Der Bevölkerungsschutz ist ein wesentlicher Bestandteil der Sicherheitsarchitektur eines jeden Landes. Aufgrund der Corona-Pandemie, der Ahrtal-Katastrophe und dem Angriff auf die Ukraine ist die Bedeutung des Bevölkerungsschutzes in Deutschland aktuell wie lang nicht mehr. Dies nimmt der Beitrag zum Anlass, den Bevölkerungsschutz im drittgrößten Flächenlandes Deutschlands mit einer Vielzahl an potenziellen Gefahrenszenarien in den Blick zu nehmen.
I. Begriff und Rechtsgrundlagen des Bevölkerungsschutzes
Die Terminologie „Bevölkerungsschutz“ ist weder dem Grundgesetz noch der baden-württembergischen Landesverfassung bekannt. Gemeinhin wird unter Bevölkerungsschutz die Gesamtheit aller Maßnahmen und Einrichtungen verstanden, die der Gefahrenabwehr und der Hilfeleistung zum Schutz der Zivilbevölkerung in Krisen- und Katastrophenfällen dienen. Strukturell bildet der Bevölkerungsschutz den Oberbegriff, der sich in zwei Bereiche aufgliedert, in den Zivilschutz (1) und in den Katastrophenschutz (2).
Der Zivilschutz (1) findet – im Unterschied zum Bevölkerungsschutz – mehrfach ausdrückliche Erwähnung im Grundgesetz („Schutz der Zivilbevölkerung“). Die wichtigste Regelung ist Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG. Danach liegt die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit für den Zivilschutz beim Bund. Nach § 1 des Gesetzes über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) ist es Aufgabe des Zivilschutzes, durch nichtmilitärische Maßnahmen die Bevölkerung, ihre Wohnungen und Arbeitsstätten, lebens- oder verteidigungswichtige zivile Dienststellen, Betriebe, Einrichtungen und Anlagen sowie das Kulturgut vor Kriegseinwirkungen zu schützen und deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern. Entscheidend ist also der Schutz bei Kriegseinwirkungen.
Der Katastrophenschutz (2) meint dagegen den Bevölkerungsschutz, wenn keine Kriegseinwirkungen vorliegen. Er ist weder im Grundgesetz noch in der Landesverfassung erwähnt. Die Gesetzgebungskompetenz für den Katastrophenschutz liegt gemäß Art. 70 Abs. 1 GG bei den Ländern. Rechtsgrundlage in Baden-Württemberg ist das Landeskatastrophenschutzgesetz (LKatSG BW),das noch im Jahr 2024 umfassend novelliert werden soll. Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 LKatSG BW ist es Aufgabe des Katastrophenschutzes, (a) die Bekämpfung von Katastrophen vorzubereiten, (b) Katastrophen zu bekämpfen und (c) bei der vorläufigen Beseitigung von Katastrophenschäden mitzuwirken.
In der Praxis ist die Unterscheidung zwischen Zivil- und Katastrophenschutz nicht immer einfach durchzuhalten und fließend. Die jeweiligen Fähigkeiten des Zivil- und Katastrophenschutzes überschneiden und ergänzen sich weitgehend. Daher ist es umso wichtiger, eine reibungslose und abgestimmte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu erhalten und zu intensivieren (dazu unten V.).
II. Überblick über den Katastrophenschutz
in Baden-Württemberg
1. Zum Begriff der Katastrophe
Ausgangspunkt für die Anwendung des LKatSG BW ist das Vorliegen einer Katastrophe. Eine Katastrophe ist nach § 1 Abs. 2 LKatSG BW ein Geschehen, das Leben oder Gesundheit zahlreicher Menschen oder Tiere, die Umwelt, erhebliche Sachwerte oder die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung in so ungewöhnlichem Maße gefährdet oder schädigt, dass es geboten erscheint, ein zu seiner Abwehr und Bekämpfung erforderliches Zusammenwirken von Behörden, Stellen und Organisationen unter die einheitliche Leitung der Katastrophenschutzbehörde zu stellen. Die Katastrophenschutzbehörde bestimmt, wann eine Katastrophe im Sinne des LKatSG BW vorliegt, indem es das Katastrophengebiet festlegt und den Katastrophenalarm auslöst. Möglich ist sogar vorausschauend einen sog. Katastrophenvoralarm bei anbahnender Katastrophe auszulösen. Wird der Katastrophenalarm oder -voralarm von der zuständigen Katastrophenschutzbehörde ausgerufen, übernimmt diese unmittelbar die Leitung aller Einsatzmaßnahmen zur Katastrophenbekämpfung. Ihre Weisungen sind von allen Einheiten und Einrichtungen des Katastrophenschutzes sowie den Trägern der Katastrophenhilfe zu befolgen.
