Steile, schmale Niedergänge, sich schnell erhitzende Stahlwände, lange Angriffswege – ein Brand an Bord eines Schiffes ist für die landseitige Feuerwehr eine besondere Herausforderung und birgt viele Risiken. So muss sich der Angriffstrupp bei einem Feuer im Maschinenraum gegen die Rauchentwicklung durch mehrere Decks ins Schiffsinnere vorkämpfen. Eine schwierige Situation auch für die Führungskräfte: Per Funk können nur ungefähre Informationen zu Position und situativen Bedingungen vor Ort vom Trupp an die Führungskräfte gegeben werden – vorausgesetzt, die Funkverbindung funktioniert.
Das Verbundprojekt „EFAS“ wurde im Themenfeld „Zivile Sicherheit – Innovative Rettungs- und Sicherheitssysteme“ im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit 2012-2017“ der Bundesregierung durchgeführt (s. www.sifo.de). Ziel war es, die Sicherheit, Effizienz und Effektivität von Feuerwehrkräften durch technologische Neuentwicklungen im Bereich der Gefahrenbekämpfung an Bord von in Häfen liegenden Seeschiffen zu erhöhen. Damit einhergehend stand auch ein verbesserter Schutz für die unmittelbare Umgebung: Menschen, benachbarte Schiffe und Infrastrukturen an Land.
Forschungsverbundpartner waren neben dem Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE das Institut für Sicherheitstechnik und Schiffssicherheit e.V., die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf, der Software-Hersteller MARSIG mbH, der Sicherheitstechnik-Anbieter ATS Elektronik GmbH und der Schutzbekleidungshersteller S-GARD Hubert Schmitz GmbH. Begleitet wurde das Projekt von der Feuerwehr Wilhelmshaven, die notwendiges Hintergrundwissen vermittelte, Anforderungen formulierte und die Demonstratoren ausgiebig bewertete.
Im Projekt wurde ein Gesamtkonzept (s. Abbildung 1) mit Einzelsystemen entwickelt, die im Folgenden kurz beschrieben sind. Das Gesamtsystem wurde im Rahmen einer großen Abschluss-Evaluation auf dem Traditionsschiff »Dresden« in Rostock getestet. Standortbedingt stellte sich hier die Berufsfeuerwehr Rostock für den Test in einem realen Einsatzszenario zur Verfügung.
Schutzkleidung mit Sensorik zur Temperatur- und Gefahrstoffmessung
Im Projekt wurden Sensoren in Schutzanzüge integriert zur Messung der Körperoberflächentemperatur, Umgebungstemperatur sowie der Temperatur von nächstgelegenen Objekten. Ebenso wurde eine Integration von Gassensorik im Projekt konzipiert. Die Datenübertragung wurde mittels eines Mobiltelefons realisiert, das hitzegeschützt im Anzug mitgeführt wurde. Tests stellten sicher, dass die Schutzanzüge die vorgegebenen Anforderungen der entsprechenden Standards einhalten (u. a. Hitzebeständigkeit, Waschbarkeit). Weitere Verbesserungen wurden in den Schutzanzügen integriert. Beispielsweise wurden sie auf Wunsch der Feuerwehr Wilhelmshaven als Overall konzipiert, um in den engen Niedergängen der Schiffe eine bessere Beweglichkeit zu ermöglichen im Vergleich zur herkömmlichen Jacke-Hose-Kombination. In der Abschlussevaluation wurden die Schutzanzüge als sehr gut bewertet. Komfort sowie die Möglichkeit der Temperaturmessung ohne zusätzlich mitzuführendes Messgerät überzeugten.
