Die Warnung der Bevölkerung ist ein wichtiger Teil der Krisenkommunikation bei der Gefahrenabwehr. In einer Gefahrenlage ist sie oft die erste Information, die Betroffene dazu erreicht. Sie bestimmt dadurch maßgeblich deren Reaktion auf die noch eintretende oder bereits eingetretene Gefahr. Daher enthält jede Warnmeldung Handlungsempfehlungen, die es den Betroffenen ermöglicht, sich und ihr Umfeld bestmöglich zu schützen.
Warnmeldungen werden in Deutschland auf vielen Wegen übermittelt. Zum einen werden sie nach wie vor über die „klassischen“ Warnmittel Radio und Fernsehen verbreitet. Auch ein weiterer Veteran unter den Warnmitteln, die Sirenen, werden derzeit wieder durch Städte und Gemeinden ausgebaut und von Bund und einigen Ländern gefördert. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in den 1990er Jahren hatte der Bund seine Sirenen abgebaut oder übernahmebereiten Kommunen für den Weiterbetrieb als Warnmittel für den Katastrophenschutz überlassen. Jüngste Ereignisse wie der erste bundesweite Warntag 2020 oder die tragischen Hochwasserereignisse des Sommers 2021 haben jedoch gezeigt, wie hoch die Bedeutung dieses Warnmittels mit seinem großen Aufmerksamkeitspotenzial bzw. Weckeffekt, aber auch die Erwartungshaltung und Akzeptanz der Bevölkerung nach wie vor ist. Vor diesem Hintergrund führt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bis Ende 2022 ein Sirenenförderprogramm durch, bei dem der Ausbau und die Modernisierung der kommunalen Sirenennetze mittels Festbeträgen unterstützt wird. Ziel der Förderung ist es weiterhin, die Sirenen in Deutschland technisch für den Anschluss an das vom BBK für den Zivilschutz betriebene, aber auch von den Ländern und Kommunen für den Katastrophenschutz genutzte Modulare Warnsystem (MoWaS) vorzubereiten. Der Anschluss soll zukünftig über das TETRA-BOS-Funknetz erfolgen.
Die technische Weiterentwicklung bietet der Warnung neue Möglichkeiten, fordert von ihr aber auch stetige Anpassung. So haben beispielsweise mobile Endgeräte das Kommunikations- und Informationsverhalten der Menschen stark beeinflusst. Mit den Entwicklungen im Online-Bereich und der weiter steigenden Bedeutung der Sozialen Medien steht Warnung heute zudem vor der Herausforderung, sich in der Flut der dargebotenen Informationen bemerkbar machen zu müssen. Warn-Apps und Warnung im Online- und Social Media-Bereich sind Antworten auf diese Entwicklungen. Zur Nutzbarmachung mobiler Endgeräte als Warnmittel betreibt das BBK beispielsweise die Warn-App NINA und die Website www.warnung.bund.de. Auch sie sind an das MoWaS angeschlossen und damit zentral durch alle es nutzenden Stellen für ihren Zuständigkeitsbereich auslösbar. Diesen Warnkanälen werden in Zukunft weitere folgen, denn das MoWaS ist so ausgelegt, dass auch heute noch nicht bekannte Warnkanäle und Warnmittel daran angeschlossen werden können. Das BBK baut diese Wege zur Warnung konstant aus. In mehreren Städten Deutschlands werden derzeit Stadtinformations- und Werbetafeln für die Anzeige von Warnmeldungen ausgerüstet. Mit der Einführung des Dateiformats TPEG2-EAW sollen über das MoWaS ausgelöste Warnmeldungen zukünftig auf Fahrzeugnavigationssystemen angezeigt werden können.
Warnung über Cell Broadcast
Die Warnfunktion von mobilen Endgeräten soll dagegen durch die Nutzbarmachung des Mobilfunk-Kurznachrichtendienstes Cell Broadcast gestärkt werden. Der Warnkanal ist durch seine Nutzung etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika – dem “Presidential Alert” – bekannt. In Deutschland soll er durch Anschluss an das MoWaS allen das System nutzenden Stellen für ihre Warnaufträge verfügbar gemacht werden.
