In der Covid-19-Pandemie gehört der Blick in Dashboards, die mittlerweile in vielen Tageszeitungen dargestellt werden, zur neuen Routine vieler Menschen. Diese digitalen, meist kartografischen Darstellungen von Fallzahlen oder Impfquoten erlauben eine schnelle Einordnung: „Welche Farbe hat mein Landkreis in der Karte und wie sieht die 7-Tages-Inzidenz in meinem Bundesland aus? Bin ich von der Bundesnotbremse betroffen?“
Nach der Revolution der Navigation durch GPS-Systeme in Autos und auf dem Smartphone hat somit eine weitere, auf Geodaten basierende Technologie den Sprung vom Expertenwerkzeug zur universell verfügbaren und im Alltag gebräuchlichen Informationsquelle geschafft, die heute von vielen ganz selbstverständlich genutzt wird. Was aber sind die genauen Erfolgsfaktoren für den Einsatz dieser Geoinformationstechnologie und wie profitiert der Bevölkerungsschutz davon?
Rückblick
Der Schutz der Bevölkerung ist eine der Kernaufgaben des Staates. Raumbezogene Informationen über die Verteilung von Schutzgütern (bspw. Menschen, Sachwerte) und Gefahren sowie deren Darstellung in Karten sind ein etabliertes Mittel im Bevölkerungsschutz. Solche Karten werden in allen Phasen des Krisenmanagementzyklus eingesetzt, sei es für die vorsorgenden Planungen, Risikoanalysen oder auch zur Entscheidungsunterstützung beim Krisenmanagement im Ereignisfall.
Karten spielen im Bevölkerungsschutz schon lange eine zentrale Rolle. Bereits 1975 hat sich eine der Vorgängerbehörden des heutigen Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) – das seinerzeitige Bundesamt für den Zivilschutz – mit der strukturierten, georeferenzierten Erfassung der für die Notfallplanung relevanten Informationen von der Kreisebene bis zum Bund befasst. Dafür hat es die „Kreisbeschreibung für Zwecke des Zivil- und Katastrophenschutzes“ herausgegeben. Mit ihrer Hilfe sollten neben der geografischen Lage und Struktur der Kreise und kreisfreien Städte auch die Zusammensetzung und Verteilung der Bevölkerung sowie die für Schutz und Versorgung der Bevölkerung relevanten Einrichtungen/Infrastrukturen erfasst und möglichst auch in – analogen – Karten dargestellt werden.
Im BBK werden digitale Geoinformationstechnologien seit mehr als 15 Jahren eingesetzt. Mit dem Deutschen Notfallvorsorgeinformationssystem (deNIS IIplus) stellte das BBK 2006 ein einmaliges, bundesweites Instrument für die Bereitstellung von Informationen über Gefahren und Schutzgüter aus unterschiedlichsten Quellen für Entscheidungsträger bei Bund und Ländern zur Verfügung. Die Erfahrungen mit deNIS IIplus zeigten die Notwendigkeit der Schaffung interoperabler Systeme und digitaler Austauschstandards sowie die Vernetzung hierfür mit weiteren Akteuren im Bevölkerungsschutz.
Seither wurden die Anwendungsbereiche von digitalen Geoinformationstechnologien im BBK kontinuierlich erweitert – sowohl im Bereich der Analytik als auch der adressatengerechten kartografischen Darstellung komplexer Sachverhalte. Im Jahr 2007 wurde die vom BBK koordinierte „Risikoanalyse Bevölkerungsschutz Bund“ mit jährlichem Bericht an den Deutschen Bundestag implementiert. Deren jährlich wechselnde Szenarien reichen von Hochwasser und Dürre bis hin zur „Freisetzung radioaktiver Stoffe aus einem Kernkraftwerk“ und werden mit GIS-basierten Analysen und Karten unterlegt, um möglicherweise eintretende Schäden noch besser abzuschätzen und zu verorten.
Die Bundesregierung hat den Mehrwert der Geoinformationstechnologie erkannt und in ihrem Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2010 betont, dass Geoinformationen in Kombination mit der entsprechenden Analysekompetenz eine unverzichtbare Planungshilfe für einen modernen Bevölkerungsschutz sind.
Mit der Ernennung des BBK zur nationalen Fachkoordination für den Notfallkartierungsdienst des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus im Jahr 2011 werden vermehrt auch satellitengestützte Informationen zur Beantwortung vieler Fragestellungen im Risiko- und Krisenmanagement berücksichtigt.