GPS-unabhängige Ortung von Einsatzkräften
In Einsätzen an Bord findet die Einweisung zum Angriffsweg mithilfe des an Bord befindlichen „Fire and Safety Plan“ in Papierform statt. Lange Angriffswege bedeuten dabei, dass zahlreiche Wegepunkte erinnert werden müssen – und das in einer unbekannten Umgebung unter widrigen Umständen. Eine Rückversicherung ist dabei auf den Funkverkehr beschränkt, da im Schiffsinneren kein GPS zur Verfügung steht. Um hier Abhilfe zu schaffen und die Konformität der Bewegungen zum Angriffsweg nachvollziehen und sicherstellen zu können, wurden gyroskopische und Beschleunigungssensoren eingesetzt. Diese werden am Schuh befestigt – später als Produkt sollen diese in die Sohle integriert werden. Beim Gehen messen die Beschleunigungssensoren die Distanz jedes einzelnen Schrittes, die gyroskopischen Sensoren die Richtung in den drei Dimensionen, sodass auch Deckwechsel erfasst werden. Zu Beginn ist eine Initialisierung der Sensoren notwendig, bei welcher die Ausrichtung der Einsatzkraft bestimmt und der Ausgangspunkt mit dem digitalen Schiffsplan des Lagedarstellungssystems synchronisiert wird. Davon ausgehend kann das System die jeweils aktuelle Position der Einsatzkräfte berechnen und auf dem digitalen Schiffsplan markieren. Ergebnis der Abschlussevaluation war ein Versatz von ca. 0,5 bis 2,0 m zwischen Start- und Endposition bei einer Strecke von ca. 50 Metern.
Datenverbindung aus dem Schiff heraus
Als Ausgangssituation wurde im Projekt davon ausgegangen, dass es keine sichere Datenverbindung aus dem Schiff heraus gibt, die von den Einsatzkräften genutzt werden kann. Daher wurde die Kommunikation über eine eigens beschaffte LTE-Mobilfunkzelle realisiert, die im Einsatzleitwagen verbaut wurde. Auf diese Weise wurden die Sensordaten der Einsatzkräfte übermittelt, aber auch eine digitale Funkverbindung realisiert. Ausgehend vom Mobiltelefon an der Einsatzkraft werden die Daten an einen Server im Einsatzleitwagen übermittelt, der im Hafenbereich positioniert wird. Der Server übermittelt die Daten dann an ein Lagedarstellungssystem im Einsatzleitwagen, das der Führungsassistent bedient, sowie an die mobilen Lagedarstellungssysteme in Form von Tablets, die der Einsatzleitung und den Abschnittsleitern zur Verfügung stehen. Bei der Abschlussevaluation stellte sich heraus, dass die LTE-Mobilfunkzelle zwar eine für den Funk notwendige, aber nicht die für die Sensordatenverbindung ausreichende Bandbreite durchgehend und damit zuverlässig zur Verfügung stellen kann. Die Beschaffung einer verbesserten LTE-Funkzelle konnte im Rahmen des Forschungsprojekts leider nicht realisiert werden.
Verteiltes Lagedarstellungssystem zur Entscheidungsunterstützung für die Führungskräfte
Ein Lagedarstellungssystem soll alle für eine Situation relevanten Informationen so aufbereiten, dass der Benutzer ein möglichst gutes Situationsbewusstsein erhält. Das heißt, dass situative Gegebenheiten und Änderungen schnell erfasst, verstanden und ihre Auswirkungen auf die Zukunft vorhergesagt werden können. Ein verbessertes Situationsbewusstsein bedeutet auch, dass der Prozess der Entscheidungsfindung unterstützt wird. Erreicht wird dies u. a. mit Methoden des Cognitive Systems Engineering, bei dem kognitive Prozesse der Entscheidungsfindung im Lagedarstellungssystem berücksichtigt werden. Dies ermöglicht eine intuitive, also ergonomische und somit gebrauchstaugliche Interaktion mit dem System. Auf diese Weise können kognitive Ressourcen für die eigentlichen Aufgaben eingesetzt werden und werden nicht durch die Handhabung mit dem System gebunden. Im vorliegenden Fall wurde als Basis der digitalisierte Schiffsplan als georeferenzierte Lagedarstellung gewählt, in dem sich die mit Sensorik ausgestatteten Einsatzkräfte bewegen.
