31.01.2022 •

NOWATER

Strategien bei Ausfall der Wasserver- und -entsorgung im Krankenhaus

Jan Bäumer, Manuel Geiger und Ina Wienand

Jan Bäumer/BBK

Für die Fälle eines Stromausfalls, eines Massenanfalls an Verletzen (MANV) oder des Brandes in Krankenhäusern existieren in Deutschland zahlreiche Vorplanungen u.a. auf Seiten der Gefahrenabwehr, der Kommunen und der Krankenhäuser selbst. Doch was ist mit der Kritischen Infrastruktur Wasser bzw. Abwasser? Wie beeinflusst ein Ausfall dieser wichtigen Infrastrukturen der Daseinsvorsorge die Funktionsfähigkeit eines Krankenhauses? Welche Möglichkeiten der Vorbereitung gibt es? Was kann im Ereignisfall getan werden? Diese und weitere Fragen will das Forschungsprojekt NOWATER beantworten sowie praxisnahe Lösungsmöglichkeiten und Handlungsempfehlungen zur Verfügung stellen.

Die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung stellen zwei für die Funktionsfähigkeit von Krankenhäusern unverzichtbare ­Kritische Infrastrukturen dar. Ein Ausfall oder eine Beeinträchtigung kann einen unmittelbaren Einfluss auf die Art und den Umfang der öffentlichen Gesundheitsversorgung haben, da die direkt oder indirekt von Wasser abhängigen Bereiche eines Krankenhauses durchaus vielfältig sind.

Diese abhängigen Bereiche nutzen das Wasser dabei nicht nur zum Trinken oder für die Körperhygiene, sondern auch für medizinische oder gebäudetechnische Zwecke. Somit kann beispielsweise eine alleinige Abgabe von Wasser in Flaschenform keine adäquate Notfall-Lösung darstellen. Wasser muss also in die Leitungsnetze gelangen, um die Funktion kritischer Bereiche zu ermöglichen.

Doch trotz der großen Bedeutung von Wasser und Abwasser für ein Krankenhaus existieren für den Fall einer Beeinträchtigung der Wasserver- und -entsorgung in Krankenhäusern aktuell nur wenige entsprechende Notfallvorsorgeplanungen oder adäquate Risiko- bzw. Krisenmanagementansätze. Zudem fehlen detaillierte Studien u.a. über den notfallmäßigen und detaillierten Wasserbedarf für den Notbetrieb eines Krankenhauses, die Mindestanforderungen für entsprechende Vorplanungen und Aufklärungen über die jeweiligen Planungsverantwortlichkeiten. Die genannten Defizite in der Planung sind insbesondere aufgrund des akuten Handlungsbedarfs bei Ausfall der Wasserver- und –entsorgung kritisch zu bewerten. So ist eine massive Beeinträchtigung des Krankenhausbetriebs bereits nach 30 Minuten bis 36 Stunden zu erwarten und kann ggfs. eine Evakuierung von Patientinnen und Patienten notwendig machen.

Mit dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Forschungsschwerpunkt „Zivile Sicherheit“ geförderten Projekt NOWATER sollen die o.g. Erkenntnislücken geschlossen und die Ergebnisse interdisziplinär in Form von praxistauglichen Handlungsempfehlungen für das Risiko- und Krisen­­­management verfügbar gemacht werden.

Das Projekt NOWATER.
Das Projekt NOWATER.
Quelle: Elena Joel/Universität Bundeswehr München

Der erste Schritt im Risikomanagement: Erhebung von Mindestanforderungen und die Risikoanalyse

Um für ein Krankenhaus individuell angepasste Maßnahmen der Notfallvorsorgeplanung erarbeiten zu können, ist ein speziell für das Szenario der Beeinträchtigung der Wasserver- oder -entsorgung entwickeltes, interdisziplinäres und intersektorales Risikomanagement notwendig, das individuell für jedes Krankenhaus angewendet werden muss.

Der Prozess der Risikoanalyse

Die Risikoanalyse besteht hier aus zwei aufeinander aufbauenden Schritten:

  1. Der Analyse der Krankenhausprozesse und
  2. der nachfolgenden verfeinernden Analyse der Wassernetze im Krankenhaus.

Die Analyse der Krankenhausprozesse ermöglicht es, die für den Krankenhausbetrieb essenziellen (=kritischen) Prozesse zu identifizieren, diese mit den wichtigsten Daten zu beschreiben und so zunächst das Risiko für eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit eines Krankenhauses durch den Ausfall der Wasserver- und -entsorgung zu ermitteln. Einzelne Bestandteile der Risikoanalyse, wie beispielsweise die Verwundbarkeits- und Kritikalitätsanalyse, liefern zudem notwendige Informationen für die Planung und Priorisierung von Notfall­vor­sorge­maßnahmen zur Steigerung der Resilienz.

