Elektrizität- und Wasserversorgung, Lebensmittelversorgungsketten oder das öffentliche Gesundheitssystem sind häufig genannte Beispiele für kritische Infrastrukturen (KRITIS). Wenn sie ausfallen, ist das öffentliche und private Leben in Städten ernsthaft bedroht.
Angesichts zunehmender Digitalisierungsprozesse wird nun immer deutlicher, dass mittlerweile auch Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zu den KRITIS gerechnet werden müssen. Spätestens die Corona Pandemie mit Videokonferenzen, Homeoffice und Homeschooling hat gezeigt, welche zahlreichen Chancen IKT uns bieten, aber auch wie sehr wir auf sie angewiesen sind. Und nicht nur das – auch das reibungslose Funktionieren anderer KRITIS ist zunehmend abhängig von IKT: Finanzwesen, Verkehr und Logistik, Lebensmittel- oder Gesundheitsversorgung werden mithilfe von IKT organisiert; Stromnetze und Wasserversorgung werden zunehmend mit smarten IKT gesteuert. Auch Privathaushalte, Individualverkehr und Wirtschaft profitieren von den digitalen Infrastrukturen und werden verstärkt von diesen durchdrungen. Das Wachstum und die Technisierung von Städten führen zu komplexen, verwobenen Netzwerken, die für die Bürgerinnen und Bürger unverzichtbar sind.
Motivation
Im Jahr 2050 werden voraussichtlich zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. IKT in allen relevanten Bereichen ermöglichen diesen Urbanisierungstrend und tragen zum Funktionieren, zur Effizienz und zur Erleichterung des täglichen Lebens in Städten bei. Die IKT können jedoch durch Naturkatastrophen, Kriminalität oder Terrorismus und menschliche oder technische Fehler gefährdet werden.
Glücklicherweise sind Städte in Deutschland und ihre Infrastrukturen vergleichsweise sicher. Dennoch sind auch hier verschiedene Krisen- oder Katastrophensituationen denkbar, bei denen die Systeme stark beeinträchtigt werden. Überschwemmungskatastrophen wie das Elbehochwasser von 2002 oder das schwere Schneechaos 2005 im Münsterland, das die Stromversorgung für einige Tage lahmlegte, haben gezeigt, dass sich auch in Deutschland Naturkatastrophen ereignen können, die Städte und ihre Bevölkerung betreffen. Zudem ist auch eine Vorbereitung auf die anderen Gefährdungspotenziale notwendig. Halten die IKT Belastungen nicht stand, führt dies zum Zusammenbruch von kritischen Infrastrukturen. Vor allem auch durch die Vernetzung unterschiedlicher KRITIS durch IKT kann es im schlimmsten Fall zu kaskadierendem Versagen mehrerer KRITIS kommen.
IKT als Schlüsselfaktor in der komplizierten Gleichung der Stadt, aber auch die anderen KRITIS, gilt es deshalb so resilient wie möglich zu gestalten. Ziel ist es, Krisen vorzubeugen bzw. IKT so zu konzipieren, dass diese mit Funktionsstörungen und -beeinträchtigungen während einer Krise umgehen können, eine Notversorgung aufrechterhalten und eine schnelle Rückkehr zur Normalität ermöglichen. IKT müssen deshalb auch mit erheblichen System-Beeinträchtigungen, wie Überlastungen, technischen Fehlern, Cyberangriffen, längeren Stromausfällen oder materiellen Schäden, zurechtkommen. Gerade auch bei der Bewältigung von Krisen, zum Beispiel bei der Kooperation und Durchführung von Hilfseinsätzen, sind IKT von entscheidender Bedeutung und ihre krisenfeste Funktionsfähigkeit auch deshalb so wichtig.
Lösungsansatz
Hier setzt das 2020 gestartete LOEWE-Forschungszentrum emergenCITY an. emergenCITY ist eine interdisziplinäre und standortübergreifende Kooperation der Partneruniversitäten Technische Universität Darmstadt, Universität Kassel und Philipps-Universität Marburg. 23 Professorinnen und Professoren und insgesamt ca. 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Fachrichtungen Informatik, Elektro- und Informationstechnik, Maschinenbau, Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften, Architektur, Wirtschaftswissenschaften sowie Rechtswissenschaften forschen hier gemeinsam in den vier miteinander verzahnten Programmbereichen: „Stadt und Gesellschaft“, „Information“, „Kommunikation“ und „Cyber-physische Systeme“. Darüber hinaus sind das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), die Wissenschaftsstadt Darmstadt, sowie mehr als 40 weitere Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft eingebunden.
