Dezember 2018: Drohnenalarm am Flughafen London Gatwick. Drei Tage lang legen Drohnen den Flugbetrieb lahm. Januar 2019: Drohnensichtung in London Heathrow. Auf Europas größtem Flughafen werden eine Stunde lang alle Starts abgesagt. Mai 2019: 60 Minuten Stillstand am Flughafen Frankfurt Main. Ursache auch hier: Drohnenalarm. Rund 100.000 Euro kostet jede Minute Start- und Landeverbot an den großen deutschen Flughäfen, schätzen Experten.
Und Drohnenvorfälle, die zu solchen führen, nehmen extrem zu, informiert die Deutsche Flugsicherung. Doch nicht nur Flughäfen, auch kritische Infrastrukturen oder Großveranstaltungen stellen angesichts einer wachsenden terroristischen Bedrohung reale Einsatzszenarien dar. Sicherheitsbehörden sehen sich einer neuen Dimension von Angriffen aus der Luft gegenüber. Dringend gefragt sind daher Systeme, die bei ihrer Abwehr unterstützen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat zu diesem Zweck das Projekt „Abwehr von unbemannten Flugobjekten für BOS (AMBOS)“ gefördert. Das im Februar 2017 gestartete und im Juni 2019 mit einer erfolgreichen Abschlussdemonstration beendete Forschungsprojekt hatte den Auftrag, einen Demonstrator zur Abwehr von Drohnen in definierten Sicherheitsbereichen zu erarbeiten. Insgesamt zwölf Partner aus Forschung, Industrie und Lehre waren an dem deutsch-österreichischen Verbundprojekt beteiligt.
Die Koordination des bi-nationalen Vorhabens oblag dem Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE in Wachtberg. Als assoziierte Partner im deutschen Konsortium eng in den Entwicklungsprozess und die Bewertung des Systems eingebunden waren sechs zivile Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS): das BKA, die Bundespolizei, die Länderpolizeien NRW und BW, das Bayerische Landeskriminalamt sowie die Deutsche Hochschule der Polizei.
„AMBOS basiert im Wesentlichen auf Szenarien, in denen terroristische Kräfte Drohnen gezielt gegen Personen, Repräsentanten und Einrichtungen des Staates oder kritische Infrastrukturen einsetzen“, erläutert Verbundkoordinator und FKIE-Projektleiter Hans Peter Stuch das Ausgangsszenario. „Mit steigender Drohnenanzahl am Himmel entstehen zudem immer häufiger Situationen, in denen Drohnen durch Unachtsamkeit, technischem Unverständnis oder sonstigen rechtswidrigen, aber nicht terroristisch motivierten Gründen in Flugverbotszonen einfliegen. Die allgemein steigende Anzahl solcher Vorkommnisse verdeutlicht die Notwendigkeit, potenziell bedrohliche Drohnen erkennen und ihnen bei Bedarf entgegenwirken zu können.“
Systemstruktur und Funktionalitäten
Als einzig erfolgversprechender Lösungsweg wurde hierfür ein multimodaler Ansatz für die Detektions- und Abwehrkomponenten identifiziert. So detektiert das AMBOS-System Bedrohungen aus dem Luftraum mittels vier unterschiedlicher Sensormodalitäten: Funk, Akustik, Elektrooptik/Infrarot und Radar. Diese haben jeweils Vor- und Nachteile. Ziel der im Rahmen des Projekts entwickelten Sensordatenfusion, einem Schwerpunktbeitrag des Fraunhofer FKIE, war es daher, die Vorteile durch intelligente algorithmische Kombination zu verstärken und die Nachteile zu eliminieren. Dies ist erfolgreich gelungen: Die Detektionsrate erhöhte sich bei deutlich verminderter Falschalarmrate.
Die fusionierten Sensordaten werden anschließend zu einem ergonomisch gestalteten Lagebild zusammengesetzt. Dieses Bild unterstützt die Anwender bei der Entscheidung über die je nach Situation und Grad der Bedrohung auszuwählende aktive Maßnahme der Intervention. Die Optionen reichen hier vom Stören der Funkfernsteuerung, Satellitennavigation oder Bordelektronik bis hin zum Abfangen der Drohne mittels eines Fangnetzes.
Herzstück: Fusion, Lagedarstellung und Entscheidungsunterstützung
Viel Lob erntete das Team des Fraunhofer FKIE bei der Abschlussdemonstration für AMBOS.core, einem abteilungsübergreifend entwickelten Kernsystem des Projekts zur Fusion, Lagedarstellung und Entscheidungsunterstützung. Insbesondere an seinem Einsatz haben bereits einige der dem Projekt assoziierten Behörden großes Interesse geäußert.
Stuch: „Letztlich müssen die Anwender innerhalb von Sekunden eine Entscheidung fällen. Um die richtige, situationsangemessene und verhältnismäßige zu wählen, sind sie auf möglichst umfassende Information angewiesen. Hierzu sammelt und fusioniert AMBOS.core alle relevanten Daten, wertet sie aus und fasst sie zu einem ergonomischen Lagebild zusammen. Dieses liefert Antworten auf die relevanten Fragen: Nähert sich eine Drohne? Welchem Ziel nähert sie sich und wie schnell?“
Die in diese Lagedarstellung integrierte Entscheidungsunterstützung dient auch der Entlastung der Nutzer. Basierend auf Sensorinformation, Systemkonfiguration und lokalen Gegebenheiten unterbreitet sie Handlungsempfehlungen. Damit diese Entscheidungen künftig auf einer juristisch sicheren Grundlage gefällt werden können, wurden im Rahmen projektbegleitender Forschung auch rechtliche und ethische Aspekte zur Drohnenabwehr untersucht. Zahlreiche „weiße Flecken“ wurden so aufgedeckt, für die das bestehende Regelwerk noch keinen verbindlichen Rahmen vorgibt. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, entsprechende Regelungen zu erlassen.
