Ein Kaleidoskop an Maßnahmen ist notwendig, um Krisen in der Größenordnung einer drohenden Energiemangellage zu bewältigen. Alle Maßnahmen sind aufeinander abzustimmen. Das gilt für die Maßnahmen der Landkreise und Städte ebenso, wie auf Landesebene.
Trotz der jeweiligen Ressortverantwortlichkeiten und naturgemäß unterschiedlichen Sichtweisen, sollten alle Analysen und Maßnahmen zueinander passen. Um dies sicherzustellen ist eine zentrale koordinierende Stelle unabdingbar. Letztendlich ist es ein Spagat außerhalb des Katastrophenrechts, müssen sich die Ressorts doch auf eine zentrale Koordinierung einlassen.
Monothematische Vorbereitungen strategischer Entscheider sind zu vermeiden. Wichtig ist ein umfassender Blick, sind doch alle Auswirkungen einer Krise gleichzeitig zu betrachten.
Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg (Lao-Tse).
Dies gilt auch im Krisenmanagement. Die drohende Energiemangellage ist dafür ein gutes Bespiel. Es bedarf klar definierter Szenarien mit daraus resultierenden Auswirkungen (Impacts), um schlussendlich ein umfassendes Maßnahmenpaket zu schnüren.
Entwicklung eines Szenarios
Das Fundament jeglichen Handelns ist das Szenario.
Ein Brand- und Hilfeleistungseinsatz der Feuerwehr beginnt immer mit einer Erkundung, um die Lage im Detail zu erfassen. Aus diesen Erkenntnissen erfolgt eine strukturierte Beurteilung, aus der sich Einsatzaufträge für die eingesetzten Kräfte ableiten. Hier ist das zu bekämpfende Szenario schon eingetreten und stellt sich allen Einsatzkräften gleich dar.
Anders ist dies bei komplexen, drohenden Ereignissen, wie beispielsweise der Covid19 Pandemie oder der drohenden Energiemangellage. Die für die weitere Beurteilung wichtige Ausgangslage stellt sich je nach (Ressort-)Sichtweise unterschiedlich dar. Häufig wird zunächst abgewartet und auf Auswirkungen eines Ereignisses reagiert. Das gilt es zu verhindern. Besser wäre es, wenn Auswirkungen eines Ereignisses aus den unterschiedlichen Sichtweisen bekannt wären und alle Anstrengungen dahin gehen, schon vorher Werkzeuge vorzubereiten und bereitzuhalten.
Das setzt aber voraus, dass ein Szenario von allen Akteuren gleich verstanden wird. Oft werden nur Expertinnen und Experten zu Rate gezogen die unmittelbar mit dem Ereignis zu tun haben. Bei der Beurteilung der Folgen der Pandemie waren zunächst nur Experten mit medizinischem Sachverstand gefragt. Eine umfassende, gesamtgesellschaftliche Betrachtung gab es nur unzureichend. Erst als Fachkräfte in den Unternehmen kritischer Infrastruktur zunehmend erkrankten, sah sich der Staat gezwungen, mit Maßnahmen entgegenzuwirken. Ein von langer Hand geplantes strukturiertes Vorgehen gab es nicht.
Genauso stellte es sich bei der drohenden Energiemangellage dar. Fast täglich wurden seitens der Energieressortsauf Bundes- und Landesebene aktuelle Gasspeichermengen mitgeteilt. Regelmäßig wurden Prognosen aufgestellt, wie lange das Gas für die Bedarfe Deutschlands ausreicht. Diese Information reicht aber nicht aus, die gesamtgesellschaftliche Tragweite eines Gasausfalls und des damit möglicherweise verbundenen großflächigen Stromausfalls zu erfassen.
Zur Festlegung von Szenarien im Energiebereich ist zum einen einschlägiges Expertenwissen notwendig, zum anderen sind Bevölkerungsschutzexperten hinzuzuziehen, um erste gesamtgesellschaftliche Auswirkungen abschätzen zu können. Während der Pandemie wurden über lange Zeit nur medizinische Aspekte betrachtet. Diese monothematische Betrachtung war jeweils nur eine unzureichende Grundlage strategischer Entscheidungen.
Als Grundlage einer „KRITIS-Sektorenübergreifenden“ Betrachtung wurden bezüglich der Energiemangellage im vorliegenden Beispiel seitens der Energieexperten und Bevölkerungsschützer folgende Szenarien festgelegt.
Szenario 1: Keine Einschränkungen in der Gasversorgung (Reine Bedrohungslage!)