2. Zuständigkeiten
Zuständig sind die Landrats- und Bürgermeisterämter der Stadtkreise (untere Katastrophenschutzbehörden), die Regierungspräsidien (obere Katastrophenschutzbehörden) und das Innenministerium (oberste Katastrophenschutzbehörde). Nach § 6 Abs. 4 LKatSG BW können die Regierungspräsidien oder das Innenministerium jederzeit die Leitung der Katastrophenbekämpfung übernehmen oder übertragen. Dadurch ist stets die Professionalität der Einsatzleitung gewährleistet. Für die meist ehrenamtlichen Einsatzkräfte bedeutet die Auslösung des Katastrophenalarms, dass sie für den Katastrophenschutzdienst unter Fortzahlung ihrer Bezüge von ihrer beruflichen Verpflichtung freigestellt werden, während gleichzeitig das Land dem Arbeitgeber auf Antrag die Beträge ersetzt. Selbständigen Helfern wird auf Antrag der Verdienstausfall erstattet.
3. Neueinführung der Außergewöhnlichen Einsatzlage
In den vergangenen zehn Jahren wurde in Baden-Württemberg kein oben beschriebener Katastrophenalarm oder -voralarm ausgelöst. Gleichwohl gab es zahlreiche Einsätze unter Beteiligung von Einsatzkräften des Katastrophenschutzes. Der Landesgesetzgeber hat dies erkannt und im Jahr 2020 die sog. außergewöhnliche Einsatzlage eingeführt, also ein Geschehen, das Leben oder Gesundheit einer großen Anzahl von Menschen oder Tieren, in erheblichem Maße die Umwelt oder erhebliche Sachwerte gefährdet oder schädigt. Wird diese Lage festgestellt – die Voraussetzungen hierfür sind im Vergleich zur Katastrophe geringer – gelten ebenfalls die skizzierten Regelungen zur Einsatzführung und zu den Rechten der Helfer. Seit Einführung der außergewöhnlichen Einsatzlagen wurde diese nach Auskunft der Landesregierung bis 2023 bereits 53-mal festgestellt (LT-Drs. 17/5244). Die Bandbreite der Einsatzlagen ist groß und reicht von der Unterbringung von Flüchtlingen aus der Ukraine über die Evakuierung verunglückter Personenzüge bis hin zum Einsatz bei Starkregen oder bei einem Fund von Weltkriegsbomben. Entsprechend hat sich die außergewöhnliche Einsatzlage in der Praxis bewährt.
4. Helfende Akteure im Katastrophenschutz – Ehrenamt und Wertschätzung
Die Katastrophenhilfe in Baden-Württemberg wird in erster Linie von den 1097 Feuerwehren der Kommunen sowie den privaten Hilfsorganisationen im Katastrophenschutz sichergestellt. Das Technische Hilfswerk und in Ausnahmesituationen auch die Bundeswehr (Amtshilfe) unterstützen hierbei. Darüber hinaus beobachten rund 40 ehrenamtlich Tätige in dem seit 2018 bestehenden Virtual Operations Support Team Baden-Württemberg (VOSTbw) die Sozialen Medien bei landesweit relevanten Lagen und betreiben ein Internet-Monitoring. Die gewonnenen Informationen werden ausgewertet, aufbereitet und dem jeweiligen Krisenstab zur Verfügung gestellt. Schließlich wird zur Wertschätzung des wichtigen Einsatzes der ehrenamtlichen Kräfte jährlich an 20 herausgehobene Bevölkerungsschützer im Land das Bevölkerungsschutzehrenzeichen des Landes Baden-Württemberg verliehen.
5. Selbsthilfefähigkeit stärken
Staatliche Institutionen können niemals sämtliche Gefahren für Leib und Leben abwenden. In Baden-Württemberg wird daher – auch aus den Erfahrungen im Ahrtal im Sommer 2021 – zukünftig im Schulunterricht ein größerer Stellenwert auf den Bevölkerungsschutz unter Einbeziehung der Bevölkerungsschutzorganisationen gelegt. Dadurch soll die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung durch wiederkehrende Sensibilisierung und Aufklärung gestärkt werden.
