Stäbe sind im Kontext von Gefahrenabwehr und Krisenmanagement ein besonderes Führungsmittel. Sie werden zur Führung der anspruchsvollsten Einsätze eingesetzt, die bei den jeweiligen Organisationen anfallen. In einem Forschungsprojekt wurde der Weg der Herbeiführung und die Resultate von Einsätzen unter der Führung von Stäben untersucht. Grundlage waren 45 Fälle aus Wirtschaft, Polizei, Feuerwehr, Verwaltung und Militär aus dem deutschsprachigen Raum. Es wurden Ereignisse analysiert, Experten interviewt und Stäbe bei Übungen und Einsätzen beobachtet. Im Folgenden werden einige praxisrelevante Erkenntnisse vorgestellt.
Bei der Untersuchung der einzelnen Fälle wurde in den Blick genommen, welche Probleme in Stäben wiederkehrend bearbeitet werden. Folgende vier Probleme können bei der Führung von Einsätzen mit Stäben als typisch bezeichnet werden:
- Betroffenheit des Zielsystems. Dazu zählen Fachaufgaben bzw. Fachprobleme in Bezug auf das zu steuernde Zielsystem gemäß der auftragsgemäßen Verantwortung.
- Berichterstattung, Meinung und Vertrauen. Dazu zählen die eher nicht-fachlichen Aspekte als „Kommunikation über den Einsatz“ im weitesten Sinne. Es handelt sich um Begleiterscheinungen anderer Probleme oder in Folge daraus resultierender Probleme.
- Fehlendes Wissen und unsichere Informationslage.
- Führungssystembedingte Probleme.
Mit dem Zielsystem ist in etwa der „Einsatzraum“ gemeint. Dahinter verbirgt sich das Verständnis, dass ein Stab im Prinzip das Steuerungsorgan für den Einsatz, oder weiter gefasst, für die betroffene Organisation ist. Es wurde deutlich, dass die Probleme eins und zwei heutzutage faktisch eins zu eins miteinander einhergehen. Für die Praxis kann gesagt werden, dass ein Kommunikationsproblem über den Einsatz einem Einsatzproblem gleichkommt. Das bedeutet, dass man die Kommunikationsstrategie als Teil der Einsatzstrategie verstehen muss.
Die Unterscheidung in die vier Probleme kann bei Übungen und Einsätzen helfen herauszufinden, „worum es gerade eigentlich geht.“ Indem aktuelle Fragestellungen den vier Typen zugeordnet werden können sich die Stabsmitglieder eine gewisse Orientierung verschaffen und undurchsichtige Situationen aufklären. Gerade wenn es um führungssystembedingte Probleme geht, kann die Nachfrage „wo hakt es gerade?“ helfen, Fehlerursachen innerhalb des Stabes oder zwischen Einsatzleitung und operativen Kräften ausfindig zu machen.
Führungsleistungen
Den Beitrag zum Einsatz von operativen Kräften, die physisch am Einsatzort „schuften“ oder als Pressesprecher von Journalisten „in die Mangel genommen“ werden, kann man einigermaßen gut beschreiben. Sie setzen etwas um, sie bewirken etwas und ihre Arbeit lässt sich mehr oder weniger materiell erfassen. Doch was ist eigentlich der Beitrag einer Einsatzleitung zum Einsatz? Wenn man diesen messen möchte stellt man rasch fest, dass die Leistungen von Stäben immateriell und eigentlich nur „Kommunikation“ sind. Die Forschungsarbeit hat gezeigt, dass es der Beitrag eines Stabes zum Einsatz ist, die Voraussetzungen für operative Einheiten zu schaffen, um die eigentliche Wirkung zu erzeugen. Dieser Beitrag kann in vier Führungsleistungen beschrieben werden:
- Grundlegend als Stab zu funktionieren. Die Funktionen eines Stabes können mit folgenden acht Abläufen erklärt werden: Entscheidungs-, Führungs-, Informationsmanagements-, Kommunikations-, Organisations-, Team-, Wahrnehmungs-, Wissens- und Lernprozesse.
- Einsätze führbar zu machen. Dazu zählen die Organisation der Maßnahmen, Vorbereitung, Anzahl und Kompetenzen der Stabsmitglieder, die Universalität des Führungssystems sowie die Fähigkeit zur Absorption der Einsatzkomplexität.
- Zeitvorteile gegenüber dem natürlichen Ereignisverlauf zu erarbeiten. Diese hängen von der Leistungsfähigkeit der vor- und nachgeordneten Teile des Führungssystems ab und werden durch die Handlungsspielräume des Stabes sowie von der Vorwärts- und Rückwärtswirkung des Stabsablaufs bedingt. Stabsarbeit ist immer ein Arbeiten gegen die Zeit. Die zu erarbeitenden Zeitvorteile sind daher ein erfolgskritischer Punkt.