Die Versorgung läuft regulär weiter, die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Einschränkung nimmt zu.
Szenario 2: Einschränkungen in der Gasversorgung – kompensierbar
Die Versorgung durch den Zulieferer bleibt aus, die Versorgungslücke kann kompensiert werden, die Versorgung geschützter Kunden ist vorhanden, es gibt keine Ausfälle/Teilnetzausfälle
Szenario 3a: Einschränkungen in der Gasversorgung partiell – nicht kompensierbar
Die Versorgung durch den Zulieferer bleibt aus, die Versorgungslücke kann kompensiert werden, jedoch gibt es einen Ausfall von Teilnetzen aufgrund von lokalen Engpässen mit anschließender Stabilisierung der Versorgung.
Szenario 3b: Einschränkungen in der Gasversorgung flächendeckend – nicht kompensierbar
Die Versorgung durch den Zulieferer bleibt aus, die Versorgungslücke kann nicht kompensiert werden, durch einen Kaskadeneffekt kommt es zum flächendeckenden Ausfall aller Gasnetze.
Szenario 4a: lokaler Ausfall der Gasversorgung (3a) mit lokaler Störung der Stromversorgung
Szenario 4b: Großflächiger Ausfall der Gasversorgung (3b) mit Störung der Stromversorgung
Darüber hinaus wurde noch eine weitere Eskalationsstufe beschrieben. Die Szenarien 3a und 3b wurden jeweils mit einer Störung der Stromversorgung versehen zu Szenario 4a und 4b mit einem jeweiligen Impact 5/5.
Für dieses Planungsszenario (Stromausfall als Kaskadeneffekt einer Gasmangellage) wurde davon ausgegangen, dass die Stromversorgung für kritische Bereiche nach spätestens zwei Wochen (inklusive aller zeitlichen Sicherheitsaufschläge) wiederhergestellt ist.
Die Annahmen wurden seitens der Experten des Energieressorts getroffen.
Impactanalysen
Auf Basis der Szenarien 3a, 3b und 4a, 4b wurden in Folge systematisch Folgenabschätzungsanalysen/ Impactanalysen durchgeführt.
Exkurs: Wer ist eigentlich zuständig?
Zur Erinnerung sollte hier noch einmal festgestellt werden, dass alle Maßnahmen außerhalb einer Katastrophensituation geplant wurden. Zuständig für alle Belange sind die jeweiligen Fachressorts auf Bundes- und Landesebene und gleichzeitig die jeweiligen Fachbereiche auf kommunaler Ebene.
Die Übersicht zeigt das Kommunikationsgeflecht vertikal über die Ebenen und horizontal auf der jeweiligen Ebene. Eigentlich „spricht“ hier jeder mit jedem. Dieses gilt es zu koordinieren. Eine ebenenübergreifende Koordination kann nur auf Landesebene erfolgen. Als zentrales Organ steht hier der Landeskoordinierungsstab (LKoordSt) zur Verfügung.
Die Aufgaben sind:
- Geschäftsstelle des Krisenstabes
- Koordinierung und Unterstützung anderer Ressorts
- Planung und operative Führung im Katastrophenfall
Solch ein koordinierendes Organ funktioniert nur ressortübergreifend, wenn die jeweiligen Hausleitungen das gemeinsame Ziel unterstützen.
Die Ressortverantwortlichkeit wird gewahrt.
Die einzelnen Ressorts haben bei der Impactanalyse zwei Bereiche zu betrachten:
1. Betrachtung nach innen zur Sicherstellung der eigenen Handlungsfähigkeit (KRITIS Sektor Staat/Verwaltung).
2. Der Blick nach außen, um festzustellen, ob weitere KRITIS-Sektoren in eigener fachlicher Verantwortung liegen.
Die Zuständigkeiten der Ressorts ergeben sich aus fach- und rechtsaufsichtlichen Verpflichtungen einerseits, aus der thematischen Befassung ohne Aufsichtsverpflichtung andererseits.
So können sich die Aufgaben der Ressorts auf die Identifizierung kritischer Prozesse, einen „Best-Practise“ Austausch bei fehlender Rechts- und Fachaufsicht bis hin zur Vorgabe konkreter Maßnahmen im Falle einer Fachaufsicht erstrecken.
