Der Bevölkerungsschutz in Deutschland stützt sich auf dem ehrenamtlichen Engagement der Helfer ab. Nur durch die Bereitschaft, jederzeit einem Einsatzauftrag nachzukommen, funktioniert der Bevölkerungsschutz. Durch die gesellschaftlichen Veränderungen im Privat- und Berufsleben stehen zunehmend weniger Einsatzkräfte zur Verfügung. Die Anforderungen und Erwartungen an den Bevölkerungsschutz bleiben jedoch die gleichen oder steigen vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitslage. Es bedarf daher neuer Konzepte, um zu jedem Zeitpunkt ausreichend Personal in den Einsatz zu entsenden.
Veränderte Rahmenbedingungen bringen neue Herausforderungen
Neben den verschiedenen Werbemaßnahmen, um neues Personal für den Dienst zu gewinnen, ist ein anderer Ansatz die vorhandenen Kräfte besser zu monitoren und gezielter einzusetzen.
Mittlerweile sind verschiedene Systeme zur Personalverfügbarkeit auf dem Markt, um die die Verfügbarkeit der Einsatzkräfte und deren fachliche Kompetenzen bereits vor einem Ereignis zu erfassen und dann mit diesen Daten die Alarmierung zu optimieren. Durch die Nutzung solcher Lösungen können bereits im Vorfeld zu einem Schadensereignis Personalengpässe erkannt und kompensiert werden.
Ein solches Monitoring bringt nicht nur im ehrenamtlichen Bereich Vorteile. Auch Zufallsbereitschaften im beruflichen Umfeld, wie bei Krisenstäben, Verhandlungsgruppen oder anderen Kräften mit besonderen Fähigkeiten, profitieren von der Nutzung und der Tatsache, stets einen Überblick über die vorhandenen Kräfte, ihre Fähigkeiten und ihre zeitliche Verfügbarkeit zu haben.
Schutzzielmonitoring in Echtzeit
Durch das Monitoring der Verfügbarkeit sind Führungskräfte jederzeit „vor der Lage“ und können Personalengpässe im Vorfeld zu einem Ereignis erkennen.
Ausrückende Kräfte im Bereich freiwilliger Feuerwehren können den Ausrückzeitpunkt mit Hilfe dieser Informationen optimieren, indem sie nicht auf Kräfte warten, die nicht kommen, aber auch keine Kräfte durch ein vorschnelles Abrücken zur Einsatzstelle zurücklassen.
Folge von einem solchen Optimierungsprozess ist die Erhöhung des Erreichungsgrades bzw. Maximierung mit den verfügbaren Kräften.
Durch einen organisationübergreifenden Ansatz können nicht nur Kräfte in einem Standort erfasst werden, sondern auch größere taktische Einheiten, die sich aus mehreren Standorten und auch aus verschiedenen Organisationen zusammensetzen. Damit ist auch das Monitoring „bunter“ Einheiten möglich, und man schafft die technischen Voraussetzungen zur engeren Zusammenarbeit über gemeinsame Kommunikationskanäle.
Visualisierung der Einsatzbereit per App – Neben der Personalverfügbarkeit werden auch die Status der Einsatzfahrzeuge dargestellt.
Beides erhöht die Akzeptanz für das Ehrenamt und fördert damit die Freiwilligkeit auf beiden Seiten.
Bei Einsätzen im Rahmen der überörtlichen Hilfe können gezielt Einsatzkräfte eingesetzt werden, deren Abwesenheit nicht den Grundschutz reduziert. Es gibt also viele gute Gründe für eine differenziertere Alarmierung als bisher üblich.
Valide Daten für die Bedarfsplanung
Auf Basis der erhobenen Daten kann eine exakte Bedarfsplanung im Bereich Personal erfolgen. Durch die kontinuierliche Erfassung der Verfügbarkeit stehen sehr genaue Daten zur Verfügung. Mit Hilfe von Warnschwellen können beliebige Systemzustände erfasst und ausgewertet werden. Anhand dieser Daten können Qualifizierungslücken erkannt und systematisch behoben werden, indem die Einsatzkräfte qualifiziert werden, die im betroffenen Zeitraum die höchste Verfügbarkeit haben. Damit können finanzielle Mittel sehr effizient eingesetzt werden und auch der Ausbildungsbedarf kann exakt bestimmt werden.