6. Finanzierung
Die staatlichen Investitionen in den Bevölkerungsschutz wurden seit dem Ende des Kalten Krieges deutschlandweit zurückgefahren und Kapazitäten abgebaut. Die Corona-Pandemie, Unwetterkatastrophen im Jahr 2021 und der Krieg in der Ukraine haben dem Bevölkerungsschutz eine neue politische Brisanz verliehen. Dies spiegelt sich auch im Landeshaushalt von Baden-Württemberg wider. Im Doppelhaushalt für die Jahre 2023 und 2024 wurden in einem Sofortprogramm für den Bevölkerungsschutz zusätzlich 25 Millionen Euro bereitgestellt. Dabei kann es sich nur um den Beginn einer dauerhaft strukturell höheren Finanzierung handeln. Moderne und leistungsfähige Technik ist entscheidend, um Katastrophen professionell zu bewältigen. Ehrenamtliche und hauptberufliche Helfer benötigen eine gute Ausrüstung, um das Eingehen unverantwortlicher Risiken bei Einsätzen zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund sei der besondere Appell erlaubt, dass gegenwärtige Sparzwänge nicht dazu führen dürfen, dass eine auskömmliche Finanzierung des Bevölkerungsschutzes erneut (!) ins Hintertreffen gerät.
III. Länderübergreifende und internationale Zusammenarbeit
Baden-Württemberg grenzt an drei Bundesländer, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz, sowie an zwei Nationalstaaten, Frankreich und die Schweiz, an. Da Naturkatastrophen nicht an Grenzen Halt machen, ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bevölkerungsschutz für Baden-Württemberg von hoher Bedeutung.
1. Länderübergreifende Zusammenarbeit mit Bund und Ländern
Für eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern nimmt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) eine zentrale koordinierende Rolle ein. Eine weitergehende Zentralisierung des Bevölkerungsschutzes, etwa durch Aufwertung des BBK zu einer Zentralstelle mit Weisungsbefugnissen gegenüber den Ländern, wie sie verschiedentlich angedacht wird, ist allerdings für einen wirkmächtigen Bevölkerungsschutz nicht erforderlich. Katastrophen können am besten vor Ort bewältigt werden.
Im Juni 2022 wurde zudem auf Grundlage einer Vereinbarung des Bundes und der Länder das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz (GeKoB) gegründet. Als dauerhaft eingerichtete Kooperationsplattform beim BBK soll es die koordinierte Zusammenarbeit aller Partner im Bevölkerungsschutz stärken, indem der Informationsaustausch intensiviert, Risiken gemeinsam bewertet, Prognosefähigkeiten aufgebaut und politisch-strategische Krisenstäbe in Bund und Ländern unterstützt werden. Besondere Bedeutung kommt dem Gemeinsamen Lagebild Bevölkerungsschutz zu. Es soll zu einem digitalen Lagebild weiterentwickelt werden, um das Informationsmanagement zwischen den verschiedenen Ebenen medienbruchfrei sicherzustellen.
2. Internationale Zusammenarbeit
Einsatzkräfte aus Baden-Württemberg nehmen regelmäßig an EU-weiten Katastrophenschutzübungen und -einsätzen teil. Ein Beispiel im Bereich der Vegetationsbrände ist der Übungseinsatz in Griechenland im Jahr 2022. An diesem erstmaligen EU-Pilotprogramm zur Waldbrandbekämpfung waren mehr als 200 Feuerwehrleute aus insgesamt sechs Ländern der Europäischen Union beteiligt. Aus Deutschland nahmen insgesamt 16 haupt- und ehrenamtliche Feuerwehrleute teil, allesamt aus Baden-Württemberg.
Des Weiteren wird im Oktober 2024 die internationale Übung „Magnitude“ durchgeführt, bei der das Szenario eines Erdbebens im nördlichen Baden-Württemberg geübt wird. In der auf 36 Stunden ausgelegten Übung soll unter Beteiligung von Einsatzkräften aus Griechenland, Österreich und der Schweiz der Umgang mit Chemieunfällen, die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung sowie die Ortung und Bergung verschütteter oder verletzter Menschen trainiert werden. Erstmals wird Deutschland damit Ausrichter einer Großübung des Europäischen Katastrophenschutzes sein, welche seit 2010 bereits 35 Mal stattgefunden hat.
Darüber hinaus ist die Arbeitsgruppe Katastrophenhilfe in der deutsch-französisch-schweizerische Oberrheinkonferenz mit der grenzüberschreitenden Hilfeleistung aufgrund der verschiedenen Risiken am Oberrhein beauftragt. In fünf Expertenausschüssen sollen der Informationsaustausch und die grenzüberschreitenden Einsätze vereinfacht werden.