Bei Cell Broadcast handelt es sich um einen Mobilfunkdienst, der alphanumerische, zeichenlimitierte Kurznachrichten versendet. Er ist in den in Deutschland zum Einsatz kommenden Mobilfunkstandards vorhanden, inklusive 5G. Augenscheinlich unterscheidet sich der Dienst nicht vom bekannten SMS-Dienst. Der große Unterschied liegt jedoch in der Art der Adressierung, also an wen eine darüber verbreitete Nachricht gesendet wird. Im Unterschied zum SMS-Dienst werden die kurzen Textnachrichten nicht an bestimmte Geräte innerhalb des Mobilfunknetzes geschickt, die erst über ihre Mobilfunknummer identifiziert und adressiert werden müssen. Vielmehr werden Cell Broadcast-Nachrichten an alle Endgeräte versendet, die sich innerhalb einer Funkzelle, eines Abschnitts des Mobilfunknetzes, befinden bzw. eingewählt sind und die für den Empfang solcher Nachrichten eingerichtet sind. Aufgrund dieser Eigenschaften eignet sich Cell Broadcast als Kanal für Warnmeldungen. Zum einen, weil die darüber versendeten Nachrichten an einen auswählbaren, geographisch eingegrenzten Empfängerkreis gerichtet werden können, je nach Ausbreitung einer Gefahr. Zum anderen, weil durch die Adressierung der Endgeräte anhand ihres Einwahlortes statt der mit ihnen verknüpften Mobilfunknummer die Notwendigkeit entfällt, letztere vorher zu kennen. Für Cell Broadcast werden also keine nutzerspezifischen persönlichen Daten der Handynutzenden erhoben und verarbeitet.
Ähnlich wie in anderen Staaten, die Cell Broadcast zur Verbreitung amtlicher Gefahrenmeldungen nutzen, wird der Warnkanal in Deutschland so eingerichtet, dass er das höchstmögliche Maß an Aufmerksamkeit generiert. Ziel ist es, einen hohen Weckeffekt zu erzeugen. Erreicht werden soll dies durch eine Kombination von Tonsignalen und visuellen Effekten. Neben blinkenden Status- und Benachrichtigungsanzeigen sollen die Displays wiederholt stark blinken. Begleitet wird der Eingang einer Cell Broadcast-Warnung von einem lauten, markanten Ton, der sich von anderen, bereits verwendeten Tönen unterscheiden soll. Zusätzlich wird der Eingang der Warnung durch einen Vibrationsalarm begleitet. Gleichzeitig wird die Nachricht auf dem Startbildschirm angezeigt, ähnlich einer Push-Benachrichtigung. Über den Anschluss an das MoWaS steht der neue Warnkanal nicht nur dem BBK für seinen Auftrag zur Warnung im Zivilschutz nach § 6 Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz zur Verfügung. Auch Länder und Kommunen und weitere Nutzende des Warnsystems können ihn im Rahmen ihrer eigenen Warnaufgaben innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches einsetzen.
Einführung des Warnkanals
Kurz vor der Jahrtausendwende als Werbekanal eingeführt, setzte sich der damals als „Cell Broadcast Service“ bezeichnete Dienst in Deutschland nicht durch. Kaum einer der in Deutschland wirkenden Mobilfunkanbieter nutzte ihn, nur wenige Endgeräte waren für den Empfang voreingerichtet. Dies ändert sich nun, da Cell Broadcast eine wichtige Aufgabe als Ergänzung der bestehenden Warnkanäle und Warnmittel erhalten hat.
Bereits seit Herbst 2020 treibt das BBK die Einführung des Dienstes zur Warnung intensiv voran. Cell Broadcast ist Bestandteil seiner im Frühjahr 2021 bekannt gegebenen Neuausrichtung. Im Januar 2021 hat BBK-Präsident Armin Schuster im Ausschuss für Digitalisierung des Bundestages für die Einführung und Nutzung von Cell Broadcast als Warnkanal geworben und um die hierfür notwendige politische Unterstützung und die Bereitstellung von Finanzmitteln ersucht. Das BBK hat unter Beteiligung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI), dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und der Bundesnetzagentur (BNetzA) eine Machbarkeitsstudie und ein Konzept zur Einführung erstellt, das im August 2021 vorgelegt wurde. Bundestag und Bundesrat haben im Dezember 2021 die gesetzlichen Grundlagen für den neuen Warnkanal geschaffen. Neben dem Erlass der sogenannten Mobilfunk-Warnverordnung wurde das Telekommunikationsgesetz (TKG) um den §164a ergänzt. Die gesetzlichen Vorgaben regeln die Einführung, den Betrieb und die damit einhergehenden Rechte und Pflichten der beteiligten Akteure im staatlichen Bereich sowie der Mobilfunknetzbetreiber, der Endgeräte- und der Softwarehersteller. Für die einheitliche technische Umsetzung ist eine Richtlinie erstellt worden, die zum Redaktionsschluss kurz vor ihrer Veröffentlichung durch die BNetzA stand. Sie muss von den in Deutschland agierenden Mobilfunkbetreibern, Software- und Endgeräteherstellern sodann schnellstmöglich umgesetzt werden. Das BBK steht dazu mit den beteiligten Unternehmen im Austausch, um die technischen und fachlichen Belange der Warnung einzubringen.