Projektergebnisse und erfolgreiche Abschlussdemonstration
Mit intensiver Evaluierung und anschließender Demonstration vor zahlreichen Besuchern aus dem Kreis der deutschen Sicherheitsbehörden in Mosbach im Mai 2019 wurden die Möglichkeiten und Grenzen von AMBOS im Experiment untersucht. Die Vielfältigkeit der Sensorik als unverzichtbare Eigenschaft eines zuverlässigen Drohnenabwehrsystems zeigte sich dabei sehr deutlich. Die einzelnen Sensortypen stellten ihre Stärken unter Beweis, offenbarten jedoch auch weniger optimale Einsatzmöglichkeiten: So kann der Funksensor unter günstigen Bedingungen das Signal der Fernbedienung und das der Drohne aus mehr als einem Kilometer Abstand erkennen. Zufriedenstellende Ergebnisse im Nahbereich liefern die Sensoren zur akustischen Detektion von Drohnen, die Abstände von mehr als 100 Metern abdecken können.
Kameras benötigen eine Sichtverbindung zur Drohne. Ebenso müssen bestimmte Randbedingungen, wie zum Beispiel die Vermeidung des direkten Blicks in die Sonne, eingehalten werden. Drohnen können von den eingesetzten Kameras in mehreren hundert Metern Abstand erkannt werden. Sichtverbindung zur Drohne erfordert auch der Radarsensor, der das Fluggerät abhängig von den beiderseitigen Eigenschaften im Abstand von mehr als einem Kilometer detektieren kann.
Die Datenfusion berücksichtigt die jeweiligen Eigenschaften der Sensoren, sodass gute Detektionsergebnisse erzielt und nutzerzentriert in der Lagedarstellung angezeigt werden. So kann die Ausrichtung des Jammers beispielsweise dynamisch auf die anfliegende Drohne erfolgen, ohne dass dieser bereits Störsignale abstrahlt. Der Jammer erreicht unter guten Bedingungen Wirkreichweiten von mehr als 500 Metern. Zuverlässige Wirkung durch Stören der Bordelektronik der Drohne erzielt in kleineren Abständen auch das High Power Electromagnetics Modul und erwirkt damit den Absturz der Drohne. Einzig der Netzwerfer konnte im Rahmen des Projekts noch nicht zu einer Komponente mit annähernder Einsatzreife entwickelt werden.
100-prozentigen Schutz kann kein System erzielen
AMBOS ist eines von insgesamt vier Drohnenabwehrprojekten mit Fraunhofer-Beteiligung, die das BMBF mit dem Programm „Forschung für die zivile Sicherheit“ fördert. Im April trafen alle vier Konsortien zusammen. Ziel war es, den aktuellen Stand der Forschungsarbeiten zu beleuchten und ein Gesamtbild einer zukünftigen nationalen Ausrichtung der Drohnenabwehr aufzuzeigen, zu dem die vier Projekte zentrale Beiträge leisten.
Einigkeit bestand darüber, dass der rasante Fortschritt in der Drohnentechnik für die Entwicklung von Gegenmaßnahmen stets eine große Herausforderung bleiben wird. Ein begleitender gesellschaftlicher Diskurs, der informiert und aufklärt, kann einen Großteil der aus purer Unkenntnis der geltenden Rechtslage heraus begangenen Verstöße von Drohnenpiloten bereits verhindern helfen. Stuch: „Auch wenn es einen 100-prozentigen Schutz gegen Drohnenangriffe niemals geben wird, herrschte die übereinstimmende Motivation vor, dass es Ziel ist und bleiben sollte, einen so umfänglichen Schutz wie möglich zu erreichen.“
AMBOS ist das erste der vier BMBF-geförderten Drohnenabwehrprojekte, das jetzt abgeschlossen ist. Mit den multimodalen Sensoren und Effektoren sowie der seitens des Fraunhofer FKIE beigetragenen Datenfusion, Lagedarstellung und Entscheidungsunterstützung hat es zu einem produktnahen Demonstrator geführt. Durch die offenen Schnittstellen lassen sich grundsätzlich alle Arten von Sensoren und Effektoren anschließen. Es ist individuell konfigurierbar, denn Drohnenabwehr bei einem Konzert auf freier Wiese erfordert andere Maßnahmen als beim VIP-Schutz in der Stadt.
Fast alle der im Rahmen von AMBOS entwickelten oder weiterentwickelten Komponenten weisen im Zusammenspiel mit dem Kernsystem AMBOS.core bereits gute Performanz auf. Für die Vermarktung bedürfen sie überwiegend noch einer spezifischen Steigerung der Produktreife. Hierzu sind jetzt die Industriepartner aufgerufen und haben Möglichkeiten zur gemeinsamen wie auch zur individuellen Vermarktung.
Bildrechte für alle Bilder und Grafiken: Fraunhofer FKIE
Crisis Prevention 3/2019
Hans Peter Stuch
Abteilung „Kommunikationssysteme“ &
Verbundkoordinator AMBOS
Fraunhofer-Institut für Kommunikation,
Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE
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