Stromausfälle durch Naturgefahren und deren Auswirkungen auf verschiedene KRITIS

Axel Dierich, Sven Wurbs

Axel Dierich

Eine niederschlags- und windreiche Kaltfront erreicht das Umland einer Metropole und trifft hier auf zähe Frostluft. Bereits zuvor hatte es für einige Stunden gefrierenden Regen gegeben, der alles mit Eis umhüllt hat. Beim Durchzug der Kaltfront kommen große Mengen zunächst nassen, später lockeren Schnees hinzu, der an dem Eisansatz festfriert. Der stürmisch auffrischende Wind bringt nun nicht nur Äste und Bäume zu Fall, sondern auch die zentimeterdick mit Schnee und Eis umhüllten Stromleitungen derart ins Schwingen, dass sie an einigen windexponierten Stellen Schaden erleiden und vereinzelt auch Masten abknicken. Zuleitungen von drei Umspannwerken sind betroffen, wobei eine wichtige redundante Sammelschiene aufgrund von Wartungsarbeiten für eine schnelle Umschaltung nicht zu Verfügung steht.

Um die Folgen eines solchen Extremwetters zu erfassen, liegt ein Vergleich mit dem Münsterländer Schneechaos von 2005 nahe. Doch wie würde sich dieses Szenario in einer dicht besiedelten Metropolregion auswirken und welche – noch schwerer wiegenden – Wirkungen hätten solche längerfristigen Stromausfälle auf andere Versorgungsmedien wie Wasser, Wärme, Telekommunikation und Nahrungsmittel? Und welche Rückkopplungen ergeben sich daraus wiederum für das an der Problembewältigung arbeitende Personal?

Szenarioentwicklung gemeinsam mit Praxisakteuren

Im Forschungsprojekt „Kritische Infrastrukturen-Resilienz als Mindestversorgungskonzept“ (KIRMin)1 hat das inter 3 Institut für Ressourcenmanagement in enger und regelmäßiger Zusammenarbeit mit Stromnetzbetreibern, Wasserversorgern, behördlichen Krisenmanagern und dem Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr der TH Köln die Folgen von drei ausgewählten Naturgefahren für die Stromversorgung und weitere kritische Infrastrukturen (KRITIS) ausgearbeitet:

  • Auswirkungen eines Schnee- und Eissturms im ländlichen Umland einer Metropole
  • Auswirkungen eines Erdbebens mittlerer Stärke auf eine Metropole
  • Auswirkungen von Netzfrequenzschwankungen infolge von extremen Schwankungen in der Produktion Erneuerbarer Energien auf eine Großstadt

Informationen zu möglichen Interdependenzen, d. h. den Wechselwirkungen zwischen den KRITIS, wurden in zahlreichen Interviews, Expertenworkshops und ergänzenden Literaturquellen erhoben, um den Szenarios eine hohe praktische Relevanz zu verleihen und verschiedene KRITIS einzubeziehen. Anhand von rund 30 verschiedenen Kriterien wurde zwischen Best Case- und Worst Case-Verläufen unterschieden, um Rückschlüsse für ein optimiertes Krisenmanagement zu erleichtern. An dieser Stelle werden Ausschnitte der ersten beiden Szenarios in anonymisierter und vereinfachter Form skizziert. Sie sind auf einige zentrale Folgekaskaden beschränkt und fokussieren auf Strom und Trinkwasser.2

Folgen des Wintersturms

Infolge der eingangs beschriebenen Schäden ist die Stromversorgung im westlichen Umland und großen Teilen der Metropole ab 17:00 Uhr unterbrochen. Ohne Strom sind zudem Wasserwerke in der Region und der Metropole, Trinkwasserbehälter, Druckerhöhungsanlagen sowie zwei Heizwerke und Druckerhöhungsstationen im Fernwärmenetz. Die Wasserversorgung ist in mehreren Kommunen ausgefallen, auch in der Metropole ist der Wasserdruck in einigen Stadtteilen stark reduziert. Aufgrund glättebedingter Unfälle, Schneeverwehungen und ausgefallener Ampeln sind die Verkehrswege über die Region hinaus weitgehend blockiert, d. h. auch das Personal der Versorgungsunternehmen steht im Stau.

