Curriculum-Entwicklung mit Anwendern: Best Practices

Sybille Reinke de Buitrago, Christine Carius

Christine Carius

Die kontinuierliche Fortbildung der Einsatzkräfte in der Katastrophenhilfe zu unterschiedlichen Schadenslagen ermöglicht die optimale Bewältigung dieser Schadenslagen. Wirksame Aus- und Fortbildung lebt dabei insbesondere von praxis- und anwenderrelevanten Inhalten und motivierender Vermittlung dieser Inhalte. Wenn Schulungsinhalte direkt auf die aktuellen Herausforderungen und Problemlagen in der Praxis zugeschnitten sind, haben sie ihren größten Nutzen für die Zielgruppe; die Zielgruppe und ihre spezifischen Bedürfnisse sollten daher als ein wichtiger Bestandteil bei der Curriculum-­Entwicklung verstanden werden. 

Dieser Beitrag beschreibt, wie Curricula und Schulungen praxisnah und in enger Zusam­menarbeit zwischen Wissenschaft und Anwendern entwickelt und durchgeführt werden können. Die hier vorgestellten Inhalte sind Ergebnisse aus dem Projekt PRAKOS, „Praktiken und Kommunikationen zur aktiven Schadensbewältigung“. Das Verbundprojekt PRAKOS wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Beteiligte Partner waren: Christian-­Albrechts-Universität zu Kiel, Polizeiakademie Niedersachsen, Technisches Hilfswerk, Universität der Bundeswehr München und die Universität Hamburg mit Konsortialführung durch die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e. V. Der Beitrag stellt im Folgenden Best Practices bei Curriculum-­Entwicklung und Probeschulungen vor und geht dabei auch auf Fragen der Evaluierung ein.

Best Practices: Curriculum, Probeschulung, Evaluierung

Curriculum-Entwicklung

Bei der Curriculum-Entwicklung steht die Klärung der präzisen Aufgabenstellung an erster Stelle. Dazu zählen nicht nur die in einem Vorhaben genannten Aufgaben und Ziele, sondern auch die möglichst konkreten Teilziele und Teilaufgaben, sowie die genauen Verantwortlichkeiten und Kommunikationswege. Die möglichst umfassende Klärung des Bedarfs mit enger Einbindung der Anwender/Zielgruppen kann spätere Unklarheiten und zusätzliche Arbeit vermeiden.

Um den Bedarf genau zu erfüllen, braucht es eine relevante Fallauswahl und geeignete Methodik. Nur solche Fälle, mit denen die Anwender selbst in der Praxis umgehen müssen, bringen nützliche Erkenntnisse für Zielgruppen. Dabei ist auf Diversität und Repräsentativität der Fälle zu achten. Die Fallauswahl sollte mit den Zielgruppen besprochen werden; ein oder mehrere Fälle können testweise ausgewertet werden. Da Curricula in der Regel aus mehreren thematischen Einheiten bestehen, ist es sinnvoll, diese unterschiedlich kombinieren zu können. 

Thematische Einheiten sollten sowohl in einem kohärenten Zusammenhang stehen als auch als Einzeleinheit nutzbar sein. Damit kann flexibel auf verschiedene Zielgruppen und mögliche Zeitkontingente eingegangen werden.

Zentral für die Akzeptanz von Fortbildungsinhalten ist das kontinuierliche Spiegeln von erarbeiteten Inhalten und geplanten Umsetzungen mit Anwendern.

Dies beinhaltet sowohl das regelmäßige Feedback und den Austausch zwischen allen Beteiligten (durch Koordination einer Seite) und die bedarfsgerechte Aufbereitung der Lehrunterlagen, inklusive der Diskussion von bereits erarbeiteten Bausteinen. Beispielhaft sollen hier zwei unterschiedliche Kontexte genannt werden: 

Wenn Zielgruppen von Anfang an mit einbezogen werden, Teil der inhaltlichen Planungen sind und selbst eine hohe Motivation für das zu behandelnde Thema mitbringen, kann dies dazu beitragen, dass Inhalte mit einer größeren Offenheit und mit mehr Interesse aufgenommen werden. 

Wenn eine Zielgruppe erst später eingebunden wird und nur in kleinem Umfang oder gar nicht Teil der inhaltlichen Ausgestaltung ist, kann dies dazu führen, dass die Offenheit dem Thema gegenüber geringer ausfällt und dass die Form der Aufbereitung nicht passgenau für den Bedarf der Zielgruppe ist. Der Schlüsselpunkt hier ist, dass die enge Einbindung zur Zielgenauigkeit der Inhalte beiträgt. 

