Einsätze im Zusammenhang mit gefährlichen Stoffen stellen für eine öffentliche Feuerwehr immer eine Herausforderung dar. Die Berliner Feuerwehr bildet hier keine Ausnahme, weshalb die Ausrüstung verbessert und die taktischen Vorgaben stetig angepasst werden. Jüngste Errungenschaft sind drei neue Abrollbehälter zur Dekontamination von Patientinnen und Patienten (AB-DekonV). Diese konnten im Rahmen der Zusatzausstattung für die EM 2024 beschafft werden.
Bedarf an Dekontaminationsmöglichkeit für Patientinnen und PatientenBereits bei Großübungen wurde deutlich, dass die Berliner Feuerwehr kaum über geeignete Möglichkeiten zur Dekontamination von Patientinnen und Patienten, insbesondere bei einer größeren Anzahl kontaminierter Personen, verfügte. Der Bedarf wurde auch durch eine Bachelorarbeit (Dommisch, 2023, Konzept zur Dekontamination Verletzter für die Berliner Feuerwehr) untersucht, die durch die Berliner Feuerwehr betreut wurde. Die Notwendigkeit einer Dekontamination bereits an der Einsatzstelle ergab sich aus der bisherigen Vorgehensweise bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten, denen CBRN-Stoffe anhaften.
Bisher wurden kontaminierte Patientinnen und Patienten in Krankenhäuser transportiert, die über eine Dekontaminationsmöglichkeit verfügen. In Berlin sind dies drei Standorte namhafter Krankenhausbetreiber. An diesen Standorten ist der Notaufnahme des Krankenhauses eine Dekontaminationsstrecke vorgeschaltet. Hier wird die Kontamination auf ein handhabares Maß für die Klinken reduziert, erst dann werden Patientinnen und Patienten zur weiteren Behandlung in die reguläre Notaufnahme gebracht. Um die Dekontaminationsstrecke einzurichten, muss das Krankenhauspersonal aus anderen Bereichen abgezogen werden. Dies stellt einen erheblichen Aufwand im Klinikalltag dar. Das Krankenhauspersonal ist im Aufbau der Strecke geübt und kann den Dekontaminationsbetrieb in ca. einer Stunde aufnehmen, das Personal steht dann ausschließlich für diese Versorgung zur Verfügung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Patientinnen und Patienten zu diesen Spezialkrankenhäusern transportiert werden müssen. Die Transportmittel, in der Regel Rettungsmittel aus dem regulären Rettungsdienst, werden dabei ebenfalls verunreinigt. Das Personal, das den Transport durchführt, muss entsprechende Schutzkleidung tragen und ist folglich ebenfalls zu dekontaminieren. Hierbei kann es zu längeren Ausfällen im regulären Rettungsdienst bei Transportmitteln und Personal kommen, was die allgemeine Situation im Rettungsdienst belastet.
Zur besseren Versorgung Betroffener sowie zur Entlastung der Krankenhäuser und des Rettungsdienstes wurden die neuen AB-DekonV beschafft. Diese sollen die Dekontamination von Patientinnen und Patienten bereits an der Einsatzstelle ermögli- chen. Somit werden keine kontaminierten Patientinnen und Patienten in Krankenhäuser transportiert. Die Dekontaminationsstrecken der Krankenhäuser stehen damit den Patientinnen und Patienten zur Verfügung, die sich selbst ins Krankenhaus begeben.
Technik und Ausstattung
Die AB-DekonV mit einer Gesamtlänge von 5,9 m bestehen aus zwei Duschräumen für eine Nassdekontamination und einem Technikbereich. Damit können zwei Dekontaminationslinien betrieben werden, in denen gehfähige und/oder liegende Patientinnen und Patienten und unverletzte Personen dekontaminiert werden können. Auch Einsatzkräften in Schutzkleidung, nach FwDV 500 in Schutzkleidung Form 1-3, können dekontaminiert werden. Damit sind die AB-DekonV universell einsetzbar, insbesondere an komplexen Einsatzstellen, an denen alle oben genannten Gruppen zu dekontaminieren sind.