Feuerwehren waren bereits zum Zeitpunkt des Stromausfalls pausenlos im Einsatz. Die zur Unterstützung angeforderten Kräfte aus der Großstadt werden dort selbst benötigt. Nach 2-3 Stunden wird die Arbeit des Krisenmanagements und der Entstörungsdienste der Strom- und Wasserversorger zusätzlich erschwert, weil die Notstrombatterien der Mobilfunkantennen erschöpft sind und nur noch über Digitalfunk, Satellitentelefone und eigene Telekommunikationsnetze kommuniziert werden kann. Polizei, Feuerwehrwachen, die regionalen Krisenstäbe der Versorgungsunternehmen und die erst nach Stunden arbeitsfähigen kommunalen Krisenstäbe haben zwar Notstrom, aber großenteils weder Heizung noch Wasser (oder zumindest keine funktionsfähigen, weil stromabhängigen Sanitärarmaturen).

Der Stromausfall würde in diesem Worst Case 72 Stunden und in Teilgebieten noch länger andauern. Die Wiederversorgung hängt von aufwendigen Reparaturen mit Spezialgerät ab. Bereits nach vier Stunden käme es mangels Treibstoffnachschubs zu ersten Ausfällen von Notstromaggregaten und die schnelle Nachbetankung der Einsatzfahrzeuge wäre nur an einer notstromversorgten Tankstelle möglich. Auch Viehzüchter benötigten dringend Notstromaggregate und Treibstoff. Teile eines Krankenhauses müssten zur Aufrechterhaltung hygienischer Standards evakuiert werden. Es gäbe nicht nur im Verkehr Todesfälle. Auch in Beatmungs-WGs, Dialysestationen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist das Leben von Patienten bedroht, deren lebenserhaltende Geräte nicht ausreichend mit Notstromkapazitäten versorgt sind.

Im Best Case waren Schaltanlagen des Stromnetzbetreibers bereits vor Durchzug der Sturmfront vorsorglich mit Personal besetzt worden, verfügt das Wasserwerk über ein automatisch startendes Notstromaggregat, sind auch Heizung und kontaktlose Sanitärarmaturen des Krisenmanagements mit Notstrom ausgestattet, wurde die Treibstoffversorgung vorab ausreichend geplant, sind die Adressen von Beatmungs-WGs und anderen sensiblen Einrichtungen bekannt, sodass ihre Hilfebedarfe präventiv abgefragt werden konnten, haben Dialyse- und Pflegeeinrichtungen sowie Krankenhäuser ihre Notstromkapazitäten für ihre Gerätschaften ausreichend gewartet sowie dimensioniert und werden die Krankenhäuser frühzeitig prioritär wieder mit Strom versorgt.

Auswirkungen eines Erdbebens mittlerer Stärke auf eine Metropole

Für das zweite Szenario wird eine andere Darstellungsform gewählt: Die möglichen Auswirkungen eines Erdbebens auf ­KRITIS und ausgewählte intersektorale Kaskadenwirkungen zwischen der Strom- und Wasserversorgung werden tabellarisch skizziert.

Das Erdbeben mit der Intensität VI bis VII (nach Europäischer Makroseismischer Skala - EMS-98) ereignet sich in der Nähe einer europäischen Großstadt gegen 09:00 Uhr morgens an einem Wochentag Mitte März mit entsprechenden wahrnehmbaren Schäden wie z. B. Rissen in Gebäuden oder herabgefallenen Bauelementen. Nach einem strengen Winter taut der bis in die Tiefe gefrorene Boden auf, sodass Wasserleitungen verstärkt unter Spannung stehen und durch die Erschütterungen umso leichter brechen. Auch einige Gas- und Stromleitungen erleiden Schäden. An zahlreichen Transformatoren reagieren die Buchholz-Relais auf die Erschütterungen und lösen aus oder melden Fehler. Zudem rutschen einige nicht erdbebengesicherte Transformatoren von ihren Sockeln oder ihr Fundament wird durch die Erschütterungen beschädigt. Betroffen sind Umspannanlagen auf der Mittel- wie auch Hochspannungsebene.

