Wo drückt heute beim Rettungsdienst der Schuh? Es ist sicher nicht so, dass es nur ernsthafte Problemlagen gibt bei diesem Rückgrat der Dienste zahlreicher Hilfsorganisationen – es sind auch erfreuliche Entwicklungen zu verzeichnen. Jedoch nehmen in den letzten Jahren manche Probleme zu. Warum sollte es bei den Hilfsorganisationen auch anders sein als in vielen anderen Bereichen der gegenwärtigen Gesellschaft? Wir sprachen mit Tim Feister, Kreisgeschäftsführer Ost und Geschäftsführer der Malteser in Leverkusen, Stephan Heller, Leiter Notfallvorsorge und Oliver Hinrichs, dem ehrenamtlichen Stadtbeauftragten der Malteser in Leverkusen. Themen waren z.B. der Rückgang des Ehrenamtes, Aspekte der Finanzen des Kreisverbandes und der Mitarbeiter, Aggressionen gegenüber Einsatzkräften, aber auch Erfreuliches wie Ausrüstung und Engagement der Mitarbeiter.
CP:
Eins der auffälligsten Probleme aller Hilfsorganisationen ist heute der Schwund ehrenamtlicher Mitglieder. Zwei Teilnehmer unserer Gesprächsrunde arbeiten als hauptamtliche Mitarbeiter bei den Maltesern in Leverkusen. Inwieweit sind Sie überhaupt mit Ehrenamtlichen befasst?
MHD:
Die ganze administrative Arbeit besonders im Bereich des Rettungsdienstes fällt in unseren Bereich: Gespräche mit der Feuerwehr, mit den Bezirksregierungen, über unsere Diözese, wir sind Schnittstelle für vieles, sorgen z. B. für die Abrechnungsgrundlagen und kümmern uns um Fortbildungsveranstaltungen. In vielen Bereichen unterstützen und koordinieren wir auch, damit unsere ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer entlastet werden.
Als Hauptamtliche haben wir viele ehrenamtliche Projekte in Leverkusen mit angestoßen und durchgeführt. Auch fahren wir gelegentlich selber im Einsatzwagen mit. Zudem ist es so, dass bei Großeinsätzen wie Karneval oder Flutkatastrophen bei uns regelmäßig Ehren- und Hauptamtliche gemeinsam in den Einsatz gehen. Ohne Ehrenamt geht es nicht. Das ist eine ganz klare Message.
CP:
Sicher kann man heute konstatieren: Ehrenamtliche Tätigkeit geht stark zurück, die Gründe sind auch relativ bekannt. Was macht man dagegen?
MHD:
Ja, die Zahlen sind etwas rückläufig. Motivation zum Ehrenamt wird zunehmend schwieriger. Wir müssen umdenken. Ehrenamtliche möchten heute z. B. auch mal die Möglichkeit haben, Zeit bei klassischen Freizeitaktivitäten mit den anderen Ehrenamtlichen zu erleben, z. B. mit Ausflügen, Fußball spielen oder einer Radtour. Die eigentlichen Kernaufgabe, wie Vorbereitung auf Katastrophenfälle und rettungsdiensttypische Ausbildung soll natürlich auch Spaß machen – aber es soll auch einen Ausgleich geben – schließlich verbringen sie gerade als Jugendliche und jüngere Erwachsene hier einen großen Teil ihre Freizeit!
Die Malteser wollen bundesweit auch in Zukunft eine der besonders attraktiven und leistungsstarken Ehrenamtsorganisationen sein. Das Fundament dazu legen wir mit dem Programm „Miteinander Malteser – Ehrenamt 2020“. Im Rahmen des Programms entstehen Ideen und Maßnahmen, um das Ehrenamt bei den Maltesern zu stärken.
CP:
Welche Rolle spielt da Geld?
MHD:
Ehrenamt bleibt bei uns ehrenamtliche Tätigkeit, ohne materielle Vergütung. Natürlich fragen Leute nach Aufwandsentschädigungen wie Fahrtkosten zur Dienststelle etc. Ein Ehrenamtlicher soll kein Geld mitbringen, aber wenn ehrenamtliche Tätigkeit bezahlt würde, wäre es unfair allen gegenüber, die sich unentgeltlich engagieren.
CP:
Was ist denn die Hauptmotivation bei Ehrenamtlichen?
MHD:
Beim Engagement im Rahmen einer Einsatzeinheit des Katastrophenschutzes z. B. besteht bei Ehrenamtlichen natürlich auch der Wunsch, dass man auch rausfährt zu Einsätzen. Das motiviert. Wer für Einsätze lernt und trainiert, möchte sein Wissen und Können auch anwenden. Alle eint letztlich der Wunsch, Menschen zu helfen durch praktische Tätigkeit. Und der Mix aus Technik und Medizin ist eben spannend.