Bei emergenCITY findet das historische, politische, stadtplanerische und technische Wissen aus den beteiligten Fachrichtungen zusammen. Das Ziel von emergenCITY ist es, Städte auf Krisen- und Katastrophensituationen bestmöglich vorzubereiten. Dafür wird an resilienter Informations- und Kommunikationstechnik, aber auch an politischen-, historischen-, rechtlichen- und stadtplanerischen Aspekten der Krisenbewältigung geforscht. Wie können Städte in Krisen und Katastrophen besser funktionieren? Wie können Informations- und Kommunikationssysteme redundant, divers und für den Krisenfall adäquat dimensioniert werden? Welche Rolle kann künstliche Intelligenz und Robotik in der Krisenbewältigung spielen? Welche Resilienzvorgaben von der Politik wären hilfreich und nötig? Wie kann Resilienz technikadäquat, effizient und trotzdem bezahlbar sein? An welchen Bedürfnissen der Bevölkerung müssen sich Resilienzvorgaben orientieren? – Dies sind nur einige der Fragen, mit denen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei emergenCITY befassen.
Möglichkeiten
Die IKT-Systeme sollen selbstorganisierend auf Basis funktionsfähiger Teilsysteme für alle Phasen des Krisenverlaufs nutzbar gemacht werden. Dazu werden IKT bereits im Normalbetrieb kontinuierlich auf Krisensituationen vorbereitet und sollen diese zudem möglichst autonom detektieren. Lösungsansätze, an denen bei emergenCITY geforscht wird, sind beispielsweise intelligente IKT-Systeme, die eine effiziente Rekonfiguration von Netzknoten vornehmen können. Auch an einer frühen Detektierung und einer schnellen Analyse der Krisensituation aus unterschiedlichsten heterogenen Datenquellen forscht emergenCITY. Ergänzend sollen mobile Boden- und Flugrobotersysteme zur Lageerfassung in Krisensituationen eingesetzt werden. Die Krisenprävention wird zudem verbessert, indem aus den während Krisen gesammelten Informationen Wissen zur Verbesserung der digitalen Stadt abgeleitet wird.
Fazit
Insgesamt ist bei der Konstruktion von IKT und anderen KRITIS ein Umdenken nötig: Resilienz und Effizienz sollten gleichrangige Optimierungsziele sein und Effizienzverbesserungen stets unter Wahrung hinreichender Resilienzvorgaben erfolgen.
Denn die digitale Transformation in Städten findet statt und nimmt langsam an Fahrt auf. Wir haben noch die Chance, den Digitalisierungsprozess zu gestalten und Resilienz von Anfang an mitzudenken. Nur so lassen sich digitale Städte ausreichend schützen und zudem aufwändiges Nachrüsten von Resilienzvorgaben vermeiden.
Über LOEWE
Das Forschungszentrum emergenCITY wird im Rahmen des LOEWE-Programms des Landes Hessen gefördert. LOEWE steht für Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz und ist das zentrale Forschungsförderprogramm des Landes Hessen. Es wurde 2008 mit dem Ziel ins Leben gerufen, forschungspolitische Akzente zu setzen und die hessische Forschungslandschaft nachhaltig zu stärken. LOEWE fördert exzellente Forschungsprojekte und insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Unternehmen. emergenCITY wird in der 12. LOEWE-Förderperiode von 2020 bis 2023 gefördert.
Ansprechpartner:
Wissenschaftlicher Koordinator
Prof. Dr.-Ing. Matthias Hollick
Pankratiusstraße 2
64289 Darmstadt
E-Mail: mhollick@seemoo.tu-darmstadt.de
Tel.: +49 6151 16-25470
Geschäftsführerin
Anne Hofmeister, M.A.
Hochschulstraße 1
64289 Darmstadt
E-Mail: hofmeister@emergencity.de
Tel.: +49 6151 16-25482
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