Jeder Einsatzkraft ist ein Polardiagramm zugeordnet, über das visuell der Zustand verschiedener Parameter angezeigt wird (s. Abbildung 2): die Dauer des Einsatzes, das Auftreten von Gefahrstoffen, die Funktionstüchtigkeit der Ortungssensorik sowie die Innen-, Außen- und Objekttemperaturen. Liegen die Werte innerhalb eines zuvor definierten Normbereichs, so ist das kleine Segment des Parameterabschnitts grün gefüllt. Wenn alle Werte im Normbereich sind, ergibt sich somit ein kleiner, geschlossener grüner Kreis. Fehlen aktuelle Werte zu einem Parameter oder wird gar ein Wert überschritten, wird zusätzlich das äußere Segment farblich gefüllt – bei einem fehlenden Wert in Grau, bei einer Grenzwertüberschreitung in Rot. In diesem Fall wird die Symmetrie des Kreises gebrochen, wodurch der Benutzer auf die Einsatzkraft aufmerksam gemacht wird. Bei der Abschlussevaluation konnten Einsatz- und Abschnittsleiter das Lagedarstellungssystem nach kurzer Einweisung nutzen und bewerteten es als intuitiv, effizient und ansprechend.
Mobiles LED-Informationssystem für die eingesetzten Trupps
Der Angriffstrupp soll während des Einsatzes bspw. durch konkrete Temperaturwerte nicht verunsichert werden, aber dennoch relevante Echtzeitinformationen erhalten – vor allem, wenn der Funkkontakt gestört oder gar unterbrochen ist. Hierzu wurde ein LED-Anzeigesystem entwickelt. Die Anzeige ist oberhalb des Handschuhs am Unterarm fixiert und somit wie eine Armbanduhr ablesbar. Das LED-System umfasst sechs LEDs (s. Anordnung in Abbildung 3a). Die fünf äußeren LEDs beziehen sich auf die Positionen der Objekttemperatur-Sensoren in der Schutzkleidung (Abbildung 3, links) und zeigen die höchste aktuelle Temperatur durch rotes Leuchten an (Abbildung 3b, rote LED). Die mittlere, größere LED wird zur Anzeige der Angriffsweg-Konformität benötigt. Diese leuchtet grün, wenn sich die Einsatzkraft auf dem Angriffsweg befindet (Abbildung 3b, grüne LED), und rot, wenn sie von diesem abweicht. Änderungen der Anzeige werden durch ein akustisches Signal mitgeteilt. Im Falle einer Rückzugsaufforderung, die von einer Führungskraft an das LED-System gesendet werden kann, blinken alle LEDs rot (Abbildung 3c) und ein sich wiederholendes akustisches Signal wird gegeben.
Fazit
Im Forschungsprojekt entstanden Demonstratoren, die zukünftige Unterstützungsmöglichkeiten für die Gefahrenbekämpfung von Feuerwehren aufzeigen. Ziel ist es, vielversprechende Systemkomponenten weiterzuentwickeln und im Echtbetrieb einzusetzen. Eine Übertragbarkeit der Anwendung der Systeme über die Schifffahrt hinaus an Land, bspw. in Industrieanlagen oder öffentlichen Gebäuden, oder auch bei anderen BOS ist dabei zu prüfen. Die Demonstratoren wurden als Gesamtsystem im Rahmen einer großen Abschluss-Evaluation in einem realen Einsatzszenario getestet. Ein Informationsvideo zu dieser Evaluation mit der Darstellung der angewandten Technologien findet sich unter https://www.youtube.com/watch?v=J4lsULCIjrg .
Alle Bilder: Autor
Copyright Bild 3, links: S-GARD Schutzkleidung Hubert Schmitz GmbH
Crisis Prevention 2/2020
Dr. Daniel Feiser
Stellv. Leiter Forschungsgruppe Organisationsergonomie
Abteilung Mensch-Maschine-Systeme
Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKI
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