Das Besondere an den Maltesern ist, dass unsere Leute in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter helfen. Das macht uns wohl aus. Dennoch stellen wir auch fest, dass die Zahlen beim Ehrenamt tendenziell zurückgehen. Der Wegfall des Zivildienstes oder der Verpflichtung bei Katastrophenschutz, THW o. ä. statt Wehrdienst ist nicht zu kompensieren. Wir sind dankbar für den Bundesfreiwilligendienst, haben in der Regel drei bis fünf Freiwilligendienstler, mit denen wir sehr zufrieden sind. Aber es bleibt eine Lücke, die nicht geschlossen wurde.
CP: Was macht denn außerdem Probleme im Alltag?
MHD: Der Rettungsdienst ist sehr anspruchsvoll geworden in den letzten Jahren, mit steigender Tendenz. Viele Ehrenamtliche können die heute erforderliche Kompetenz nicht uneingeschränkt erbringen, weil sie schlicht nicht genug freie Zeit für die Aus- und Fortbildung haben. Es wird immer anspruchsvoller in Ausbildung und Praxis. Diese Entwicklung bringt neue Berufsbilder hervor wie den Rettungsassistenten oder Notfallsanitäter. D. h., die Fähigkeiten zwischen Haupt- und Ehrenamt klaffen immer mehr auseinander. Vielfach kann man Ehrenamtliche nicht mehr wie früher voll im Rettungsdienst einsetzen.
CP: Könnte man das nicht mit mehr und qualifizierteren Lehrgängen zumindest angleichen?
MHD: Wenn es z. B. notwendig ist, etwa dreißig Fortbildungsstunden im Jahr zu machen, müsste der Ehrenamtliche dafür freigestellt werden vom Arbeitgeber. Immer häufiger wird das aber nicht gestattet. Daran, dass ehrenamtliche Tätigkeiten notwendig sind für das Allgemeinwohl der Bevölkerung, wird oft nicht gedacht. Wir hören immer wieder: „Ich würde gerne kommen, würde mir Urlaub nehmen, nur ich bekomme ich ihn nicht genehmigt, weil schon andere Urlaub haben.“
CP: Was bedeutet das finanziell? Sie müssen doch letztendlich den Mangel an Ehrenamtlichen durch mehr Hauptamtliche ersetzen?
MHD:
Und zwar massiv. Viele Einsatzbereiche sind gegenüber früheren Jahren mit höheren Kosten verbunden, weil wir sie zunehmend mit mehr hauptamtlichen Kräften besetzen müssen. Prekär würde es, wenn wir nicht mehr handlungsfähig wären, nicht mehr in der Lage wären, für Sicherheit zu sorgen, aber das ist definitiv nicht so. Wir müssen zwar überlegen, wie wir Lücken schließen und welche Bereiche für das Ehrenamt heute attraktiv sind. Das ist immer weniger der Rettungsdienst, sondern zunehmend der Katastrophenschutz, also die Einsatzeinheit. Bei einer größeren Katastrophe hilft uns der Rettungsdienst allein nicht weiter. Da brauchen wir alle, Katastrophenschutz und Rettungsdienst, und sind froh über jeden, der mitarbeitetet. Es muss sowohl den überwiegend hauptamtlich geprägten Rettungsdienst als auch den ehrenamtlich geprägten Katastrophenschutz geben, um für den Krisenfall gewappnet zu sein.
CP: Gibt es auch Probleme im Bereich der Ausrüstung?
MHD:
Die Zusammenarbeit mit der Stadt Leverkusen ist hier im Allgemeinen wirklich vorbildlich. Eine kleine Einschränkung gibt es dagegen bei der Kooperation mit dem Land NRW. Auf bestimmte Fahrzeuge wie z. B. den nach Vorgaben im Landeskonzept vorgesehenen Betreuungs-Lkw warten wir schon länger. Hier hat das Land noch Nachjustierungsbedarf. Die Lücken füllen wir momentan mit Geldern und Fahrzeugen der Hilfsorganisation, und das ist eigentlich nicht so vorgesehen.
CP:
Wir hören öfter Klagen, dass es im Bereich der Hygiene besser laufen könnte, vor allem, was die persönliche Ausrüstung angeht.
MHD:
Da hat sich in den letzten Jahren viel getan. Es ist noch nicht lange her, als es durchaus üblich war, dass man Kleidung wie Rettungsjacken mit nach Hause genommen hat. Das ist heute undenkbar. Wir verfügen hier über ein sogenanntes Poolsystem, das heißt wir haben keine personenbezogenen Bekleidungsstücke mehr außer Jacken und Schuhen, alles andere wie Hosen, T-Shirts, Sweatshirts ist Poolwäsche. Die Kleidung wird nach dem Dienst abgeworfen in speziellen Auffangbehälter, einmal die Woche von einer Reinigungsfirma abgeholt und nach den Richtlinien des Robert-Koch-Instituts aufbereitet – besser und auch wirtschaftlicher, als wenn wir hier eine teure Waschmaschine anschaffen müssten. Die Einsatzzahlen steigen, die Zeit auf der Wache wird auch für die Besatzungen länger. Da kann man nicht noch Wäsche waschen.