- Den Ereignisfortgang zu beeinflussen. Dazu zählen das Informationsmanagement, das Erkennen der Problemstellung, die Entscheidungsarbeit als eigentliche Lenkung des Geschehens, das Erledigen organisationstypischer Aufgaben sowie die inter- / intra-organisationale Zusammenarbeit.
Die vier Punkte beschreiben eine allgemeine Erwartungshaltung an Stäbe. Dieser Anspruch kann auf Einsatzleitungen jeglicher Führungsstufe übertragen werden. In der Praxis ist es damit nun möglich, die Arbeit der Führungsstelle konsequent auf diese Punkte auszurichten. Führungspersonen kann der Anspruch an sie transparent aufgezeigt werden. Indem im Voraus klar und deutlich ist, woran die Einsatzleitung im Nachhinein gemessen wird steigert sich plausibler Weise die Qualität der Führungsarbeit. Gerade im Ausbildungsbereich, wo die Stabsmitglieder noch nicht über einen umfangreichen Erfahrungssatz verfügen, kann der Lerneffekt verstärkt werden, wenn die eigentlich immateriellen, unsichtbaren Führungsleistungen in einer gewissen Weise greifbar gemacht werden.
Einsatzresultate
Um die Führungsleistung beurteilen zu können muss zwangsläufig auch der gesamte Einsatz einer Bewertung unterzogen werden. Die Resultate eines Einsatzes sind die durch die Führungs- und Ausführungsleistung unter allen Gegebenheiten herbeigeführten, letztendlichen Einsatzergebnisse. Sie können nach der kybernetischen Theorie auch als erzeugte Wirkungen in Form des veränderten Systemzustandes bezeichnet werden. Auf Basis der Erkenntnisse können fünf Wirkungen unterschieden werden:
- Die Stabilisierung des Zielsystems beschreibt die Vermeidung der weiteren Auslenkung eines eher nicht übermäßig ausgelenkten Zielsystems mit der Rückführung in den bestimmungsgemäßen Zustand. Dazu zählen auch die beiden folgenden Punkte.
- Schützen eines Schutzziels (Abwehr unerwünschter Einflüsse von materiellen Zielen).
- Stützen eines Schutzziels (Bekräftigung immaterieller Ziele wie die Reputation der Organisation).
- Die Wiedereinlenkung des Zielsystems beschreibt die Rückführung in den bestimmungsgemäßen Zustand bzw. die Überführung in einen neuen stabilen Zustand eher stark ausgelenkter Zielsysteme.
- Die Wahrnahme der organisationalen Souveränität ist ein weiteres, von der Auslenkung unabhängiges Resultat und beschreibt die Entsprechung der Eigenverantwortung und Autarkie der Mutterorganisation.
Die Wirkungen a und b beziehen sich auf Schutzziele und werden pessimistisch als Vermeidungsziele bezeichnet. Bei den Ergebnissen 1 und 2 geht es um die Approximation an einen gewünschten Zustand, daher werden sie optimistisch als Annäherungsziele bezeichnet. Die Ergebnisart 3 steht für die Autarkie und das Verantwortungsbewusstsein des Stabes in Stellvertreterfunktion für seine Mutterorganisation. Hierunter wird die Summe der Erwartungen gefasst, die an Organisation gestellt werden, weswegen von Erwartungszielen gesprochen wird.
Die Kenntnis dieser Ziele hat insbesondere für die Entwicklung von Einsatzstrategien einen hohen Mehrwert. Ähnlich wie bei der Problemanalyse (s.o.) kann man sich bei der Zielanalyse fragen, „worum es in diesem Einsatz eigentlich geht.“ Bei stringenter Auslegung wird dadurch überhaupt erst klar, worauf im Einsatz eigentlich hingearbeitet wird. Zudem kann man sich dadurch die Einsatzschwere vergegenwärtigen und einordnen, wie die Maßnahmen „dosiert“ sein müssen.
Maßstab für Einsatzergebnisse
Die herbeigeführten Wirkungen werden am allgemeinen Anspruch an Stäbe gemessen. Diese Erwartungshaltung resultiert aus dem Wesen eines Stabes. Sie kann in der Form zusammengefasst werden, dass der Stab als Art Generalinstrument verstanden wird, um das jeweils bestmögliche Resultat herbeizuführen. Der Anspruch scheint insbesondere durch die potenziell große Universalität von Stäben geweckt zu werden. Zudem sind Stäbe in der Regel die höchste Instanz eines Führungssystems, sodass kaum mehr Eskalationspotenzial besteht. Der Anspruch ist hoch, aber nicht grenzenlos, da die Leistungsfähigkeit von Stäben Grenzen hat (bedingt durch die Skalierbarkeit). Die Bezeichnung als Generalinstrument steht sowohl für die Erwartung an das Generelle (unterschiedsloser Einschluss aller Ereignisse) als auch für die Bedeutung des Organs für die oberste Instanz einer Organisation (in Anlehnung an den militärischen Rang eines Generals). Gemessen an den Umständen (Außergewöhnlichkeit) dürfen Einsatzresultate im Vergleich zu Resultaten, gewisse Mängel haben, die unter günstigeren Umständen vernünftigerweise hätten erzielt werden können.