IV. Reformüberlegungen und Ausblick
Der Bevölkerungsschutz in Baden-Württemberg ist gut aufgestellt. Es gibt jedoch Stellschrauben, an denen zu drehen lohnt, um einen noch besser vernetzten, effektiveren und leistungsfähigeren Bevölkerungsschutz zu erhalten. Hier sollen vier Überlegungen vorgestellt werden.
1. Kompetenzbündelung
„In der Krise Köpfe kennen“ lautet das Credo jedes Bevölkerungsschützers. Eine eingespielte und professionelle Zusammenarbeit zwischen allen staatlichen und privaten Organisationen im Katastrophenschutz ist daher unerlässlich. Zentrale Akteure müssen vernetzt sein und stets die zuständigen Ansprechpartner kennen, damit im Katastrophenfall schnell und zielgerichtet geholfen werden kann. Ein bedeutender Schritt zur Bündelung von Kompetenzen und Fachwissen auf Landesebene war die Gründung der Abteilung 6 für Bevölkerungsschutz und Krisenmanagement im Jahr 2016 im baden-württembergischen Innenministerium. Diese Strukturen sollten weiter gestärkt werden. Denkbar wäre der Ausbau der entsprechenden Abteilung zu einem „Landeskatastrophenschutzpräsidium“ als herausgehobene Abteilung im Innenministerium als zentrale Kommunikations- und Koordinierungsstelle.
2. Helfergleichstellung
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer im Bevölkerungsschutz hat der Landtag von Baden-Württemberg im Jahr 2020 die Helferrechte der Ehrenamtlichen gestärkt und die bereits erwähnte außergewöhnliche Einsatzlage geschaffen. Dies sollte der Anknüpfungspunkt für eine vollständige und einheitliche gesetzliche Regelung zur Gleichstellung aller Ehrenamtlichen im Bevölkerungsschutz auch unterhalb der Schwelle der außergewöhnlichen Einsatzlage sein (sogenannte Helfergleichstellung). Insbesondere betrifft dies die Regelungen zur Freistellung von der Arbeitsstätte sowie zur Gewährung von Verdienstausfällen und anderen pauschalen Entschädigungsleistungen.
3. Rechtssicherheit für Spontanhelfer
Der Landesgesetzgeber ist ferner gefordert, die sog. Spontanhelfer in die Einsatzstrukturen des Bevölkerungsschutzes einzubinden. Während der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 und den anschließenden Aufräumarbeiten hat sich gezeigt, welche Schlagkraft ehrenamtliche Spontanhelfer bei der Bewältigung von Katastrophen haben können. Für eine erfolgreiche Einsatzführung ist jedoch eine geordnete Koordination vonnöten. Spontanhelfer sind daher an die Weisungen der Katastrophenschutzbehörden zu binden.
4. Modernisierung der Leitstelleninfrastruktur
Die Integrierten Leitstellen sind Dreh- und Angelpunkt der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr. In Baden-Württemberg besteht derzeit ein sehr heterogenes Bild in der Leitstellenstruktur. Diese muss dringend effektiv, neu und modern ausgerichtet werden. Über eine einheitliche Software und entsprechende Schnittstellen ist ein landesweiter Datenaustausch zwischen staatlichen und ehrenamtlichen Einrichtungen der Notfallrettung und -versorgung sowie den Kliniken und dem öffentlichen Gesundheitsdienst zu gewährleisten. Redundanzen sind zwingend herzustellen.
V. Schluss
Ein effektiver und leistungsfähiger Bevölkerungsschutz ist bedeutender Baustein für die Innere Sicherheit, nicht nur in Baden-Württemberg. Es ist daher wichtig, dass alle staatlichen und privaten Organisationen im Katastrophenschutz eng zusammenarbeiten und über die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen verfügen. Die Anerkennung und Wertschätzung der ehrenamtlichen Helfer, eine kontinuierliche Investition in eine moderne Infrastruktur und eine eingespielte grenzüberschreitende Zusammenarbeit sind dabei unerlässlich. Die vorgestellten Reformüberlegungen sollen nicht abschließend sein, aber einen weiteren Anstoß geben, um den Bevölkerungsschutz auch in anderen Bundesländern an die aktuellen Anforderungen anzupassen.
Crisis Prevention 1/2024
Dr. Matthias Miller
Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg
E-Mail: matthias.miller@cdu.landtag-bw.de.