24.05.2022 •

Die richtigen Fragen stellen

Die Digitalisierung des Alltags hat massive Folgen für die polizeiliche Arbeit. Die Datenmengen bei der Polizei – vor allem auch bei den Ermittlungen – steigen stetig. Dies kann die Polizeien vor Probleme stellen. Jedoch gibt es auch ungehobene Schätze in dem Datenkonvolut der Behörden und können einen Mehrwert bieten. Zum Heben braucht es jedoch eine anwendungsgeleitete Strategie.

Prominente Fälle, wie der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, könnten zwar erfolgreich aufgeklärt werden, doch stelle sich im Anschluss die Frage, ob sich solche Fälle nicht verhindern ließen, sagt Andreas Röhrig, Präsident des Hessischen Landeskriminalamts (LKA). Viele Daten und Informationen zur Auswertung und Analyse liegen entweder schon bei den Behörden oder könnten durch andere Quellen erschlossen werden. Doch diese Daten hätten häufig unterschiedliche Formate, obwohl sie aus den eigenen Beständen stammten, was ein Zusammenführen erschwere, oder diese Daten seien “schmutzig”, also ungeordnete Daten, die aus Ermittlungen stammten. All das erschwere eine Verknüpfung und eine automatisierte Auswertung. Derzeit nutzen die Ermittler in NRW Daten aus 117 Quellen. Die Daten kommen z. B. aus dem Waffenregister, von Kreditkartenanbietern, von anderen Behörden oder sogenannte OSINT-Daten. Eine menschliche und händische Auswertung sei nicht mehr möglich, sagt Holger Berens, Studiengangsleiter Compliance und Corporate Security der Rheinische Fachhochschule Köln gGmbH.

Neben dieser unterschiedlichen Datenqualität würden zudem die unterschiedlichen Vorstellungen, wie ein Datenhaus aufgebaut werden müsse, eine zielgerichtete Auswertung erschweren, zeigt sich Dirk Kunze, Leiter des Landesprojekts “Datenbankübergreifende Analyse und Recherche – DAR” beim Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen und Leiter der Kriminalinspektion 1 des Polizeipräsidiums Aachen. Dem kann sich Röhrig anschließen. Er sieht die Digitalisierung als einen Hausbau. In Hessen habe man schon eine gute Statik, dennoch müssten auch die weiteren Ausbauten und die Renovierungen mitgedacht werden.

Wie muss die Dateninfrastruktur bei den Polizeien aussehen? Dazu diskutieren...
Wie muss die Dateninfrastruktur bei den Polizeien aussehen? Dazu diskutieren (v.l.n.r.): Alexander Wolf, Andreas Röhrig, Dirk Kunze, Dr. Benjamin Karer und Nadine Brehm auf dem 25. Europäischen Polizeikongress.
Quelle: BS/Klawon

 “Haben wir auch den Mut zu verändern?”

fragt sich in dem Zusammenhang der hessische LKA-Präsident. Zwar gebe es immer wieder Pläne. Diese würden jedoch nur schleppend umgesetzt werden. Am Ende müsse eine Datenstruktur stehen, die die Polizistinnen und Polizisten befähigt, das Datenkonvolut zu analysieren. Geschäftsprozesse müssen dabei als Matrixorganisation gedacht werden.

Die richtigen Fragen stellen

Die Neuerungen müssten zudem auch von der Belegschaft mitgetragen werden. Man brauche Personal, dass die Daten auswerten kann und die Analysetools nutzen kann, sagt Kunze. Dafür müsse das Personal geschult und fortgebildet werden. Dies heiße aber nicht, dass jeder Sachbearbeiter im Polizeidienst Datascientist werden müsse. Zwar gibt es schon IT-Lösungen wie von Alteryx, die einen Low- und No-Code-Ansatz verfolgen. Die Sachbearbeiter sollen in die Lage versetzt werden, selbst Daten für ihre Zwecke zu nutzen, erklärt Nadine Brehm, Director Enterprise Sales von Alteryx.

Nichtdestotrotz müsse auch die Datenaffinität aller Sachbearbeiter gesteigert werden, fordert Kunze. Ebenso sieht der die heutigen Führungskräfte in der Pflicht, in diesem Themenbereich sich unbedingt weiterzubilden, da die Kompetenz im Bereich der Datenauswertung im bisherigen Karriereweg nicht ausreichend vermittelt werde.

Auch Dr. Benjamin Karer, Senior Consultant bei CGI Deutschland, sieht Bedarf zur Steigerung der “Data Literacy”.

“Die Polizisten müssen lernen, die richtigen Fragen zu stellen”, sagt Karer.

 Wenn das nicht passiere, würden auch die besten Daten nicht helfen. Er sieht zudem noch viel Potenzial bei der Datenauswertung von Streifenpolizisten. Bisher sei die Analyse und die Auswertung von Daten hauptsächlich von den Kriminalpolizeien getrieben. Aber dank Mobile Policing würden sich weitere Möglichkeiten ergeben. Diese könnten durch eine automatisierte Abfrage von verfügbaren Datensätzen schon auf der Einsatzfahrt informiert werden und dadurch gegebenenfalls bessere Taktiken einsetzen. Eine bessere Planung auf Grundlage von Datenauswertung verspricht sich auch Alexander Wolf, Senior Berater bei der Disy Informationssysteme GmbH. Gerade viele vorhandene Daten bei den Behörden hätten einen räumlichen und zeitlichen Bezug. Daraus ließe sich eine interaktive und aktuelle Lagedarstellung kreieren. Durch die Aktualität ergebe sich eine bessere Einsatzplanung als aus den PKS.

“Es gibt heutzutage so viele Möglichkeiten, wie noch nie”, sagt Röhrig. Sie müssten nur effektiv genutzt werden.

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