Kommunikation über verschlüsselte Kanäle
Um die Nutzung von sozialen Medien, Messengern etc. für dienstliche Kommunikation zu minimieren, bieten einige Lösungen verschiedenste Möglichkeiten, um Informationen in die Einheiten zu kommunizieren. Sei es an bestimmte Gruppen oder an einzelne Nutzer. Das System erhält für jede versendete Nachricht eine Empfangsbestätigung und dient als direkter Rückmeldekanal, sodass die Antworten innerhalb von Sekunden an zentraler Stelle ausgewertet werden können.
Verschlüsselte Transportwege, Löschfristen und ein Rechtekonzept sorgen für Sicherheit im Umgang mit dienstlichen Informationen.
Reporting
Oft müssen Daten dezentral Daten erfasst und nachverfolgt werden. Über ein individuell anpassbares Reporting-Modul können Ereignisse wie Gewalt gegen Einsatzkräfte, Falschparker, betroffene Personen bei einem Ereignis oder Messwerte schnell und unkompliziert mittels App erfasst werden und später weiteren Systemen zur Auswertung zugeführt werden. Eine solche Digitalisierung bietet nicht nur eine Prozessverbesserung, sondern schafft auch eine Datenbasis für gezielte Analysen.
Beispiele aus der Praxis
Aktuell wird im Rhein-Kreis-Neuss ein Projekt zum Thema Gewalt gegen Einsatzkräfte unter dem Projekttitel „Ich bin nicht Deine Zielscheibe!“ realisiert. Dabei sollen die Vorfälle mittels App erfasst werden, um eine valide Datenbasis zu bekommen.
Bei der FF Wuppertal optimieren die ehrenamtlichen Kräfte die Tagesalarmstärke mittels einer solchen Lösung. Tagsüber stehen schon an zwei Punkten im Stadtgebiet sogenannte Zubringer-PKWs, um direkt eine größere Anzahl FA(SB) mit Sonderrechten zum Gerätehaus zu befördern. Die ersten PKWs sind beim Verband der Feuerwehren (VdF NRW) und an der Bergischen Universität Wuppertal stationiert, wo sich tagsüber viele Studenten aufhalten und im Einsatzfall sofort zur Verfügung stehen. Rettungshundeeinheiten wie RHOT Thüringen und der ASB in NRW nutzen ein Verfügbarkeitssystem, um landesweit ihre Rettungshunde zu disponieren. Die Leitungsebene hat somit jederzeit landesweit den Überblick über die Verfügbarkeit der einzelnen Teams.
Datensicherheit
Die Erfahrung aus zahlreichen Projekten hat gezeigt, dass der Bereich Datensicherheit sehr heterogen gehandhabt wird. Während auf der einen Seite Google-Mail Adressen für die dienstliche Kommunikation von einsatzrelevanten Informationen genutzt werden, „ist ja umsonst, von der Stadt kriegen wir keine Adresse“, werden auf der anderen Seite grundsätzliche Verbote für „Apps“ ausgesprochen.
„Apps haben keine BOS Zulassung, das geht über das Internet.“
Die Wahrheit liegt wie so oft dazwischen und bedarf einer genauen Einzelfallbetrachtung.
Der Einsatz kryptografischer Verfahren und verschlüsselte Transportwege lassen durchaus die Nutzung des Internets als Transportmedium zu. Auch das Hosting bei externen Dienstleistern in einem ISO 27001 zertifizierten Rechenzentrum ist in der Regel sicherer als der Betrieb im privaten Umfeld. Über Verträge zur Auftragsdatenvereinbarung lassen sich auch nach Einführung der DSGVO alle notwendigen Voraussetzungen für einen rechtskonformen Betrieb schaffen.
Hier zeigen sich in der Praxis noch viele Unsicherheiten, die zu unnötigen Verboten führen, aber auch fehlende Sensibilität für den Bereich Informationssicherheit und den Bedarf neuer Kommunikationsmittel.