Das BBK nutzt seine Expertise im Bereich der digitalen Geoinformationstechnologie, um Bedarfsträger im Bevölkerungsschutz mit unterschiedlichen Dienstleistungen und Geoinfo-Produkten zu unterstützen, wovon einige hier exemplarisch genannt werden:
- 2010: Satellitenbildauswertungen von Erdbebenschäden in Haiti
- 2010 & 2012: Situationskarten der Spielstätten der FIFA WM Südafrika (2010) sowie der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine
- 2013: Hochwasser Elbe – Analyse zum raumzeitlichen Verlauf der Hochwasserwelle
- 2015: Flüchtlingslage – GIS-basierte Optimierung des Lagemanagement der Koordinierungsstelle Flüchtlingsverteilung Bund
- 2016: Anzahl im Umkreis grenznaher Kernkraftwerke lebende Einwohner
- 2018: Waldbrand Lübtheen: Berechnung einer grundsätzlichen Waldbrandrisikoverteilung in Deutschland bezogen auf munitionsbelastete Flächen
- seit 2020: Covid-19-Pandemie – bedarfsgerechte Geoinfo-Produkte für den gemeinsamen Krisenstab BMI/BMG
Das Geokompetenzteam im BBK widmet sich kontinuierlich dem weiteren Ausbau der Fähigkeit, bedarfsgerechte Analysen und Geoinfo-Produkte zur Information und Entscheidungsunterstützung im Bevölkerungsschutz zu erstellen. Dazu werden verschiedene Geoportale unter anderem für die Lagedarstellung und -bewertung aufgebaut – die dafür benötigten Daten kommen von unterschiedlichen Behörden und werden im BBK für die Zwecke des Bevölkerungsschutzes ausgewertet, was erneut die Bedeutung einer behördenübergreifenden Kooperation verdeutlicht.
Integrierte Geokompetenz
Entscheidend für den Erfolg der oben genannten Produkte war also die Zusammenarbeit mit anderen Behörden, nicht nur die Technikexpertise alleine, denn das BBK ist nicht die einzige Behörde, die Geoinformationstechnologie nutzt. Geoinformation ist eine Querschnittstechnologie, die in vielen Behörden und Aufgabenbereichen eingesetzt wird. Der Wandel von einem nur durch technologisch geschultes Personal nutzbaren Expertensystem hin zum alltäglich durch Fachleute anderer Bereiche genutzten Werkzeug ist weitestgehend abgeschlossen. Den größten Nutzen von Geoinformationstechnologie haben aber diejenigen Organisationen, welche Analysen und fachliche Bewertungen von Geodaten nicht an externe Organisationen auslagern, sondern die benötigte Methodenkompetenz in der eigenen Organisation aufbauen und mit dem bereits vorhandenen, fundierten Fachwissen des jeweiligen Arbeitsfeldes kombinieren. Denn einen zentralen Dienstleister für die Bearbeitung aller Themen in allen Behörden mit Geoinformationstechnologie kann es nicht geben.
Das Krisenmanagement des Bundes muss naturgemäß auf alle Arten von Ereignissen jederzeit schnell und lagebezogen angemessen reagieren können. Zeitdruck und Themenvielfalt erfordern für Entscheidungsträger relevante „Information auf den ersten Blick“. Nur Karten und Diagramme, die komplexe Sachverhalte anschaulich und auf das Wesentliche fokussiert abbilden, sind hierfür geeignet. Die Besonderheit und das Alleinstellungsmerkmal des Geokompetenzteams im BBK liegt daher in der systematischen Verbindung von Geoinformations- mit Bevölkerungsschutzexpertise. Dies ermöglicht es, bevölkerungsschutzrelevante Sachverhalte schnell und vor allem adressatenspezifisch zu analysieren und aufzubereiten, um passgenaue Produkte für Entscheidungsträger im Bevölkerungsschutz aus erster Hand bereitzustellen.
