Rettung von Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen

Herausforderungen durch Demographie und Inklusion

Dipl.-Ing. Nils Witte

© Bildagentur PantherMedia / Artinun Prekmoung

Leben und körperliche Unversehrtheit sind in Deutschland als Grundrecht geschützt. Ebenso sind alle Menschen gleich zu behandeln, niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Dennoch ist erst in der jüngeren Vergangenheit die Inklusion von Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen, also die vollumfängliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, in den politischen Fokus gerückt. In der Folge wurde die Barrierefreiheit im Bauordnungsrecht mit konkreten Forderungen gestärkt. Diese Teilhabe muss jedoch auch hinsichtlich der Sicherheit dieser Menschen zu Ende gedacht werden. 

Insbesondere Menschen mit motorischen Einschränkungen sind nur bedingt oder überhaupt nicht zur Selbstrettung fähig. In den bauordnungsrechtlichen Vorgaben zu Versammlungs-, Beherbergungs- und Verkaufsstätten werden daher Rettungskonzepte für eingeschränkte Menschen gefordert. Arbeitgeber haben im Rahmen der Führsorge insbesondere die Maßnahmen zur Rettung von Mitarbeitern mit Einschränkungen zu organisieren.

In der Praxis wird oftmals irrtümlich davon ausgegangen, dass die Feuerwehr die Aufgabe hätte, diese Rettungskonzepte zu entwickeln.

Die Feuerwehr kann im Brandfall jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Personen retten. Die Rettung von Menschen mit Einschränkungen stellt die Feuerwehr dabei vor besondere Herausforderungen. Nach dem Grundsatzpapier [1] der Fachkommission Bauaufsicht hat der Gebäudebetreiber daher neben der ausreichenden Ausbildung von Rettungswegen für eine rechtzeitige Räumung zu sorgen.

Notausgang mit Treppen
Rettungswege müssen ebenfalls für alle nutzbar sein.
Quelle: PantherMedia / Robert Byron

Die bauaufsichtlich eingeführte DIN 18040- 1 Barrierefreies Bauen konkretisiert dazu drei Anforderungen: 

  1. Zusätzliche Alarmierungsformen für Menschen mit sensorischen Einschränkungen.
  2. Bereitstellen sicherer Bereiche für den Zwischenaufenthalt für nicht zur Eigenrettung fähiger Personen.
  3. Betrieblich, organisatorische Maßnahmen zur Rettung dieser Personengruppe.

Die Alarmierung von Menschen mit sensorischen Einschränkungen soll bei Gefahr also zusätzlich zu den üblichen akustischen Signalgebern durch Anlagen mit visueller Wahrnehmbarkeit, wie Blitzleuchten, erfolgen. Darüber hinaus sollte in Gebäuden, in denen planmäßig geschlafen wird, wie Beherbergungsstätten, Alarmierungseinrichtungen mit Vibrationsalarm (unter dem Kopfkissen) in den geplanten Räumen angeordnet werden.

Für alle Menschen ist die Orientierung im Gebäude bei Gefahr besonders wichtig, um den Gefahrenbereich schnell und sicher verlassen zu können. Daher sind insbesondere für sehbehinderte Menschen besondere Orientierungshilfen, wie taktile Pläne und Leitsysteme vorzusehen.

Da die Nutzung ungeschützter "normaler" Aufzüge im Brandfall verboten ist, müssen für Menschen im Rollstuhl oder mit Gehhilfen, wie Rollatoren, sichere Bereiche geschaffen werden, die niveaugleich erreicht werden können. So wird den betroffenen Personen die Möglichkeit der Selbstrettung eröffnet. Diese Bereiche sind in der Regel angrenzende Brandabschnitte. Bei kleineren Gebäuden können es aber auch Schutzräume sein. 

Diese Schutzräume benötigen neben der brandschutztechnisch wirksamen Abtrennung einen besonderen Schutz vor Brandrauch.

Zudem sind technische Systeme, wie eine Sicherheitsbeleuchtung, eine Kommunikationsverbindung zu einer ständig besetzten Stelle und ggf. eine Videoüberwachung, erforderlich. Die Schutzräume müssen gekennzeichnet und in den Informationen für die Feuerwehr verzeichnet sein.

Für bettlägerige Personen sind besondere Konzepte erforderlich, da diese nur mit fremder Hilfe in Sicherheit gelangen können. Wenn die Betten selbst nicht fahrbar sind, sollten Evakuierungstücher untern den Matratzen vorgesehen werden. Mit diesen Tüchern können die betroffenen Personen auf ihren Matratzen gesichert und durch einen Helfer einschließlich der Matratze in einen sicheren Bereich gerettet werden.

Um den Rettungsmannschaften im Weiteren die vertikale Rettung durch Treppenräume zu ermöglichen, müssen die Treppenräume Laufbreiten von mind. 1,25 m und Podesttiefen von 1,50 m im lichten aufweisen. Nur dann ist es im Sinne der baurechtlich eingeführten DIN 18065 möglich, Personen auf Tragen durch die Treppenräume zu befördern. Jedoch ist die Rettung auf Tragen über Treppen zeitintensiv, fordert eine größere Helferanzahl und ist mit Verletzungsgefahren verbunden. 

Daher ist bei Gebäuden, in denen planmäßig mit mehreren Personen zu rechnen ist, die sich nicht selbst über Treppen in Sicherheit bringen können, anzustreben, dass diese in jedem Brandabschnitt über Aufzüge verfügen, die zur Aufnahme von Krankentragen geeignet sind. Wenn die Spannungsversorgung dieser Aufzüge so geplant wird, dass die Wahrscheinlichkeit einer Unterbrechung trotz Brand im angrenzenden Bereich sehr gering ist, können die Aufzüge mit Zustimmung der Feuerwehr auch im Brandfall weiter betrieben werden.

Um Rollstuhlfahrer und Nutzer von Gehilfen über Treppen in Sicherheit zu bringen, eignen sich Evakuierungsstühle, die horizontal auf Rädern und vertikal über Treppen auf gebremsten Gleitschienen bewegt werden können. Diese Rettungshilfen sollten in jedem Geschoss in dem mit potentiellen Nutzern zu rechnen ist, vorgehalten werden. Die Standorte sind mit Piktogrammen und in den Flucht- und Rettungsplänen zu kennzeichnen. Diese Lösung erfordert jedoch immer einen Evakuierungshelfer pro Stuhl und ist nur bei geringen und vorhersehbaren Nutzerzahlen geeignet.


[1] „Rettung von Personen“ und „wirksame Löscharbeiten“ – bauordnungsrechtliche Schutzziele mit Blick auf die Entrauchung, Ein Grundsatzpapier der Fachkommission Bauaufsicht, G. Famers, J. Messerer, 17.12.2008, https://www.is-argebau.de/Dokumente/42311831.pdf

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