Gezielte Alarmierung anhand verschiedener Merkmale
Neben der Entgegennahme von Hilfeersuchen aus der Bevölkerung ist die Alarmierung eine wesentliche Aufgabe der Leitstelle. Diese muss möglichst schnell und bedarfsgerecht erfolgen. In der Praxis führt dies gerade im ehrenamtlichen Bereich zu Schwierigkeiten, da die Verfügbarkeit dieser Kräfte schlecht bestimmt werden kann. Viele Träger der Gefahrenabwehr alarmieren daher von vornherein mehr Kräfte als eigentlich benötigt werden, um einen Zeitverlust für eine eventuell notwendig werdende Nachalarmierung zu vermeiden. Sind mehr Kräfte verfügbar als angenommen, kommt es aufgrund der Überalarmierung zum Kräfteüberschuss und tagsüber zu unnötigen Lohnersatzkosten.
Zukünftige Alarmierungen dürfen sich nicht mehr auf die reine Gruppenbildung beschränken, sondern müssen wesentlich dynamischer erfolgen und am tatsächlichen Bedarf ausgerichtet sein. Durch die Alarmierung von Einsatzkräften in einem bestimmten Status, mit einer bestimmten Qualifikation oder einer bestimmten zeitlichen Verfügbarkeit können Über- und Unteralarmierungen reduziert oder vermieden werden. Kräfte kommen auf der einen Seite nicht unnötig zur Wache, und auf der anderen Seite wird nicht unnötig Zeit mit Warten auf Kräfte, die nicht kommen, verschenkt. Durch eine solche zielgerichtete Alarmierung der Kräfte werden diese nicht vergeblich alarmiert, und Arbeitsgeber werden nicht unnötig belastet.
Ausblick
Aktuell nutzen bereits über 100.000 Einsatzkräfte in Deutschland solche Systeme, um die oben geschilderten Herausforderungen zu bewältigen und die Ressourcen optimal zu nutzen. Es handelt sich dabei also nicht mehr um eine Vision, sondern um einen Lösungsansatz, der sich immer mehr zum Standard etabliert.
Die Erfahrung mit über 5.000 Einheiten hat gezeigt, dass ein solches Monitoring den Bedarf der Praxis trifft und von den meisten Kräften rege genutzt wird. Entscheidend ist, dass sich für jede Einzelperson ein unmittelbarer Mehrwert herausstellt, z.B. durch eine schnellere Kommunikation, die effiziente Einbindung in das Einsatzgeschehen und ein höheres Maß an Planbarkeit.
Die Einführung eines solches Systems ist ein Prozess, der sich, je nach Größe der Organisationseinheit, über mehrere Monate erstrecken kann. Er muss konzeptionell vorbereitet und kommunikativ begleitet werden.
Die Diskussionen über und bei der Einführung eines solches Systems haben aber auch den Bedarf der Standardisierung im Bereich der Digitalisierung bei BOS gezeigt. Gerade im ehrenamtlich geprägten Bereich bedarf es einer Hilfestellung, welche Voraussetzungen solche Zusatzsysteme erfüllen müssen, um bedenkenlos eingesetzt werden zu können und den Bedürfnissen der Informationssicherheit gerecht zu werden.
Die Daten zur Personalverfügbarkeit werden aktuell zu großen Teilen auf lokaler Ebene genutzt. Der nächste Schritt ist die Nutzung dieser Informationen in den verschiedenen Einsatzleitsystemen, um die Alarmierung noch stärker zu dynamisieren.
Durch neue Dispositionsstrategien erlangt die Leitstelle Fähigkeiten zur bedarfsgerechten, auf realen Daten basierenden Alarmierung.
Die Leitstelle erkennt vor einem Ereignis, ob die Verfügbarkeit in einem Wachgebiet mit ehrenamtlichen Erstabmarsch unterschritten wird und kann z.B. hauptamtlich besetzte Fahrzeuge versetzen oder Alarmierungsfolgen anpassen, um den Abdeckungsgrad zu verbessern. Bei Anfragen von benachbarten Leitstellen kann sofort eine Aussage zu verfügbaren Kräften zu deren Eintreffzeit gegeben werden.
Crisis Prevention 4/2018
Dr.rer.sec. Bernhard Horst
Ingenieurbüro f. Sicherheit u. Gefahrenabwehr
Wuppertal