Das interdisziplinäre Geokompetenzteam des BBK bündelt hierfür jahrelange praktische Erfahrung im Bevölkerungsschutz mit der notwendigen Expertise im Bereich der Geoinformation „unter einem Dach“. Durch den direkten Zugang zu dem BBK-Fachexperten Netzwerk aus Bereichen wie Kritischen Infrastrukturen, Gesundheitlichem Bevölkerungsschutz oder Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum (GMLZ) ist der fachliche Hintergrund vorhanden, um die richtigen Fragestellungen zu bearbeiten, Geoinformation gewinnbringend in Wert zu setzen und um sich in die Entscheidungsträger als Adressaten der Produkte hineinversetzen zu können. Durch die Integration der Geokompetenz in die tägliche Arbeit des Bevölkerungsschutzes im BBK kann flexibel und schnell auf neue Entwicklungen oder Lagen reagiert und zuständige Stellen unterstützt werden. Beispielsweise konnte das Geokompetenzteam durch die im BBK vorhandene Expertise den Krisenstab von BMI und BMG bei der Bewältigung der Pandemie schnell und zielgerichtet mit Datenanalysen, Dashboards und weiteren digitalen Produkten (Karten, Dossiers) in einer hochdynamischen Lage unterstützen.
Auch in anderen Bereichen zahlt sich diese Bündelung an Expertise aus. Über das GMLZ im BBK können im Ereignisfall rund um die Uhr (24/7) satellitengestützte Daten angefordert werden. Damit können Führungskräfte auf allen Ebenen relevante und aktuelle Lageinformationen für ihre Entscheidungen und zur Bewältigung von Krisen erhalten. Auch zur Vorbereitung auf und Vermeidung von Krisen bieten Fernerkundungsdaten vielfältige Möglichkeiten für detaillierte Risikoanalysen. Doch die Bewertung von Informationen aus Fernerkundungsdaten setzt Fachkenntnisse voraus. Neben der schnellen Bereitstellung der Daten stellt daher auch die zielgruppenorientierte Beratung einen weiteren Erfolgsfaktor für die Verwendung von Geoinformationstechnologie dar. Denn ohne Kontext und fachlichen Zusammenhang können Karten schnell missinterpretiert werden.
Lessons Learned
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben bestätigt, dass der vom BBK mit seinem Geokompetenzteam verfolgte Ansatz trägt und einen unmittelbaren Mehrwert für den Bevölkerungsschutz in Deutschland schafft. Die intelligente Verknüpfung vorhandener Daten, ihre Analyse und Aufbereitung aus dem kombinierten Blickwinkel der Geoinformations- und Bevölkerungsschutzkompetenz und das Vermögen, kurzfristig und flexibel verlässliche Informationen und Entscheidungsunterstützung mit bedarfsgerecht konfektionierten Geoinfo-Produkten zu bieten, sind eine Schlüsselfähigkeit für das Krisenmanagement in außergewöhnlichen Lagen sowie für seine vorsorgenden Planungen im Bevölkerungsschutz.
Ausblick
Der hohe Reifegrad der Geoinformationstechnologie führte in den vergangenen Jahren auch dazu, dass interaktive Kartenanwendungen und Dashboards immer leichter zu erstellen, konfigurieren, bedienen und verstehen sind. Gleichzeitig zeigen die in der Covid-19-Pandemie genutzten Datendashboards einen neuen Trend auf – die Verschmelzung allgemeiner Methoden aus dem Bereich Data Science (z. B. maschinelles Lernen, statistische Verfahren) mit jenen aus dem Bereich der Geoinformation (räumliche Analysen, kartografische Darstellung).
Noch dominieren Data Science Plattformen mit angeschlossenem Kartenmodul und interaktiven Karten mit einfachen Diagrammen das Bild. Doch zunehmend findet eine Fusion beider technologischer Trends statt. Die Folge sind integrierte Datenanalysesysteme, welche fachlichen Experten die unterbrechungsfreie Arbeit von explorativer Analyse über multivariate Statistik und maschinelles Lernen bis hin zur Darstellung der Ergebnisse erlauben. Von ihrem Einsatz hängt ab, wie die Entwicklung von Akteuren im Bevölkerungsschutz zu „data driven organisations“ weitergeht.
Crisis Prevention 3/2021
Jakob Rehbach
Referat I.1. Grundlagen und IT-Verfahren im Krisenmanagement
Abteilung I Krisenmanagement
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Provinzialstraße 93
53127 Bonn
E-Mail: gkt@bbk.bund.de
Fabian Löw
Referat I.1. Grundlagen und IT-Verfahren im Krisenmanagement
Abteilung I Krisenmanagement
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Susanne Lenz
Referat I.1. Grundlagen und IT-Verfahren im Krisenmanagement
Abteilung I Krisenmanagement
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe