02.07.2021 •

Projekt SafeCI: Europäische Handlungsempfehlungen zum Schutz öffentlicher Räume gegen terroristische Anschläge

Europas öffentliche Plätze sind immer wieder Ziel von Terroranschlägen unterschiedlichster Art – denn sie sind ungeschützt und frei zugänglich. Wie können wir öffentliche Räume in Europa besser schützen – ohne dabei das Grundrecht auf Freiheit zu sehr einzuschränken? Welche innovativen Lösungsansätze, Konzepte oder Strategien existieren über die Grenzen hinaus?

Um hier ganzheitliche Antworten zu finden, hat die Polizei Berlin das Projekt „Safer Space for Safer Cities (SafeCi)“ zum Schutz öffentlicher Räume konzipiert, das mit Hilfe des Fonds für Innere Sicherheit (ISF-P) der Europäischen Kommission kofinanziert wurde.

Projekt SafeCI: Europäische Handlungsempfehlungen zum Schutz  öffentlicher...

In der zweieinhalbjährigen Projektlaufzeit fand ein intensiver Informations- und Erfahrungsaustausch mit zehn europäischen Polizeibehörden, Fachexpertinnen und Fachexperten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern statt, um den Schutz öffentlicher Räume zu verbessern. Dafür wurden bestehende Konzepte, Strategien und technische Lösungen analysiert und bewertet. Die grundlegenden Erkenntnisse aus dem Projekt sind:

  • Der Schutz öffentlicher Räume ist ein hochkomplexes Thema. Es gibt nicht die eine Lösung, die auf alle Örtlichkeiten übertragbar wäre. Dafür sind die örtlichen Rahmenbedingungen und Nutzungsszenarien zu verschieden. 
  • Strukturiertes Vorgehen ist essenziell. Dazu gehört eine vorangehende Risiko- und Gefährdungsbewertung. Sinnvoll ist es auch, mehrere Maßnahmen Ansätze im Rahmen des Konzepts zu kombinieren.
  • Sicherheitsaspekte sind bei der Gestaltung öffentlicher Räume von Anfang an zu bedenken. Sicherheitsbehörden können frühzeitig beratend eingebunden werden. 
  • Erfahrungen aus aktuellen Terroranschlägen sollten in bestehende Konzepte einfließen. Jeder vollendete Terroranschlag trifft letztendlich die gesamte in Freiheit lebende Gesellschaft Europas.
  • Innovative Ansätze sollten geprüft und angewendet werden. Der technische Fortschritt eröffnet stets neue Möglichkeiten, den Schutz öffentlicher Räume zu erhöhen.
  • Der Schutz öffentlicher Räume muss als dynamisches, sich veränderndes Themenfeld begriffen werden. Sicherheitsbehörden sollten sich dem fortlaufend anpassen. 
  • Ein Abwägungsprozess zwischen Freiheit und Sicherheit sollte die Implementierung von Sicherheitsmaßnahmen begleiten. Es gilt, die Resilienz öffentlicher Räume zu verbessern, ohne dass diese ihren lebensoffenen Charakter einbüßen
  • Durch die Einbindung und Sensibilisierung der Bevölkerung lässt sich der Schutz öffentlicher Räume steigern. Auch die Akzeptanz gegenüber polizeilichen Maßnahmen kann erhöht werden. 
  • Der internationale Austausch erleichtert es, mit aktuellen Entwicklungen Schritt zu halten. Europaweit gibt es eine Vielzahl von guten und innovativen polizeilichen Konzepten zum Schutz öffentlicher Räume. 
  • Nur durch den Ausbau internationaler Kooperationen in Europa kann dem modernen Terrorismus als transnationaler Bedrohung begegnet werden. Projekte wie Safer Space for Safer Cities leisten somit einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit Europas

Schutz Kritischer Infrastrukturen

Ein Schwerpunkt innerhalb des SafeCi-Projektes ist unter anderem der Schutz Kritischer Infrastrukturen. Das österreichische Programm zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (Austrian Program for Critical Infrastructure Protection, kurz APCIP) stellt hierbei ein gelungenes Praxisbeispiel dar. Gerade die Kategorisierung und die damit verbundene Priorisierung der Kritischen Infrastrukturen hat die Partnerländer des SafeCi-Projektes beeindruckt. Das Besondere ist, dass die Landespolizeidirektion Wien innerhalb ihrer örtlichen Zuständigkeit mittels einer umfassend vernetzten Fachdienststelle sehr eng und erfolgreich mit Betreibern Kritischer Infrastrukturen kooperiert. 

Durch diese etablierten Kommunikationswege erhält sie unter anderem Zugriff auf wichtige Daten, die wiederum im Krisenfall den an einem Einsatz beteiligten Sicherheitsbehörden unverzüglich über die Einsatzleitzentrale zur Verfügung gestellt werden können. Diese Kommunikationsstrukturen wurden im Rahmen der Projektarbeit als ein wesentlicher erfolgskritischer Faktor identifiziert und bilden das Fundament für das Bewältigen entsprechender Einsatzlagen

Gesichter auch noch nach Jahren erkennen

Ein weiterer Schwerpunkt innerhalb des Projektes ist es, innovative Ansätze zum Schutz des öffentlichen Raumes zu finden. Es ist unabdingbar, dass sich europäische Sicherheitsbehörden intensiv sowohl mit den Potenzialen und Risiken der Drohnentechnologie und Videoüberwachung als auch mit der Gesichtserkennung auseinandersetzen. Bei der Gesichtsidentifizierung setzen einige europäische Polizeibehörden zunehmend auf Super-Recognizer. Super-Recognizer sind Personen, die weit überdurchschnittlich gut Gesichter verarbeiten, sich einprägen und (wieder )erkennen – und das auch noch nach Jahren, bei nur einer flüchtigen Begegnung und bei altersbedingten Veränderungen. Diese angeborene Fähigkeit macht sie besonders interessant für die Polizei. Personen mit solchen Fähigkeiten könnten helfen, Straftaten und besondere Krisenlagen wie terroristische Anschlagsfälle besser aufzuklären oder sogar zu verhindern und so im Ernstfall Menschenleben zu retten. Super-Recognizer haben teils unterschiedliche Ausprägungen und kommen zum Einsatz, wenn die Gesichtserkennungssoftware an ihre Grenzen stößt, gerade bei schlechter Bildqualität oder einer ungünstigen Perspektive. Auch eine sinnvolle Verknüpfung technischer und menschlicher Vorteile ist in Bezug auf den Einsatz von Super-Recognizern in der Zukunft denkbar. 

Um die Ausnahmetalente zu identifizieren, hat die Polizei Berlin gemeinsam mit einer Wissenschaftlerin aus der Schweiz ein Testverfahren (beSure) entwickelt, das speziell auf den Bedarf und die konkreten Interessen der Polizei zugeschnitten ist. Seit Herbst 2020 wird das neue Verfahren getestet. Dabei können alle 18.000 Berliner Polizeikräfte freiwillig teilnehmen und hinsichtlich ihrer Gesichtsverarbeitungsfähigkeiten in verschiedenen polizeilichen Einsatzszenarien geprüft werden. Sobald BeSuRe validiert ist, soll es auch anderen Polizeibehörden zur Verfügung gestellt werden. Neues Nachschlagewerk für Sicherheitsbehörden Die SafeCi-Projektpartner haben die Ergebnisse in einem 400-seitigen Handbuch mit dem Titel „Europäische Handlungsempfehlungen zum Schutz öffentlicher Räume vor terroristischen Anschlägen“ gebündelt und strukturiert festgehalten.

Das Handbuch ist ein ausführliches Nachschlagewerk zu sechs Themenschwerpunkten mit 25 Praxisbeispielen und steht allen europäischen Sicherheitsbehörden ab Juni 2021 zur Verfügung. Die Kernthemen des Handbuches sind: Risiko- und Gefährdungsbewertung für öffentliche Räume, bauliche Sicherung öffentlicher Räume gegen terroristische Anschläge, Veranstaltungsschutz im öffentlichen Raum, der Schutz Kritischer Infrastrukturen, innovative Ansätze zum Schutz öffentlicher Räume sowie Sensibilisierungsstrategien zum Schutz öffentlicher Räume

Weitere Informationen zum Projekt SafeCi sowie eine Kurzfassung des Handbuchs (in deutscher Sprache) finden Sie auf der SafeCi-Informationsseite der Polizei Berlin


 

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