Eine Folgenabschätzungsanalyse orientiert sich streng am Szenario und sollte ebenfalls strukturiert erfolgen. Formulare schaffen hier die wichtige Struktur. Das hat den Vorteil, dass die Ergebnisse aus den Ressorts und aus der kommunalen Ebene vergleichbar werden. Dieses ist wichtig, um später Handlungspriorisierungen zu ermöglichen.
Der LKoordSt ist auch hier wieder das zentrale Organ um gemeinsam mit den Ressort und der kommunalen Ebene die am Szenario orientierten jeweiligen Folgenabschätzungen vornehmen zu können. Das setzt aber voraus, dass im LKoordSt der Fachverstand durch KRITIS Experten vorhanden ist.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der öffentlichen Verwaltung fällt es oft schwer in krisenhaften Situationen Entscheidungen zu treffen.
Im Regelbetrieb, der allgemeinen Aufbauorganisation (AAO), gilt die Maximierungsregel als rationale Entscheidungsregel. Alle Optionen und Konsequenzen des Handelns sind bekannt und Verwaltungshandeln ist mehr durch situative Reaktion als durch vorausschauende, präventive Aktion geprägt.
Es gilt Gründlichkeit vor Schnelligkeit!
Die Pandemie steht exemplarisch für ein Krisenmanagement in Deutschland, das häufig in der Anwendung eines üblichen Verwaltungshandelns, oft fiskalischen Überlegungen unterliegt und damit eine schnelle Reaktionsfähigkeit verhindert hat.
Dagegen müssen in der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Entscheidungen unter Unsicherheiten getroffen werden. Das ist der Komplexität und Dynamik, dem Zeitdruck, hoher Emotionalität, politischen Implikationen des Ereignisses und oft haushälterischen Fragen geschuldet.
In der Krise gilt Schnelligkeit vor Gründlichkeit!
Hier gilt es abzuwägen, wie hoch die Bereitschaft ist, das Risiko einer Fehlentscheidung im Spannungsfeld vieler Randbedingungen zu tragen. Hier hilft oft auch ein Rückgriff auf Heuristiken.
Maßnahmenentwicklung
Nach einer umfangreichen Impactanalyse sind diese zu priorisieren und anschließend Maßnahmen zu entwickeln.
Natürlich ist möglichst eine Regelversorgung anzustreben, eine Versorgung nach üblichen Standards und im infrastrukturell vorgesehenen Umfang. Allerdings ist auch eine Notversorgungmit qualitativer und quantitativer Reduktionen des Versorgungsniveaus möglich. Das Ziel ist es eine Gefährdung von Leben und Gesundheit auszuschließen.
Es sind Maßnahmen zur Sicherstellung der Staats- und Regierungsfunktion zu treffen. Dazu gehören unter anderem:
Krisenfestigkeit der Krisenreaktionsstrukturen auf Landesebene insbesondere:
- Krisenfestigkeit Interministerieller Krisenstab
und Landeskoordinierungsstab (LKoordSt). - Krisenfestigkeit der Polizei
- Krisenfestigkeit des Landtags
- Krisenfestigkeit des Landesverfassungsgerichts
- Krisenfestigkeit des Kabinetts
Maßnahmen zur Sicherstellung kritischer Ressourcen in der Fläche:
- Krisenfestigkeit der Arbeitsstäbe der Ressorts
- Krisenfestigkeit der Stäbe der Landkreise / kreisfreien Städte
Unternehmen kritischer Infrastruktur sollten ihre Resilienz in eigener Verantwortung erhalten.
Beispiele vorbereiteter Maßnahmen für das Szenario 4a und 4b
1. Wiederinbetriebnahme von Gasheizungsanlagen nach einem großflächigen Ausfall von Gas und/oder Strom.
2. Redundanzkommunikationskonzept bei Stromausfall für den Katastrophenschutz.
Krisenreaktionsstruktur auf Landesebene
Es ist ein Szenario festzulegen und die Impacts zu analysieren, um daraus Maßnahmenpakete zu entwickeln. Dies erfordert ein funktionierendes Krisenreaktionssystem auf allen Ebenen. Die moderierende Rolle kann nur von der Landesebene ausgehen. Damit ist in Folge der Gleichklang aller Maßnahmen auch auf der kommunalen Ebene gesichert.