Die Analyse der Wasser- und Abwassernetze ermöglicht die Identifikation derjenigen Netzkomponenten, die innerhalb der jeweiligen Versorgungsbereiche essenziell für die Versorgung der ­kritischen Krankenhausprozesse sind. Zudem kann hiermit ermittelt werden, welchen Risiken die jeweiligen Netzkomponenten ausgesetzt sein können. Dabei findet eine konsequenzbasierte Betrachtung auf Grundlage der zuvor definierten Szenarien statt. Bedeutet also: Identifizierung von Risiken, die für die Netzbestandteile und somit für das konkrete Netz durch die Szenarien hervorgehen.

Somit ist es möglich, Maßnahmen zur Härtung der Wasser­infra­struk­turen gezielt und priorisiert zu ergreifen bzw. erweiterte Maßnahmen der Notfallvorsorgeplanung bedarfsgerecht einzusetzen.

Um eine leichte Handhabung einer solch umfassenden Risikoanalyse zu ermöglichen, wird ein eigenes Softwaretool entwickelt, dass viele Schritte bzw. Berechnungen automatisiert umsetzen kann und damit die Anwendung deutlich vereinfacht.

Mindestanforderungen

Um eine umfassende Risikoanalyse überhaupt durchführen zu können, sind zwingend versorgungsrelevante Mindestanforderungen zu identifizieren. Diese Mindestanforderungen werden im Rahmen des Projektes u.a. durch vertiefte Analysen, Datenerhebungen in Krankenhäusern, begleitenden Forschungsaufträge und Expertengespräche erarbeitet und in einem Anforderungskatalog zusammengefasst. Dieser Katalog besteht aus:

  • Ergebnissen nationaler und internationaler Literaturrecherchen (standortunabhängige Anforderungen)
  • Experteninterviews und Datenanalysen (standortunabhängige Anforderungen)
  • Ergebnissen der Standortanalysen im Rahmen der Kritikalitätsanalyse und Erkenntnisse des weiterführenden Risikoanalyseprozesses (standortabhängige Anforderungen)
  • Ergebnissen aus Begleitforschungen

Insbesondere den standortspezifischen Anforderungen und den dafür notwendigen Analysen des Strom-, Trink- und Abwassernetzes sowie der Krankenhausprozesse ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Denn aufgrund unterschiedlicher örtlicher Gegebenheiten, Strukturen der Kliniken und Leistungsspektren, können nur bedingt allgemeingültige Mindestanforderungen definiert werden. Beispiele für wichtige, individuell zu erhebende Kernparameter sind: Abhängigkeiten der Krankenhausbereiche, detaillierter Wasserbedarf im Normal- und Notbetrieb, zwingend erforderliche Wasserqualität pro Anwendungszweck etc. Alle Mindestanforderungen sind neben der Risikoanalyse auch in die Notfallvorsorgeplanungen einzubeziehen.

Planning P.
Planning P.
Quelle: Manuel Geiger/Technische Hochschule Köln

Der zweite Schritt: Erarbeitung von ­Notfallvorsorgemaßnahmen

Sind die kritischen Bereiche und Risiken identifiziert sowie die Mindestanforderungen festgelegt, wird mit den Notfallvorsorgemaßnahmen zum Schutz dieser Prozesse und des gesamten Betriebs begonnen. Hierfür müssen neben Maßnahmen zur Vermeidung eines Ausfalls der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung (baulich/technische Maßnahmen – Beispiel: Schaffung von Redundanzen) Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Betriebs entwickelt werden. Die Maßnahmen sind in zwei Zeitschritten zu unterscheiden.

Zu Beginn sind organisatorisch/technische Maßnahmen der Ersatzver- bzw. –entsorgung und zur Kompensation des Wasserbedarfs zu betrachten, die vom Krankenhaus selbst ergriffen werden können, um die ersten Stunden nach einem Wasserausfall zu überbrücken. Ziel dieser Maßnahmen ist es, den Betrieb so weit aufrechtzuerhalten, dass eine Räumung des Krankenhauses vermieden werden kann und alle Patientinnen und Patienten adäquat versorgt sind. Kann die Räumung abgewendet werden und wird eine weiterführende Versorgung mit Trinkwasser (oder Entsorgung von Abwasser) über einen längeren Zeitraum notwendig, sind auch hierfür Maßnahmen zu planen. Die dazu notwendige Ersatzver- bzw. -entsorgung kann das Krankenhaus selbst jedoch nur sehr begrenzt leisten und muss diese daher in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Akteuren aus Wasserversorgungsunternehmen, Gesundheitsbehörde und Gefahrenabwehr vorbereiten als auch umsetzen. Die im Projekt erarbeiteten Hand­lungs­­empfehlungen ermöglichen den Akteuren entsprechende Maßnahmen selbst und nach individuellen Bedürfnissen zu erheben, zu planen, diese im Notfall umzusetzen und somit im Falle eines Ereignisses schnell und sicher zu handeln. Zudem sollen die Verantwortlichen im Krankenhaus auf die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren dahingehend vorbereitet werden, fachlich über erforderliche Maßnahmen der Ersatzver- bzw. -entsorgung diskutieren zu können, ihre Bedarfe klar zu formulieren und die Eignung von Maßnahmen für ihren Standort zu bewerten.