Was kann die Warnung über Cell Broadcast – und was nicht?
An die Einführung von Cell Broadcast werden in Deutschland zuweilen hohe Erwartungen geknüpft. Dies erklärt sich mitunter durch seinen zumeist erfolgreichen Einsatz im Ausland – neben dem genannten Beispiel USA nutzen in Europa auch Griechenland, die Niederlande und das Vereinigte Königreich Cell Broadcast zur Warnung. Die Möglichkeit, viele Empfangsgeräte mit einer einfach gestalteten Nachricht gleichzeitig ansprechen zu können, macht den Kanal außerdem zu einem unkomplizierten Kommunikationsmittel. Die klar sichtbaren Vorteile und positiven Erfahrungen führen zuweilen dazu, den Warnkanal Cell Broadcast gegenüber anderen Methoden und Wegen deutlich überlegen darzustellen, meist unter Anführung von Schwächen Letzterer. Die Frage, ob und wie Cell Broadcast sich am besten zur Warnung der Bevölkerung eignet, muss jedoch differenzierter betrachtet werden. Denn auch diese Methode hat Schwachstellen.
Dabei stechen die Vorteile des Warnkanals zunächst klar hervor: Cell Broadcast ergänzt die Funktionen eines der heute weitverbreitetsten Alltags-Kommunikationsmittel, des Smartphones, um die eines Warnmittels. Der Reflex, auf der Suche nach Nachrichten und wichtigen Neuigkeiten dort zu beginnen, kann heute bei den meisten Bevölkerungsgruppen als gegeben angenommen werden. Somit erfüllt Warnung über Cell Broadcast ein Grundprinzip des Krisenmanagements, nachdem sich Menschen in Krisen vor allem auf Bekanntes und Bewährtes verlassen. Weitere Vorteile ergeben sich aus der oben beschriebenen Art der Adressierung von Cell Broadcast-Nachrichten. Dadurch, dass seitens der Empfängerinnen und Empfänger einer Warnmeldung keine eigenen Schritte vor dem Empfang unternommen werden müssen, wird eine hohe Reichweite erzielt.
Das eigenständige Installieren oder Registrieren wie bei anderen Informationsdiensten entfällt. Personen, die sich nach dem Auslösezeitpunkt in ein betroffenes Gebiet bewegen, erhalten darüber hinaus beim Betreten ebenfalls die dafür geltende Warnmeldung, da sich ihr Gerät automatisch in der Funkzelle registriert, innerhalb derer sie ausgesandt wird. Da für den Erhalt der Warnmeldung keine Kenntnis der Mobilfunknummer notwendig ist, kann jederzeit sichergestellt werden, dass der Schutz der Daten von Betroffenen gewährleistet ist. Sie bleiben für die warnende Stelle anonym, da Cell Broadcast-Nachrichten technisch eine Einweg-Kommunikation hin zum Empfangenden darstellen. Aus dem einfach gestalteten Aufbau des Mobilfunkdienstes Cell Broadcast und seinen wenigen externen Abhängigkeiten leitet sich ein weiterer wichtiger Vorteil für die Warnung ab: der Mobilfunkdienst ist relativ robust. Warnmeldungen können darüber auch dann noch verbreitet werden, wenn andere Dienste des Mobilfunknetzes bereits überlastet sind. Gerade in einer Krise ist davon auszugehen, dass der Sprachdienst und der SMS-Dienst sehr stark beansprucht werden. Vor allem bei letzterem Dienst ist oft vom „Silvestereffekt“ die Rede. Auch die einfache Gestaltung der Meldungen an sich kann als Vorteil aufgeführt werden. Mit einem Zeichenlimit von 1395 Zeichen sind die Inhalte der Meldungen überschaubar und können schnell erfasst werden. Bei der Einführung der Warnung über Cell Broadcast in Deutschland kann schließlich auf den Erfahrungsschatz anderer Staaten zurückgegriffen werden. Dies zeigte sich etwa bei der Konzipierung der visuellen Effekte und Tonsignale, mit denen auf eine Warnmeldung auf den Endgeräten aufmerksam gemacht werden soll.