Im Schwarz- und Weißbereich können Schnellbauzelte angeschlossen werden. Die Zeltfarbe entspricht dem jeweiligen Bereich, d.h. sie sind schwarz bzw. weiß eingefärbt. Innen ist eine vorinstallierte LED-Beleuchtungsanlage enthalten, außen ist eine Umfeldbeleuchtung vorhanden. Die Seitenklappen dienen als Verschluss und Rampe in den jeweiligen Duschraum.Die Stromversorgung erfolgt durch Batterien und mobile Stromerzeuger. Die komplette elektrische Steuerung ist an einer zentralen Stelle im Technikbereich installiert.
Die gesamte Beladung ist weitestgehend auf Rollcontainern ver- lastet. Auch diese können durch schwarze und weiße Kennzeichnungen verwechslungsfrei den Bereichen zugeordnet werden. Hierauf sind zwei Rollen-Förderstrecken verladen, um liegende Patientinnen und Patienten auf Spineboards in den Duschbereich zu schieben. Konstruktiv ist die Förderanlage so ausgelegt, dass ein Herunterrutschen der Spineboards nicht möglich ist. Das Bedienpersonal trägt im Schwarzbereich Gebläsefilteranzüge. Der Innenbereich der Duschräume ist in Edelstahl ausgeführt, die Trennwände sind flüssigkeitsdicht. Bodenroste können zu Reinigungszwecken entnommen werden. In den doppelten Böden befinden sich Auffangwannen, an denen eine Abwasserpumpe angeschlossen werden kann. Das Abwasser kann somit gesammelt und gezielt entsorgt werden. Die Innenausstattung und auch das Rollenfördersystem lässt eine anschließende Dekontamination des AB-DekonV zu.
Strukturelles
In der Einsatzstellenstruktur ist ein AB-DekonV der unmittelbaren Personenrettung nachgeordnet, wobei die Zuführung der geretteten Personen zur Dekontamination nach einer Vorsichtung erfolgt. Es werden vor der Dekontamination ausschließlich lebenserhaltende Erstmaßnahmen durchgeführt. An die Patientinnen- und Patientendekontamination schließt sich der Einsatzabschnitt Medizinische Rettung an, der die weitere medizinische Versorgung beinhaltet und auch den Transport in Krankenhäuser organisiert.
3 Stufen für den Einsatzbetrieb
Der Einsatzbetrieb des AB-DekonV ist in einem dreistufigen Modell gegliedert. Es wird dabei eine bedarfsgerechte Alarmierung von Einsatzmitteln entsprechend der vorgefundenen Lage vorgenommen.
- Stufe 1
In der ersten Stufe wird der Abrollbehälter für die Dekontamination von Einsatzkräften in Schutzkleidung eingesetzt. In diesem speziellen Fall wird die Dekontamination mit sechs Einsatzkräften betrieben. Der schematische Ablauf ist in der folgenden Abbildung dargestellt.
Es werden für die Dekontamination der Einsatzkräfte beide Duschkammern des AB-DekonV genutzt. In der ersten Duschkammer erfolgt die Dekontamination der Schutzkleidung; die zweite Duschkammer fungiert für die persönliche Körperhygiene. Es werden in Summe drei Kräfte im Schwarzbereich eingesetzt, um den Dekontaminations- sowie den Auskleideprozess zu unterstützen bzw. durchzuführen. Im Weißbereich erhalten die dekontaminierten Einsatzkräfte dann Ersatzkleidung, die durch den Gerätewagen Hygiene der Berliner Feuerwehr zugeführt wird.
