Krisenmanagement in der COVID-19-Pandemie

Roland Lutz

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Sowohl die Anforderungen an das Krisenmanagement als auch dessen Wahrnehmung sind in der COVID-19- Pandemie sehr unterschiedlich – sie reichen von Bundesbehörden und dem Robert-Koch-Institut mit sehr hoher Flughöhe über einzelne Landkreise, große kreisfreie oder kreis­angehörige Städte bis hin zu Kommunen jeder Größenordnung. Und genau genommen sogar noch weiter – denn einzelne Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime und auch Unternehmen sind genauso mit der Bewältigung der Krise beschäftigt und benötigen im Vergleich zur Bundesebene fast schon mikroskopisch genaue Daten.

Darstellung von Einsätzen und Behandlungskapazitäten auf der Lagekarte eines...
Darstellung von Einsätzen und Behandlungskapazitäten auf der Lagekarte eines Stabsführungssystems (Beispieldaten).
Quelle: GEOBYTE

Mittendrin natürlich die operative Gefahrenabwehr – Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und THW. Nicht die Ministerpräsidenten oder das Bundeskabinett führen Evakuierungsmaßnahmen durch oder verlegen Patienten in andere Kliniken, wenn die Behandlungskapazitäten nicht mehr ausreichen – das ist auch in der COVID-19-Krise Aufgabe der operativen Kräfte von Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz, je nach Lage flankiert durch die Polizei.

Bundesweit Behandlungskapazitäten und die Zahl der intensiv­pflichtigen/COVID-19-Patienten einsehen zu können, ist in diesem Zusammenhang eine schöne Sache – im Tagesgeschäft werden vom Coronavirus betroffene Patienten aber wohl äußerst selten aus Süddeutschland in den Norden der Republik verlegt. Es ist daher zunächst erforderlich, den eigenen Zuständigkeitsbereich im Blick zu haben und sich mit den direkten Nachbarn abzustimmen. Nicht zu unterschätzen ist dabei die Infektionsgefahr für die Einsatzkräfte – diese entsteht u. a. auch deswegen, weil die Meldewege über die verschiedenen Behörden hinweg viel zu umständlich und langsam sind. Wenn ein RTW zu einem Einsatz in einem Alten-/Pflegeheim anrückt, sollten die Einsatzkräfte rechtzeitig wissen, ob sie Schutzkleidung tragen müssen – dies erst einen Tag nach Durchführung des Einsatzes zu erfahren, ist nicht zielführend.

Die COVID-19-Pandemie hat relativ wenig mit „normalen“ Einsatzlagen der operativen Gefahrenabwehr zu tun – auch nicht mit entsprechenden Großschadenslagen wie Groß- /Flächenbränden, Unwetterlagen mit hunderten Einsatzstellen oder aufwendig zu planenden Großveranstaltungen. Die Gefahr ist sehr viel abstrakter und die Maßnahmen sind schwierig zu planen, weil situationsbedingt völlig unterschiedlich gehandelt werden muss.

Viele „klassische“ Werkzeuge zur Lageführung sind für diese Art von Lagen nicht vorgesehen, sie sind schlicht zu unflexibel und eben nur für das normale Tagesgeschäft der Gefahrenabwehr gedacht. Mit Vorsicht zu genießen sind aber auch kartographische Darstellungen, die auf Basis teilweise geschätzter, teilweise realer Fallzahlen erstellt werden und durch die Medien geistern – ein von COVID-19 betroffenes Alten-/Pflegeheim oder auch eine Massenunterkunft sind punktuelle Ereignisse, die nicht als „strahlende“ Hotspots in einer Karte dargestellt werden sollten. Mit den richtigen und rechtzeitigen Maßnahmen bleibt erstens der Ausbruch auf ein Objekt beschränkt und zweitens ist die Ausbreitung von Viren nicht mit der von radioaktiver Strahlung gleichzusetzen. Eine schöne Grafik ersetzt kein echtes Lagebild.

Ideen für neue Verfahren und IT-Unterstützung schießen seit Wochen wie Pilze aus dem Boden – Speziallösungen, die ausschließlich für die COVID-19-Pandemie erstellt werden, sind jedoch nicht besonders zielführend. Tatsächlich gab es ähnliche Problem- und Fragestellungen auch schon bei anderen Lagen, z. B. wenn von möglichen Anschlägen ausgegangen werden musste und deswegen die Behandlungskapazitäten vor und während der Lage zumindest für ein ausgewähltes Gebiet stetig abgefragt und protokolliert wurden. Das Thema Fallzahlen wiederum hat – zumindest hinsichtlich der Dokumentation – durchaus Ähnlichkeiten zur Flüchtlingskrise vor einigen Jahren.

