich, dass wir unsere Lehr­szenarien, die Präsentation der Lehrinhalte oder auch das Zusammenspiel von Lehre und neuesten Erkenntnissen aus der Forschung ständig hinterfragen und weiter­entwickeln müssen.“

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