- Stufe 2
Werden an der Einsatzstelle kontaminierte Personen bzw. Patientinnen und Patienten vorgefunden, wird der AB DekonV in der zweiten Stufe betrieben. Diese ermöglicht die Dekonta- mination von gehfähigen und liegenden, kontaminierten Personen. Für diese Stufe werden 12 Kräfte von zwei speziell geschulten Feuerwachen benötigt. Die medizinische Vorsichtung im Schwarzbereich ist davon ausgenommen. Diese wird durch Rettungsmittel des täglichen Bedarfs sichergestellt. Die Einsatzkräfte der Vorsichtung tragen ebenfalls Gebläsefilteranzüge.
In dieser Stufe wird jeweils eine Dekonstrecke für nicht gehfähige und eine für gehfähige kontaminierte Patientinnen und Patienten aufgebaut. Es stellte sich in praktischen Anwendungen heraus, dass vier Kräfte benötigt werden, um nicht gehfähige Personen zu entkleiden und umzulagern. Die eigentliche Dekontamination kann durch zwei Kräfte pro Duschkammer erfolgen. Die Linie für gehfähige kontaminierte Personen wird von zwei Kräften betreut, die lediglich moderierende bzw. administrative Tätigkeiten durchführen.
- Stufe 3
In der dritten Stufe wird von einer großen Anzahl an betroffenen kontaminierten Personen ausgegangen. Hierfür wird zum AB DekonV ein GW Dekon P aus der Ausstattung des Bundes alarmiert. Die Stufe 3 orientiert sich am Dekonkonzept des Bundesland Nordrhein-Westfalen.
Der GW Dekon P stellt dabei eine Dekonstrecke für gehfähige kontaminierte Personen bereit. Der AB-DekonV wird vollständig für die Dekontamination von liegenden Personen genutzt. Konservative Schätzungen gehen von einem Durchsatz von 12-16 liegend verletzten Personen pro Stunde aus. Diese Zahl wird noch im 4. Quartal 2024 durch eigene Praxistests verifiziert.
Ausbildung des Betriebspersonals
Die Ausbildung des Betriebspersonals erfolgte direkt auf den speziellen Feuerwachen, die jeweils einen AB-DekonV vorhalten. Durch die Wahl der Standorte (Feuerwachen mit einem bereits vorhandenen GW Dekon P) konnte bereits vorhandenes Wissen zur Dekontamination genutzt werden. Es erfolgte eine Untergliederung in zwei Thementage, so dass 200 Einsatzkräfte innerhalb von zwei Wochen ausgebildet werden konnten. Jede Einsatzkraft wurde dabei 16 Stunden fortgebildet. Diese Schulung wurde im Nachgang durch Übungen auf den jeweiligen Feuerwachen im laufenden Dienstbetrieb vertieft und erweitert.
Beschaffungsprozess
Durch die gute Zusammenarbeit aller beteiligten externen Partnerinnen und Partner und internen Stellen konnte die Beschaffung innerhalb kürzester Zeit erfolgen. Es wurde dabei von den Erfahrungen anderer Feuerwehren profitiert, wodurch gezielte Anpassungen am Abrollbehälter vorgenommen werden konnten. Durch die Anpassungen wurde die Effizienz gesteigert und der Personalbedarf gesenkt. Dies führte auch zu einer Verbesserung der Ergonomie und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die eingesetzten Kräfte. Dank des reibungslosen Ablaufs konnte die Berliner Feuerwehr ihr selbstgestecktes Ziel erfolgreich umsetzen und alle drei neuen Einsatzmittel zur Dekontamination rechtzeitig für die UEFA Fußball-Europameisterschaft in Dienst stellen.
Crisis Prevention 3/2024
Brandoberamtsrat Holger Notzke
Berliner Feuerwehr
E-Mail: Holger.Notzke@berliner-feuerwehr.de
BrandamtmannAlexander Sader
Berliner Feuerwehr
E-Mail: Alexander.Sader@berliner-feuerwehr.de