Seit alternative Antriebe für Fahrzeuge im Individualverkehr konkret im Gespräch waren und die ersten Fahrzeuge auf der Straße fuhren schwenkte der Fokus von Wissenschaft, Technik und Anwender*innen schrittweise auf für größere Fahrzeuge geeignete elektrische Antriebe. Mit der Konzeption und dem Bau des weltweit ersten elektrisch betriebenen Lösch- und Hilfeleistungsfahrzeugs war der erste Meilenstein gesetzt. Ein erstes Fazit zog die Berliner Feuerwehr nach vier Einsatzmonaten des eLHF’s unter Realbedingungen.
Am ersten Februar nahm die Berliner Feuerwehr ihr eLHF, das elektrisch betriebene Lösch- und Hilfeleistungsfahrzeug in Betrieb. Allein in den ersten vier Monaten absolvierten die Rettungskräfte mit dem neuen Fahrzeug etwa 440 Einsätze. Mit sechs Einsatzkräften zuzüglich eines Platzes für Praktikant*innen bietet das eLHF ebenso viele Mitfahrer*innenplätze wie die vielfältigen Vergleichsfahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Diese Vergleichbarkeit findet sich auch in anderen Aspekten des Fahrzeugs wieder.
Wichtig war den Praktiker*innen laut Jens Klink von der Berliner Feuerwehr, der das Projekt eLHF von der ersten Stunde begleitete, dass zugunsten des neuen Antriebs keine wichtigen Funktionen des mit Technik und Ausrüstung vollgepackten Fahrzeugs wegfallen. Eine der wichtigsten Anforderung der Initator*innen: Das Fahrzeug muss mindestens genau das gleiche können, was die klassischen Fahrzeuge der Berliner Feuerwehr auch können.
So finden sich trotz völlig anderem Antriebssystem viele Parallelen zu den bisher bekannten Lösch- und Hilfeleistungsfahrzeugen, aber auch etliche Vorteile im realen Einsatz. Den Flüssigkeitsstandard in einer Quantität von 1200 Litern Wasser plus 100 Litern Schaummitteln erfüllt das eLHF ebenso wie in der Größe vergleichbare klassische LHF. Auch bei der Pumpenleistung steht „das Neue“ den „Bewährten“ in nichts nach. Am Einsatzort stehen eine bis eineinhalb Stunden reine Pumpleistung mit elektrischem Antrieb zur Verfügung. Laut Einschätzung von Fachleuten ist ebendies eine realistische Maßgabe. Zusätzlich kann ein kleiner Dieselmotor für weitere acht Stunden Pumpenbetrieb genutzt werden.
Dem in aller Munde geführten Kritikpunkt der geringen Reichweite von elektrisch betriebenen Fahrzeugen kann das eLHF gelassen entgegentreten. Aufgrund der hybriden Systemarchitektur bringt es das Gefährt auf zirka 600 Kilometer Fahrleistung auf der Autobahn bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von ungefähr 80 Kilometern pro Stunde. Diesen ungewöhnlichen Radius verdankt das Gefährt einem Range-Extender (Reichweitenverlängerer). Ein kleiner Verbrennungsmotor in der Größe eines Pkw-Motors produziert, sobald die ursprüngliche elektrische Antriebskraft nicht mehr ausreicht, auf der Basis von zirka 125 Litern mitgeführten Diesels, den notwendigen Strom für die weitere Einsatzfähigkeit des eLHFs. De facto ist der Range-Extender allerdings vor Ort bei den 440 Einsätzen lediglich zwei Mal angesprungen. Dabei verbrauchte der Motor insgesamt acht Liter Dieselkraftstoff. Die Leistung verdeutlicht: Die Helfer*innen benötigen auch bei längeren Strecken nicht zwangsläufig eine Ladeinfrastruktur außerhalb des regulären Standorts.
Theoretisch ist auch das Gewicht mit einem klassischen Schwergewicht der bekannten Feuerwehreinsatzfahrzeuge zu vergleichen. Um den bei elektrisch angetriebenen Systemen bekannten Vorteil des beachtlichen und zugleich gleichmäßigen Schubs an der Antriebswelle für möglichst viele Einsatzszenarien ausnutzen zu können, konzipierten die Initiator*innen dieses Fahrzeug als Allradfahrzeug mit einem robusterem als dem durchschnittlichen Aufbau. Insgesamt bringt das 18-Tonnen Fahrgestell unter anderem durch diese besondere Konzeption rund drei Tonnen mehr Gewicht auf die Waage als jene, die in der Fahrzeughalle neben ihm stehen.
Wesentlich ist dieser Gewichtsunterschied angesichts des Zugewinns an Leistung eher nicht, auch ist er nicht allein dem elektrischen Antrieb zuzuordnen. Bei einem klassischen LHF schlügen solche Varianten als Allradfahrzeug, das auch im Katastropheneinsatz in schwierigem Gelände tauglich ist, ebenfalls beim Gewicht zu Buche. Der Gewinn des im Verhältnis durch ein Plus an Hochvoltkabeln und die robuste Bauweise tatsächlich etwas höheren Gewichts ist die größere Stabilität und damit mehr Sicherheit für die Rettungskräfte im Einsatz.