Kompakte Informationen zur Lageübersicht auf einem Mobilgerät
Kompakte Informationen zur Lageübersicht auf einem Mobilgerät (Beispieldaten).
Quelle: GEOBYTE

Auch das Thema Datenschutz bleibt während der COVID-19-Pandemie mitunter auf der Strecke – und das nicht nur bei manchen Ideen zur vieldiskutierten Corona-App, mit der Kontakte und Ansteckungsrisiken nachverfolgt und die Nutzer der App entsprechend informiert werden sollen (auch wenn das z. B. für viele ältere Mitbürger mangels Smartphones überhaupt nichts nutzt). Es werden auch vermehrt Plattformen angeboten, in die Daten zu Fallzahlen etc. eingegeben werden können – wobei völlig unklar ist, wo die Daten tatsächlich gespeichert werden und wer letztlich Zugriff darauf hat. Bei einigen Angeboten scheint dies in erster Linie dem Anbieter zu nützen, der damit Werbung macht und die Daten zur Erstellung der erwähnten aufbereiteten Karten bereitstellt oder nutzt. Cloud-Lösungen sind nicht per se schlecht – es muss aber sichergestellt sein, dass die Daten auf Servern in Europa gespeichert werden und die Vertraulichkeit und der Zugriffschutz müssen geprüft und gewährleistet sein.

Eine übergreifende Vernetzung von Lageinformationen ist im Übrigen auch ohne Cloud-Lösungen möglich, wie Projekte in Baden-Württemberg (InterConnect) und Nordrhein-Westfalen (VIDaL) klar beweisen. Lösungen für das Krisenmanagement – von der Lageführung/Lagedarstellung über das Einsatzmanagement bis hin zur Stabarbeit – müssen so ausgelegt sein, dass sie erstens universell für jede Art von Lage eingesetzt werden können und zweitens auch von Mitarbeitern in Behörden verstanden und bedient werden können, die damit normalerweise nichts zu tun haben. Eine vollständige Vernetzung, unterschiedliche Visualisierungen für verschiedene Zielgruppen, Ausfallsicherheit und Datenschutz sind dabei selbstverständlich – es drängt sich auf, dass eine für das Führen kleiner Einsatzlagen auf einem ELW vorgesehene Software hier an ihre Grenzen stößt.

Sehr wichtig ist es auch, Informationen zu Sonderlagen mit dem laufenden Einsatzgeschehen zusammenbringen zu können, denn es gibt Wechselwirkungen: z. B. das eingangs beschriebene Szenario eines Rettungseinsatzes in einem Alten-/Pflegeheim mit COVID-19 infizierten Bewohnern – oder umgekehrt ein ganz normaler Einsatz in der Nähe einer laufenden Evakuierung oder auch nur einer überwachten großen Quarantäne-Situation, der die gesamte Einsatzlage ad absurdum führen kann. Eine Vernetzung ohne Einbindung der Leitstelle ist im operativen Bereich sinnlos und selbst administrativ-organisatorische Stäbe sollten nicht mit Insellösungen arbeiten.

Eine zeitgemäße, vernetzte Software kann aus Einzelinformationen auch Informationen zur Gesamtlage ableiten und diese darstellen. Das spart doppelte Dateneingaben und sorgt dafür, dass Punktlagen auch Punktlagen bleiben und trotzdem in das „große Ganze“ einfließen. Daten sollten dabei idealerweise dort erfasst werden, wo sie entstehen – das sorgt für Aktualität, vermeidet Übermittlungsfehler und liefert so eine solide Basis für fundierte Entscheidungen auf jeder Ebene. Stand heute sind solche Lösungen aber leider nicht flächendeckend etabliert. Hier besteht erhebliches Verbesserungspotenzial.

Die COVID-19-Krise ist noch nicht vorbei – es ist leider mit weiteren Infektionswellen zu rechnen. Hoffentlich mit weiterhin möglicher guter medizinischer Versorgung im Gesundheitssystem und auch bald mit Medikamenten, die schwere Verläufe lindern und die Todesraten reduzieren können. Klar ist aber auch, dass die durch die Pandemie ausgelöste Rezession massive Konsequenzen haben wird – auch auf die Haushalte der Städte/Kommunen, Kreise und Länder. Sparen wird in der Folge unerlässlich werden – hoffentlich nicht am falschen Ende. Die COVID-19-Pandemie hat viele unvorbereitet getroffen und aufgezeigt, dass effizientes Krisenmanagement auch moderne Werkzeuge benötigt. An genau diesen zu sparen, wird sich in der nächsten Krise rächen und im Extremfall sogar Menschenleben kosten. Denn mit ausreichenden Vorräten an Atemschutzmasken und Schutzkleidung allein lassen sich solche Lagen leider nicht bewältigen.

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