Der allgemeine Anspruch schließt auch konkretere Erwartungen mit ein. So wird vom Stab einerseits die Wahrnehmung von Führungsaufgaben erwartet. Bei jeder Organisation wird allerdings auch die Durchführung von fachlich-organisationstypischen Polizeiaufgaben erwartet. Vom gesamten Einsatz wird die Stabilisierung oder Wiedereinlenkung des Systemzustandes, die Wahrnahme der organisationalen Souveränität und die Erreichung von Vermeidungszielen erwartet. Nach allen Erkenntnissen wird von Einsätzen im Bereich von Gefahrenabwehr und Krisenmanagement nicht die Erreichung von Mehrungszielen erwartet, was im Militärbereich mutmaßlich anders gelagert sein dürfte.
Führungsleistung beurteilen
Am Ende der Forschungsarbeit ist klar geworden, wie die Führungsleistung eines Stabes in drei Gütegraden beurteilt werden kann (gemindert, erwartungsgemäß und mehr als ausreichend). Wichtig ist dabei, dass ein hypothetisch gutes Ergebnis unter anderen Umständen eine niedrige Führungsleistung nicht rechtfertigt.
Als erwartungsgemäße bzw. ausreichende Führungsleistung des Stabes wird verstanden, wenn durch den Stab mittels stabstypischer Aufgaben (führungstypisch und fachlich-organisationstypisch) die Voraussetzungen für operative Einheiten geschaffen wurden, um für die jeweilige Situation das bestmögliche Ergebnis (Systemzustand) herbeizuführen (kurz: erfolgreiche Stabsarbeit). Das schließt die Erbringung eines angemessenen Rates bei einer Beratungsaufgabe mit ein.
Fazit
Insgesamt können mit Befunden aus der Forschungsarbeit nun Führungsleistungen von Stäben in Übungen und Einsätzen sichtbar, erfassbar und vergleichbar gemacht werden. Einsätze und Führungsleistungen von Stäben können damit relativ einfach, anhand nachvollziehbarer Kriterien, reproduzierbar und objektiviert beurteilt werden. Dies ist nach dem bisherigen Wissensstand nicht möglich gewesen, weswegen das Verfahren eine Neuerung darstellt. Darin wird der größte Nutzen der Erkenntnisse gesehen.
Zum Abschluss der Untersuchungen stellte sich der Zweck und der Charakter von Stäben zudem konkreter dar als in der einschlägigen Literatur. Daher wird eine führungstheoretische Charakterisierung von Stäben der Gefahrenabwehr und des Krisenmanagements vorgeschlagen (siehe Kasten).
Führungstheoretische Definition eines Stabes in Gefahrenabwehr und Krisenmanagement
Ein Stab ist ein Organ im Führungssystem, das im Auftrag der Leitungsstelle handelt (Führungsstelle) und dabei Führungsaufgaben und fachlich-organisationstypische Aufgaben mit überwiegendem Koordinations-, aber auch mit Entscheidungscharakter wahrnimmt. Die Installation eines Stabes als Element einer einsatzbezogenen besonderen Aufbauorganisation hat zum Ziel, die Leistungsfähigkeit der Leitungsstelle zu erhöhen und die Alltagsorganisation zu entlasten.
An einen Stab besteht der Anspruch, als Art Generalinstrument innerhalb seiner (typischerweise hohen, aber nicht grenzenlosen) Leistungsfähigkeitsgrenzen unter den jeweiligen Umständen das bestmögliche Einsatzresultat herbeizuführen.
Im jeweiligen Gesamtkontext (Organisation, Zielsystem und Einsatz sowie Leitung, Führung und Ausführung) ist der Einsatzzweck, gesteuerte Zielsysteme zu stabilisieren oder wieder einzulenken sowie die organisationale Souveränität wahrzunehmen. Ein Stab schafft mit seiner Führungsleistung die Voraussetzungen für operative Einheiten (Ausführungsleistung) bzw. für die Entstehung der Bedeutung (Beratungsaufgabe). Führungsleistungen eines Stabes sind als Stab zu funktionieren (grundlegender Selbstzweck), Einsätze (Bewältigungsmaßnahmen) führbar zu machen, Zeitvorteile gegenüber dem natürlichen Ereignisverlauf zu erarbeiten und den Ereignisfortgang zu beeinflussen.
Der vorliegende Beitrag ist Teil einer losen Serie zur Stabsarbeit. Bereits erschienen: Magazin 2/2016, Magazin 4/2016, Magazin 1/2017, Magazin 3/2017, Magazin 4/2017, Magazin 2/2018, Magazin 4/2018 und Magazin 2/2019.
Crisis Prevention 4/2020
Dr. Dominic Gißler
Der Verfasser verantwortet das Crisis Management Training
der Stäbe in einem internationalen Luftfahrtkonzern.
Kontakt: gissler@i-sga.de