In der ursprünglichen Ausarbeitung geht das Szenario zeitlich noch weiter (bis zu 72 Stunden). Abschließend soll der Fokus aber noch einmal auf die Folgen solch kaskadenartiger Krisenverläufe für die Bevölkerung gerichtet werden.

Folgen für die Bevölkerung

In den ersten zwei Stunden nach Beginn der jeweiligen Stromausfälle werden neben den unmittelbaren Schäden und Verkehrs­einschränkungen immer mehr Folgen in den Haushalten und bei den Versorgungsinfrastrukturen spürbar: Ohne Strom können die meisten Bewohner nicht kochen, Heizungen und die Druck­erhöhungsstationen für Trinkwasser (in Hochhäusern) sind ausgefallen. Internet- und Telefonrouter, Fernseher und Radios sind „tot“. Der Mobilfunk ist aufgrund des sukzessiven Ausfalls von Antennen und der zahlreichen Zugriffe kaum noch nutzbar. Notrufe können unter diesen Bedingungen und der Nachfrageflut besorgter Bürger kaum noch bei den Leitstellen abgesetzt werden. Rettungskräfte sowie Hilfs- und Pflegedienste treffen wegen der schwierigen Verkehrsverhältnisse nicht oder mit großer Verspätung bei den Hilfebedürftigen ein.

Am Abend nach dem Stromausfall werden die Dunkelheit und Kälte zunehmend bedrückend. Verunsichert sind vor allem Bewohner, die zusätzlich von der Wasserversorgung abgeschnitten sind. Die hygienischen Verhältnisse in diesen Wohnungen werden immer schlechter. Gerüchte machen die Runde und nur Personen mit batteriebetriebenem oder Autoradio sind gut informiert. Nach etwa 24 Stunden werden für Teile der Bevölkerung bereits Essens- und Getränkevorräte knapp, insofern Läden und/oder Banken in ihrem Umfeld geschlossen sind. Die wenigen stromversorgten und geöffneten Supermärkte, Tankstellen, Apotheken und Bank­automaten werden leergekauft.

Essensdienste können nur eingeschränkt (ggf. mit Gasherden) ihre Kunden weiterversorgen. Durch den großflächigen Stromausfall ist auch die Versorgung mit Medikamenten betroffen, eine Aus- und Einlagerung von Waren zur Aufrechterhaltung von Lieferketten ist kaum mehr möglich. Patienten aus betroffenen Hilfs- und Pflegeeinrichtungen müssen in nicht betroffene Einrichtungen verlegt oder wegen gesundheitlicher Probleme in die zum Teil notversorgten Krankenhäuser eingewiesen werden. Einige Bewohner können in provisorischen Notunterkünften Hilfe erhalten und werden dort mit Getränken, Nahrung, Wärme, Schlafmöglichkeiten, sanitären Anlagen und der Möglichkeit zum Laden elektronischer Geräte versorgt.

Interdependenzanalyse zur Bewertung kritischer Knotenpunkte

Die hier dargestellten Zusammenhänge sind weitgehend übertragbar. Doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Daher schließt sich für die Lesenden vielleicht die Frage an, in welchem Maße diese verallgemeinerten Folgekaskaden in der eigenen Stadt oder Region zum Tragen kommen könnten und vor allem wie dem Worst Case vorgebeugt werden kann. Dies hängt ganz wesentlich von den spezifischen lokalen Abhängigkeitsbeziehungen und kritischen Knotenpunkten zwischen den Infrastruktursektoren ab. Um diese problemfokussiert und lösungsorientiert zu erfassen, ist eine gemeinsame Analyse und Bewertung der gesamtsystemischen Zusammenhänge unter Beteiligung der wichtigsten Versorgungsunternehmen und Behörden ratsam. Der Leitfaden „Analyse von Interdependenzen zwischen KRITIS“ zeigt auf, wie das strukturiert erfolgen kann.


1 KIRMin wurde von 2016 bis 2019 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms „Forschung für die Zivile Sicherheit“ gefördert. Siehe https://kirmin.web.th-koeln.de 

2 Im Forschungsprojekt KIRMin wurden zudem auch die Folgen für Abwasserreinigung, Wärme, Bevölkerungsschutz und weitere KRITIS-Bereiche erfasst.


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