Langanhaltender Stromausfall

die trügerische ­Sicherheit von Notstrom-/Ersatzanlagen?

Dr. Hans-Walter Borries

Firmitas

Aktuell warnen auf Fachtagungen in Deutschland und den Alpenländern Vertreter von Stromversorgungsunternehmen und Krisenmanager vor der Möglichkeit eines langanhaltenden Stromausfalles und es werden die Auswirkungen auf die Kritischen Infrastrukturen (oftmals auch als KRITIS bezeichnet) skizziert. Es setzt sich dabei zunehmend die Erkenntnis durch, dass auch die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS, z. B. Feuerwehren, THW, DRK etc.), Krisen-/Verwaltungs-/Katastrophenschutzstäbe, aber auch Polizei und die Bundeswehr selber zu einer Kritischen Infrastruktur werden und in ihrer Leistungsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigt werden.

Damit kann innerhalb des Bevölkerungsschutzes der sogenannte „Blackout“, ein langanhaltender totaler Stromausfall von mehreren Tagen, als die größte Herausforderung für die o. g. Organisationen bewertet werden. Es stellt sich im Rahmen einer allgemeinen Lagebeurteilung die Frage, wie die o. g. Organisationen auf einen Stromausfall vorbereitet und welche Vorsorgemaßnahmen im Rahmen eines Krisenmanagement einer Prävention getroffen worden sind oder noch beachtet werden müssen. 

Besondere Beachtung findet die Tatsache, dass zukünftig die Übertragungsnetzbereichsbetreiber mit dem Übertragungsnetz bzw. Höchstspannungsnetz (380/400 KV) den Regionalnetzen und Stadtwerken als Verteilnetzbetreiber mit deren Mittel- und Niederspannungsnetz (20 KV bis 230 V) mitteilen können, dass ein „unverzögerter Lastabwurf“ in Stromkrisenlagen innerhalb von wenigen Minuten (evtl. noch bis zu 30 Minuten bzw. zwei Stunden) zu erwarten ist. Damit steigt der Termindruck, in den wenigen verbleibenden Minuten zu handeln und die ersten richtigen Maßnahmen zu treffen.

Netzeingriffe zwecks Ausfallschutz

Allein in Niedersachsen musste im ersten Halbjahr 2013 der Übertragungsnetzbetreiber Tennet an 177 von 181 Tagen in das Netz eingreifen, um es vor Ausfällen und Überlastungen zu schützen. Insgesamt gab es 502 Eingriffe, unter anderem wurden Kraftwerke heruntergefahren und Windräder gestoppt. Im Jahre 2014 mussten zwei größere Industrieunternehmen (Aluminiumhütten) als stromintensive Abnehmer kurzfristig vom Netz genommen werden, um das gesamte Netz zu stabilisieren. 

Im diesjährigen „Hitzesommer“ 2015 meldete Mitte August die Deutsche Presseagentur, dass die Deutschen Stromnetze am Rande ihrer Kapazität arbeiten würden. Experten rechneten mit Kosten von einer halben Mrd. Euro für Notmaßnahmen, um Stromausfälle zu verhindern und notwendige massive Eingriffe zu tätigen. 

Oftmals wird das Risiko eines großflächigen Ausfalls der Energieversorgung entweder relativiert oder aber verdrängt. Bislang gibt es kaum schlüssige Konzepte zur Bewältigung einer solchen Krise. Da ein solcher „Super-Gau“ in Deutschland noch nicht flächendeckend und langanhaltend eingetreten ist, fehlt ein erlebtes Erfahrungswissen. 

Man versucht sich zuerst in Überlegungen und Lösungen, den fehlenden Strom in den Netzen durch Notstromersatzaggregate zu ersetzen. Dabei wirkt die Konzentration auf den Notstrom auf den ersten Blick wie eine logische Reaktion. Doch stellt man bei genauerem Hinsehen fest, dass man sich damit scheinbar in eine trügerische Sicherheit begibt. 