Zusätzlich zu diesen Punkten sind die folgenden Überlegungen relevant: Unterschiedlich lange Lehreinheiten und Schulungen erfüllen verschiedene Ziele. Welche genauen Ziele erreicht werden sollen und in welcher Zeit dies möglich und nötig ist, sollte im Detail abgesprochen werden. Auch die Funktionen und Rollen der Teilnehmenden wirken sich oft auf den Verlauf von Schulungen und Lernatmosphäre/Lernerfolg aus. Die möglichen Zwänge und Potenziale sind zu bedenken; der Umgang mit den Herausforderungen ist einzuplanen. So ist es z. B. wichtig, von vorn herein auf eine gute Mischung bezüglich Alter und Einsatzerfahrung zu achten, da auch der Austausch der Teilnehmenden untereinander einen erheblichen Beitrag und Wert der Schulung ausmacht. Hierfür muss genügend Zeit eingeplant werden.

 

Probeschulungen 

Für die Entwicklung und Durchführung von (Probe-)Schulungen ist ebenfalls die gemeinsame Planung, Durchführung und Evaluierung mit den Anwendern/Zielgruppen von großem Wert. Dazu zählt wiederum die genaue und umfassende Klärung der Erwartungen und des Bedarfs, sowie geeigneter Teilnehmender, Örtlichkeiten, notwendigen Ressourcen sowie Partnern vor Ort. Bei der Planung von Schulungen ist auf die bei den Zielgruppen möglichen Zeitkontingente/Zeitrahmen, die gegebenen Ausbildungs- und Lehrgangstypen und die zu erwartenden Teilnehmenden bzw. geeigneten Teilnehmenden zu achten. Die verschiedenen Eigenmotivationen zur Teilnahme wirken sich oft auf den Fortgang der Schulung aus. So kann eine nicht-freiwillige Teilnahme eine Schulung und ihren Erfolg erschweren. Daher müssen Teilnehmende dort abgeholt werden, wo sie stimmungsmäßig aktuell sind. Bei Probeschulungen kann es aber sinnvoll sein, ­zuallererst ein wohlwollendes – also am Thema interessiertes – Publikum einzuplanen, um die Chancen eines umfassenden und nützlichen Feedbacks zu erhöhen. 

Die Rolle des Feedbacks bei Probeschulungen ist nicht zu unterschätzen. Daher sollte bei der Konzeption die Möglichkeit zum direkten und sofortigen Feedback zu Lehrsituation und Lehrinhalten zu deren Verbesserung mit eingeplant werden. Hierbei kann auch die direkte Beobachtung anderer oder durch Schulungsdurchführende als Möglichkeit des Lernens und Erkenntnisgewinns genutzt werden – es erlaubt das Festhalten bestimmter Momente und Reaktionen und damit das spätere Bearbeiten von konkreten Lehrsituationen. 

Des Weiteren sind Zeiten der Reflexion sowie Gespräche eine wertvolle Quelle des Feedbacks; diese können zwischen Modulen oder Bausteinen in die Schulung eingebaut werden. Aber auch gemeinsam verbrachte, informelle Zeiten außerhalb der Schulungszeit sind wertvoll, denn sie bieten zusätzliches und zwangloses (weil recht ehrliches und teils bereits reflektiertes) Feedback. Hier bieten sich z. B. gemeinsame Mittag- und Abendessen an, insbesondere bei mehrtägigen Schulungen.

 

Evaluierung von Curriculum 

Eine systematische Evaluierung des Lehrgangs war allen Projektpartnern wichtig, um zum einen zu erfahren, ob die Inhalte in der geplanten Form vermittelt werden können und wo Verbesserungsbedarf besteht und zum anderen um zu prüfen, ob die Teilnahme am Lehrgang zu weiteren Effekten führt (Teilnehmende als Multiplikator).

Die Evaluierung des PRAKOS-Curriculums erfolgte daher in drei Stufen. Erstens fand eine schriftliche Befragung direkt zu Beginn des Lehrgangs statt, zweitens eine schriftliche Befragung mit einem leicht modifizierten Fragebogen zum Abschluss des Lehrgangs zusammen mit einer mündlichen Abfrage des Meinungsbildes und schließlich im dritten Schritt eine Online-Umfrage unter allen Teilnehmenden. 

Die Fragen im Fragebogen waren in drei Themenblöcke aufgeteilt. In der ersten Befragung wurden die Teilnehmenden nach ihren Erwartungen an den Lehrgang (1), ihre Erfahrungen und Einschätzungen zum Umgang mit Spontanhelfenden (2) und schließlich nach ihrer Einschätzung zur Sinnhaftigkeit von vorgeschlagenen Maßnahmen im Umgang mit Spontanhelfenden (3) gefragt. 