Gäbe es jedoch keine Unterschiede, ergäbe das Testen eines Prototyps keinen Sinn. Zum im Vorfeld bekannten Vorteil der nicht vorhandenen oder deutlich geringeren Abgasemission gesellten sich im Einsatz noch etliche weitere als Vorteil empfundene Aspekte. Leiser, so die Rückmeldung der Einsatzkräfte, ist das gesamte Fahrzeug während der Fahrt ebenso wie am Einsatzort. Zudem bot eine neue Innenraumgestaltung die Möglichkeit, den Mannschaftsraum mit der Fahrerkabine zu verschmelzen und die Mitfahrer*innenplätze wie in einem Konferenzraum anzuordnen. Laut Einsatzleiter Jens Klink kann eine verlustfreiere Abstimmung im konkreten Einsatz damit zügiger beginnen und genauer durchgeführt werden.
Zudem sei, Rückmeldungen aus der Bevölkerung folgend, gerade im innerstädtischen Gebiet der geringere Geräuschpegel für die direkten Nachbar*innen eines Einsatzes sehr positiv empfunden worden. Für die Einsatzkräfte vor Ort erwiesen sich die besonderen Eigenschaften des eLHFs ebenfalls als günstig. Die gesamte Technik und die stromverbrauchenden Einsatzmittel sind auf eine Aufnahme von 230 Volt ausgerichtet. Die Möglichkeit, diesen Strom direkt aus der Batterie abzunehmen, ist im Fahrzeug unmittelbar verbaut. Damit wird weder für Licht noch für elektrische Tauchpumpen, Sägen, Trennschleifer und weitere Stromverbraucher ein gesondert mitzuführender tragbarer Stromerzeuger benötigt. Weiterhin können die Maschinist*innen die Hebel und Schalter, die sie beim klassischen Fahrzeug draußen für die Steuerung der Pumpen bedienen würden, direkt am Zentraldisplay aus dem Fahrzeug heraus bedienen. Auch hier zeigen sich in der Kommunikation mit den weiteren Einsatzkräften durch die lokale Position ebenso wie durch den geringeren Geräuschpegel des Fahrzeugs Vorteile für die Bediener*innen.
Gefahren wird das eLHF wie die vergleichbaren LHF mit Verbrennungsmotor mit einem regulären Lkw-Führerschein. Die Erfahrung zeige laut Jens Klink, dass das Fahrempfinden für die Lenkenden mit einem Fahrzeug mit Automatikschaltung mit zwei Gängen vergleichbar ist. In der Gangübersetzung ist einer der beiden Gänge für den Geländeeinsatz ausgelegt. Zudem bietet der völlig unkomplizierte elektrische Antrieb eine für diese Gewichtsklasse sehr gute und gleichmäßige Beschleunigung. Dank dieser Eigenschaften und der robusten Bauweise mit Einzelradaufhängung fährt das eLHF deutlich stabiler und wankt im Verhältnis zu klassischen vergleichbaren Fahrzeugen eher wenig. Insgesamt glänzt das eLHF mit sehr großer Ruhestabilität und einer guten Kurvenlage. Angetrieben wird das neue Fahrzeug mit je einem Motor pro Achse und einer Leistung von 180 KW pro Motor. Die insgesamt 360 KW machen in der Praxis einen deutlichen Unterschied zu den standardisierten 203 KW Leistung auf einer einzigen Achse bei den bekannten Fahrzeugen.
Besonders im innerstädtischen Einsatz präsentiert sich das eLHF wendiger als die zugleich im Einsatz befindlichen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Die mit 2,35 Metern rund 20 Zentimeter geringere Gesamtbreite des eLHFs lässt es auch enge Straßen passieren, die für Standardfahrzeuge aufgrund besonderer lokaler Gegebenheiten nur schwierig oder gar nicht mehr befahrbar sind. An der besonderen Wendigkeit beteiligt ist weiterhin eine lenkbare Hinterachse, ein geringerer Wendekreis von minimal 12,5 Metern und die geringe Bauhöhe von 2,95 Metern. Auf unebenem Untergrund gewinnt das neue Einsatzfahrzeug die notwendige Bodenfreiheit über einen Pneumatikmodus, der den Fahrzeugkorpus anhebt.
Dieses weltweit erste Fahrzeug seiner Art, das den Anspruch auf weitestgehende Emissionsfreiheit erfüllt, wurde mit der Unterstützung aus EFRE-Fördermitteln gebaut. Das eLHF durchläuft den weiteren Testbetrieb noch bis zum Januar 2022. Bis dahin soll die Testphase einerseits eine solide Datenbasis für die Entwicklung liefern. Andererseits fließen die dann gewonnenen Erfahrungen in weitere Entscheidungen hinsichtlich der Fahrzeugbeschaffung ein.
Crisis Prevention 3/2021
Jens Klink
Studium Maschinenbau-Ingenieur HTW Berlin
Einsatzleiter im Einsatzdienst seit 2004
Seit 2017 Produktmanager für Löschfahrzeuge und Drehleitern
Jens.klink@berliner-feuerwehr.de