Naturkatastrophen als Auslöser

Ein anschauliches Beispiel für das Handeln in Krisenlagen zeigt der Fall einer Naturkatastrophe im Jahre 2014 in Teilen Sloweniens. Ein extremer Eis-/Schneeregen ließ die Stromversorgung in der Region Notranjska ausfallen. Studien von Vertretern des österreichischen Bundesheeres zeigen sehr genau auf, welche Auswirkungen ein Ausfall der Stromversorgung mit sich bringt und welchen internationalen logistischen Aufwand man (für eine kleine Teilregion) betreiben musste. Über die Europäische Union und deren Zivilschutzeinrichtungen ließen sich über 170 Notstromaggregate in die Krisenregion heranführen, die dann mit Unterstützung der Stromversorgungsunternehmen an die Trafostationen angebunden werden konnten. 

Beim Eintreffen eines solchen Ereignisses darf man sich nicht darauf verlassen, dass genügend Notstromaggregate und vor allem auch ausreichend Betriebsstoffe zur Verfügung stehen. Noch fataler wäre es, darauf zu vertrauen, dass der Staat und/oder alle BOS über genügend Aggregate und Betriebsstoffe verfügen, um damit die gesamte Bundesrepublik im Bedarfsfall versorgen zu können. 

Leider ist bis heute keine Bestandsanalyse durchgeführt worden, die den tatsächlichen Bestand an Notstromersatzaggregaten (NEA) und benötigte Betriebsstoffmengen als Teil eines „Logistischen Krisenmanagementkonzeptes“ auflistet. Immerhin kamen beim Schneechaos im Münsterland (2005) vor zehn Jahren und den damit verbundenen Stromausfällen rund 80% aller in Deutschland verfügbaren Aggregate des THW zum Einsatz. Dabei waren dort „nur“ drei Kreisgebiete mit rund 100.000 Haushalten betroffen. 

Blackout in Deutschland

Wie sähe die Lage aus, wenn eine ganze Region von Deutschland oder mehrere Bundesländer von so einem „Blackout“ betroffen wären? Welche Strommengen müssten über Notstromaggregate geleistet werden und wie hoch wäre die Abnahmerate bei den Verbrauchern, insbesondere beim stufenweisen Hochfahren der Netze? Wie sähe die sogenannte „Abnahmegier“, d. h. die evtl. kurzfristig überhöhte Stromnachfrage der Verbraucher bei Ankündigung der Widerherstellung der Stromversorgung, aus? 

Bis heute existieren keine Erkenntnisse, wie viele NEA als Geräte mit welcher Größe und Leistung überhaupt in einem solchen Schadensfall benötigt würden. Untersuchungen einzelner Gefahrenabwehrpläne von Gebietskörperschaften zeigen, dass selbst der Strombedarf für wichtige Stadt-/Ortsteile mit Wohn- und Arbeitsstätten sowie Einrichtungen, wie Krankenhäuser und Altenpflegeheime den Ordnungsbehörden, i. d. R. nicht hinreichend bekannt sind. Erste Abstimmungsgespräche mit den Energieversorgern auf Stadtwerkeebene laufen derzeit in Pilotprojekten an, bedürfen aber noch einer flächenhaften Ausdehnung auf das benachbarte Umland mit weiteren Gebietskörperschaften. 

Treibstoffversorgung

Ähnlich dürfte die Lage bei den Betriebsstoffen aussehen. Eine konkrete Abschätzung der benötigten und zur Verfügung stehenden Treibstoffmengen (Diesel, Benzin, Gas), die vor einer solchen Krise notwendig wären, fehlt bislang und bedarf einer raschen Umsetzung als Teil eines nachhaltigen Sicherheitskonzepts. Dabei stellt sich die Frage, wie diese wichtigen Güter in einer solchen Lage sicher abzurufen wären.

Denken wir dabei nur an die Tankstellen in Deutschland, die allesamt auf eine Stromversorgung angewiesen sind, um den Treibstoff zu fördern. In Deutschland existieren von den ca. 10.000 Tankstellen gerade einmal 15 mit einer Notstromversorgung. Moderne Tankstellen verfügen zwar häufig über die Vorrichtung für den Anschluss eines Aggregats, doch müssen auch hier erst entsprechende Geräte beschafft werden. 