Der zweite Fragebogen erfragte zunächst die Erfüllung der Erwartungen an den Lehrgang und die Beurteilung der Veranstaltung (z. B. ob und wie sehr man den Besuch des Lehrgangs weiterempfehlen würde) sowie inhaltlich erneut die Einschätzungen zum Umgang mit Spontanhelfenden und Bewertung von Maßnahmen. Hierdurch war es zum einen möglich, über die mündlich geäußerte Kritik nachzuvollziehen, welche Erwartungen an den Kurs bestehen und inwiefern diese erreicht wurden. 

Darüber hinaus konnten aufgrund der Bewertung von Situationen und Maßnahmen im Umgang mit Spontanhelfenden auch Veränderungen in den Einschätzungen oder aber deren Gleichbleiben erhoben werden. Die Online-Befragung fand im zeitlichen Abstand von 4 Wochen zum Pilotlehrgang statt. Die Teilnehmenden wurden persönlich per E-Mail angeschrieben und gebeten, den Fragebogen auszufüllen. Die Rücklaufquote der Teilnehmenden in der Online-Befragung war 60 % (THW) und 40 % (FW). In der Online-Befragung wurde insbesondere erfragt, ob und welche Maßnahmen die Teilnehmenden umgesetzt oder geplant hatten. Hierdurch war es möglich zu überprüfen, inwiefern der Lehrgang nachhaltig Effekte erzeugt hatte. 

 

Fazit und Ausblick 

Die Einplanung des Transfers von Forschungsergebnissen in die Praxis ist in öffentlich geförderten Projekten bereits etabliert. Hierzu werden häufig als Mittel Tagungen und Artikel/Buchbeiträge genutzt. Ein vielversprechender Zugang, der allerdings erst selten eingesetzt wird, ist die Vermittlung der Erkenntnisse in einer Fortbildung direkt an die Zielgruppe. Eine Fortbildung als Ergebnis eines anwendungsnahen Forschungsprojekts fokussiert auf den Prozess der wissenschaftlichen Ergebnisgewinnung und auf die Anwender und deren konkrete Bedürfnisse. Die Frage ‚Was heißt dieses Ergebnis für die Einsatzkräfte?‘ steht dabei immer im Zentrum. 

Der vorliegende Beitrag zeigt beispielhaft den Weg der Entwicklung einer Fortbildung im Rahmen eines Forschungsprojekts und gibt damit Hinweise auf Best Practices und mögliche Herausforderungen.

Für die erfolgreiche Entwicklung und Umsetzung von Fortbildungsinhalten ist die kontinuierliche Einbeziehung der Anwender die zentrale Bedingung; insbesondere in Projektkonsortien mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund ist dies wichtig. Darüber hinaus ist ein begleitendes Projektmanagement notwendig. 

Die folgende Tabelle gibt einen Leitfaden für die Konzeption und Gestaltung von Schulungen; er ist als Anregung gedacht und kann mit weiteren Erfahrungen ergänzt werden:


Tab. 1 Leitfaden für Multiplikatoren

Ein Leitfaden für Multiplikatoren


Für Curriculum:

  • Frühe und umfassende Klärung der Aufgabenstellung, Verantwortlichkeiten und Kommunikationswege
  • Umfassende Bedarfsklärung mit Zielgruppen 
  • Passende Fallauswahl und Methodik
  • Modulares Vorgehen: für unterschiedlich kombinierbare thematische Einheiten
  • Gemeinsame Erarbeitung der Lehrinhalte mit Zielgruppen 

Für Pilotschulungen:

  • Klärung zu Erwartungen, Bedarf, geeigneten Teilnehmenden, Örtlichkeiten, Ressourcen und Partnern
  • Zuschneiden auf Zeitrahmen, Ausbildungs- und Lehrgangstypen und Teilnehmer

Zusätzliche Überlegungen für die Konzeption:

  • Was ermöglichen unterschiedlich lange Lehreinheiten und Schulungen, und welche Ziele sind damit zu erreichen?
  • Wie können sich Funktionen und Rollen von Teilnehmenden auswirken – welche Zwänge und Potenziale ergeben sich? 
  • Wir wirken sich verschiedene Teilnahmemotivationen aus?
  • Wie kann direktes, sofortiges Feedback in die Lehrsituation eingebaut werden?
  • Wie können Reflektion und Gespräche produktiv genutzt werden?
  • Was bieten gemeinsam verbrachte, informelle Zeiten, und wie können sie genutzt werden?
  • Was soll in der Evaluierung gemessen werden (neu erworbenes Wissen? Feedback zum Aufbau des Lehrgangs und/oder Methoden der Wissensvermittlung)?
  • Wie erfahren Teilnehmende, was aus Ihrem Feedback gemacht wurde?
  • Soll die Schulung später dauerhaft angeboten werden, müssen bereits bei der Konzeption die Anforderungen der jeweiligen Schulungseinrichtung umgesetzt werden.

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