Wie jede andere Methode zur Warnung der Bevölkerung – und jedes technische System überhaupt – hat der Warnkanal Cell Broadcast aber auch Grenzen. Zunächst hängt das erfolgreiche Funktionieren vom Faktor Mensch ab. Die warnenden Behörden müssen ihn eigenverantwortlich und rechtzeitig einsetzen. So wenig Vorleistung von den Empfängerinnen und Empfängern bei der Warnung über Cell Broadcast verlangt wird: ganz ohne sie geht es nicht. Mit Cell Broadcast werden Smartphones und Mobiltelefone zu Warnmitteln. Diese Funktion erfüllen sie nur, wenn sie aktiviert und empfangsbereit gehalten werden. Bei fehlender Verbindung zum Mobilfunknetz bleibt die Warnung genauso aus wie bei abgeschaltetem Gerät. Gestört oder gar unterbunden werden kann die erfolgreiche Verbreitung einer Warnung über Cell Broadcast darüber hinaus durch den grundsätzlichen Zusammenbruch des Mobilfunknetzes.
Großflächige Stromausfälle können hierfür eine Ursache sein. Eine zunächst nicht ganz offensichtliche Schwäche ergibt sich dagegen unmittelbar aus einem der Vorteile der Warnung über Cell Broadcast: die Kürze der übermittelbaren Informationen. Nicht nur verpflichtet sie die warnenden Behörden, darüber versandte Warnmeldungen möglichst präzise und widerspruchsfrei zu formulieren – und das meist vor dem Hintergrund einer sich dynamisch entwickelnden Lage und hohem Zeitdruck. Sie setzt auch das aktive Mitwirken der Betroffenen voraus, sowohl vor als auch während einer Krise. Über die kurzen Warnmeldungen können keine detaillierten Handlungsempfehlungen und nur die wichtigsten Informationen zur Lage kommuniziert werden. Dies verstärkt die Notwendigkeit, im Zuge persönlicher Notfallvorsorge selbstständig und vorab zu klären, welche Schutzmaßnahmen und -konzepte es im eigenen Wohn- und Aufenthaltsbereich gibt. Weiterhin muss eigenverantwortlich recherchiert werden, wo und wie im Falle einer Warnung über Cell Broadcast weitergehende Informationen und Handlungsempfehlungen abrufbar sind. Beim Eintritt einer Krise müssen Betroffene die vorab geklärten Quellen sodann selbstständig abrufen. Zwar ist aktives Krisenbewusstsein ein generelles Kriterium für eine erfolgreiche Warnung. Eine ausschließliche Nutzung von Cell Broadcast durch die warnenden Behörden würde deren Bedeutung aber deutlich verstärken oder sogar gänzlich davon abhängig machen. Derzeit ist das Krisenbewusstsein durch die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit und die seit 2020 andauernde, weltweite Corona-Pandemie erhöht. Krisen treten aber immer dann auf, wenn niemand damit rechnet. Und gerade dann muss die Warnung gut funktionieren.
Sinnvolle Ergänzung für den Warnmittelmix
Viele der genannten Schwächen des Warnkanals Cell Broadcast können durch andere Wege der Warnung ausgeglichen werden. Seine Stärken greifen dagegen da, wo deren Grenzen liegen. Warn-Apps wie die Warn-App NINA des BBK haben eine hohe Informationstiefe. Sie bieten detailliertere Gefahreninformationen und Handlungsempfehlungen. Mittels ihrer Kartendarstellung können Betroffene sich besser zurechtfinden. Kombiniert mit der einfachen Gestaltung und dem höheren Weckeffekt von Warnung über Cell Broadcast machen sie das Smartphone zu einem noch effektiveren Warnmittel. Beim Ausfall des Mobilfunknetzes warnen akkugepufferte Sirenen dagegen ebenso weiter vor Gefahren wie Radiostationen mit Notstromaggregaten, welche weiterhin das Auto- oder Kurbelradio mit Details und Empfehlungen zur Lage versorgen.
Die Antwort auf die Frage, wie Cell Broadcast am besten für die Warnung eingesetzt werden kann, lautet daher: als Ergänzung im Einsatz mit allen anderen verfügbaren Kanälen und Warnmitteln. Nur durch den Einsatz möglichst vieler analoger und digitaler Warnmittel – im sogenannten Warnmittelmix – kann eine möglichst hohe Reichweite erzielt werden. So können möglichst viele der Betroffenen gewarnt werden. Der Warnmittelmix wird in Deutschland durch das vom BBK bereitgestellte MoWaS und seine Fähigkeit zur gleichzeitigen Auslösung aller daran angeschlossenen Warnkanäle und Warnmittel realisiert. Dabei wird dieselbe Warnmeldung automatisiert über die verschiedenen Wege versendet und entsprechend angepasst. Einer dieser Wege wird in Zukunft der Empfang der kurzen Textnachrichten des Cell Broadcast sein.
Crisis Prevention 1/2022
Daniel Tuttenuj
Bundesamt für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe (BBK)
Referent Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Provinzialstraße 93
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