Nicht nur die Bevorratung in einigen zentralen oder in vielen dezentralen Tanklagern wäre zu lösen, auch die Logistik und Versorgungskette, mit der man die Betriebsstoffe zu den einzelnen Verbrauchern transportieren müsste, wäre in der Realität nur mit hohem Aufwand und hohen Kosten umzusetzen. Dies würde ein Konzept von ausreichenden Fahrzeugen hinterfragen, die allesamt selber wieder mit Treibstoffen versorgt werden müssten. Allein eine Berufsfeuerwehr einer größeren deutschen Stadt kann dabei auf Verbrauchsmengen von ca. 10.000 Liter Treibstoff am Tag für die Fahrzeuge kommen. 

Addiert man hierzu den täglichen Verbrauch an Treibstoff für Notstromaggregate, die dann durchweg unter Volllast laufen würden, so käme eine größere Feuerwehr leicht auf zusätzliche 10.000 bis 20.000 Liter Treibstoffbedarf am Tag. Treibstoffmengen, die zum Schutz vor dem ungewollten Zugriff durch Dritte jederzeit sicher zu lagern und auch zu sichern wären.

Um eine funktionierende Notstromversorgung aufzubauen, ist es daher zwingend erforderlich, schon lange vor der Lage ein entsprechendes schlüssiges Konzept zu erarbeiten, um für die Krisenlage gewappnet zu sein. Vorhandene Notstromkonzepte bedürfen einer konsequenten Überprüfung und Umsetzung in der Praxis, Aggregate einer regelmäßigen Überprüfung und Wartung, um die Einsatzbereitschaft im Notfall zu gewährleisten. 

Solange davon auszugehen ist, dass schlüssige Konzepte für die Resilienz während eines Blackouts in Deutschland nicht über den Status von Pilotuntersuchungen und Forschungswerken hinausgehend vorliegen, wäre es für alle Krisen- und Verwaltungsstäbe von Gebietskörperschaften absolut notwendig, bereits im Vorfeld sinnvolle Strategien zu erarbeiten, die helfen, eine solche Krise abzufedern.

Medizinische Versorgung

Von den Bedrohungen und Gefahren, die ein solches Ereignis für die Sicherheit der Gesellschaft mit sich bringen dürfte, muss hier ausdrücklich auch auf die Gefahren für den medizinischen und vor allem für den Pflegebereich hingewiesen werden. Zwar verfügen aufgrund von gesetzlichen Vorgaben Krankenhäuser über eine entsprechende Ausstattung mit Notstromversorgungsaggregaten, die einen Grundlastbetrieb ausgewählter Bereiche von bis zu zwei Tagen gewährleisten sollen. Doch schwerer dürfte die Tatsache wiegen, dass für Alten- und Pflegeheimen, Dialyse- sowie Beatmungspatienten und Apotheken keine solchen gesetzlichen Mindestvorgaben (Notstromaggregate, Treibstoffmengen, Anschlüsse für externe Stromversorger) vorgeschrieben sind.

Es ist daher zu fordern, so rasch wie möglich von allen mit Sicherheitsfragen beschäftigten Stellen ein länderübergreifendes, schlüssiges Gesamtkonzept zur Bewältigung der neuen Gefahrenlage eines Blackouts und dessen Auswirkungen auf die KRITIS-Einrichtungen zu erarbeiten. Krisen-/Verwaltungs- oder Katastrophenschutzstäbe von Behörden und Unternehmen sollten sich hierzu untereinander abstimmen und einen offenen Dialog führen. 

Mitglieder von Krisen-/Verwaltungsstäben sowie von Einsatzleitungen sollten sich in Ausbildungen und Übungen mit realistischen Lagemeldungen der Thematik „langanhaltender Stromausfall als möglicher Blackout und seine Auswirkungen auf die Kritische Infrastruktur“ beschäftigen. Lieber heute als morgen das Szenario angehen, denn übermorgen könnte es bereits zu spät sein. 

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