CP:
Was sind die Gründe für die steigenden Einsatzzahlen?
MHD: Eine Ursache ist sicherlich in unserer Lage begründet. Die Wache liegt in unmittelbarer Nähe des Autobahnkreuzes, der Verkehr wächst ständig und damit auch die Unfallzahlen. Dazu kommt ein Phänomen, das wir dem Generationswandel zuschreiben. Viele Jüngere sind hilfloser als ihre Eltern und Großeltern bei banalen medizinischen Befunden. Wir kennen Fälle, in denen bei Husten, Schnupfen, Heiserkeit ein Rettungswagen gerufen wird, um medizinische Beratung zu bekommen oder ins Krankenhaus transportiert zu werden oder aber auch der RTW als Taxi benutzt wird. Wir haben auch schon die Aussage gehört: Das Taxi kostet mich Geld, der Rettungswagen kommt umsonst. Die Schwelle, den Rettungsdienst zu alarmieren, sinkt.
CP:
Ein relativ neues Phänomen scheint ebenfalls zuzunehmen – Aggression gegenüber Einsatzkräften.
MHD:
Das verzeichnen wir auch. Manchmal genügen banale Dinge, um Konflikte zu provozieren. Wir haben schon aggressiv vorgetragene Beschwerden erlebt, das Martinshorn sei zu laut oder es unterbrechen Autofahrer unsere Behandlung, weil sie nicht wollen, dass der RTW mit Blaulicht unten steht und ihren Parkplatz blockiert. Wir reagieren auf die Zunahme von Aggressivität gegenüber Rettungsdienstpersonal mit Schulung. So haben wir kürzlich ein Deeskalationstraining durchgeführt mit einer externen Firma, die darauf spezialisiert ist. Dafür wurde zusammen mit der Firma ein Konzept für nachhaltiges Training für den Rettungsdienst geschrieben. Geplant ist, halbjährlich unsere Mitarbeiter für richtiges Verhalten in Gewaltsituationen zu schulen.
Unsere Gesellschaft hat sich rapide gewandelt in den letzten Jahren. Auch interkulturelle Spannungen spielen eine Rolle. Es leben Menschen unter uns aus Ländern, in denen Uniformträger keinen guten Ruf haben. Das wird manchmal auch auf uns übertragen.
CP:
Wir haben oben schon die finanzielle Situation rund ums Ehrenamt berührt. Wie ist denn da die Zufriedenheit der Hauptamtlichen?
MHD:
Zu unserem Beruf gehört zweifellos eine Menge Idealismus. Er wäre der falsche, wenn jemand schnell Millionär werden möchte, aber die meisten von uns beklagen sich darüber nicht. Es gibt allerdings ein zunehmendes neues Problem für das Hauptamt. Bisher war der Beruf zwar nicht glänzend bezahlt, aber sicher. Nun gehen viele Städte dazu über, den Rettungsdienst immer häufiger neu auszuschreiben. Das kann für eine Organisation wie uns bedeuten, von heute auf morgen den Auftrag in einer Stadt zu verlieren. Das erschwert natürlich die Gewinnung guter Mitarbeiter, wenn man sich schlimmstenfalls nur noch auf Zeiträume von vier oder fünf Jahren einrichten kann. Die Konsequenzen sind weitreichend. Es wird immer schwieriger, den Qualitätsstandard zu halten, wenn einer Hilfsorganisation alle paar Jahre das komplette Geschäft wegbrechen kann. Und dabei steht die europäische Gerichtbarkeit voll auf unserer Seite, indem sie durch europäische Vorschriften geregelt hat, dass der Rettungsdienst von der Ausschreibungspflicht entbunden ist!
CP:
Wie immer spricht man intensiver über Probleme als über erfreuliche Entwicklungen. Gibt es die denn auch?
MHD:
Oh ja – wir haben den Idealismus schon angeschnitten, den man in unserem Beruf braucht. Und das möchten wir noch einmal betonen: Die Leute, die hier mitarbeiten, sind ausnahmslos Menschen, die sich in hohem Grade mit ihrer Tätigkeit identifizieren. Auch wenn es vielleicht heute altmodisch klingt: Die wollen was Gutes tun, was Gutes für die Gesellschaft. Und was wir hier alle finden, ist eine funktionierende Gemeinschaft unter Gleichgesinnten. Hier kann man sich untereinander austauschen, gleiche Ziele verfolgen, und es ist auch ein Ort, wo man Spaß hat und das Gefühl tankt, auch mal etwas Gutes getan zu haben.
Und noch eins: Unsere Mannschaft aus Haupt- und Ehrenamtlichen wird tendenziell sicher kleiner, aber die, die bleiben, sind engagiert wie nie zuvor - ein eingeschworener Haufen.
Crisis Prevention 1/2017
Heinz Neumann