Für eine bessere Vorbereitung auf Ereignisse, die eine Räumung/Evakuierung notwendig machen, werden in dem Projekt ­NOWATER auch Arbeitshilfen für die Erstellung eines Räumungs- und Evakuierungskonzepts entwickelt. Um diese Entscheidung bei einem Ausfall von Kritischen Infrastrukturen schnell, systematisch und zuverlässig zu treffen, werden geeignete Entscheidungskriterien sowie Planungsgrundlagen zur Vorbereitung der Umsetzung erarbeitet. Eine schnelle und dennoch sichere (Teil-)Räumung aller Patientinnen und Patienten ist von einer guten, umfassenden und fachlich fundierten Vorbereitung abhängig.

Über diese Maßnahmenplanungen hinaus müssen Krankenhäuser auf den Krisenfall auch organisatorisch ausreichend vorbereitet sein. Hierfür werden ein Organisationskonzept und ein Übungskonzept erarbeitet, welche durch Literaturrecherchen und Experteninterviews im nationalen und internationalen Umfeld validiert werden. Ziel ist, die Stabsarbeit in Krisenstäben der Krankenhäuser durch Erfahrungen und Erkenntnisse wichtiger Fachexpertinnen und Fachexperten stetig anzupassen und zu optimieren. Die bekannten und in Deutschland weit verbreiteten Stabsstrukturen mit den Funktionen von S1 bis S6, die in Anlehnung an die DV 100 Reihe der Gefahrenabwehr auch in Krankenhäusern Anwendung finden, sollen auf ihre Aktualität und ihr Anpassungspotenzial für Krankenhausstabsstrukturen hin überprüft werden. Um die Zusammenarbeit zwischen den Organisationen jedoch nicht zu verkomplizieren, wird der Ansatz einer Erweiterung der Funktionen unter Beibehaltung der grundlegenden Strukturen verfolgt. Im Besonderen die angloamerikanischen Konzepte des Hospital Incident Command Systems (HICS) bieten interessante Ansätze, die auf ihre Übertragbarkeit in deutsche Krisenstäbe überprüft werden.

Die etablierten Strukturen und Abläufe für den Ereignisfall bedürfen regelmäßiger Trainings. Hierfür stehen Realübungen zur Verfügung, jedoch kann speziell die Stabsarbeit auch in regelmäßig stattfindenden Stabsrahmenübungen trainiert werden. Diese ressourcenschonende Variante ermöglicht es, die Führungsebenen auf unterschiedliche Ereignisse mit unterschiedlichen Ausmaßen vorzubereiten. Um den Verantwortlichen hierfür Planungshilfen an die Hand zu geben, wird ein Übungs­konzept verfasst, mit welchem szenarienbasierte Stabsrahmenübungen und auch Realübungen geplant, durchgeführt und evaluiert werden können.

Ausblick

Das NOWATER Projekt schließt aktuelle Wissens- und Handlungslücken im Bereich des Risikomanagements bzw. der Notfallvorsorgeplanungen für Krankenhäuser, zuständige Behörden und Versorgungsunternehmen. Die wesentlichen Ergebnisse des Projektes für die Praxis sind die Bereitstellung eines gemeinsamen, interdisziplinären Leitfadens mit dem Anspruch der einfachen Übertrag- und Skalierbarkeit. Diese anwenderorientierte Empfehlung umfasst alle zuvor genannten Bereiche bzw. Teilaspekte des Risiko- und Krisenmanagements zur Sicherstellung der Wasserver- und -entsorgung in Krankenhäusern: Angefangen mit praxistauglichen Methoden der Risikoanalyse, über die interdisziplinäre Notfallvorsorgeplanung bis hin zur Erstellung entsprechender Einsatzpläne z.B. im Rahmen der Krankenhaus­alarm- und einsatzplanung. Sie ermöglicht damit aus verschiedenen Sichtweisen eine Unterstützung zur bestmöglichen Vorbereitung auf solche außergewöhnlichen Schadenslagen und zur Vermeidung einer Gefährdung von Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Als weiteres, ergänzendes technisch-innovatives Ergebnis des Projekts soll ein Demonstrator zur Aufrechterhaltung der Wasser­versorgung gebaut und getestet werden. Dieser soll eine Möglichkeit zur Aufbereitung und Einspeisung von Ersatz- bzw. Notwasser für den Fall darstellen, dass eine leitungsgebundene Versorgung zeitweise nicht zur Verfügung steht. Insbesondere soll der Demonstrator modular konzipiert werden, eine kurzfristige Inbetriebnahme muss möglich sein und die Anlage muss sich in das Notstromkonzept der Einrichtung einbinden lassen.

Das Projektkonsortium des BMBF geförderten Projekts NOWATER besteht aus dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, der Universität der Bundeswehr München, der Technischen Hochschule Köln, der United Nations University – Institute for Environment and Human Security, der AGAPLESION gAG, der teckons GmbH & Co. KG sowie Strecker Wassertechnik GmbH. 


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