Um Ressortverantwortlichkeiten nicht zu durchbrechen, sollten sich die Ressorts aufeinander abstimmen und ein Ressort als moderierenden Vermittler bestimmen. In der Regel wird dieses das Innenressort sein. Das moderierende Organ wird der Landeskoordinierungsstab (LKoordSt) sein. Dieser sollte in bewährter Form im Aufbau einem Stab gemäß der FwDV 100 ähneln. Das garantiert eine strukturierte Bearbeitung, eine ausführliche und sichere Dokumentation und abhängig von der Personalausstattung gegebenenfalls eine 24 Stunden Durchhaltefähigkeit. Der Krisenstab als interministerieller Stab deckt die Belange aller Ressorts ab und stellt sicher, dass eine themenübergreifende Abstimmung insbesondere bei einer Priorisierung der Maßnahmen erfolgt. In den Ressorts sind zusätzlich Arbeitsstäbe einzurichten, die die aus den Krisenstabssitzungen generierten Aufgaben zeitnah umsetzen. Die inhaltliche Vorbereitung der Krisenstabssitzung sollte in „kleiner“ Runde in der Lenkungsgruppe des Krisenstabs erfolgen.
Zu betonen ist, dass sich eine Krise häufig subtil andeutet. Eine akute Notwendigkeit zu sofortigem Handeln wird in der Regel nicht gesehen. Präventives Handeln ist auch den Haushältern schlecht zu erklären.
Fazit
Immer wieder stellt sich die Frage der Ressortzuständigkeit bei großen Ereignissen. Dabei ist die Antwort so einfach: Alle sind Zuständig!
Der in Not geratene Mensch schaut nicht auf Zuständigkeiten. Er möchte essen, trinken und warm und sicher schlafen. Er wird und will nicht verstehen, wenn Lebensmittel knapp werden oder, das Gesundheitssystem zusammenbricht. Er wird auf den Staat schauen und der Staat sind in seinen Augen die kommunalen Behörden, die Länder- und Bundesverwaltungen.
Ein koordinierendes Gremium, wie ein Landeskoordinierungsstab, ausgestattet mit eigenen Kompetenzen und umfangreichem Fachwissen als Moderator zwischen den Ressorts und der kommunalen Ebene, kann nur funktionieren, wenn sich alle anderen Akteure auf die Zusammenarbeit einlassen.
Die klassischen Methoden eines Stabes gemäß der Feuerwehrdienstvorschrift 100 ergänzt durch jeweilige Experten als Fachberater haben sich bewährt.
Begonnen während der Covid19 Pandemie, war beispielsweise der Landeskoordinierungsstab in Mecklenburg Vorpommern ein nützliches Werkzeug, als es darum ging, die Ströme hilfesuchender Menschen aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine zu koordinieren und Schutz zu bieten. Mit der Energiemangellage wurde sicherlich die bisher gewaltigste Aufgabe gestemmt. Dennoch war der Stab in der Lage „so neben her“ auf ein Hilfegesuch der Türkei nach dem verheerenden Erdbeben zu reagieren.
Die Aufgabenfülle gibt Hinweise auf die erforderliche Stabsbesetzung. Neben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit einer klassischen Stabsausbildung (S1 bis S6), sind Fachberater, KRITIS –Experten und Bevölkerungsschützer mit einem 360° Blick notwendig.
Eine Rekrutierung könnte aus den Ressorts erfolgen. Hier könnte ein Stamm von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Ressorts im Vorfeld eine Stabsausbildung erfahren und wenn nötig die personellen Bedarfe stemmen.
Fazit vom Fazit:
- Präventiv die Krisenreaktionsstrukturen aufrufen und nutzen.
- Zusammenspiel aller Akteure muss gewährleistet sein (im operativen, administrativen aber auch im politischen Raum).
- Krise ist ein Gemeinschaftsproblem und erfordert gemeinsames Handeln über alle Ressorts und Ebenen hinweg.
- Kostenfragen müssen früh geklärt sein.
- Klare Verantwortlichkeiten.
- Man muss sich einlassen auf „krisenhaftes Handeln“. Das gilt auch für Übungen!
- Die Bevölkerung ist durch Risiko- und Krisenkommunikation rechtzeitig einzubeziehen.
- In der Ausbildung von sollte Krisenmanagement auf dem Lehrplan stehen.
- Ein 360° Blick ist in der Krise erforderlich. Keine monothematische Vorbereitung der strategischen Ebene.
- Und niemals vergessen: Vor der Krise Köpfe kennen (Die drei Ks mal anders.)
Crisis Prevention 2/2023
MR Uwe Becker
Referatsleiter MIBD MV
Brand- und Katastrophenschutz; zivil-
militärische Zusammenarbeit und Munitionsbergung;
KoSt KRITIS
Alexandrinenstraße 1, 19055 Schwerin
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